
Handwerker*innen tragen einen Blaumann, Köche eine Schürze und Schornsteinfeger*innen schwarz. Arbeitskleidung scheint es für fast jede Berufsgruppe zu geben, nur für Erzieher*innen im Kindergarten nicht.
Lange habe ich mich damit abgefunden, dass wahrscheinlich NUR ICH zu blöd bin, um mal mit halbwegs sauberer Kleidung in den Feierabend zu gehen. Doch als ich an einem Tag mal die totale Kontrolle über meine frisch gewaschene Kleidung an meinem Körper behalten wollte, wurde mir einiges klar. Hier der Tag von Anbeginn:
Morgens, 8:00 Uhr . Meine Kleidung ist so sauber, dass selbst Klementine aus der Arielwerbung staunend aus der Wäsche gucken dürfte. Auch mein Haar ist frischgewaschen und fällt mir duftig locker über die Schultern. Ein Tag zum Anbeißen.
Noch bevor ich die Schwelle zu meiner Gruppentür betreten konnte, traf ich im Flur auf Herrn E. und seine Tochter, die sich nicht von ihm trennen mochte. Nach anfänglichem sentimentalen Geflüster und großer Ankündigung dessen, was wir an diesem Tag noch Tolles erleben würden, schaffte Elisa zwar den Übergang von ihres Vaters Arm auf meinen, aber das Weinen wollte kein Ende nehmen. Den Kopf auf meine Schulter gestützt, weinte (und schnodderte) sie sich so’n bisschen aus, bis das Gröbste vorbei zu sein schien. Denn als sie plötzlich ihren Freund Tim entdeckte, der just in diesem Moment von seiner Mutter in den Kiga gebracht wurde, war es mit der Weinerei zu Ende und ich wurde zur Statistin degradiert.
Froh darüber, dass Elisas Tränchen versiegt waren, schaute ich kurz auf meine rechte Schulter und das Ausmaß: Okay, das salzige Tränenmeer auf meinem olivgrünen Shirt würde im Laufe des Tages trocknen, gleiches befürchtete ich allerdings auch vom Schnodder, der sich seine Bahnen von der Schulter bis zu meiner Brust zog. Wie soll ich das irgendwem erklären? Es ist doch jetzt schon so, dass mich die Leute (vorwiegend Pendler/Männer in teuer aussehenden Anzügen), mit denen ich nach Feierabend in der S- Bahn nach Hause fahre, leicht komisch anschauen. Die wissen nicht, wo ich arbeite und erwarten wegen meiner besudelten Kleidung wahrscheinlich schon, dass ich in der Bahn unkontrollierten Blödsinn betreibe.
Zurück zum Kindergartenalltag. Wir malten ein Bild ans Fenster. Die Kinder lieben solche Aktionen, und es war auch an der Zeit, dass alte Fensterbild abzuwaschen, um ein neues zu kreieren (bei 30 Grad im Schatten noch ’nen Osterhasen am Fenster zu haben, geht nun wirklich nicht!).
Der neue Malauftrag an die jungen Künstler lautete „Blumenwiese“ und schon tauchten sie ihre kleinen Finger bis zum Anschlag in die Töpfchen mit der Fingerfarbe und malten was das Zeug hielt. Sowohl die Kinder als auch ich trugen bei solchen Malaktionen Malerkittel, die meist aus ausrangierten Herrenhemden der Väter bestanden. Es dauerte nicht lang und das wunderschöne Kunstwerk „Blumenwiese“ zierte unser Fenster.
Ich schickte die Kinder zum Händewaschen („und zwar gründlich!“) und zog meinen Malkittel wieder aus.
„Ich hab dich so lieb!“ rannte die kurz zuvor zum Händewaschen geschickt wordene Chiara mir entgegen und umarmte fest meine Taille.
Das „Ich dich auch!“ blieb mir kurzerhand im Hals stecken, als ich bemerkte, dass ihre Hände immer noch leicht voll Farbe waren und ihre Umarmung auf meiner schwarzen Jeans deutliche Spuren hinterlassen hatte. Gerade Chiara, die die Blumen auf der „Fensterbildwiese“ in den wildesten Farben gemalt hatte. Nun zierten kleine bunte Fingerabdrücke meine Hose. Kurz überlegte ich, ob ich mit dem Farbenspiel auf der Jeans vielleicht einen neuen Modetrend initiieren könnte? Auf der Fashion Week wäre das doch sicher der neueste Schrei, oder etwa nicht?
