Leuchtende Laken

oder: Valentinstag ohne Kommerz – wenn die Liebe spricht.

Neulich war ich „krank“. Mit „Spunk“ kann ich Ralf schon lange nicht mehr kommen, er weiß dann sofort, dass ich lüge. In diesem Fall hatte ich keine Lust vor die Tür zu gehen, denn es war so wunderbar kuschelig unter meiner Decke. Draußen war es kalt und regnerisch. Gemeinsam wollten wir den Wocheneinkauf tätigen. „Wollen wir gleich mal los?“ fragte er. „Ich würde ja gerne, kann aber leider nicht“, antwortete ich. „Was hast du denn?“ fragte mich mein liebender Ehemann. Ich legte meinen Handrücken auf die Stirn, verdrehte die Augen und stöhnte: „Pummselmuckel. Ganz schlimm!“ Dann versuchte ich zu husten, hörte mich aber an wie ein quiekendes Meerschweinchen. „Ach du meine Güte, Pummselmuckel? Dann werd ich wohl beim Einkauf gleich auch mal in die Apotheke gehen und dir eine Medizin holen“, sprach er und zog sich Jacke und Schuhe an.

Während er unterwegs war, dachte ich darüber nach, was für ein toller Mann er doch ist, und das nicht nur, wenn ich krank bin oder Pummselmuckel habe….

Ich war sieben Jahre alt und zu Besuch bei meinen lieben Großeltern an der Ostsee. Der Rummel stand vor der Tür. Ich kannte das Wort Rummel gar nicht, aber es hörte sich sehr lustig an. Jahrmarktspaß wie diesen nannte man bei uns in Nordhessen Zissel oder Messe. Ralf, der mit seinen Eltern in einem kleinen Ort bei Lübeck wohnte, nahm mich mit zu diesem Superspaßfest. Weil er sieben Jahre älter war/ist als ich, konnte er hervorragend auf mich aufpassen, sagte meine Oma. Wir angelten Plastikenten mittels eines Magneten, schossen am Schießstand Dosen um und liefen lachend durch den Irrgarten mit seinen hundert Spiegeln.

Dann sah ich plötzlich ein tolles Gefährt vor mir und wollte dort unbedingt mitfahren. Das Fahrgeschäft hieß „Fliegender Teppich“. Ein übergroßer Teppich, der, ähnlich wie eine Schiffschaukel, immer wieder hin und her sauste, allerdings wie in einem Kreis. Ralf fragte einen Mitarbeiter, ob ich mit meinen sieben Jahren dort überhaupt hinein durfte und als dieser ihm zunickte, begann der Spaß….. und hörte nach nur einer halben Minute Fahrt auf, denn es stellte sich heraus, dass das Alter nicht ausschlaggebend für eine Mitfahrt sein sollte, sondern die Größe eines Kindes. Das merkte ich, als wir mit dem fliegenden Gefährt in die Höhe schossen und der Teppich sich mit großem Schwung wieder in die Tiefe bewegte. Die lange Bank, auf der wir saßen, war aalglatt und die Stange vor uns, die einem vor der Brust Halt geben sollte, war bei mir, wegen meiner geringen Körpergröße, irgendwo im Halsbereich. Kurzum, ich drohte unter der Stange durch aus dem Karussell zu rutschen. Ich werde nie in meinem Leben vergessen, wie Ralf mich die ganze Fahrt über ganz fest hielt und mir immer wieder sagte, dass mir nichts passieren würde. Urvertrauen nenne ich das, was ich seitdem in ihm empfinde. ❤

Unvergessen auch, wie ich nach unserer später erfolgten Liebesheirat im Kindergarten arbeitete und völlig verzweifelt auf der Suche nach einem Faschingskostüm war. Das Fest im Kindergarten wäre schon in drei Tagen und ich hatte überhaupt keine Idee, als was ich mich verkleiden sollte, denn erstmalig war kein Motto vorgegeben. Planlos lief ich nach meinem Feierabend durch die Innenstadt Nürnbergs und suchte nach einem Kostüm. Der Einzelhandel gab nicht viel her. Jedenfalls nichts, was man in einem Kindergarten tragen könne. Man stelle sich das mal vor: Ich als sexy Krankenschwester oder Polizistin im Ledermini. Die Kids fänden die Handschellen sicher cool und vielleicht wäre es sogar witzig, die Eltern in einer solchen Verkleidung daran zu erinnern, ihre Kinder morgens pünktlicher zu bringen. Entnervt ging ich nach Hause. Anders als sonst begrüßte mich Ralf nicht an der Tür, was mich ein wenig verwunderte. Im Wohnzimmer sah ich ihn dann. Er hatte die Nähmaschine ausgepackt. Im kleinen Schein ihres Lichts saß er gebückt und trat das Pedal, welches die Maschine antrieb. Tacktacktacktack….tacktacktacktack….tacktacktacktack…. Deswegen hatte er mich nicht gehört. „Was nähst du denn da?“ fragte ich und zog mir meine Schuhe aus. „Bin gleich fertig“, war seine Antwort. Es war die Zeit, als der Nürnberger Zoo eine neue Geburt zu vermelden hatte. Ein kleines Eisbärenmädchen namens „Flocke“ hatte das Licht der Welt erblickt und halb Nürnberg verzaubert. Ralf selbst hatte verliebt ein Poster des Eisbärenbabys, welches der Abendzeitung beilag, in unserem Arbeitszimmer aufgehängt. Nun könnt ihr euch sicherlich denken, an was er da nähte? Na klar, ein Eisbärenkostüm für mich. Dazu hatte er ein Frotteebetttuch gekauft, dieses auf den Boden gelegt und dann meinen Anorak plus eine Hose von mir auf dem Stoff drapiert. Alles ausgeschnitten und vernäht und zack war es fertig: meine Faschingsverkleidung. Sogar kleine Öhrchen hatte er mir oben auf den Ganzkörperanzug genäht. Stolz wie Bolle ging ich schließlich am Rosenmontag in meine Kindergartengruppe und hörte den ganzen Tag, wie süß das doch sei. ❤

