
Viele Menschen freuten sich nach den Lockerungen im Zuge der Coronapandemie darauf, wieder in ein Friseurgeschäft gehen und sich dort die Haare schneiden zu lassen. Mich hingegen lassen Erlebnisse rund um meine Haare nicht so richtig los. Ich erhole mich davon nur langsam….
Als ich 18 Jahre alt war, fragte mich eine Freundin, ob ich für einen Bekannten von ihr Frisurmodell sein könnte. „Aber ja“, sagte ich und klatschte begeistert in die Hände. Ich war in der Ausbildung, hatte also nicht viel Geld und große Lust auf einen neuen Haarschnitt. „Aber nichts mit Farbe!“ sagte ich warnend und meine Freundin nickte.
Mit der Farbe war das nämlich so eine Sache. Ich bin als Rothaarige geboren und habe mir deswegen in der Schule schon so einiges anhören müssen. „Hey Blonde, dein Haar brennt!“ oder „Dein Vater hatte wohl Rost vor der Flinte!?“ waren nur einige der harmloseren Sprüche. Ich war die Duracell mit dem Kupferkopf und sehnte mich so oft nach nussbraunem Haar. Wenn es in der Schule hieß: „Die Rothaarige war’s!“ wußte jeder vom Lehrer*innenpersonal, dass ich gemeint war. Ich wollte so gerne sein wie die anderen und haarfarbenmäßig ein bisschen in der Anonymität untergehen. Ich habe mir dann im Verlauf meiner Jugend so oft die Haare in anderen Farben getönt, dass es nicht mehr schön war. Weil ich es nicht mehr war. Meine natürliche Haarfarbe gehört zu meiner Identität, dass weiß ich nun.
Und dann kam die Freundin mit ihrer Anfrage, ob ich Modell stehen würde. Was sie allerdings verschwiegen hatte, war die Tatsache, dass es um eine große Veranstaltung in einem Hotel ging, bei der die gesamte Friseurinnnung zugegen sein würde. Ebenfalls verschwiegen hatte sie, dass mir live auf der Bühne die Haare gekappt werden würden – ohne einen Spiegel, in dem ich mich hätte betrachten können. Es würde um die neue Herbstfrisurenmode gehen, so viel konnte ich im Vorfeld erfahren. „Aber nix mit Farbe!“ stellte ich klar, als der Bekannte meiner Freundin mir durchs Haar griff und darin umherwuschelte. „Alles klar!“ sagte er und schon rief uns der Moderator auf die Bühne. Es ist merkwürdig, sich nicht im Spiegel zu sehen, wenn ein Mensch mit Schere an einem herumschnippelt. Immer wieder hieß es „Kopf runter“ und so sah ich, wie sich der Boden mehr und mehr mit meine Haaren füllte. „Ist jetzt bald mal Schluß? Der Boden sieht aus, als hätte man ALF rasiert“, zischte ich ungeduldig. Angst schwang in meiner Stimme mit, denn ich war ja nicht Rapunzel. Meine Haare bedeckten meine Schultern und nun lag schon so viel davon auf dem Boden herum.
„Sexy feeling in design!“ rief der Moderator und fasste mir an den Arm, um meinen fertigen Haarschnitt dem Publikum zu präsentieren. Ein saublöder Moment für mich, denn ich konnte mich bisher noch nicht selbst sehen. Und mir selbst in die Haare greifen, um zu begreifen, was davon noch da war, konnte ich ja auch nicht. Was für ein Dilemma. „Sexy feeling in design!“ wiederholte der Moderator und ich stolperte beim Gang über den Laufsteg fast über meine eigenen Haare und die auf dem Boden liegenden leeren Haarspraydosen. Als ich dann endlich von der Bühne runter und in ein Hinterzimmer mit Spiegel gehen konnte, blieb mir fast das Herz stehen. Meine Haare waren raspelkurz. „So kann ich doch morgen nicht zur Arbeit gehen“, jammerte ich und war den Tränen nahe. Ob ich mich wohl für drei Monate krank schreiben lassen könnte?
Der normale Mensch müsste meinen, dass mir das ein eindrückliches Erlebnis war, was ich nicht wiederholen müsse. Leider bin ich zu begeisterungsfähig, hilfsbereit und blöd. Meinen damaligen Chef, der mir aufgrund meiner roten Haare mal zuraunte, dass „ein rostiges Dach einen feuchten Keller verspräche“, habe ich für diesen unterirdisch sexistischen Spruch auch nie angezeigt.
„Liebe Steph, ich brauche dringend deine Hilfe!“ rief eine aufgeregte Ex-Kollegin mir durch den Telefonhörer zu und erzählte, dass eine ihrer Lehrlinge noch kein Modell für die anstehende Friseurinnenprüfung habe. Besagte Freundin war als Sozialpädagogin bei der Handwerkskammer angestellt und betreute dort die angehenden Friseur*innen. „Aber nix mit Farbe!“ antwortete ich ihr, als ich zusagte, ihr helfen zu wollen.