Noch war der Tag (klamottentechnisch) nicht verloren. Ich verschwand schnell im Bad, um mir die Spuren kleiner Handabdrucke von der Hose zu waschen.
Viel Zeit gewährte man mir bei dieser Bereinigungsaktion nicht, denn fünf Kinder standen plötzlich im Bad neben mir und redeten wirr durcheinander. „….hingefallen…!“ „ …wehgetan…“ „….Der Flori war´s!“ „….geschubst!“ „Nee, der Maxi war’s!“
Ei , Blut, Kakao… Weil keiner meiner „Kleinen“ einen aufschlussreichen Bericht über – ja, über was überhaupt? – liefern konnte, ging ich zurück in den Gruppenraum und orientierte mich bei der Suche nach dem Opfer dem Weinen nach. Kalt, seeehr kalt…,warm, wärmer, heiß.
Da stand ich plötzlich vor einem „meiner“ Kinder, dass vor lauter Weinen zwar nicht sagen konnte, was passiert war, aber das brauchte es in diesem Moment auch nicht weiter, denn ein blutendes Knie braucht erst mal keine Erklärung, sondern erfordert Trost. Viel Trost.
Das weinende Kind, in diesem Fall Tommi, ersann den besten Trost für sein blutendes Knie darin, dass er mir auf den Schoss krabbelte und dort verharrte. „Alles wird gut“, flüsterte ich ihm zu.
„Kennst du die Geschichte vom Hasen mit der blauen Nase?“, versuchte ich ihn zu beruhigen. Er verneinte und so begann ich zu erzählen. „Warte!“ unterbrach er mich und zog die Beine hoch zu seiner Brust. Embryoähnlich lag er schließlich auf meinem Schoss, während ich ihm die Trostgeschichte darbot. Die Geschichte ist kurz, lustig und immer mein Notnagel bei Tröstereien bzw. Versuchen, vom Schmerz abzulenken. Zum Schluss der Geschichte lachten wir beide und Tommi kroch von meinem Schoß herunter. Auch ich stand wieder auf und strich meine Kleidung glatt. Doch was war das? Mein Blick verharrte auf den Blutsprenkeln, die sich quer über mein Shirt zogen. Das musste passiert sein, als Tommi die Beine und das blutende Knie hochzog, um gemütlicher auf meinem Schoß zu sitzen.
13:00 Uhr. Ich sah inzwischen aus wie ein Schwein. Schnodderrückstände an der Schulter, farbenfrohe Tupfer am Hintern und Blutflecken in Brusthöhe. Weiß Gott, kein Mensch würde mich mehr ernst nehmen, wenn ich SO in der S-Bahn säße! Selbst wenn ich während der Fahrt Sokrates, das alte Griechenbürschchen zitieren würde, würde man mich nur für eine arme Irre halten. Aber darum könnte ich mich noch später kümmern. Jetzt stand erst einmal die Abholzeit für die Kinder an.
Ricarda war die erste, die abgeholt wurde. Wir waren gerade im Garten, als der Mercedes SLK vor dem Kindergarten hielt. Die Autotür öffnete sich und das erste, was ich sah, waren ein paar Füße, die sich elegant aus dem Auto streckten und sicheren Halt auf dem Asphalt suchten. Den Füßen folgten meterlange, schlanke Beine und danach kam der Rest von Ricardas hübscher Mama zum Vorschein. Während sie des Weges kam, klappte sie lässig mit einer Hand ihre Sonnenbrille auf, um sie sich auf die Nase zu setzen. „Na du kleiner Dreckspatz!“ sagte sie zur Begrüßung und für einen kurzen Moment war ich der festen Überzeugung, sie würde mich meinen.
Aber nein, sie meinte zum Glück ihre Tochter, die sich beim Spielen mit Matschepampe das Lacoste-Poloshirt versaut hatte.
