
Es gibt Berufe, deren Ausübung einen die Beziehung kosten kann.
Anfangs ist alles easy. Man sieht sich, verliebt sich, küsst sich und liebt sich und findet überhaupt kein Problem darin, dass der Wunschkandidat Pilot ist und man selber so schreckliche Angst vor’m Fliegen hat.
Die Floristin verliebt sich in einen von Heuschnupfen geplagten Kerl und der Wurstfabrikant in eine Vegetarierin.
Alles kein Problem. Man weiß ja schließlich von Anfang an, mit wem der/die Liebste sein Geld verdient und welche Auswirkungen das auf die nachhaltige Beziehung haben kann. Nach einiger Zeit schleicht sich allerdings der Schlendrian ein. Die Pilotenfrau will nie mit ihrem Mann fliegen (schon gar nicht, wenn er das Ding fliegt) und der Wurstfabrikant sehtn sich nach Frischfleisch.
Bei Erzieherinnen sieht das alles ganz ähnlich aus. Mit nur einem Unterschied:
Männer, denen man beim ersten Treffen von seinem Erzieherinnenberuf erzählt, kriegen glasige Augen und tätscheln einem die Hand. Während man von der Erfüllung seiner Arbeit spricht, von der Pflege, dem Spielen, der Freude und der Dankbarkeit der Kinder, denkt der Mann sich insgeheim: „Cool! Ich schlepp‘ heut‘ Abend die Alte hier ab, mach‘ ihr ’n Kind , heirate sie und gehe weiterhin arbeiten, während sie zu Hause auf die Kinder aufpasst. Von zu Hause aus arbeiten nennt man das, hihi.“
Das haben bestimmt schon viele Männer gedacht, als sie erste Bekanntschaft mit einer Erzieherin machten. Dabei ist es nicht so einfach, wie sie anfangs dachten.
Der Teufel steckt bekanntlich im Detail. Und ich kam dem ganzen eines Tages auf die Schliche. Ich befand mich im dritten von insgesamt fünf Ausbildungsjahren und absolvierte ein sechswöchiges Praktikum in einem Hort. Meine Anleiterin hieß Ina, war 24 Jahre alt und gerade von ihrem Freund verlassen worden.
„Er hat jetzt eine dreißigjährige Bankerin, mit der er die Küste vor Portugal umsegelt“, heulte sie mir vor.
„Hmmmh, das ist ja nicht so schön“, stellte ich damals fest und stand ihr tröstend Tag für Tag zur Seite.
Sie muss dafür sehr dankbar gewesen sein, denn am Ende meines Praktikums lud sie mich zu einem Abendessen in ihre Wohnung ein. Ich kam mir schon ein wenig fehlbesetzt vor: Sowohl auf der Fensterbank als auch auf dem gedeckten Tisch leuchteten mehrere Teelichter, ein paar Rosen lugten aus der Vase hervor und im Hintergrund hörte man Barry White seine besten Songs säuseln. Sollte hier nicht besser ein potenzieller Heiratskandidat sitzen?
„Ich zeig dir erst einmal die Wohnung“, rief sie und riss mich an meinem Arm hoch aus dem Sofa. Stolpernd folgte ich ihr und kam Stück für Stück ihrem Trennungsgrund näher…
In der Küche sah es aus wie im Kinderparadies von IKEA:
Von den Wänden bis zum Kühlschrank/Herd/Spüle war alles bunt angemalt. Die Wände rosa, der Kühlschrank rot, die Verkleidung der Schränke gelb und die Gardinen blau. Tine Wittler hätte bei diesem Anblick sicher einen Herzinfarkt bekommen. Oder einen schlimmen Fall von Augenkrebs.
Bevor mir schwindelig wurde, verließen wird das bunte Etwas und gingen ins Badezimmer. Außer der Toilette, der Dusche und dem Waschbecken war dort alles in einem kreischenden Rosa. Es hätte auch Barbies Badezimmer sein können. Nicht mal die Fliesen waren mehr weiß, was daran lag, dass sie über und über mit Windowcolor – Motiven beklebt waren. Statt Fischen, Krebsen, Sandstrand und Leuchtturm pappten Schweine, Schwäne, Kühe, Esel, Elefanten, Pferde, Fohlen und Marienkäfer an den Kacheln.
