Abenteuer Franken

Da saß ich nun in einem LKW mit gefrorenen Hähnchenschenkeln und Möhrenscheibchen. Wie war es nur soweit gekommen? Es lag an der sprachlichen Barriere des Busfahrers in der Oberpfalz und mir, der gebürtigen Hessin. Aber der Reihe nach…

Ralf, das Küstenkind von der Ostsee und ich, die Baggerseeerfahrene Nordhessin lebten in Nürnberg. Einen sehr wichtigen Satz brachte Ralf mir schon bei, als er mich damals am Bahnhof abholte. 1. „Wir sind hier nicht in Bayern! Wir sind in Franken. Vergiss das bitte nicht, die Franken reagieren darauf sensibel.“ „Alles klar“, sagte ich und notierte mir das in meinem Kopf. Einen zweiten wichtigen Satz sollte ich später noch kennenlernen, nämlich „ Der Glubb is an Depp“.

Bitte nicht falsch verstehen, Ralf ist auch heute noch großer Fan des 1. FC Nürnberg. Diesen Satz sagt man aus verzweifelter Liebe zum Club. Und dieser wird mit G am Anfang und doppeltem B am Ende geschrieben, denn so ist das in Franken.

Ich habe die Besonderheit dessen, dass die Franken das D gerne durch ein T ersetzen und das P gegen ein B tauschen in den nächsten Jahren in Nämmbärsch bestens gelernt und verinnerlicht. Unvergessen wie eine Kollegin mich fragte, ob ich in nächster Zeit beim „Thener“ vorbeikäme? Thener, Thener, wer oder was war das wohl? Ich kannte nur Tena Lady und das war eine Einlage für Frauen mit Blasenschwäche. In den gelben Seiten war über das Geschäft mit T auch nichts zu finden. Den AHA-Effekt hatte ich, als ich in der S-Bahn nach Hause fuhr und dort einem Mann gegenüber saß, der eine Tüte mit dem Logo des Gartenbaumarkt „Dehner“ auf seinem Schoß hielt.

Am Anfang habe ich wirklich nichts von dem fränkischen Dialekt verstanden und daher versucht, mir einiges zusammenzureimen. Das hatte zur Folge, dass ich in Kürze der Zeit an Gewicht verlor, denn ich verstand die Speisekarten und Lebensmittelbezeichnungen einfach nicht. Was könnte sich wohl hinter dem Wort „Stopfer“ verbergen? Sicherlich irgendwas was stopft. Lieber nicht. Und wie hätte ich jemanden fragen sollen, wenn ich das gesprochene Wort der Franken ja auch nicht verstand?

Schäuferla, Baggers, Fleischküchle und saure Zipfel. Das „Giegerla“ war kein Problem für mich. In Hessen gibt’s den Gickelhahn, da war also eine Verbindung leicht herzustellen. Die „Stadtwurst mit Musik“ habe ich mich nie getraut zu bestellen. „Warum nicht? Wenn du es doch magst“, sagte Ralf zu mir, als wir abends einmal essen gingen. „Aber Ralf, ich weiß doch nicht mal, ob ich das mag“, sagte ich und schaute wieder konzentriert in die Karte hinein. Nächtelang lag ich wach und dachte darüber nach, was es mit der Stadtwurst mit Musik wohl auf sich hatte. Das Internet war noch nicht soweit, mir das annähernd erklären zu können, also schmiss ich meine Festplatte namens Kopf an und überlegte.

„Ich mag Wurst und das Wort Wurst kommt darin vor, aber was ist mit der Musik? Kommt da plötzlich eine Kapelle an den Tisch und spielt fränkische Volkslieder, während ich dort sitze und genüßlich die Wurst kaue? Nein, das wäre mir zu peinlich und Geld für einen Geiger am Tisch hatten wir nun wirklich nicht! Wer kann den ahnen, dass bei diesem Gericht eine Stadtwurst mit viel Zwiebeln gereicht wird und für die Musik der eigene Darm sorgen würde? Allmächd.“

Nach drei Monaten in Franken wußte ich, dass der Clubb tatsächlich ein Depp ist, es sich beim Begriff Stopfer um einen ganz normalen Kartoffelbrei handelt und Graudwiggala Krautwickel sind. Mit den Endsilben Le und La haperte es noch lange, aber ich war schon im Schulfach Französisch unendlich schlecht. Bekommt man nach dem Einkauf einen Fünferla oder eine Fünferle zurück? Dieses Problem wurde schnell gelöst, denn ich lernte von den Franken drei herrliche Wörter, die man allerzeit einsetzen kann, nämlich: „Des bassd scho!“ (Passt schon, alles in Ordnung).

