Glücklich in Glückstadt

„Wie gut, dass ich im Januar bei euch war“, sagte mir meine Freundin Jana, als ich ihr gesagt hatte, dass unser Bundesland wegen der Coronapandemie derzeit noch immer für Touristen gesperrt ist. Sie wohnt in Hessen, wir in Schleswig-Holstein. Weil sie eine schwere Erkrankung überstanden hatte, wollten wir ihr etwas Gutes tun und luden sie im Januar für ein Wochenende zu uns an die Ostsee ein. „Mal ausatmen, verschnaufen, sich verwöhnen lassen mit Pizza vom Bringdienst und Bier aus der Flasche“, schrieb ich und juchzte vor Freude, als sie die Einladung dankbar annahm.

Während Ralf und ich ihren Besuch mit kleinen Überraschungen planten, erinnerte ich mich mal wieder…. denn auch Ralf hat mich mal wunderbar mit einem Kurzurlaub überrascht. Es war Ostern 2016. Mir ging es gar nicht gut, das Burnout und die Depression standen mir quasi ins Gesicht geschrieben, aber ich arbeitete beruflich weiter hoch an der Belastungsgrenze. Nach Glückstadt sollte es gehen. „In Glückstadt sollst du wieder glücklich werden“, sagte mein lieber Ehemann und so fuhren wir los. Das Hotel hatten wir schnell gefunden, denn Glückstadt ist nicht so groß und es scheint sich alles rund um den Marktplatz abzuspielen. Die Besitzerin begrüßte uns freundlich und zeigte uns das maritim dekorierte Zimmer. Die Wände waren verziert mit Sand und Muscheln, das Badezimmer war mit einer Glastür versehen. Kaum war die Frau weg, holte Ralf eine Tüte aus dem Auto und packte mindestens zehn Überraschungseier aus. „Was soll das?“ fragte ich lachend und er antwortete, dass er das Personal des Hotels am Ostersonntag mit den Eiern überraschen wollte.

Aber erst einmal standen Ausflüge in die nahe Umgebung an. Ralf, der Vegetarier, liebt Lämmer über alles und diese wollte er nun zu gern sehen. Als wir vor längerem mal in Büsum kurzurlaubten, standen die flauschig kleinen Tierchen jeden Tag auf dem Deich und hinterliessen kleine pochende Herzchen in Ralfs verliebten Augen. „Komm mal weiter jetzt!“ musste ich oft rufen, denn er konnte sich an den Lämmern nicht satt sehen. „Das Lamm hat meinen Namen gerufen.“ „Ja ja Ralf, und wahrscheinlich hat es dich auch gefragt, ob es mit zu uns nach Hause kommen und während der Fahrt auf deinem Schoß sitzen darf“, sagte ich. „Woher weißt du…?“ „Komm jetzt weiter, bitte“.

In Glückstadt suchten wir vergebens nach Lämmern. Auch in der Umgebung waren keine zu entdecken. Wir fuhren und fuhren. Vorbei am Atomkraftwerk Brokdorf, Fabriken und rauchenden Schornsteinen. „Na super, anstatt süßen Lämmern sehen wir wahrscheinlich Fische mit drei Augen oder mutierte Hasen mit fünf Beinen“, maulte ich, während Ralf angestrengt Ausschau nach den schnuckeligen Lämmchen hielt. Ohne Lämmerschau kehrten wir wieder ins Hotel zurück und planten unseren Abend. „ In einer Kneipe um die Ecke gibt es Fußball“, sagte Ralf, als er ein Veranstaltungsplakat sah. „Na super!“ stöhnte ich. Es ist nicht so, dass ich Fußball nicht mag, ich schaue gerne zu, wenn es Länderspiele gibt. Aber im Urlaub? Andererseits tobte in Glückstadt am Abend auch nicht gerade das Leben, weswegen wir eine Stunde später die Kneipe betraten.

