Heilende Hitze

Seid ihr gewappnet gegen die Saharahitze? Wir haben Wasser in Wärmflaschen gefüllt und diese in den Kühlschrank getan, dann ist es nachts im Bett schön kalt an den Füßen. Dann habe ich Hagebuttentee gekocht und kalt gestellt, ein nasses Handtuch über einen Stuhl gehängt und diesen vor den sich drehenden Ventilator gerückt, die Tränke für die Insekten mit Wasser aufgefüllt und das lange, breite Band mit den Klettverschlüssen an den Enden gesucht. Dazu aber später mehr…

Als ich heute morgen das Badezimmer betrat, sah ich eine Mücke. Während ich mich wusch, dachte ich darüber nach, wie leid sie mir tat. Schließlich war die Tür zu, sodass sie die ganze Nacht im dunklen Badezimmer hin und her geflogen sein musste. Oder schlafen Mücken nachts? Muss doch voll öde sein, so ganz allein hin und her zu fliegen, weil man den Ausgang nicht findet. Die Badezimmertür stand anschließend weit auf, damit sie endlich weiter fliegen konnte.

Der Ventilator lief auf Hochtouren, wirbelte allerdings auch nur warme Luft umher. Nachdem alle Vorkehrungen zwecks Hitzewelle getroffen waren, ruhte ich mich kurz auf dem Sofa aus und schaute Nachrichten im noch halbwegs kühlen Wohnzimmer. Das Band mit dem Klettverschluss würde ich später suchen. Konzentriert hörte ich der Nachrichtensprecherin zu, als mich irgendetwas an meinem Bein juckte. Ich schenkte dem keine große Bedeutung, so sehr hörte ich der Frau im TV zu. Doch dann juckte es mich plötzlich am Knöchel, ein wenig später am kleinen Zeh. Das Blöde war, dass es nicht aufhörte zu jucken, wenn ich mich kratzte.

Da wusste ich: Es ist die Mücke! „Ralf, da ist ’ne Mücke!“ rief ich laut, als würde da ein pupsender Elefant vor mir stehen. „Das ist ’ne Fliege“, antworte Ralf völlig unaufgeregt und der Situation überhaupt nicht angemessen. „Ach, und Fliegen stechen neuerdings, oder wie?“ Schon wieder hatte sie mich unbemerkt erwischt. Dieses Mal an meinem Bauch, oberhalb der Blinddarmnarbe. „Bei dir ist doch alles eine Mücke“, sagte der Mann, den ich liebe. Ich konnte es nicht fassen. Das stimmte doch gar nicht. Ich war sauer. Richtig sauer. Zum einen, weil ich mir heute morgen noch Sorgen um die Mücke machte und diese mir aus Dank den Körper zerstach – zum anderen, weil ich mir eine andere Reaktion von Ralf gewünscht hatte. „Eine Mücke tut eben, was sie tun muss.“ Ja, klar. Ich ging ins Bad, um mich mit einer „Nach einem Mückenstich“- Salbe einzureiben. Weiße Kleckse auf der frisch geduschten Haut.

Da musste ich allerdings über mich selbst lachen, denn letztes Jahr um diese Zeit, da hatten wir und hunderttausend andere Bewohner dieser Stadt ganz andere Probleme: Ralf stand damals gerade unter der Dusche und ich saß im Arbeitszimmer am PC, um einen Text zu vollenden. Just in dem Moment, als ich fertig war, ging der PC aus. „Cooler Service!“ dachte ich lachend. Doch was war das? Das Radio verstummte, das Display auf dem Festnetztelefon zeigte plötzlich nichts mehr an und der Ventilator drehte sich nicht mehr. Aufgeregt rannte ich ins Bad, um Ralf davon zu berichten. „Geh mal ans Fenster und schau, ob die Ampeln gehen“, sagte er und sofort flitzte ich ans große Fenster im Wohnzimmer. Erhitzt zurückgeflitzt sagte ich ihm, was ich gesehen hatte. „Die Ampeln sind aus.“

Erst da bemerkte ich, dass mein Mann gerade völlig im Dunkeln duschte, denn unser Bad hat statt Fenster nur eine Lüftung. Als wäre es das normalste der Welt, so zu duschen, antwortete mir mein kluger Mann, dass es dann wohl einen Stromausfall in der ganzen Straße und nicht nur in unserem Haus gegeben habe.