„Magst fei amol mit uns sandeln geh’n?“ fragte mich ein Arbeitskollege und ich sagte sofort zu. Sandeln, das klang so süß, dahinter konnte sich nur etwas Schönes verbergen. Barfuss im Sand, einen Seidla in der Hand, vielleicht. Warum nicht? Sandeln, dass würde ich nach diesem Abend erfahren haben, bedeutet herumlungern, nichts tun. Und das mit dem Seidla habe ich ruckizucki rausgefunden…

…der Ralf und ich waren abends nach Feierabend nämlich mal auf der Wies’n in Nämberch. Dort haben wir ein Bier bestellt und wurden gefragt, ob wir „an Seidla oder an Maß“ wollen. In ein Glas Seidla passen 0,5l Bier, in eine Maß ein ganzer Liter. „Zwei Seidla bitte“, gaben wir zur Antwort, worauf der Wirt das Wort „Saupreißn“ in sich hinein grummelte. „Juchuh, wieder ein neues Wort gelernt, ich werde es mir gleich in mein Vokabelheft schreiben, wenn ich nach Hause komme“, dachte ich bei mir und tat das auch. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, denn Ralf schenkte mir ein Wörterbuch. Fränkisch/deutsch für Anfänger. Eine wahrlich schöne Erleichterung.

Nach sechs Monaten in Franken wußte ich, dass man gerne „Allmächd“ sagt, um seinem Erstaunen über irgendwas Ausdruck zu verleihen. Der Glubb war im übrigen immer noch ein Depp. Ich sagte „Adé!“ wenn ich mich verabschiedete und trank statt Seidla auch mal a Maß. Man will sich ja anpassen, gell?

Dann sollte ich zur Fortbildung fahren. Die Kollegen im Lehrerzimmer freuten sich mit mir, als ich ihnen davon berichtete und fragten sogleich, wo es hingehen sollte. „In die Oberpfalz“, sagte ich stolz und schaute in die Runde. Karl verschluckte sich fast an seinem LKW (Leberkäsweggla), Lisa fächelte sich aufgeregt Luft zu, Martin schaute mich mit aufgerissenen Augen an und Tanita kaute nervös an ihren Nägeln. „Was habt ihr denn alle?“ fragte ich. Sie sahen alle irgendwie „aweng“ entsetzt aus. „In die Oberpfalz fährst du?“ versuchte Karl es auf hochdeutsch. „Allmächd! Des geht fei ned, du verstehst da doch nix!“ empörte sich Maria und alle anderen nickten ihr bestätigend zu.

„Ach was, ich hab doch jetzt sechs Monate Franken in mir, da kriege ich des fei scho hin“, dialektete ich vor mich hin. „Außerdem hab‘ ich ja fei auch noch mein fränkisch-deutsch Übersetzungsbuch. Des bassd scho!“ Ich erntete müdes Lächeln. Nun kamen mir tatsächlich kleine Zweifel.

Würde ich das echt schaffen? Im Frankenland gab es immerhin immer wieder neue sprachliche Barrieren. Zwei Wochen zuvor hatte sich unser Nachbar, der uns als „Saupreißn“ ein wenig unter seine Fittiche nahm, gefragt, ob ich am nächsten Tag zum Mittagessen gerne einen Kümmerling haben wolle. „Ähm, Alkohol zum Mittag? Lieb gemeint ,aber…“ „Gschmarri!“ sagte er und erläuterte, dass der Kümmerling ein Gurkensalat war. Schon wieder Erleichterung.

An Tag X stand ich am Busbahnhof in der Oberpfalz. Der Zug hatte mich aus Nürnberg dort hingebracht. Noch eine halbe Stunde, bis die Fortbildung beginnen würde. Als Mensch, der sehr gerne pünktlich ist, freute ich mich über die Zeit, die ich noch über hatte. Zwar müsste ich für den Rest der Strecke noch den Bus nehmen, aber das würde ja nicht allzu lange dauern.

Und dann stand ich vor dem Busfahrer. Oberpfälzer Urgestein. Freundlich blickende Augen und beide Hände um das Lenkrad gekrallt fragte er mich, wohin ich wolle. Das glaube ich zumindest, denn ich hörte nur fremde, mir unbekannte Wörter. Es war, als würde er bellen wie ein Hund. Ich erläuterte ihm meinen Zielort und bekam als Antwort erneut Gebell. Wir standen vor einem Problem. Denn er verstand nichts von dem, was ich ihm erzählte und ich wiederum verstand ihn nicht. Gar nicht. Überhaupt nicht. Erst jetzt verstand ich die Reaktion meiner Kollegen, als ich ihnen von meiner Fortbildung in der Oberpfalz berichtet hatte. Ich Schaf!