„Moin.“ „Moin.“ „Bierchen?“ „ Jupp!“ So laufen Gespräche hier im Norden nun mal ab. 100 gesprochene Wörter an einem Tag gelten schon als Gesabbel. Alle Gäste versammelten sich um den kleinen Fernseher herum und nur ich hatte das Glück, neben einer Sabbelbiene zu sitzen. „Jogi Löw soll ja schwul sein“, zischte sie mir zu und „Das war mir eh schon klar, als er diese Haarshampoowerbung machte“. Als neue Norddeutsche übte ich mich im nicht viel reden und sagte alle fünf Minuten nur „Aha“ oder „Das is ja ein Ding“ (Doschjanding). An diesem Abend gewannen die deutschen Spieler, was in der kleinen Kneipe aber keinen in Aufruhr versetzte. Wir gingen wieder in unser Hotelzimmer und als ich dort das Bad besuchte, sagte ich Ralf durch die gläserne Tür, dass das Klopapier alle sei. „Kein Problem, ich hole welches“, sagte er und flitzte die Treppe hinunter. Als ich ihn wiedersah, klemmte ein Zehnerpack Toilettenpapier unter seinem Arm. „Wow, dass ist ja ein netter Service“, sagte ich und streckte die Hand nache einer Rolle aus. „Das ist nicht vom Hotel, dass hatte ich noch im Auto“, antwortete Ralf. „Warum haben wir Klopapier im …ach lass, ich bin zu müde“, sagte ich. Später würde Ralf mir erzählen, dass er vor dem Kurzurlaub vergessen habe, dass eingekaufte Klopapier in unsere Wohnung zu bringen und ich bedankte mich gähnend für diese tolle Gute-Nacht-Geschichte.

Am Ostersonntag verteilte Ralf die Überraschungseier im Hotel. Eines legte er der Reinigungskraft auf unser Bett und schrieb ein paar nette Zeilen dazu. Er war wie ein Zauberer. Wenn er den Angestellten aus dem Hotel eine Frage stellte und diese beantwortet bekam, zog er ein Ü-Ei aus der Tasche und übergab es dem Antwortgeber. Den ganzen Tag ging das so, bis alle 10 Eier verteilt waren. Weil wir abends essen gehen wollten, betraten wir ein Restaurant und bestellten einen Tisch vor. „Wir heißen Wachowski und hätten gerne einen Tisch für 19 Uhr“, sagte ich der Bedienung. Sie starrte mich mit großen Augen an. Hatte ich was falsch gemacht, vielleicht zuviel geredet? „Swarowski?“ fragte sie staunend. Wie gerne hätte ich ihr geantwortet: „Aber ja, ich bin Enkelin der Swarowski-Dynastie und vermag es, heute Abend bei Ihnen zu speisen. Ich habe auch mein eigenes Klopapier mitgebracht. Jedes einzelne der vierlagigen Blätter ist mit kleinen Kristallen versehen und einzigartig. Um nicht aufzufallen, stehe ich nun mit meiner Fliegenpilzwohlfühljacke und einer C&A-Strumpfhose plus Second-Hand-Rock vor Ihnen und reserviere einen Tisch, um mir das Essen der einfachen Leute zu Munde zu führen.“

Stattdessen sagte ich: „Wachowski. Wach wie munter.“

Als wir abends zu unserem Tisch geführt wurden, stand auf dem Reserviert-Schild „Warowski, 2 Personen“. Egal….

Wir waren gerade beim Essen, da rutschte plötzlich eine Frau von einem Barhocker an der Theke und kam auf uns zu. Es war die Besitzerin des Hotels, in dem wir nächtigten. „Sie sind doch…“ begann sie und ich wiegelte ab. „Mit den Swarowskis haben wir nichts zu tun und auch die Produzenten der Matrixfilme mit Namen Wachowski gehören (leider) nicht zu unserer Familie.“ Dabei war das nicht das, was sie meinte. „Sie haben doch heute Eier an alle unseren Angestellten verteilt“, rief sie und schüttelte meinem Nebendarsteller Ralf die Hand. „Das war so nett, daher dürfen sie sich nun einen Nachtisch aussuchen, den ich bezahle.“ Ich wollte ihre Freude nicht trüben und so erzählte ich erst einmal nichts vom fehlenden Toilettenpapier und dem Nichterscheinen der Reinigungskraft.