Eine Woche später fand ich mich in den Räumen der Handwerkskammer wieder. Die junge Frau, für die ich Modell stehen sollte, hieß Cindy und fand es „echt knorke“, dass ich ihr auf dem Weg zur Prüfung helfen würde.
Der Kaugummi in ihrem Mund erschwerte es mir, ihr genauer zuzuhören, aber es ging im Grunde darum, dass ich nun in einem Zeitraum von acht Monaten mehrere Male zum Haare schneiden vorbei kommen müsse. Außerdem sollte ich zustimmen, dass meine Haare entweder zwei Nuancen heller oder zwei Nuancen dunkler gefärbt werden. Farbe? Aaarrrg. Aber weil ich dieser jungen Frau und auch meiner ehemaligen Kollegin so gerne helfen wollte, stimmte ich zähneknirschend in den Deal ein.
Die nächsten Wochen waren zäh, denn meine Hilfsbereitschaft und Geduld wurden auf eine harte Probe gestellt. Weil Cindy stets um 16:30 Uhr Feierabend hatte, ich aber in einer 40-Stunden-Woche arbeitete und nebenher ehrenamtlich als Vorstandsfrau meiner Arbeitgeberin für alle Belange der Mitarbeiterinnen fungierte, war es schwer, sich Zeit frei zu schaufeln. Aber ich blieb dabei: Keine junge Frau sollte daran gehindert werden, ihren Traumberuf zu erlernen. Völlig abgehetzt schloss ich mein Fahrrad an der HWK an, lief die Stufen hoch und legte meine Jacke ab. „Die Cindy ist heute nicht da, die ist schon die ganze Woche krank“, sagte man mir. Na super. Im Grunde lief es die ganze Zeit ähnlich ab. Sie sagte mir Termine nicht ab, und wenn sie an mir übte, verbrannte sie mir mit dem heißen Föhn die Kopfhaut. Das merkte sie allerdings selbst nicht, denn sie war während des Föhnvorgangs zu sehr damit beschäftigt zu sehen, wie ihre Kollegen sich alle in den Feierabend verbschiedeteten.
Ich habe diese Erlebnisse damals aufgeschrieben, so fertig war ich. Hier könnt ihr sie lesen:
Heute habe ich „nur“ zweieinhalb Stunden in der Handwerkskammer gesessen. Klasse, oder?
Ich weiß jetzt definitiv, diese junge Frau muss unbedingt noch einiges lernen. Schon als ich ankam, musste ich einiges an leicht aufkommendem Ärger runterschlucken.
Ich betrat die Lehrwerkstatt. Cindy (die angehende Friseurin) sah mich, grüßte mich aus der Ferne, knetschelte mit offenem Mund Kaugummi. Weil ich ja schon öfter dort war, wusste ich, wo der Garderobenhaken ist, also habe ich meine Jacke selbst ausgezogen, sie auf den Haken gehängt und wenn ich nicht so frech gewesen wäre, mir einen freien Stuhl zu suchen, würde ich jetzt noch da stehen. Als es denn endlich soweit war, fläzte sie sich neben mich, stützte ihren Kopf auf dem Tisch ab und meinte: „Mir gehts heut‘ nicht so gut, hab‘ schlechte Laune, weil ich bald meine Tage krieg‘.“
Meine erste Reaktion in diesem Moment war (innerlich) : Würdest du mir das jetzt auch sagen, wenn ich Kundin in deinem Salon wäre?
Zweiter erschreckender Gedanke: … Und die soll mir mit ihrer schlechten Laune heute ans Haar?
„Dein Modell ist da, du bist da, also fang mal an!“ rief die Ausbilderin namens Frau Wagner Cindy zu. „Aber ich brauch‘ ja auch noch Farbe“, kam es quengelnd aus ihr raus. Man versteht sie schlecht, weil sie ein wenig nuschelt, wie ich finde. Ausbilderin Wagner (mit Engelsgeduld!): „Also hör mal zu: Wenn dein Modell Stephi heißt, ist im Schrank ein Farbtopf, auf dem Stephi steht!“
„Jaaaaaa?“
„Ja!“
Schlurfend machte sie sich auf zum Schrank, um den Farbtopf zu suchen. Diese Motivationslosigkeit fand ich beleidigend. Dann der Schreck. Der Farbtopf Stephi stand nicht im Schrank. Sie hatte vergessen, ihn zu kaufen. Statt Farbe trug sie mir nun auf, ich solle mal schnell zum Friseurhandelgeschäft am Ende der Straße gehen und die Farbe kaufen. „Ich geb dir die Farbnummer mit. Kannst du das bezahlen? Ich hab als Azubi nicht das Geld dafür.“ Ungläubig starrte ich sie an. Dann steckte ich die Farbnummernotiz in meine Jackentasche und zog los.
