Im Flugzeug

Es gab eine Zeit, da war eine Flugreise mit einem Flugzeug nur Menschen vorbehalten, die viel Geld besaßen, denn solch ein Flug war unbezahlbar. Tja, und irgendwann hat das aufgehört….

Es war im Jahr 2008. Ralf studierte an der Fachhochschule und ich arbeitete in einem Kindergarten. Mit nur einem Gehalt zahlten wir Miete, Strom, Studiengebühren und Lebensmittel. Ein Auto hatten wir aus Kostengründen schon lange nicht mehr. Weihnachten stand vor der Tür und wir hätten gerne meine Mutter und seine Eltern in Norddeutschland besucht. Allerdings fehlte uns das Geld für die Reise. Mit Mitfahrgelegenheiten hatten wir beide schlechte Erfahrungen gemacht, und als wir uns bei der deutschen Bahn über eine Reise von Franken nach Schleswig-Holstein erkundigten, war uns klar, dass ein Besuch bei Mutter und den Schwiegereltern absolut nicht drin war. 280 € für eine Hin- und Rückreise hatten wir beileibe nicht über in unserer damaligen finanziellen Situation. Ein sehr lieber Nachbar, der uns wie seine Kinder behandelte, gab uns schließlich ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk. Eine Flugreise hin und zurück von Nürnberg nach Hamburg. 90 € für Hin- und Rückflug. Ich weiß nicht, wer da in der Politik gepennt hat, wenn eine Flugreise günstiger als eine Fahrt mit der DB ist, aber damals war ich ehrlich gesagt einfach nur glücklich, zu Weihnachten meine Mutter und die Schwiegereltern wiedersehen zu können.

Zu all dieser Freude gesellte sich die Tatsache, dass ich zuvor noch nie in meinem Leben geflogen war. Es wäre bestimmt unfassbar toll, das mal zu erleben. Ich konnte drei Tage nicht richtig schlafen, weil ich so aufgeregt war. Unüblich für mich verzichtete ich darauf, den Ralf, der schon mal in den USA war, mit meinen vielen Fragen über das Fliegen zu nerven. Ich würde es ja bald selbst erleben. „Ich will auf keinen Fall, dass jemand der anderen Passagiere merkt, dass ich noch nie in einem Flugzeug geflogen bin“, sagte ich abends im Bett zu Ralf. „Okay“, murmelte dieser, denn er wollte dringend schlafen. Weil ich die Tage zuvor wie ein aufgeregtes Duracellhäschen umher gelaufen und ständig das Lied „Über den Wolken“ angestimmt hatte, war er nun ein bisschen müde. Ich verschob unsere Unterhaltung auf den nächsten Tag. Zwei Stunden bevor unser Flug ging, müssten wir am Flughafen sein und da hätte ich noch genug Gelegenheit, Ralf zu nerven.

Der nächste Tag war da und ich hatte einen Plan, den ich Ralf vorstellte.

„Um nicht als Erstfliegerin aufzufallen, mache ich alles so, wie es die anderen tun“, sagte ich. Ralf schmunzelte. Wahrscheinlich weil er wußte, dass es nun komisch werden würde. „Also“, begann ich und holte meine Liste raus. „Wir gehen in ganz langsamen Schritten den Flur des Flugzeuges entlang, stehen anderen im Weg herum und tun so, als könnten wir unseren Sitzplatz nicht finden. Und dann machen wir weiterhin alles so, wie es die anderen Vielflieger jeden Tag tun: Tomatensaft bestellen, die Stewardess nach einer Schlafmaske fragen, sich erkundigen, ob der Flug planmäßig verläuft und…“ – ich zog bedeutungsschwer Luft in mich hinein – „…niemals klatschen! Das macht man nicht mehr, das hab‘ ich in der Gala gelesen!“

