Fettnäpfchen und Fragezeichen

Manchmal sollte man sich trennen. Ralf und ich waren uns einig. So konnte es einfach nicht weitergehen.

Deshalb verschoben wir den müßigen Frühjahrsputz vorerst und räumten und misteten aus. Das alte Kopfkissen, dass ich nicht mehr brauchte, weil ich nun ein Dinkelkissen besaß (sehr zu empfehlen bei Rücken- und Nackenschmerzen), diverse Hörspiele, Kleidung, Becher, irgendwie hatten wir von allem so viel. Seit neuestem sogar eine Mikrowelle. Die bekamen wir geschenkt. Dabei haben wir schon eine. Da die neue aber schöner aussah, schloßen wir diese in der Küche an.

Ich muss zugeben, dass ich mich mit Ebay-Kleinverkäufen nicht gut auskenne und wenn ich manchmal von anderen lese, was diese dabei so erleben, dann hält es mich eher zurück, auf dieser Plattform etwas zu verkaufen. Warum nicht eine Flohmarktgruppe bei Facebook nutzen?

Vor Weihnachten hatte ich es einmal ausprobiert und ein paar Blechengel erfolgreich verkauft. Doch wie ging das noch einmal? Ich klickte besagte Gruppe an und sofort fiel mir ein Verkaufsangebot ins Auge. Eine Frau wollte ihre Waschmittelpods für wenig Geld los werden. Ihr wisst schon, diese glibberigen kleinen Dinger, die statt Pulver die Wäsche duftend sauber machen sollen. Es ging mir nicht darum, dass ich diese Flüssigteilchen erwerben wolle, es ging mir darum, was sie da schrieb und das war Folgendes: >Verkaufe Waschmittelpods, da meine Waschmaschine diese immer „frisst“.< Minutenlang starrte ich auf diesen Satz. War ich jetzt doof und kapierte da etwas nicht, oder war sie es? Ich zog meinen besten Mann zu Rate und rief: „Raaaahaaalf?“ Dieser grinste, als er das Angebot sah und schüttelte mit dem Kopf. „Hat ihr von den 30 Kommentator*innen noch keine(r) geschrieben, dass es Sinn des Pods ist, sich in der Waschmaschine aufzulösen?“ fragte er anschließend lachend.

Da fiel mir wieder eine Schulkameradin aus der 11. Klasse ein. Unser Biologielehrer erzählte uns damals von der tiefsten Stelle des Meeres, dem Marianengraben und das Forscher dort auf Lebewesen gestoßen seien. Der Arm meiner Schulkameradin schoß in die Höhe, sie schnippte aufgeregt mit dem Meldefinger und als sie endlich dran kam, sagte sie: „Das glauben sie doch wohl selbst nicht!“ Wir übrigen Schüler*innen hielten den Atem an. Die hellste Kerze auf der Torte war sie nämlich nicht. Sie hatte in der Vergangenheit schon oft für Lacher gesorgt. Zuletzt mit ihrer Aussage, sie habe im Supermarkt erfolglos Blute-Gel gesucht und nicht gefunden. Nicht mal bei den Stylingprodukten für Haare sei sie fündig geworden, obwohl da die Regale voll waren mit Haargel. „Was soll das denn sein, Blute-Gel?“ traute sich eine Schulfreundin zu fragen. „Und wofür brauchst du das?“ „Das soll bei der Entgiftung des Körpers helfen, die Heilpraktikerin meiner Mutter hat es uns geraten“, sprach sie und zeigte uns zum Beweis einen kleinen gelben Notizzettel. „BLUTEGEL“ las ich langsam vor und erklärte es noch einmal anders, als ich bemerkte, dass bei ihr im Oberstübchen zwecks mangelnder Stromversorgung noch immer kein Licht brannte. „Du hast dich da verlesen und das Wort getrennt. Es gibt kein Blute-Gel, es handelt sich um Blutegel, diese kleinen Regenwurmähnlichen Tierchen, die irgendwas aus dem Körper saugen können“. „Ach so?“ fragte sie verblüfft. „Ja, ach so.“ Nun also unterstellte sie unserem Lehrer, dass dieser uns Unwahrheiten über die tiefste Stelle im Meer erzählte, weil dort Lebewesen gefunden worden waren. „Da unten leben also Menschen. Wie soll denn das funktionieren, die müssen doch auch mal atmen?“ fragte sie und war noch immer empört darüber, dass unser Lehrer uns solche Nachrichten als „echt“ verkaufen wollte. Leider weiß ich nicht, was sie heute macht, aber Biologie hat sie nach dem Schulabschluß sicher nicht studiert.

