
Nanu? Da verlässt man für einen kurzen Augenblick die Küche und als man wiederkommt, stehen da plötzlich zwei Pinguine mit Boot. Ist das zu fassen? Dem Ralf habe ich erst einmal nichts davon erzählt. Nicht das er noch denkt, ich wäre nun völlig verrückt.
„Kommt ihr aus Madagaskar?“ habe ich die beiden gefragt und mir die Augen gerieben.
„Schon wieder eine, die in der Schule nicht aufgepasst hat“, flüsterte der eine dem anderen zu.
„Wir kommen aus der Arktis“, antwortete der andere.
„Ja, aber was macht ihr hier in unserer Küche?“
„Frag lieber nicht und sag deinen Leuten, sie sollen endlich etwas gegen den Klimawandel unternehmen“, sagte der eine. Der andere fragte mich nach etwas zu fressen.
Es wurde Zeit, Ralf aufzusuchen.
„Ähm, Ralf? Du hattest doch Biologie im Leistungskurs. In unserer Küche sitzen zwei Pinguine in einem Eierkartonboot. Der eine schimpft über den Klimawandel, gegen den wir Menschen zu wenig unternehmen und der andere hat Hunger. Was fressen Pinguine denn gerne? Und komm mir jetzt bloß nicht mit dem Spruch, dass ich wohl in der Schule nicht aufgepasst hätte, dass musste ich mir eben schon einmal sagen lassen!“
Der Ralf starrte mich an, als hätte ich ihm gerade gesagt, dass zwei Pinguine in unserer Küche sitzen. Hach, halt, das hatte ich ihm ja gesagt.
„Pinguine fressen Sardinen, Tintenfische, Sardellen und Krebstiere“, sagte er und legte die nasse Wäsche, die er gerade zum Trocknen aufhängen wollte, zur Seite. Er wollte sich selbst davon überzeugen, was da in der Küche vonstatten ging.
Währendessen dachte ich darüber nach, wie es damals für mich war, wie ein einzelner Pinguin inmitten vieler Löwen, Tiger, Katzen, Hunde, Schlangen und Schweinen zu leben.
Das erste Mal, dass ich fühlte, dass ich anders war als die anderen, setzte meine Mutter mir einen großen Hut auf den Kopf und schmierte mich mit so viel Sonnencreme ein, dass ich als Vierjährige im Schwimmbad aussah wie ein laufender Meter weiße Tafelkreide. „Die anderen müssen das auch nicht!“ brüllte ich. „Du hast rote Haare und helle Haut, da ist Vorsicht geboten“, entgegnete sie und griff erneut zur Tube Sonnencreme. Ich habe ihr das nie geglaubt und als irgendwann der Tag kam, an dem ich – sechsjährig – mit meiner Freundin alleine ins Schwimmbad durfte, da liess ich es mal so richtig krachen. Kopfbedeckung und Sonnenmilch blieben ganz bewusst in der Badetasche. Unberührt wie ein Teller Eisbein mit Sauerkraut. Fünf Stunden später schob ich mein Rad nach Hause. Zum Fahren reichte es nicht mehr und das lag nicht an zuviel Fanta aus dem Schwimmbadkiosk. 😉 Meine Mutter schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als sie mir die Wohnungstür öffnete. Mein Gesicht war röter als meine Haare, auf meinen ebenfalls sehr roten Schultern zeigten sich weiße Blasen und meine Beine hätten locker als røde Pølser, die leckere rote, dänische Hotdogwurst durchgehen können. Insgesamt sah ich aus wie eine Tomaten-Mozzarella-Pizza, die zu lange im Ofen war. Die nächsten Tage eiterten die Blasen auf meinen Schultern, ich konnte nur leichte Kleidung tragen und wurde stündlich von meiner immer noch erschrockenen Mutter mit Quark und anderem Zeugs, welches den Brand auf der Haut lindern sollte, eingecremt.