Wir wurden zum „Boarding“ aufgerufen und statt aufgeregt „Ach du meine Güte, jetzt geht’s los!“ zu sagen, gähnte ich gekünstelt und erhob mich lässig von der Bank. Wie zwei Cowboys schritten wir an die Theke, um der Mitarbeiterin der Fluglinie unsere Fahrkarten (oder heißt das Flugkarte?) zur Überprüfung zu geben.
Als der Bus uns zum Flugzeug fuhr, bereute ich es, nicht in einem Wirtschaftsteil der FAZ zu blättern. Das taten nämlich alle anderen. Oh nein, daran würde man mich vielleicht als Neufliegerin entlarven. Ob ich noch einmal zurück und mir die TAZ kaufen könnte? Eher nicht. Der Bus hielt vor dem Flugzeug, wir stiegen aus und ich sah den großen Vogel vor mir. Lufthansa Star Alliance stand auf dem Kotflügel (heißt das so?) und ich bekam weiche Knie. Aber das Credo war ja, sich nichts anmerken zu lassen und so sagte ich extra laut zu Ralf: „Wäre ich gestern mal früher ins Bett, ich bin noch ganz wacklig auf den Beinen, hihi.“

Auf dem Weg zu unseren Sitzplätzen wurden wir von hinten immer angestupst, so dass wir nicht langsam tun konnten, wie es der Plan war. Es war ein Gedrängel wie beim Sommerschlußverkauf , nur wollten hier alle schnell auf ihre Plätze, um sich dann auszuruhen. Nach ca. 15 Minuten setzte sich der Flieger langsam in Bewegung. Langsam war gar kein Ausdruck. Ein hoppelnder Hase auf der Suche nach einer Möhre hätte uns überholen können. Das Flugzeug rollte mal links und mal rechtsherum auf diesem großen Flugplatz und ich verstand das alles nicht. „Also, wenn wir hier weiterhin in diesem Schneckentempo rumtuckern, kommen wir ja nie nach oben“, nörgelte ich. Ich bin ja kein Ass in Physik, aber um einen solchen, von Mensch gebastelten Metallkörper in die Lüfte zu bringen, bräuchte es doch wohl ein bisschen Schwung, oder nicht? Nochmal links herum und dann blieb das Flugzeug plötzlich mitten auf der Landebahn stehen. „Und was soll das nun?“ fragte ich empört. „Sollen wir jetzt aussteigen und die Reifen wechseln, oder was?“ Ich konnte es nicht fassen. Da rollt das Flugzeug erst mal hin und her wie auf einem Verkehrsübungsplatz und dann bleibt es einfach so mittendrin stehen. „Pssst, pass mal auf“, sagte Ralf und hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. Die Turbinen des Flugzeugs heulten laut auf, die Stewardess setzte sich auf einen Klappsitz und dann war es, als hätte jemand ein Mentos-Cola light-Gemisch in den Auspuff des Flugzeuges gesteckt. Mit einem Affentempo raste der eben noch still stehende Flieger nun über die Rollbahn. Alles was ich sagen wollte, blieb mir im Hals stecken, ich wurde tief in den Sitz gedrückt und dann, ja dann verliess das Flugzeug den Boden und hob ab. Mein ganzer Plan, mich nicht als Erstfliegerin zu outen, war nun hin, denn ich schrie unentwegt und immer wieder: „Ach du Schei.., ach du Schei…!“ Dabei hielt ich mich verkrampft an Ralfs Pulli fest. Meine Knie drückte ich durch den Sitz in den Rücken meines Vordermanns. „Ach du meine Güte, herrjeminee, das geht aber schnell!“ rief ich und konnte mich kaum beruhigen. „Wie steil wird das denn noch?“ fragte ich panisch und wollte die Antwort gar nicht wissen. Das Ganze dauerte vielleicht fünf Minuten, dann hatten wir die optimale Flughöhe erreicht. Zumindest glaube ich das, denn der Pilot nuschelte sehr. Die Verkrampfung in meinem Körper löste sich langsam und Ralf rieb sich erleichtert die Schulter, die nun wahrscheinlich blaue Flecken aufweisen konnte, so sehr hatte ich gedrückt. Scheinbar waren wir nun in Sicherheit, der Vogel war oben. Aber würde er dort auch bleiben? Mir hatte vorab nie jemand etwas über sogenannte Luftlöcher erzählt und so fand ich mich mehrere Male wieder in sehr verkrampfter Haltung vor, denn wenn ein Luftloch kommt, dann wirkt es für eine Minisekunde so, als falle das Flugzeug aus dem Stand nach unten. Ich weiß nicht, ob es normal ist, aber ich fühlte mich komischerweise sicherer, wenn ich mich auf den Boden setzte. Das tat ich dann aus Platz- und Verhaltensgründen lieber doch nicht.