Natürlich gab es auch einige traurige Schicksalsschläge in unserem gemeinsamen Leben. Die dramatische Geburt unserer Tochter Nele, die nun als Engel dem lieben Gott den Himmel versüßt, gehört zum schlimmsten was wir erleben mussten. 44 Stunden lang dauerte die Geburt, bei der Ralf mir nicht von der Seite wich. Die Krankenschwestern richteten ihm ein Bett neben dem meinem ein und brachten ihm Brote, die er aber nicht essen wollte, weil es mir so schlecht ging. Er las mir aus der Zeitung vor, hielt mir die Schale hin, wenn ich mich wegen des Wehenmittels mal wieder übergeben musste und schloss seine Augen für einen kurzen Moment nur, wenn ich dies auch tat. Wir haben dieses Schicksal, dass ab diesem Moment zu unserem Leben, zu unserer Zukunft gehören sollte, gemeinsam angenommen. Nie drohte es uns zu entzweien, im Gegenteil: wir wurden immer mehr EINS. ❤

Der Valentinstag am 14.02. hat bei uns nicht viel Bedeutung, denn wir sind in unserer Liebe zueinander jeden Tag aufmerksam. Dieser Text soll dennoch mein Geschenk sein, denn es mangelt an so viel Liebe in der Welt und dabei ist es doch so einfach. Es braucht noch nicht einmal Geld, um Liebe zu zeigen.

Ich muss gerade lachen, denn ich erinnere mich an ein so lustiges und schönes Erlebnis mit Ralf an einem Valentinstag vor Jahren. Wir hatten beide Feierabend und traten gemeinsam zu Fuß den Heimweg durch die Innenstadt Nürnbergs an. „Wir müssen noch zu Karstadt“, sagte er plötzlich und ignorierte meine Nachfrage, was wir denn bei Karstadt bräuchten. Heiße Föhnluft strömte uns entgegen, als wir das Geschäft betraten. „Warte kurz hier“, sagte er und ging in einen Bereich, der wie ein Büro aussah. Ich hatte tausend Fragezeichen in meinem Kopf. Was sollte das alles hier? Zwei Minuten später kam er mit einer Frau wieder. Die Frau hatte ein sogenanntes Businesskostüm an und da derzeit kein Fasching herrschte, war es wohl ihre natürliche Arbeitskleidung. Die Perlenkette um ihren Hals konkurrierte mit der weißen Farbe ihrer Zähne. Ihre auftoupierten Haare erinnerten mich an Zuckerwatte vom Jahrmarkt. Wenn sie sich im Kreise drehen würde und ich einen Schaschlikspieß zur Hand hätte, dann könnte ich vielleicht…? Aber nein, um die Zuckerwatte ging es gar nicht. Sie sagte ein paar Sätze, die ich aber nicht verstand, weil mein Hirn mal wieder in der Phantasie abschweifte. Was wollte Ralf mit mir hier? Fünf Minuten später bekam ich die Antwort und die war so schön, dass mir die Luft weg blieb…