Während Mama und Kind sich freudig begrüßten, inspizierte ich aus den Augenwinkeln Ricardas Mama von oben nach unten. Die weiße Perlenkette schmiegte sich um ihren Hals und stand in Harmonie mit ihren ebenso weißen Perl-Ohrringen. Der Kragen ihrer Bluse stand wie eine Eins (vermutlich gestärkt) und der Blazer, den sie trug, wies nicht eine Falte auf. Der kurze Rock ebenfalls nicht. Ihre Füße steckten in schwarzen Lackschühchen, in denen sich das Licht der Sonne wiederspiegelte. Nicht ein Staubkorn war darauf zu sehen. Ich war baff und erwischte mich dabei, die lupenreine Kleidung dieser Frau für einige Augenblicke zu bewundern.
„Wie macht sie das nur?“ war der Gedanke, der mich den ganzen Tag nachhaltig beschäftigte.
Auf dem Nachhauseweg hatte ich plötzlich nur noch einen Gedanken: Gut auszusehen. Privat tat ich das vielleicht, aber an der Arbeit fand ich mich immer eher „praktisch“ angezogen.
Praktisch ist für mich das Gegenteilswort zu schick und elegant.
Meine Gedanken lotsten mich in ein Geschäft, dass tolle, aber nicht teure Blusen verkauft. Schnell wurde ich fündig und kaufte mir eine Tunika, deren türkise Farbe und die kleinen aufgenähten Pailletten mich schier begeisterten.
Am nächsten (Kindergarten)-Tag kam die Ernüchterung. Ricardas Mutter brachte ihre Tochter und war gerade im Begriff, ihrem Kind in die Hausschuhe zu verhelfen, als sie mich sah. „Oh, schau mal!“ sagte sie zu Pauline, „die Stephi ist heute ganz schick angezogen!“
Ich wusste nicht, ob ich mich freuen oder ärgern sollte. Sah ich denn sonst aus wie ein Höhlenmensch?
Sie schürte meine innerlich aufbrodelnde Wut, indem sie fragend nachhakte: „Haben Sie heute wohl noch etwas Besonderes vor?“
„Ich habe jeden Tag etwas Besonderes vor!“ sagte ich nett und ergänzte: „Meine tägliche Arbeit mit den Kindern ist für mich immer eine Besonderheit!“
Sie lächelte mir freundlich zu und gab Ricarda einen gehauchten Abschiedskuss auf die Wange.
Ricardas Gesinnung war aber eher nach einem richtigen Schmatzer auf den Mund und so wiederholte sie die Kuss-Szene noch einmal mit Ziel auf die Lippen der Mutter.
„Ach nein, bitte!“ sagte diese daraufhin leicht ärgerlich und erklärte ihrer vierjährigen Tochter: „Wozu habe ich denn heute morgen Lipgloss aufgetragen?“
„Dann will ich dich noch mal feste umarmen!“ sagte Ricarda und zog ihre Mutter am Blusenkragen in ihre kleine Höhe. „Ach nein, Ricarda!“ schimpfte die Mutter und zuppelte sich den Kragen wieder glatt. „Ich muss gleich zur Arbeit – wie sehe ich denn aus?“ machte sie ihrer Wut Luft. „Ach nein wirklich!“ polterte sie weiter.
Ich stand daneben und fühlte mich plötzlich um eine Erfahrung reicher. Vielleicht sah ich an der Arbeit nicht immer chic und elegant aus, aber an meiner Schulter kann ein Kind immer Trost finden. Scheißegal, ob es mir dabei mein H&M-Shirt vollrotzt oder eben die Tunika…
Es war einmal ein Hase
mit einer roten Nase
und einem blauen Ohr,
das kam sehr selten vor.
Die Tiere wunderten sich sehr:
Wo kam nur dieser Hase her?
Er hat im Gras gesessen
und still den Klee gefressen.
Und als der Fuchs vorbeigerannt,
hat er den Hasen nicht erkannt.
Da freute sich der Hase.
„Wie schön ist meine Nase –
und auch mein blaues Ohr.
Das kommt sehr selten vor!“
(Helme Heine)
Wieder eine tolle Geschichte ,bitte mehr davon
LikeGefällt 1 Person
Vielen Dank liebe Bärbel. 😊
LikeLike
Danke fåur diese schöne Geschichte
LikeGefällt 1 Person