Wenn ich aus dem Fenster schaute, sah es aus, als würden wir in der Luft stehen, denn es gab keine Landschaft, die an einem vorüberzog. Das Sicherheitspersonal erklärte, was zu tun war, wenn etwas Schlimmes passieren würde und ich war die einzige, die ihren Block rausholte, um eifrig mitzuschreiben. Ob man sich hier auch melden und eine Frage stellen durfte? Ich wollte von Anfang an so tun, als würde ich ständig fliegen, aber das war ja schon in den ersten drei Minuten gründlich in die Hose gegangen.
„Wozu die Schwimmwesten, wir fliegen von Nürnberg nach Hamburg?“ flüsterte ich Ralf zu, aber der genoss den Ausblick in den Nachthimmel. Das versuchte ich dann auch zu tun und entdeckte draußen etwas Blinkendes. „Guck mal, noch ein Flugzeug“, sagte ich zu Ralf und er grinste.
„Wo das wohl hinfliegt?“ setzte ich noch einen nach.
Ralf setzte sich aufrecht hin und meinte: „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, Steph, oder?“ Häää, ich wusste gar nicht was er meint, aber er erklärte es mir.
„Das, was du da draußen blinken siehst, sind die Lichter der Tragflächen des Flugzeugs, in dem wir sitzen!“ Er lachte, weil ich doch ernsthaft geglaubt hatte, ein anderes Flugzeug würde uns gerade überholen. Ach, in meiner Welt mit all meinem Unwissen ist ja alles möglich. Ich schrieb meine Dummheit den vielen Schocks zu, die ich nun schon erlitten hatte. Die Stewardess kam und fragte nach Getränkewünschen. Tomatensaft wollte ich nun auch nicht mehr, mir war so schon schlecht genug.
Vor uns klappten sich Fernseher runter und wir konnten sehen, wo wir gerade entlang flogen. Mir war das zu viel Info, ich wollte das gar nicht sehen.
Es dauerte nicht lange (ca. 35 Minuten) und der Pilot nuschelte: „MeinDamunHerrnwirlandninKürzeinHamburg.“ Na Gott sei Dank! Es war so schön zu sehen, wie wir durch die Wolken hindurch flogen und Hamburg sich in Spielzeugformat näherte. Mit einem leichten Ruckeln und Gewumms landete der Flieger der Lufthansa auf dem Boden der Hansestadt Hamburg.
Vielleicht konnte ich doch noch was gut machen, und lässig meinen Platz verlassen, dachte ich. Dem war allerdings nicht so, denn ich bekam den Gurt nicht mehr auf. Ralf wollte mir helfen, tat sich dabei aber auch schwer, er ruckelte und zerrte an meinem Gurt und ich schaute ihm dabei zu. Durchs Fenster sah ich alle anderen Fluggäste den Hangar entlang laufen. Die Putzkolonne kam und sah meinen Mann keuchend über meinem Schoß. „Es ist nicht das, wonach es aussieht!“ rief ich und gab ihnen mit Handzeichen zu verstehen, dass sie mal zu uns kommen sollten. Da allerdings machte es Klick und mein Gurt war endlich auf. Mit einem Gesicht so rot wie Tomatensaft verliess ich nach Ralf den Flieger und erreichte zu Fuß den Flughafen H(a)H(a).

Nach diesen Erlebnissen hatten wir uns einen Urlaub an der Ostsee bei Ralfs Eltern und meiner Mutter reichlich verdient und ich versuchte nicht daran zu denken, dass wir, um nach Hause zu kommen, auch wieder in ein Flugzeug steigen mussten.

Teil 2 „Die Rückreise“ folgt…

Fühlt euch lieb gegrüßt und bleibt gesund.

Herzlichst, eure Steph ❤

7 Kommentare zu „Im Flugzeug

  1. Die leuchtenden Flieger die ihr auf dem Bild sehen könnt, sind übrigens Glühwürmchen. Weil ich ja momentan sehr viel und oft bastele, hat sich eine Freundin mal das Thema Glühwürmchen/Leuchtkäfer gewünscht und so haben Ralf und ich diese für sie gebastelt. 🙂

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