Es war nämlich so, dass ich Ralf vor ewiger Zeit mal gesagt hatte, dass ich noch nie in einem Paternoster gefahren wäre und das so gerne mal tun würde. Ihr kennt Paternoster? Kurz gesagt ist ein Paternoster ein Aufzug/ein Fahrstuhl, der nie anhält und keine festen Türen besitzt. Wenn man rein will oder raus, dann muss man rein springen oder eben raus. Meinen Wunsch hatte Ralf sich gemerkt und mit vielen Firmen in Nürnberg telefoniert. Seine Frage war stets, ob sie wohl einen Paternoster hätten? Am Ende war es der Konzern Karstadt, der diese Frage bejahte und ihm zusagte, er dürfe gerne mit mir vorbei kommen und eine Runde in diesem Lift drehen. Zugegeben, ein bisschen Angst hatte ich schon, den Einstig zu verpassen. Ich dachte fest an meine Jugend im Schwimmverein. Der Moment, wenn der Trainer in seine Trillerpfeife trällert und man mit einem Köpper/Kopfsprung ins Wasser springen muss. Fast hätte ich die gleichen Bewegungen getan, als ich vor diesem nie stehen bleibendem Aufzug stand. Wir hielten uns an den Händen und ZACK waren wir gemeinsam rein gehüpft. Wow. Es war komisch und schön zugleich. Man konnte die unverputzten Wände sehen und Kabel. Das beunruhigte mich schon ein wenig. Und was wäre, wenn wir oben angekommen wären? Würden wir dann kopfüber wieder nach unten fahren? „Du bist immer so herrlich lustig“, sagte Ralf und verstand nicht, dass das eine ernstgemeinte Frage war. Oben passierte tatsächlich nichts Schlimmes, die Kabine, in der wir standen, bewegte sich kurz ruckelnd nach links und dann ging es abwärts. Huuuui. Man darf bestimmte Dinge nicht in einem Paternoster machen, denn es gibt, wie schon erwähnt, keine Türen. Popeln, pupsen oder Pogo tanzen ist also nicht drin. Ganz unten sahen wir, wie industriell Wäsche gewaschen wurde, dann fuhren wir wieder aufwärts und Ralf zählte einen Countdown zum Aussteigen rückwärts. 3, 2, 1, los! Als wir wieder draußen waren, habe ich gelacht, bis mir der Bauch weh tat. So ein witziges Erlebnis. Ich bin so dankbar, dass ich es in meiner Erinnerung so gut gespeichert habe. Man muss so schöne Erlebnisse „einwecken“ für schlechte Zeiten, in denen die Sonne nicht so oft scheint. 😉

Zurück zum Pummselmuckelkrankheitstag. Ralf kam vom Einkaufen zurück und hatte mir Medizin mitgebracht. Einen Kugelschreiber mit Glitzerflüssigkeit, einen Haarreif mit langen Regenbogenbändern und Zauberknete, die im Dunkeln leuchtet. Den Rest des Tages lief ich mit dem Regenbogenhaarreif umher, schüttelte den Kugelschreiber immer wieder, um zuzusehen, wie der Glitzer sich verteilte und fertigte aus der Zauberknete ein großes Herz für Ralf. Abends klebte ich es an seine Kopfseite des Bettes, damit auch er sich freuen konnte. Merke: Freude, die man teilt, wird dadurch noch schöner. Leider klebte die Zauberknete nicht so lange auf dem Holz. Irgendwann in der Nacht flutschte sie herunter und landete als großer Brei auf seinem Bettlaken. Ich konnte nicht aufhören zu lachen, als Ralf mir am nächsten Tag die Sauerei zeigte. „Freu dich, jetzt hast du ein Bettlaken, das nachts leuchtet“, sagte ich und setzte ihm den Regenbogenhaarreif auf. Da musste er auch lachen. Wir haben das Bett erst ein paar Tage später neu bezogen, denn das leuchtende Laken war so witzig anzusehen.

Liebe kann man an jedem Tag zeigen. Dafür braucht es kein Erinnerungsdatum wie den Valentinstag. Die Welt wirkt so kalt, wir brauchen mehr Liebe. Unbedingt.

Habt alle eine schöne Zeit. Ich freue mich so sehr über meine wachsende Leserschaft, eure Treue und grüße euch herzlichst.

Steph ❤

8 Kommentare zu „Leuchtende Laken

  1. Liebe Steph,
    es ist soooo schön, Deine Geschichten zu verfolgen!
    Habe ich Dir eigentlich schon gesagt, dass Du mich immer mehr an meine Frau Lynn erinnerst? Und das ist fast noch schöner, als bei Dir zu lesen! 🙂

    Ganz liebe Grüße an Dich und auch an Ralf,
    Werner

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  2. Hallo liebe Steph und danke dafür, dass ich heute wieder einen Blick in Dein Herz werfen durfte. Es ist so wunderbar kindlich geblieben und bezaubert daher so sehr. Die meisten Menschen haben dieses Kind in sich längst verloren. Wenn ich Dich jemals treffen sollte liebe Steph, dann habe ich das Gefühl, dass ich Dich ganz fest umarmen und drücken muss. So geht es mir nach Deinen kleinen Geschichten.
    Im Berliner Rathaus Neukölln gab es noch lange Zeit einen Paternoster, deshalb kann ich den Spaß, den Du empfunden hast, gut nachvollziehen. Ich wünsche Euch beiden einen schönen Sonntag, ganz herzlich, Monika

    Gefällt 1 Person

    1. Liebe Monika, deine Zeilen rühren mich so sehr. Wenn wir uns jemals treffen würden, wäre es mir auch eine ganz große Herzensangelegenheit dich zu drücken. Ganz lang und lieb. Hab großartigen Dank. Und auch euch einen geruhsamen schönen Sonntag. Liebste Grüße Steph.

      Gefällt 1 Person

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