Den nächsten Tag genossen wir noch einmal Glückstadt mit seinen vielen individuellen Läden. An einem drückte Ralf sich an der Scheibe fast die Nase platt, denn er sah viele kleine Automodelle. Ob es wohl auch sein Lieblingsmodell, einen R4 gäbe? „Gar kein Problem, können wir bestellen und Ihnen zuschicken“, sagte man uns. Was für ein toller Service. Wir entdeckten eine Strasse, die Namenlos war, sahen Leuten zu, wie sie freudig in ihr Matjesbrötchen bissen und fanden es einfach nur toll, mal woanders zu sein. Tage später, wir waren längst wieder daheim, schrieb ich der Besitzerin des Hotels eine Email. Ich lobte sie für ihr freundliches Personal, dass tolle Frühstück und berichtete ihr vom Toilettenpapier und der fehlenden Reinigungskraft. In ihrer Antwort konnte man zwischen den Zeilen lesen, wie unangenehm es für sie war. Das wollte ich ja auch nicht, aber es anzusprechen musste schon sein, wie ich finde. Und man muss auch nicht das, was nicht okay war, sofort ins Bewertungsportal stellen, aber das ist meine Meinung.

Und Jana? Die schrieb mir noch aus dem Zug eine Nachricht und fragte, ob wir am Samstag ans Meer fahren könnten? Schelmisch grinsten Ralf und ich, denn wir hatten längst einen Plan geschmiedet. Wie eine Königin sollte sie sich nach ihrer schlimmen Erkrankung bei uns fühlen. Wir holten sie am Freitag vom Bahnhof ab, Ralf öffnete die Autotüren und bat uns, hinten einzusteigen. Er wäre unser Chauffeur. Wir drehten eine Runde ums Holstentor, und bogen irgendwann auf die Autobahn ein. Jana war verdutzt. „Trink erst mal ein Schlückchen“, sagte ich und reichte ihr einen Prosecco. „Und jetzt die Krone“, rief ich begeistert und zog ein Diadem aus der Tasche. Jana kam aus dem Lachen nicht mehr raus. „Hier ist deine Strandtüte, wir fahren nämlich heute schon ans Meer“, sagte ich und zeigte ihr alles, was sich darin befand. Taschen- und Desinfektionstücher, einen Hühnergott/Lochstein (nur für den Fall, dass sie keinen solchen Glücksbringer am Strand fand), einen Lippenpflegestift und Handcreme. Denn wenn man an der windigen See ist, dann läuft einem oft die Nase, man hat vielleicht raue Lippen oder möchte sich die Hände sauber machen, weil man in den Algen nach Strandgut gewühlt hat. Sie sollte für alles gewappnet sein. Sie atmete am Strand tief die Seeluft ein, sah Dinge, die es bei ihr nicht gab und freute sich sichtlich, für einen Kurzbesuch bei uns zu sein. Abends bestellten wir uns Pizza und saßen im Schneidersitz auf dem Sofa, wo wir uns Geschichten von früher erzählten. Am nächsten Tag konnte sie, die Mutter eines fünfjährigen Kindes, mal ausschlafen und sich mit einem Frühstück verwöhnen lassen. Wir gingen zu Fuß durch Lübecks Wahrzeichen, bestaunten bei Niederegger ein Steak mit Kartoffeln und Gemüse aus Marzipan und besuchten einige kleine Läden in den Rippenstraßen Lübecks. Unser Chaffeur machte daheim Klarschiff, bevor er uns wieder abholte und wir erneut einen Tag an der Ostsee verbrachten. Als wir sie am Sonntagmittag wieder zum Bahnhof brachten, waren wir alle ein bisschen wehmütig, denn wir hatten zusammen eine so schöne Zeit genossen. „Danke für die Einladung“, sagte sie und ergänzte, dass sie sich selbst nach der überstandenen Erkrankung geschworen hatte, tolle Dinge nicht mehr aufzuschieben, sondern sofort zu machen. Und wir dankten ihr, dass sie gekommen war. Mit einer Touristin an seiner Seite sieht man die eigene Stadt doch noch einmal mit ganz anderen Augen. Es ist wie immer: Wenn man anderen Gutes tut, wird man selbst am meisten beschenkt.

Ich wünsche euch allen schöne Momente, eine gute Gesundheit und Zuversicht.

Herzlichst, eure Steph ❤

6 Kommentare zu „Glücklich in Glückstadt

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