Nachdem ich die Farbe besorgt hatte, konnte es endlich los gehen.
Die Farbmischung wurde mir auf den Kopf aufgetragen und während sie einwirkte, setzte sich Cindy mit einem großen Seufzer neben mich. Weil ich ja bereits wusste, dass sie gerne von ihren Problemen langatmig und viel erzählte, versuchte ich, meinen Blick auf die anderen Friseurazubis zu richten, die gerade dabei waren Flechttechniken von Ausbilderin Wagner zu erlernen. Noch ein Seufzer. Noch mehr angestrengte Blicke von mir auf die Arbeiten der anderen Auszubildenden. Dann endlich auswaschen. Am Nachbarwaschbecken war Ali, der einzige Mann, zugange und bereitete einer Mitschülerin eine Kopfmassage. „Ist es so angenehm?“ fragte er immer wieder. Cindy wird sich nun was abgucken, sie wird mich jetzt auch fragen, ob das Wasser zu heiß ist, sie wird bei Ali lernen…ging es mir durch den Kopf. Aber nein. Mein Kopf wurde ins Waschbecken gedrückt, meine Haare shampooniert, keine Frage, ob es mir angenehm ist, Beschwerden über Gummihandschuhe und das Waschbecken wurden hinter meinem Kopf geäußert.
Dann endlich: das Föhnen. Der Zeiger der Uhr stand auf 14:45 Uhr.
Cindy holte alle Utensilien, die sie für’s Föhnen benötigen würde, herbei. Als alles vor ihr lag, setzte sie sich noch mal neben mich.
„Ich brauch‘ ja auch noch ein Motto für den Prüfungsschnitt im Juni“, sagte sie. „Gut“, antwortete ich und nahm eine Sitzhaltung ein, die es ihr ermöglichte, mir die Haare zu föhnen. „Aber mein Chef sagt, ich soll das Motto mit dir absprechen.“
„Aha, ja gut, welche Mottos gibt es denn?“
„Weiß ich nicht.“
„Oh!“
„Deswegen frage ich dich ja.“
Da hat mein Hirn dann doch mal schnell auf Autopilot umgeschaltet. Bin ICH im dritten Lehrjahr zur Friseurin? Muss ICH die Mottos kennen? Soll ICH mir jetzt Gedanken machen, was sie machen kann? „Solange das Motto nicht Heidi Klums Halloweenparty ist, ist es mir egal“, antwortete ich. Da aber von Cindy keinerlei Ideen kamen, und ich irgendwann auch mal wieder nach Hause fahren wollen würde, fragte ich: „Wie wäre es mit einem Konzert der Band Jamiroquai?“
„Die kenne ich nicht. Wann spielen die denn? Ich hab ja auch nicht so viel Geld, weil…“ „Cindy, dass war ein Vorschlag für ein Motto und keine Einladung“, unterbrach ich sie. „Ach so, joah, können wir machen.“ Puh. Hätten wir das also auch geregelt.
15:20 Uhr, das Föhnen konnte beginnen. Abschließend rief sie: „Frau Waaaaagner? Ich bin fertig!“
Frau Wagner kam zur Begutachtung und meinte : „Ist das Modell denn auch zufrieden?“
Ich schüttelte meinen noch heißen Kopf. Danke, endlich fragt mich auch mal jemand. Ich äußerte, dass die Locke rechts mir zu lockig war. Die Ausbilderin rügte darüber hinaus den schlecht frisierten Hinterkopf und wollte dies alles ausgebessert haben. Cindy zupfte also an meinem Hinterkopf ‚rum, toupierte, machte viele Sachen, dessen Ergebnis ich nicht sehen durfte und rief wieder : „Frau Waaaaagner?“ Diese kam sofort schnellen Schrittes angerannt. Ich glaube, sie wollte auch bald mal den Feierabend einläuten. „Der Hinterkopf ist besser, aber die Locke, die das Modell beanstandet hatte, hängt ja immer noch so schisslaweng herum. So geht unser Modell nicht nach Hause!“ sprach sie. „Doch, das Modell geht jetzt nach Hause!“ hätte ich gerne gesagt, denn der Zeiger der Uhr stand jetzt schon auf 15:55 Uhr und ich war matt. Aber sie muss ja lernen und so packte sie das Glätteisen aus, entrollte die Locke und rief: „Frau Waaagner, soooo?“ Frau Wagner war mäßig zufrieden und ich müde. Alles in Ordnung.
Zum Abschied vereinbarten wir einen neuen Termin in sechs Wochen. Noch ein Seufzer von Cindy, begleitet von den Worten: „Ich bin gerade sooo im Stress“, und ich durfte gehen.