Aber nicht nur die Fliesen waren damit beklebt. Auch die gesamte Einrichtung. Von der Bürste bis zum Schrank.
„Du magst Tiere wohl sehr, hmmmh?“ fragte ich und streichelte über eines der Bildchen, dessen Farbe schon leicht abgeblättert war.
„Oh ja! Tiere sind neben den Kindern mein ein und alles!“ rief sie begeistert. Schweigend standen wir im Bauernhof-Badezimmer, aus dem ich gar nicht mehr gehen wollte, weil ich das Ganze noch gar nicht erfasst hatte. Ein klarer Fall von Reizüberflutung, würde ich sagen. Dabei wäre es eigentlich „Perlen vor die Säue werfen“, weil mir das hier Gesehene später sowieso kein Schwein glauben würde. „Männer mag ich natürlich auch“, fügte sie schließlich hinzu und ließ nicht unerwähnt, „dass auch die manchmal zu Tieren werden könnten“. Sie dachte dabei an Sex, ich an einen Wutausbruch.
Einen solchen würde ich als Mann nämlich bekommen, wenn ich Tag für Tag meine Zahnbürste in einen Zahnputzbecher stecken müsste, der mit kleinen Schmetterlingen und Katzenbabys beklebt war. Bei der weiteren Besichtigung ihrer Wohnung wurde mir vieles klarer. Es ging nicht nur um die Deko. Es ging wahrscheinlich auch darum, dass sie in ihrem Inneren ein verspielter Mensch war, der Beruf nicht zwischen Privatem unterscheiden konnte.
Beim Betrachten ihres Schlafzimmers fielen mir fast die Augen aus dem Kopf. Es war nicht mal das Kuscheltier, das mich störte. Ralf hat aus Kindertagen auch ein Kuscheltier, welches er als Kind auf den Namen Mutter Hase taufte, obwohl es sich bei Mutter Hase, für jeden unschwer erkennbar, um ein Schaf handelt.
Was mich wirklich schockierte, waren die zahlreichen Kinderbilder, die sowohl Schrank als auch Wände des Schlafgemaches zierten. Egal ob mit Wachsmalkreiden oder Wasserfarben gemalt – alles fand hier an den Wänden seinen Platz.
„Hingen die schon immer hier?“ wagte ich einen Vorstoß in Richtung Kritik.
„Aber jaaaa“, sagte Ina und zog die Augenbrauen hoch, fast so, als wäre sie erstaunt. „Das haben doch alles meine Kinder aus dem Kindergarten gemalt, das kann ich doch nicht einfach wegschmeißen!“
„Aber das kannst du doch auch nicht im Schlafzimmer aufhängen!“ wurde ich lauter und strenger.
Ina runzelte die Stirn. „Aber wieso denn nicht…. das sind doch schöne Bildchen!“
„Aber doch nicht in einem Schlafzimmer!“
„Ich verstehe nicht….ich bin doch…..ich möchte doch…ich ……“
„Ina“, sagte ich und legte beide Hände auf ihre Schultern.
„Du kannst dich ja gerne an deiner Arbeit ausleben, wie du möchtest“.
Sie runzelte schon wieder die Stirn und sagte verunsichert, dass sie mich nicht ganz verstehen könne.
Es fiel mir schwer, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie war nicht nur meine Anleiterin, sie war auch so etwas wie eine Freundin. Wir ergänzten uns einfach prima. An der Arbeit im Kindergarten lehrte sie mich den pädagogischen Umgang mit den Kindern und privat war es eben umgekehrt. Da zeigte ich ihr, was sie machen müsse, um nicht noch mal von einem Kerl verlassen zu werden.
Ich fing an mit der unbequemen Wahrheit. „Ina“, begann ich noch ein mal von vorn.
„Es ist doch so: Wir sitzen hier zusammen und essen Nudeln mit Tomatensauce von quietschbunten Plastiktellern. Sollte das so sein“?