Und auch in einem der Kindergärten, in denen ich später arbeitete, gab es eine Person, die mich immer wieder in Staunen versetzte. Nennen wir sie Sonja. Wir saßen gemeinsam in der S-Bahn und fuhren dem Feierabend entgegen. „Nächste Haltestelle Zerzabelshof“ leierte die blecherne Stimme vom Band. „Ach, ich kann diese gelangweilte Stimme nicht mehr hören“, sagte ich zu Sonja. „Seit Monaten höre ich sie. Sie klingt wie ich, wenn meine Mutter mich früher bat, den Müll raus zu bringen. Wir haben doch auch Tourist*innen in der Stadt und da finde ich ihr Genöle nicht sehr einladend.“ Sonja starrte mich an. „Du solltest mehr Verständnis zeigen. Stell dir vor, du müsstest jeden Tag die gleichen Haltestellen aufsagen. Das würde dich sicher auch irgendwann langweilen, oder?“ Daraufhin starrte ich Sonja an. Den Rest der Fahrt hatten wir uns kaum noch was zu sagen. Mir fiel nichts ein, über das wir noch hätten reden können.

Zwei Wochen nach dieser Gegebenheit saßen wir mit vielen anderen Kolleginnen bei der Teamsitzung und besprachen letzte Details für einen Gottesdienst mit den Kindern. Es war ein besonderes Fest zu Ehren von Paul Gerhardt. Unsere Köpfe rauchten. Zwar hatten wir schon einen groben Plan, jedoch sollte alles wirklich gut laufen und sich alle an diesen Tag erinnern können. „Ich hab da mal eine Frage“, sagte Sonja und wir ließen alle unsere Stifte sinken, um gespannt zu hören, was nun kommen würde. „Wie wäre es…“, begann sie und schaute – ihre Haare zwirbelnd – aus dem Fenster, „….wenn wir ihn in die erste Reihe setzen und seinen Stuhl ganz hübsch dekorieren, so wie ein Geburtstagsthron?“ fragte sie. Die Chefin war die Erste, die nach einer Minute ihre Worte wiederfand. Wir anderen suchten noch. Sie war sehr mutig und fragte: „Wen jetzt?“ „Na den Herrn Gerhardt“, sprach Sonja. „Da würde der sich doch bestimmt sehr drüber freuen.“ Irgendwie mochte ich ihre Art. Sie wußte, dass sie sich oft ins Fettnäpfchen setzte und viele Fragezeichen in die Gesichter ihrer Zuhörer setzte, aber sie traute sich immerhin zu fragen. Hier war es allerdings schon ein wenig merkwürdig, denn wir planten diesen Tag schon seit vier Wochen und da konnte es ihr einfach nicht entgangen sein, dass Paul Gerhardt, der evangelisch-lutherische Theologe seinen Geburtstag bereits vor 400 Jahren gefeiert hatte und demnach nicht mehr irdisch mitfeiern konnte.

Ralf und ich jedenfalls trennten uns von vielen Sachen. Strickjacken, Kopfkissen und andere Kleidungsstücke, Kaffeebecher und Tee brachten wir in das Café W.u.T. (steht für „Warm und trocken“ und ist eine Einrichtung für Menschen ohne Obdach). Die Mikrowelle wollten wir unserem Nachbarn schenken, aber der hatte schon eine. Also habe ich sie in die Verkaufsgruppe bei Facebook gestellt und bin sie dort schnell losgeworden. So ein Frühjahrsausmisten kann so herrlich befreiend sein. Endlich den Küchenschrank aufmachen, ohne das einem ein Kaffeebecher entgegenkommt, weil dort einfach zu viele stehen. Etwas Gutes getan zu haben, ist ja auch ein schönes und befriedigendes Gefühl. Gerade jetzt, wo die Coronakrise uns alle umtreibt und viele Menschen ohne Obdach in unserer Stadt hungern und frieren müssen, weil die Tafel kein Essen mehr rausgeben kann und das Café W.u.T. geschlossen ist, bin ich heilfroh, dass wir unsere Kisten voller Sachen dort noch vor zwei wochen vorbeigebracht haben.

Neulich war ich mit Ralf in einem kleinen Discounter, der Dekokram und allerei Kinkerlitzchen hat, die ich so lustig und schön finde. „Jetzt wird aber nicht wieder alles zugemüllt“, hätte wohl jeder gesagt. Aber Ralf nicht. Vor einem Regal mit Pflegeprodukten blieb ich stehen und verstand nicht, was ich da sah. „Häääää? Was ist denn bitte ein Schneck-Engel?“ fragte ich mich und als ich keine Antwort wußte, zog ich Ralf zu Rate. Der fasste ins Regal, drehte die Dose um und erst da verstand ich. Es war Schneckengel!

Nachtrag: vom Cafe WuT erfuhren wir mittlerweile, dass es viele Obdachlose seit längerem nichts gegessen hätten, da die Lübecker Tafel keine Lebensmittel mehr ausgeben kann. Daher meine kleine bitte: solltet ihr Menschne ohne Obdach auf den Straßen begegnen, dann gebt ihnen bitte was zu essen oder ein bisschen Geld. Es ist gerade eine schwierige Zeit und wir dürfen da keinen vergessen. Danke ❤

Habt alle eine gute Zeit, passt gut auf euch auf und verlernt das Lächeln nicht. Gerade jetzt nicht.

Herzlichst, eure Steph ❤

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