Als wir uns das nächste Mal trafen, stand ihre Prüfung an. Es war ein heißer Junitag und ich schwitzte in meinem, dem Motto entsprechenden Konzertoutfit vor mich hin, bevor ich von Frau Wagner auf den heißen Stuhl gerufen wurde. Alle Auszubildenden wuselten aufgeregt hin und her. Außer Cindy. Die saß im Foyer und spachtelte Pommes mit Mayo in sich rein. Im Tempo einer Schildkröte begab sie sich schließlich zu mir, legte mir den Umhang um und begann mit dem Haare waschen. Einen Turban um die nassen Haare geschlungen saß ich schließlich auf einem anderen Stuhl und ließ mich von ihr schminken, denn auch das gehörte zur Prüfung mit dazu. Cindy beschwerte sich leise fluchend über meine „scheißlangen Wimpern“ und fuhr mir so ruppig mit einem knallroten Lippenstift über die Lippen, dass man meinen könnte, sie wollte mit einem Radiergummi einen Fehler beheben. Ich wußte anschließend nicht mehr, ob meine Lippen bluteten oder voll mit Lippenstiftfarbe waren. Beim Föhnen war ich sehr tapfer. Wie so oft verbrühte sie mir fast die Kopfhaut, aber da ich wußte, dass sie durch die Prüfung fallen könnte, wenn ich zucke, biss ich mir auf die Zähne und hielt ganz oft die Luft an.
Der Haarschnitt war in all den Monaten mehrmals geübt wurden und dennoch ging es nun fast schief, und das im wahrsten Sinne des Wortes. Vorne lang und hinten kurz sollte mein Bob werden, aber Cindy schnippelte links mehr ab als rechts. Das versuchte sie mehrmals auszugleichen, bis ich irgendwann zischte, sie möge bitte aufhören. Dann kam der Prüfer. „Der Haarschnitt ist schief“, bemängelte er und Cindy sagte „Die Kundin wollte das so!“ „Ach wirklich?“ fragte er. Unsere Blicke trafen sich im Spiegel. „Es ist okay“, log ich und hob leicht genervt die Augenbrauen. Eigentlich wollte ich nur, das alles mal vorbei ist. Diese Termine bei Cindy, dieses motivationslose Rumgemache, das Genöle und stetige Verbrennen meiner Kopfhaut mit dem Föhn. Am Ende des Tages saß ich mit meinem schiefen Haarschnitt und geschminkt wie ein Papagei im Bus und ließ mich nach Hause rollen. „Steph, bist du’s?“ hörte ich plötzlich eine mir bekannte Stimme. Es war meine Freundin Anna, die zufällig im gleichen Bus saß. „Wie siehst du denn aus?“ fragte sie und lachte. Das war völlig okay, denn sie weiß, dass schon etwas Urkomisches passiert sein muss, wenn sie mich mit blau-lilafarbenen Lidschatten, Rouge auf den Wangen und knalligem Lippenstift im Bus sitzen sieht. Während der Bus uns zum Hauptbahnhof schaukelte, an dem wir beide umsteigen müssten, erzählte ich ihr von meinen Erlebnissen so, wie ich es nun für euch tat. „Ich glaub, ich mach das nie wieder“, stöhnte ich und lehnte meinen Kopf an Annas Schulter.
Abends rief mich Cindy an und teilte mir mit, dass sie ihre Prüfung bestanden habe. Aus Dankbarkeit würde sie mir in den nächsten Tagen ein kleines Dankeschöngeschenk überreichen und mich mal zum Essen einladen. Und einen kostenlosen Haarschnitt würde ich auch bekommen. Das ist fünf Jahre her und ich warte immer noch…
Habt alle eine gute Zeit. Bleibt gesund und falls ihr einen guten Friseur kennt, dann schreibt mir gerne.
Herzliche Grüße
Steph ❤
Oh man, da hast Du ja etwas mitgemacht. Ich habe übrigens auch mal eine Ausbildung zur Friseurin begonnen, bin dann aber in die Verwaltung gewechselt. Allerdings färbe ich mir meine eigentlich dunkelbraunen Haare seit der Zeit immer rötlich. Ich liebe das Puppi-Langstrumpf-Feeling und auch die mit Rothaarigen verbundenen Mythen. Stay strong 💪🏻 Lg Chrissie
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Ich weiß ja nicht liebe Steph, ob du mit deiner Engelsgeduld ihr und uns wirklich einen Gefallen getan hast :-). Ich hoffe nur, dass nicht auf ihrem Friseursessel lande :-). Liebe Grüße, Monika
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😆 Ich hörte, dass sie nun im Verkauf arbeitet liebe Monika. Also gibt es eine Entwarnung 😉
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