„Aber ja“, quiekte Ina vergnügt.
„Falsch!“ brummte ich und sah sie streng an. Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort. „Wir trinken Wein aus Janosch-Gläsern und neben meinem Teller liegt eine Serviette mit Biene-Maja-Motiv. Vielleicht solltest du nun noch die Barry White–CD aus dem Player nehmen und Rolf Zuckowski einlegen, damit ich mich zu 100 Prozent fühle wie auf einem Kindergeburtstag!“ Man war ich sauer.
Nach diesem kleinen Donnerwetter rechnete ich mit dem Schlimmsten. Entweder sie würde gleich heulen oder mich aus der Wohnung schmeißen. Oder beides. Aber nichts dergleichen passierte.
„Rolf Zuckowski find ich klasse“, jubelte sie und stand auf, um im CD-Schränkchen eine seiner netten Gute-Laune-Songs-CD hervorzukramen.
In mir brodelte es. Da könnte selbst ein Rolf Zuckowski nichts mehr retten. Hat der eigentlich mal ein Lied über Zorn, Wut oder Verzweiflung geschrieben? Ich musste handeln, und zwar schnell.
Also drückte ich Ina wieder in den Sessel zurück und begann erneut, ihr einzutrichtern, dass hier etwas richtig schief lief.
„Ina, du musst deine Arbeit im Kindergarten lassen und dein Zuhause als dein Zuhause einrichten. Beruf ist Beruf und privat ist privat. Wenn ich mich hier so umschaue, komme ich mir vor, als wäre ich in der Villa Kunterbunt. Glaubst du, dass es einem Mann gefällt, wenn er abends von der Arbeit müde nach Hause kommt und ein überdimensionales Kinderzimmer betritt? Glaubst du, es macht ihm Spaß, Kartoffelbrei und Würstchen mit einem Kinderbesteck zu essen und sein Bier aus Janosch-Gläsern zu trinken? Meinst du er findet es lustig, sich den Po mit Klopapier abzuwischen, das mit Sonnenblumen bedruckt ist?
Von den Kinderzeichnungen im Schlafzimmer mal ganz zu schweigen.
Wahrscheinlich hast du ihm seine täglichen Stullen in einer Teletubbie-Brotbox verpackt und mit Plätzchenformen lustige Bildchen in den Käse gestampft.“
„Wo…her weißt du…?“ flüsterte sie und sah mich ungläubig an.
„Weil ich dich kenne“, resümierte ich und fand dann doch, dass noch nicht alles gesagt war.
„Beruf ist Beruf. Privat ist privat“, trichterte ich ihr nochmals ein. Ein gutes Beispiel musste her. „Schau dir den Kfz-Meister an. Meinst du, der hängt sich einen Schraubenschlüssel ins Wohnzimmer und trinkt sein Bier aus ’nem Benzinkanister?
Oder der Metzgermeister. Hat der etwa halbe Schweinebauchhälften in der Küche hängen, trägt nachts nichts als eine weiße Gummischürze und bietet seiner Frau an, mal sein Ringelschwänzchen anzufassen?
Die Antwort ist: NEIN. Weil diese Menschen zwischen Privatem und Beruflichen trennen können.“
In Rage geredet lehnte ich mich zurück und sah Ina an, die inzwischen ein bisschen leiser geworden war.
„Es gibt aber schon Berufler, die auch zu Hause das leben, was sie beruflich ausmacht“, sagte sie in fast unhörbarem Ton.
„Nenn mir einen“, forderte ich sie auf.
„Fußballer. Die haben ihre Pokale auch zu Hause in der Vitrine stehen und Bettwäsche mit ihren Vereinsfarben.“
„Meine Güte, das ist doch etwas ganz anderes!“ schnaufte ich und klopfte mit der Hand energisch auf die Armlehne des Sofas, auf dem ich saß.
„Und Floristen haben sicher auch zu Hause jede Menge Blumen stehen“, sagte sie mit fast schon trotzigem Unterton.
Ich rollte mit den Augen. Meine Laune war dahin, das Essen eh schon kalt und als Beziehungsretter konnte ich hier wohl auch keinen Blumentopf gewinnen.
