Freddie Fliege

Was muss wohl in den Koffer, wenn man im Sommer an die Nordsee fährt?

Seit wir mal ein paar unruhige Nächte hatten, ist das erste, was in unseren Koffer fällt, eine große Packung Fliegenfänger. Und das kam so:…

Die erste Nacht im Feriendomizil war super. Hundemüde waren wir, hatten sonnenverbrannte Haut und den Kopf voll mit wunderschönen Eindrücken der Insel. Wir schliefen also den Schlaf der Gerechten, wie es so schön heißt.
Die zweite Nacht wurde um 5:00 Uhr von einem Sumsen und Kitzeleien an Hand, Nase, Bein, Ohr und Auge unterbrochen. Eine Fliege! Während ich sie im minütlichen Takt ganz ungemütlich von mir weg scheuchte, wollte Ralf (der Diplom-Sozialpädagoge) noch mit ihr über ihre Probleme sprechen.

An Tag drei, vier und fünf konnten wir ebenfalls nicht schlafen, weil die Fliege inzwischen ihre Cousinen, Tanten, Onkel und der übrigen Verwandtschaft von uns berichtet hatte. Um halb fünf oder halb sechs war die Nacht jeweils zu Ende, beschloss die Fliege mit Verwandtschaft. Ralf war jetzt auch soweit, keine sozialpädagogischen Gespräche mit dem kleinen schwarzen Mistvieh zu führen und schwang im Sekundentakt die Fliegenklatsche.


Als mich an Tag sechs nichts weckte, ich aber wegen des ständigen frühen Aufwachens nun meinen persönlichen Kopfwecker anhatte und aufwachte, sah ich Ralf am Ende meines Bettes sitzen. Ein Buch in der linken, die Fliegenklatsche in der rechten. „Was machst du da?“ murmelte ich und freute mich, dass er ein Buch in der Hand hielt. „Ich sitze hier, um die Fliegen zu verscheuchen, die dich im Schlaf stören könnten“, sagte er. Wie herrlich! ❤ Ich setzte mich im Bett auf. „Ralf, wir müssen jetzt dringend was unternehmen“, sagte ich. „Wir können nicht nach zwei Wochen Urlaub mit schwarzen Augenrändern heimkommen, nur weil ein paar Fliegen uns irre gemacht und um den Schlaf gebracht haben!“

Wir beschlossen, im Supermarkt einen Fliegenfänger zu kaufen. Einen, der sonst auf Bauernhöfen hängt. Fanø hat genau drei Supermärkte. Dort kann man fast alles für den täglichen Gebrauch kaufen. Also zumindest das, was die Dänen für den täglichen Gebrauch halten. Fliegenfänger gab es in Markt eins und zwei nicht. Aber in Markt drei. Ralf schnappte sich das Fliegenfänger-Sechser-Paket und rannte zur Kasse, als würde der Laden gleich schließen. Auf sein Verhalten angesprochen flüsterte er mir zu: „Es war das letzte Paket mit Fliegenfängern.“ Ach so. Gut gemacht.

Weil die Fliegen uns wirklich den letzten Nerv raubten, waren wir nicht pingelig, was die Verteilung der Fliegenfänger anging und hängten gleich vier Stück im Zimmer auf. Am Morgen hatte ich noch zwei kopulierende Fliegen auf dem Schrank gesehen – sie würden in den nächsten Tagen also noch ’ne Schippe drauflegen, was ihre Anzahl anging.


Am nächsten Morgen wachten wir beide wieder um 5.00 Uhr auf. Ein müder Blick auf die Fliegenfänger zeigten uns, dass sich keine der schwarzen Biester daran aufhielt. Ein weiterer Blick auf die Verpackung der Fänger verriet mir, warum: MHD 2012. Und nun schrieben wir das Jahr 2014. Wir wollten lachen, aber das taten die Fliegen schon für uns. Sie lachten uns aus! Sie flogen scheinbar im Slalom um die von der Lampe, dem Dachbalken und den diversen anderen Stellen, an denen wir das klebrige Zeug aufgehängt hatten, drumherum. Summ summ. Es war zum Heulen.

Den nächsten Tag fuhren wir völlig übermüdet mit der Fähre auf das Festland. Denn dort würden wir doch sicher ein paar Fliegenfänger bekommen. Würden wir?