Das nächste Mal, dass ich die Besonderheit der Rothaarigen kennenlernen sollte, war, als eine Operation am Kiefer anstand. Die Weisheitszähne mussten raus. Bei all meinen Freundinnen fand diese ambulant statt. Ich sah, wie sie Eiswürfel lutschten oder an Waschlappen saugten, um die klopfenden Schmerzen nach der OP zu lindern. Das wollte ich auch. Der behandelnde Kieferorthopäde machte mir da aber einen Strich durch die Rechnung. „Rothaarige Menschen haben Blutarmut, leiden oft an Eisenmangel und sind uns hier in der Praxis schon mal umgekippt, deswegen geht die Entfernung der vier Weisheitszähne ihrer Tochter nur mit einer stationären, also in einem Krankenhaus stattfindenden OP einher“, sagte der Kiefermann zu meiner Mutter und diese nickte, während ich verneinend mit dem Kopf schüttelte. Aber all mein Protest half nichts. Um die vier „Hauer“ aus meinem Kiefer zu entfernen, musste ich tatsächlich fünf Tage lang in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Kaum von diesem Schock erholt, kam der nächste. Dieses mal nicht für mich, sondern meine Mutter. „Ihre Tochter wacht einfach nicht auf, aber wir haben alles unter Kontrolle“, sagte die Krankenschwester. Für den Eingriff waren zwei Stunden angesetzt und nun waren bereits vier Stunden vergangen. Ich war damals 16 Jahr alt und man hätte denken können, dass ich den behandelnden Anästhestisten mit den hübschen Augen über mein Gewicht angeschwindelt habe, sodass die angedachte Narkose nicht wirkte. So war es allerdings nicht, es lag mal wieder an meiner Haarfarbe, bzw. dem „Ginger Gen“. Um eine sehr wache Pippi Langstrumpf zum Schlafen zu bringen, dauert es halt ein wenig länger und so wurde die Dosis der Narkose ein wenig angepasst, weswegen ich ein wenig länger als geplant schlief. Die Schmerzen, die sich nach dem Eingriff ergaben, empfand ich als erträglich. Ganz anders als die beiden jungen Frauen, die mit mir das Krankenzimmer teilten. Beide funkten im Stundentakt die Krankenschwestern an, um neue Schmerzmittel zu bekommen, während bei mir „nur“ der Kopf brummte, weil die beiden immer „Schreinemakers Live“, eine Talkshow, in unserem Zimmer-Fernseher anschauen wollten. „Rothaarige Menschen haben eine andere Schmerztoleranz als andere“, sagte der Chefarzt bei seiner Visite und lobte meine gute Wundheilung. Aufgrund dieser Aussage wollte ich schon meine Tasche packen und „Tschüß!“ sagen, aber da kam er wieder mit seiner Aussage mit der Blutarmut und dem Eisenmangel daher.
Ein anderer Mythos über rothaarige Menschen besagt, dass wir empfindlicher auf Hitze/Kälte reagieren. Das mit der Hitze kann ich absolut bestätigen. Jahrelang dachte ich, ich sei zu doof, um mit einer Wärmflasche ins Bett zu gehen, denn ich verbrühte meine Haut damit mehrere Male. Meine Mutter schenkte mir sogar einen Teddybär (Herr Schmidt), in dessen Bauch man die „Wärmi“ verstecken könne. Ziel war es, dass die heiße Wärmflasche nicht auf meine Haut trifft, die alsgleich sofort reagiert und Blasen bildet, was ich aber, ACHTUNG, wegen dem „anderen“ Schmerzempfinden nicht gleich bemerke. Was die Kälte betrifft, so kann ich wenig darüber berichten. Da find ich mich ganz normal. Ich trage auch im Winter meine einfachen Strumpfhosen zu Röcken und habe auf die Frage hin, ob mir denn nicht kalt sei, sehr oft die Antwort gegeben, „Nö, ich hab ja heiße Beine“. Okay, wenn Ralf spät abends ins Bett kommt und mir, die da eingekuschelt neben ihm liegt, mit seinem eiskalten Händchen über die Stirn streicht, um mir gute Nacht zu sagen, dann zucke ich auch schon mal zusammen, aber das würde anderen auch so ergehen. Sobald der Frühling beginnt, laufe ich zu Hause nur noch barfuss bis zum Herbst.
Das Witzige ist doch, dass man denkt, alle anderen wären auch so wie man selbst und dann kommt durch ein Zufall raus, dass das eben nicht so ist, oder? So dachte ich zum Besipiel sehr lange, dass unser Fernseher zu alt sei, um die Bilder in den schönsten Farben anzuzeigen. Nach einem Test beim Optiker zeigte sich, dass ich eine Brille benötige und plötzlich sah ich die Welt auch in viel schöneren Farben.