„One Ticket please, Kurzzeitstrecke“, sagte ich schließlich und legte ihm einen Fünf Euro Schein auf seinen Bezahltresen. Seine Augen sagten mir „Entschuldigung“, als er mir das Restgeld auszahlte. Dann gingen die Türen zu und wir zockelten über’s Land.

Ich hatte einen Plan. Wenn ich mich in der Mitte des Fortbildungsortes zu befinden glaubte, würde ich den Halteknopf drücken und aussteigen. Dann würde ich in einem der Geschäfte erneut versuchen jemanden zu finden, der meine Sprache (inzwischen ein Kuddelmuddel aus hessisch, norddeutsch & fränkisch) verstand. So müsste es gehen. Der Blick auf die Uhr machte mich nervös. Von der halben Stunde waren nur nur noch 15 Minuten übrig. Als ich die ersten drei Geschäfte abgeklappert und bemerkt hatte, dass man mich auch dort nicht verstand, sah ich plötzlich durch das Schaufenster eines Blumenladens, in dem ich gerade stand, einen Bofrostwagen. Bofrost. Der Lieferant für Tiefkühllebensmittel würde doch sicher ein Navi haben und mir sagen können, wo der Weg lang ging, oder?

Drei Minuten später saßen Bofrostpeter und ich in seinem Wagen und ließen die Landschaft an uns vorbeirauschen. Ich wollte nur den Weg wissen und er bat mir sofort an, mich dorthin zu fahren. Es stellte sich nämlich heraus, dass er gebürtiger Hesse war und das Bellen noch nicht so ganz erlernt hatte.

In meinem Kopf breitete sich eine Discokugel aus. Bunte Farben vermischten sich mit Glücksgefühlen, Erleichterung und Freude. Oder waren die gefrorenen Hähnchenteile, Blumenkohltaler und Möhrchenscheiben daran Schuld, dass ich mich plötzlich so gut fühlte? Der Zielort war auf einem Berg, weit weg vom Dorfmittelpunkt, an dem ich aus dem Bus ausgestiegen war. Hessisch babbelnd fuhren wir die Serpentinen hinauf und als er mich an meinem Ziel aus dem Auto aussteigen ließ, schenkte ich ihm ein freudiges Lächeln voller Dankbarkeit.

Der Rest ist schnell erzählt. Ich kam zu spät zur Fortbildung und schämte mich sehr für meine Unpünktlichkeit. Doch dann begann ich, über meine Erlebnisse zu berichten und erlebte, wie 20 Teilnehmer*innen + Fortbildungsleiterin sich die Bäuche hielten vor Lachen. Und das war es mir allemal wert.

Herzliche Grüße

Steph ❤

5 Kommentare zu „Abenteuer Franken

  1. Haha, ich lach mich weg – hatten wir doch auf dem Weg aus dem heimatlichen Niedersachsen ins Allgäu ein ähnliches Erlebnis. Irgendwo, schon fern der Heimat, hatten wir beschlossen, von der Autobahn abzufahren, um in einem nahegelegenen Dorf eine Gassirunde zu gehen und etwas zu Essen zu kaufen. In der örtlichen Bäckerei wollte unser ( damals noch Klein-)Jonas gerne wissen, um welche Brötchen es sich bei dem recht fremden Gebäck denn so handele. Mein Mann antwortete ihm, dass die Backwaren nicht genau mit unseren heimischen vergleichbar seien und die „Brötchen “ in Bayern auch ganz andere Namen hätten. In genau diesem Moment kam die Verkäuferin ums Eck und erklärte ganz empört, wir wären hier nicht in Bayern sondern in Unterfranken!! (mit Betonung auf „Unter-„!).
    Upps – da waren wir wohl in einen Fettnapf unheheuren Ausmaßes getreten – duften aber unsere Reise nach Bayern – sorry, ins Allgäu! doch noch gut gestärkt fortsetzen.
    Einen herzlichen Gruß an alle Franken 😊

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    1. Ja, das ist schon was mit all den verschiedenen Wörtern für Brötchen die man sich behalten muß, was? Und nicht nur das: Zu Silvester oder der Faschingszeit fällt mir nie der richtige Namen für die, ähm.. wie heißen die denn jetzt… ahc, Berliner ein. In Hessen nennt man sie Kreppel, in Franken Krapfen (gefüllt mit Hiffenmark) und hier eben Berliner. Dein armer Junge. aber ja, so habe ich es in zehn Jahren Franken auch erlebt: Es ist ganz wichtig, die Region (Mittelfranken in unserem Fall) zu erwähnen und niemals nicht zu sagen, man wäre in Bayern. Pöh. Haha. Ich vermisse die Franken manchmal schon arg. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende mit viel Sonne.

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