Die ersten vier Geschäfte die wir aufsuchten, hatten keine Fliegenfänger im Verkauf. Wir fanden allerhand anderes, aber eben nicht das, was wir eigentlich wollten. Wie ein Einkauf bei IKEA: Man will nur Servietten und Teelichter kaufen und schiebt dann doch einen großen Einkaufswagen hinaus zum Parkplatz, wo man sich fragt, ob das Auto vorher nicht größer gewesen sei. Es ist kein Witz, dass wir den ganzen Tag durch Esbjerg stiefelten und nicht das fanden, was wir suchten. Leicht gefrustet nahmen wir die nächste Fähre und fuhren wieder auf die Insel. Freddie Fliege, der freche Untermieter, hatte vielleicht schon Kaffee gekocht und durchgesaugt.

Aber nein, hatte er nicht. Inzwischen ließen er und seine Freunde uns auch am Tag nicht in Ruhe. Immer waren sie an Beinen, Zehen, Ellenbogen, Nase, Augenlidern. Ich sprühte mich aus lauter Verzweiflung mit dem Anti-Mücken-Spray ein und wollte jammern, weil ich eben erst frisch geduscht hatte. Statt nach Kokosduschgel roch ich nun wie eine gammelige Zitrone.
Doch was war das? Es setzte der „Heureka“-Moment ein: Die Fliegen blieben fern. Das war der Moment, der alles ändern sollte. Wir sprühten wie die doofen das Zeug im Zimmer herum und hatten dabei Gesichter wie Jack Nicholson in „Shining“.

Weil Schadenfreude immer in die Hose geht, machte sie auch hier nicht halt: Das „Fliegen-weg-halte-Zeug“ war zwar effektiv, aber auch äußerst ölig. Das merkte ich, als ich nach einer gewonnenen Partie „Mensch-ärgere-dich-nicht“ jubelnd aufsprang. Meine Füße rutschten auf dem Teppich aus, der plötzlich so glatt war wie ein Babypopo, sodass ich schon wieder Angst um meine Vorderzähne haben musste, die der Tischkante bei meinem Fall gefährlich nahe kamen.


Ich war so sauer, weil ich ansonsten alles dabei hatte: Die Mini-Stromstoß-Pistole, die ich nach einem Mücken- oder Bremsenstich auf die Stellen auftragen könnte, um dem anschließenden Juckreiz zu verhindern, das Fenistil meiner Mutter (extragroße Tube), eine Antimücken-Zitronen-Kerze, und so weiter. Nur Fliegenfallen nicht. Wer denkt denn an so etwas?

Ein weiteres Phänomen ergab sich: Wir bemerkten, dass die Fliegen gegen 23:00 Uhr zu müde zum Rumschwirren waren und sich gemütlich (hyggelig) an der Decke, dem Schrank oder auf dem Sofa ausruhten. Sogar am Bier nippten sie! Wir änderten also unseren Plan und wedelten immer kurz vor’m Schlafen mit der F-Klatsche alle Fliegen so lange im Zimmer umher, bis sie noch müder wurden, in der Hoffnung, sie würden dann auch länger schlafen. In der zweite Woche löste sich das Problem dann ganz von allein, denn es war windig und regnerisch, sodass es den Fliegelis zu kalt wurde und sie uns nicht mehr störten.

Seit dem ist das Erste, was in unseren Koffer fällt: Eine Zehnerpackung Fliegenfänger.

Habt eine schöne Zeit und lasst euch nicht ärgern 😉

6 Kommentare zu „Freddie Fliege

  1. Hej Steph,
    wieder so ein herrlicher Beitrag, bei dem ich das Gefühl habe, „daneben zu stehen “ 😃, ich seh euch förmlich mit der Fliegenplatsche im Zimmer herumwedeln.
    Bin gespannt auf deine nächste Inselgeschichte!

    Gefällt 1 Person

  2. Hallo Steph, danke für diese wunderbare Geschichte. Ich hab Fliegenfallen sofort auf meinen Einkaufszettel geschrieben, bevor es in einer Woche auf die Lieblingsinsel geht. Mir hat die lästige Verwandtschaft von Freddie Fliege auch schon so oft den Inselschlaf geraubt.

    Gefällt 1 Person

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