Apropos Farben. Jahrelang dachte ich auch beim nachfolgenen Thema, dass alle Menschen die Welt so empfinden wie ich. Bis ich Ralf mal davon erzählte und großes Staunen erntete. „Wie jetzt, du siehst keine Farben, wenn du Namen von Menschen hörst?“ fragte ich ihn. „Nein!?“ antwortete er fragend und rückte in der Kneipe, in der wir saßen, näher an mich heran, um jedes Wort von mir zu verstehen. „Du siehst also Farben“, stellte er fest. „Ja, und das ohne Drogen zu nehmen.“ Es ist wirklich merkwürdig, weil ich mir bei dieser Eigenheit nie bewusst daüber war, dass es eine spezielle ist. Später habe ich dann gegrübelt, woran das liegen konnte. Vielleicht an den Unterhosen mit den Wochentagen, die ich als kleines Kind oft trug? Der Montag war blau, der Dienstag gelb, der Mittwoch rot, der Donnerstag rosa, der Freitag lila, der Samstag braun der Sonntag weiß. So ist es noch heute. Also nicht das mit den Unterhosen, sondern mit den farblichen Wochentagen in meinem Kopf. Hatte ich, ebenfalls als Kind, zu oft die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ gelesen, in der ebenfalls die Wochentage farblich abgebildet waren und mir dies zu sehr eingeprägt? Aber es gab ja nicht nur die Wochentage oder Monate. Auch jeder Name hat bei mir eine Farbe. Eine Frauke ist bei mir blau, eine Julia lila, eine Claudia rot, eine Nicole grün, ein Thorsten tannengrün, eine Ursula dunkelrot. Es liegt nicht an den Anfangsbuchstaben. Denn eine Regina ist ein dunkles rosa, während ein Ralf orange ist. Komischerweise sind Namen wie Ole, Oliver oder Otto aber immer weiß. Es gibt auch Nuancen. So ist eine Anja zwar rot, aber in einem anderen als eine Claudia. Auch Zahlen haben eine Farbe. Die Null ist immer weiß und die Eins immer schwarz. Ich mag die Fünf mit ihrem tiefen Blau sehr gerne und die Acht mit ihrem kräftigen Rot. Jahrelang hatte ich dieses Thema total vergessen, bis ich neulich einen Beitrag der lieben Monika, einer anderen Bloggerin hier auf WordPress las. Darin schrieb sie über Meditation und ich las folgendes: „Wenn ich Gesichter genauer betrachte, kann ich den Charakter des Menschen ziemlich gut bestimmen. Ich kann die weiche, zärtliche, die fröhliche und auch die harte, strenge und traurige Seite anhand der Linienzeichnungen deutlich im Profil sehen.“ Das fand ich so spannend, dass ich ihr in einem Kommentar von den Farben bei mir berichtete. Und zack, sie wusste sofort, was ich meinte. „Du bist eine Synästhetikerin“, schrieb sie mir. Eine was? Also habe ich Google befragt und auf einmal fühlte ich mich sehr verstanden. Es ist also nicht alles Einbildung, keine Farblehre aus der Kindheit, die ich verinnerlicht habe. Synästhethiker sehen ihre Welt bzw. Buchstaben, Musik oder Wochentage tatsächlich in Farben. Hurra, ich war nicht alleine damit. Und auch nicht verrückt.
Markus Zedler, ein deutscher Psychiater schrieb dazu 2019: „Synästhesie ist ein Luxus; eine Spielart der Evolution, die es dem Bewusstsein erlaubt, durch die Verknüpfung der Sinne und die Kopplung mit Gefühlen mehr Informationen zu generieren. Wissenschaftliche Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren haben nachgewiesen, dass Synästhetiker ein komplexer vernetztes Gehirn haben.“ (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Syn%C3%A4sthesie)
Und die Pinguine in unserer Küche? Die hatten mit Ralf über den Klimawandel geredet, ihm ein Versprechen zur Besserung abgerungen und waren wieder abgedampft, weil er ihnen keine Meeresfrüchte bieten konnte. Ralf ist Vegetarier und ich esse nichts aus dem Meer. Nach diesem aufregenden Tag haben wir abends das Hörspiel „An der Arche um Acht“ angehört. Darin geht es um drei Pinguine, die von einer Taube aufgesucht werden. Die Taube sagt ihnen, dass Noah von Gott beauftragt wurde, ein Schiff zu bauen und von jeder Tierart jeweils ein Männchen und ein Weibchen mit auf das Schiff kommen sollen, um gerettet zu werden. Die beiden finden ihren Freund, den dritten im Bunde total nervig und überlegen, ob sie ihm nichts davon erzählen sollen, um ihn auf diesem Wege los zu werden. Keine Sorge, es gibt auf jeden Fall ein Happy End.
Habt eine schöne Zeit und bleibt gesund.
Herzlichst eure Steph ❤
Liebe Steph. Danke für die süßen Zeilen. Ich musste dabei an meine Schulfreundin denken. Sie hatte feuerrote lange Haare, um die ich sie immer sehr beneidete. Eine wahre Pracht. Grüne Augen und helle Wimpern, wenn sie sie nicht tuschte. Ihre Lippen waren voll und sinnlich und ihre Nase klein. Das ganze Gesicht war voll mit Sommersprossen und sie hatte schöne weibliche Rundungen. Ihre Stimme war tief und voll. Sie war in meinen Augen eine Schönheit aber sie wusste es nicht. Ich sagte es ihr sehr oft, wie schön ich sie fand. Wir rauchten unsere ersten Zigaretten zusammen und hatten auch den ersten Freund geteilt. Nacheinander :-). Lange schon haben wir uns aus den Augen verloren. Liebe Grüße und einen schönen Sonntag wünsche ich dir.
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Was für eine schöne Erinnerung liebe Monika. Und wie wunderbar, dass du ihr des öfteren sagtest, wie schön sie sei. ❤
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Habe gerade Nachtdienst und lese deine Geschichte. Schön das die Ursula dunkelrot ist. Rot ist für mich Leben, Energie. Was du immer für Besuch kriegst. Bin ich froh das bei uns immer nur Vögel, Igel, Hasen in den Garten kommen. Beim Pinguin wäre ich überfordert und meine Vorräte von Fisch, Garnelen teile ich nicht gern. Und erst Recht würde ich mein Aquarium nicht zur Verfügung stellen. Danke für die Geschichte.LG Ursula Biermann
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Das ist total witzig- blau ist meine Lieblingsfarbe… 🙂
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