In der Kommode im Flur kramte ich nach der Taschenlampe, um sie dem armen Ralf eingeschaltet ins Bad zu legen. Dieser hatte jedoch ganz andere Sorgen, denn das Wasser war nun kalt. Mit einer Schaumkrone aus Shampoo stand er da und hüpfte hin und her, während das kalte Wasser auf ihn herab prasselte. Ein Regentanz in ganz neuer Definition. Ich hielt mir den Bauch vor Lachen, bis mir plötzlich der Gedanke kam, dass nun der Inhalt des Kühlschrankes wegtauen würde. Und überhaupt, wo kam der Stromausfall her, was war überhaupt geschehen? Das Radio ging nicht mehr, das Internet auch nicht. Nichts ging. Gar nichts. Die Sonne brannte indes weiter, als gäbe es keinen Morgen. Da hatte ich plötzlich eine gute Idee. Auf unserer Fensterbank stand das alte Transita-Radio von Opa. Über 50 Jahre war es alt und wurde mit Batterien betrieben. Wir hatten es eigentlich nur als Deko in der Küche zu stehen. Nun würde es uns mit Infos zum Stromausfall versorgen. Jippieh.

Mit dem Radio in der Hand gingen wir auf den Balkon, um die ratlosen Nachbarn, die sich aus allen Häusern auf ihren Balkonen versammelt hatten, mit den neuesten Infos zu versorgen. „Stromausfall in der ganzen Stadt, Verkehrschaos vor dem Holstentor!“ riefen wir einmal links und einmal rechts zu den Nachbarn herüber. Als wären wir die Könige der Straße, schauten sie alle zu uns und forderten mehr Nachrichten. „Warum, wieso, weshalb?“ riefen sie wild durcheinander, sodass wir Mühe hatten, jedem eine Antwort zu liefern. „Vielleicht sollten sie sich melden und wir rufen sie einzeln auf?“ flüsterte ich Ralf zu. „Wie in der Schule?“ „Naja, es geht wohl nicht anders, oder?“

Es war echt heftig. Der Paketbote konnte seine Pakete nicht zustellen, weil keine Klingel funktionierte, die Büroangestellten der Stadt konnten zwar früher nach Hause, weil die EDV nicht mehr funktionierte, kamen aber nicht aus der Tiefgarage, in der ihre Autos standen, weil das Rollgitter sich nicht öffnen lies. Eine Nachbarin schmiss sich eine neonfarbene Warnweste über die Schultern und brachte die Schulkinder sicher über die Straße, an der die Ampeln nicht mehr leuchteten. Zum Glück gingen in bedeutsamen Einrichtungen wie dem Krankenhaus die Notstromagreggate an. Die Handy-Zombies, also diejenigen, die sonst nur auf ihr Handy starren, kamen plötzlich ins Gespräch mit ihren Mitmenschen. Der Eisverkäufer verschenkte sein Eis, die Autofahrer fuhren gemächlicher und Ralf freute sich, weil er unsere Gefriertruhe eh schon lange mal abtauen wollte. Alles in einem war es ein wirksamer Test, um festzustellen, wie gut man sich umeinander in einer solchen Notsituation kümmerte. Nach vier Stunden (!) war der Stromausfall beseitigt und alles ging wieder seinen geregelten Lauf. Ralf und ich waren als Nachrichtensprecher der Straße nicht mehr nötig und das war auch gut so, schließlich waren wir mittlerweise heiser.

Während ich mir nun heute meine Mückenstiche einrieb, dachte ich, dass es weitaus Schlimmeres gibt als eine Mücke, die einen quälte.

