Tüten tackern

Als Kind hatte ich, wie wahrscheinlich jedes Kind, die verschiedensten Berufswünsche. So wollte ich Obstverkäuferin, Wurstverkäuferin, Lehrerin, Friseurin und Erzieherin werden. Jeden Tag etwas anderes. Dabei ging es mir nicht wirklich um die volle Ausübung der verschiedenen Berufsarten, es waren vielmehr die Kleinigkeiten, die mich lockten….

Als ich vier Jahre alt war, begleitete ich meine Mutter regelmäßig zum Einkauf in den Edeka-Markt des Dorfes, in dem wir wohnten. Es war ein kleiner Markt und eigentlich eher so etwas wie ein Tante-Emma-Laden. Die Chefin hieß Frau Backig und ich sah überall im Laden nur sie! Unser Einkaufsweg begann an der Wursttheke, hinter der Frau Backig stand. “Willste noch ’ne Worscht auffe Faust?“ war der Satz, den ich von ihr am allerliebsten hörte. Meine Mutter erzählt heute noch, dass ich auf diese Wurst-Frage einmal mit dem Kopf geschüttelt und „lieba Heberburst“ (Leberwurst) gewollt hätte. Ich fand es toll, wie Frau Backing mit einem kleinen Gäbelchen in einen Stapel Wurst stach, ein paar Scheibchen anhob, abwog, diese dann in eine Tüte schob. Manchmal während dieser Tätigkeiten schob sie ihre Brille wieder höher an den Nasenflügel und krähte wie ein Vogel : “Darfseinbisschenmeeeehrsein???“ Als die Wurstscheiben in der Tüte verschwanden, kam für mich das allerbeste: Aus ihrer fettig verschmierten Schublade holte sie einen Tacker und <tack tack> heftete sie die Tüte oben zu. Klasse! staunte ich regelmäßig und wollte ab da auch eine Wurstverkäuferin werden. Die Tüten oben zusammenheften und beim Tackern immer schön drauf achten, dass der Kassenbon auch mit eingetackert sein würde – das würde ich hinkriegen!!!

Danach kreisten wir mit dem Einkaufswagen weiter und machten vor dem Obststand Halt. Hinter dem war auch wieder Frau Backing zu sehen. Im gleichen Kittel.

Sie nahm die Bestellung meiner Mutter auf und packte das Obst in eine braune, dreieckige Tüte, die aussah wie eine Zipfelmütze. Die Dreieckstüten hingen immer an einem Haken, an dem auch die Bananen ihren Platz hatten. Wenn das Obst in der Tüte war, schaute oben immer noch ein Zipfel der Tüte heraus. Diesen schlug sie gekonnt und sicher um, stopfte ihn in die Tüte hinein und schon waren die gesunden Lebensmittel gut verpackt. Auch das wollte ich ab da unbedingt mein Leben lang machen: Tütenzipfel einschlagen! Ich würde also Obstverkäuferin werden!

Frau Backing selbst war es, die meine Berufswünsche dann zunichte machte. Sie hatte es sicher nur gut gemeint, als sie mir ein paar der braunen Dreieckstüten für meinen Kaufmannsladen, den ich in meiner Freizeit erfolgreich zu Hause betrieb, schenkte. Die Tatsache, dass ich nun jeden Tag mein Plastikobst hätte selbst eintüten können, war nur am Anfang von Euphorie und Glücksgefühlen gesegnet. Kurzum: Die Tütensache verlor ihren Reiz!

Nicht viel später hatte ich einen neuen Berufswunsch. Ich wollte Lehrerin werden (oder war ich das nicht längst bereits?). Ich hatte eine tolle Schule. Sie war nur samstags geöffnet und das auch nur, weil dies der Badetag in unserer Familie war. Ich saß im schaumigen Nass und hatte meine Schüler und Schülerinnen auf dem Badewannenrand aufgereiht: drei Barbies, einen Ken und zwei Mainzelmännchen-Figuren. Sie lauschten gespannt, wenn ich mit der „Kreide“ (Seife) wissenswerte Dinge an die Tafel schrieb. Die Tafel bestand in diesem Fall aus den von meiner Mutter frisch geputzten Fliesen an der Wand.