Aber irgendetwas in mir wollte den Kampf doch noch nicht aufgeben. Jedenfalls nicht so: Ohne Widerworte.
Vor meinem allerletzten Anlauf rieb ich mir die Stirn und tat so, als ob ich nachdenken würde. Das musste ich in Wirklichkeit nicht, da ich schon wusste, was ich gleich sagen würde. Aber ich wollte meiner aufkeimenden Wut ein bisschen Zeit geben, sich zu verflüchtigen.
Ich konzentrierte mich auf meine Atmung und merkte schnell, wie mein Puls wieder normale Werte annahm.
So, nun konnte es weiter gehen. Dieses mal versuchte ich es auf die Sozialpädagogen-Art. Ganz ruhig und langsam reden, immer wieder Pausen lassen, dem Gesprächspartner tief in die Augen schauen, ihn vielleicht sogar am Arm berühren und mehr Vertrautheit schaffen, indem man immer wieder den Namen des Gegenübers nennt.
„Ina. Natürlich nehmen Floristen Blumen mit nach Hause. Nämlich die, die sie nicht verkaufen konnten. Und wenn schon. Würdest du denn Kinder mit nach Hause nehmen, weil du sie so gern hast?“
„Natürlich nicht“, lächelte sie und weckte Hoffnung in mir, dass sie zur Einsicht kam.
„Siehst du?“
„Aber ich liebe die Kinder doch so sehr“, entgegnete sie.
„Das mit dem Lieben ist völlig verkehrt. Das darf man nicht“.
Inas Gesicht formte sich zu einem Fragezeichen.
„Unsere Lehrerin in der Fachakademie sagt immer, dass man die Kinder seiner Arbeit nicht lieben darf. Das ist unprofessionell. Man kann sagen, dass man sie sehr gerne hat und viel Freude mit ihnen erlebt, aber Lieben ist ein übertriebenes Gefühl für jemanden, der beruflich mit Kindern arbeitet.
Der Landwirt mag seine Schweine wohl auch sehr gern, aber wenn er sie lieben würde, könnte er sie ja nie zum Schlachten freigeben, oder?“
Bestürzt schaute Ina mich an und fing an zu weinen.
Oh nein, das wollte ich nicht. Warum musste ich auch immer mit meinen doofen Vergleichen argumentieren?
„Nein, nein, nein. Vergiss was ich gesagt habe. Das war idiotisch!“
Doch Ina war anscheinend schon weiter als ich dachte.
„Du hast ja recht“, sagte sie in näselndem Ton, griff zur Biene-Maja-Serviette und rotzte dort so derart hinein, dass sogar Benjamin Blümchen neidisch hätte werden können.
„Mööönsch, so viel Schnodder in so ’ner zierlichen Nase?“ fragte ich und lächelte ihr zu.
Alles war gut. Wir umarmten uns aufmunternd, prosteten uns zu und aßen kalte Nudeln mit Tomatensauce. Danach war Aufräumen angesagt. Ina wollte es so.
Sie holte einen großen Müllsack aus dem Putzschrank und warf dort alle Reliquien des Kindergeburtstages hinein. Quietschbuntes Plastikgeschirr, Janoschgläser, Diddlmauskuscheltiere und Tigerentenfiguren. Zum Schluss noch das Sonnenblumenklopapier. „Na toll, und was soll ich benutzen, wenn ich nun noch mal bei dir auf die Toilette muss?“ fragte ich lachend.
„Na das hier“, sagte Ina und hielt mir eine Großpackung Servietten mit Biene Maja–Motiv unter die Nase.
„Ein schöner Gedanke, sich mit Biene Maja den Allerwertesten abzuwischen“, sagte ich und wir verfielen in einen langanhaltenden Lachanfall.
Das alles ist lange her. Ina ist inzwischen glücklich verheiratet und hat drei Kinder.
Sie mag Rolf Zuckowski nicht mehr, weil sie ihn nun täglich zu Hause hören muss.
Ihre Kinder stehen voll auf ihn 😉
Herzlichen Dank für den informativen Beitrag!
Ausgezeichnet Blog.
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