Trotzdem war die Hitze heute nicht ohne. Allerdings hatte sie auch etwas Heilendes. Denn mein Helfersyndrom wurde mal wieder ein bisschen weniger. Woher das kam? Nun ja, in der Geschichte „Gut gerüstet“ habe ich ja bereits erwähnt, dass „unser“ Gerüst nach dem Abbau am gleichen Tag am Nachbarhaus wieder aufgebaut wurde. Die dort beauftragten Maler arbeiteten heute in der prallen Sonne und…. ja, ihr kennt das schon… taten mir leid. Also holte ich eine kalte Mineralwasserflasche aus dem Kühlschrank und wollte sie ihnen gerne herüber werfen. Die Arbeiter jedoch, waren so in ihre Arbeit vertieft, dass sie mich nicht wahr nahmen. Zudem dudelte ihr mitgebrachtes Radio so laut, dass sie mich nicht hören konnten. Wie eine Blöde stand ich eine halbe Stunde auf dem Balkon und versuchte auf mich aufmerksam zu machen. Fast wäre eine Möwe auf meinem Kopf gelandet. Als ich kurz vorm Hitzschlag stand, holte Ralf mich wieder rein. Das Blut pochte in meinem Kopf, mein T-Shirt war nassgeschwitzt und ich sah nur noch Sterne. In Würfelhaltung (also Beine hoch) lag ich auf dem Sofa, um mich auszuruhen.

Mit einem kalten Waschlappen auf der Stirn und durch einen Strohhalm kalten Tee schlürfend ging es mir besser. Da klingelte es plötzlich an der Tür. Eine erwartete Bestellung würde das sein. Gebracht von einem Boten in Gelb/Rot. Ich stöhnte kurz auf. Gelb war die Sonne und rot mein Gesicht. Ich hatte heute keine Lust mehr auf diese Farben. Ralf ging rasch zur Tür, um den Türöffner zu betätigen. Da sprang ich plötzlich auf, taumelte zum Kühlschrank und wunderte mich, dass da nur noch eine statt zwei gekühlte Wasserflaschen standen. Schließlich hatten wir immer zwei parat. Für alle diejenigen, die uns in Verrichtung ihrer Arbeit Post und Pakete brachten. Oder aus anderen Gründen die vielen Treppenstufen zu uns herauf kamen, bei dieser Hitze. Dann sah ich, dass mein lieber Mann die Flasche bereits in der Hand hielt. Mit ihr in der Hand ging er dem Boten die Treppenstufen entgegen, nahm das Paket, leistete eine Unterschrift und schenkte ihm das kalte Getränk. Natürlich nicht, ohne ihm anschließend einen schönen und baldigen Feierabend zu wünschen.

Das weiße Band mit den Klettverschlüssen fand ich heute nicht mehr. Vielleicht auch besser so. Ich wollte es in die Kühltruhe stecken, um es anschließend um meinen Kopf zu binden. Ralf fand die Idee zwar zum Schreien komisch, ergänzte sie allerdings, indem er sagte, er könne mir noch ein paar der wiederverwendbaren Plastikeiswürfel, die wir in der Frosttruhe hatten, darauf festmachen. Ist das nicht irre komisch?

Was ich heute gelernt habe: Die Maler sind in ihrer Arbeit unter extremen Bedingungen nicht unerfahren und werden sich selbst was Kaltes mitgebracht haben. Ich sollte nicht mit nackten Füßen vor dem Herd stehen, wenn ich mir eine Bratwurst in der Pfanne brate. Heißes Fett tut weh und hat nichts mit schneller Fettverbrennung zu tun. Ich habe kein Mitleid mehr mit Mücken.

Kommt gut durch die Hitze und fühlt euch herzlich gegrüßt.

Steph

6 Kommentare zu „Heilende Hitze

  1. Danke Stephilein für die nette MückenHitzeGeschichte 😂😁😀😄😃 Jetzt kann ich dieser verdamnten Hitze sogar ein Lächeln schenken…trotzdem wünsche ich mir ein schnelles Hitzeende

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  2. Beim Lesen Deiner reizenden Geschichten sollte ich in Zukunft daran denken, die Balkontür zu schließen. Die Nachbarn schauen mich in letzter Zeit immer so komisch an… 🙄
    Ich lache doch sonst nicht so laut! 😆

    Liebe Grüße,
    Werner der immer noch grinst… 😀

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