Ich war eine sehr strenge Lehrerin. Wer die Antwort auf eine der von mir gestellten Fragen nicht wusste, bekam von mir einen Schubs, plumpste ins Wasser und musste sehen wo er blieb. Am Ende war ich meist allein mit der vollgeschmierten Tafel und stinksauer. Solch undankbare Schüler*innen hatte ich selten gesehen. Nur um ihnen etwas beizubringen, hatte ich auf meinen Toilettengang verzichtet. Um mich herum im Wasser befanden sich nun meine Schüler*innen, die alle mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieben. Die Haare der Barbies hatten sich ineinander verheddert und trieben gefährlich nahe an das kleine braune Häufchen zu, dass ich doch nur wegen ihnen… ach, vergessen wir´s!

Friseurin wollte ich auch mal werden. Um Übung zu gewinnen, schnitt ich meinen Barbies die Haare kurz. Es gab bei mir wenige Barbies, die ihr honig-goldenes, hüftlanges, seidiges Haar länger als vier Tage behalten durften, bevor es meiner Bastelschere zum Opfer fiel. Das Barbies Haare nicht nachwachsen, erkannte ich zu spät. Aber das war egal, denn Friseurin wollte ich plötzlich eh nicht mehr werden. Das lag an dem Nachbarsmädchen, welches mir einmal ganz fies erzählte, dass Barbies Haare von toten Menschen stamme. „Wenn ein Mensch tot ist, dann schneiden sie dem die Haare ab und nähen die an Barbies Kopf. “ sagte sie gehässig und ich brach sofort mit meiner Leidenschaft, als Friseurin weiter zu arbeiten.

Es dauerte nicht lange und ich hatte einen neuen Berufswunsch. Ich wollte Kindergärtnerin werden. Ich liebte den Kindergarten, in den ich ging, und meine Kindergärtnerin Frau Ötzel war eine wunderbare, nette Frau. Sie saß oft an ihrem Schreibtisch, der in unserem Gruppenraum stand und blickte lieb in die Runde. Wenn man ein Bild gemalt hatte, durfte man zu ihr an das Pult gehen. Dann holte sie aus ihrer Schublade einen Stift und fragte:“ Was hast du denn da Tolles gemalt?“ Wenn man alles erklärt hatte, schrieb sie das darüber. Über einer gemalten Wolke stand dann von ihr geschrieben „Wolke“ und neben der Figur, die aussah wie ein Fraggle auf Abwegen, stand „Wie sich meine Mama an Fasching verkleidet hat“. Das war es allerdings nicht, was mich an dem Beruf so faszinierte. Das wirklich Tolle fand einmal in der Woche statt und hieß Turnstunde. Turnen fand ich klasse, Turnen war einfach super. Wir rannten, hüpften und schlichen durch den Raum. Immer nach Frau Ötzels Kommando. In der Hand hielt sie dabei stets ein Instrument, welches ich immer wieder begierig anstarrte. Es war ein Tamburin. Schnell wurde mir klar: Wenn ich groß bin, will ich Kindergärtnerin werden! Ich würde den ganzen Tag das Tamburin schütteln, klopfen und mit der Handkante anschlagen und schon würden alle Kinder dem Rhythmus folgend durch den Raum hüpfen. Alles nach meinem Takt!

Als ich drei Jahre später in die zweite Klasse der Grundschule ging, sollten wir malen, welchen Beruf wir gerne einmal erlernen wollten, wenn wir erwachsen wären. Weil ich nicht wusste, wie man eine Kindergärtnerin malerisch darstellen sollte, guckte ich bei meinen Mitschülerinnen ab und malte einfach das, was sie auf das Papier brachten. Eine Krankenschwester. Weißer Kittel, Spritze in der Hand, auf der Haube, die das Haar bedeckte, ein rotes Kreuz. Fertig.

Der Wunsch Kindergärtnerin beziehungsweise heute Erzieherin zu werden, ließ mich glücklicherweise nie los.

Als ich meine Erzieherinnenausbildung erfolgreich auf der Fachakademie für Sozialpädagogik in Nürnberg abschloß, war mein erster Gratulant mein lieber Ehemann Ralf. Und sein Geschenk an mich war ein….Tamburin!

2 Kommentare zu „Tüten tackern

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