oder: Die Kuh im Schlafzimmer

Ich habe so viele tolle Kassetten und würde sie gerne mal wieder hören, aber unsere Hifi-Anlage ist kaputt. Die CD’s werden abgespielt, das Radio läuft auch, aber das Kassettendeck weigert sich, die Hörspiele wiederzugeben. Und just in dem Moment, in dem wir diesen Schaden bemerkten, lief am Abend im Fernsehen eine Folge über die 80er Jahre.
Sofort schwelgte ich in Erinnerungen…
Der Ralf lacht immer, wenn ich anfange, über meine Kindheit der Achtziger zu reden, denn er sagt, ich würde auf seine Frage hin, wie alt ich bei diesem oder jenem Ereignis, welches ich erzähle, gewesen sei, stets „acht oder neun Jahre alt“ antworten. Als ich meinen ersten Kassettenrekorder bekam, war ich allerdings tatsächlich acht oder neun Jahre alt. Es war nicht nur ein einfaches Abspielgerät, es war ein knallroter Rekorder mit zwei kleinen Lautsprechern links und rechts. In der Mitte befand sich die, tja wie nennt man das, Kassettenbehältnisbox? Darunter waren einige Schalter. Zum Vor- oder Zurückspulen, eine Pausetaste, eine zum Stoppen, eine, um die Einschubkasettenbehältnisbox zu öffnen und eine Recordtaste. Auf der war ein roter Punkt und man musste die Play- und die Recordtaste gleichzeitig drücken, um eine Aufnahme zu tätigen. Und dann gab es noch das kleine schwarze Zählwerk mit den weißen Zahlen drauf. Wozu das Zählwerk gut war, habe ich lange nicht verstanden. Wenn man die Taste drückte, um die Kassette rauszuholen, dann öffnete sich die Kassettenbehältnisbox (herrjeh wie heißt das denn nun richtig?) gaaaaanz langsam. Für mich zu langsam, weswegen ich das Teil rausriss und meine Kassetten einfach so in das Abspielgerät steckte.
Ich liebte mein von mir individuell meinen Bedürfnissen angepassten Radiorekorder sehr. Er stand meist auf meinem Schreibtisch und während ich dann mit Lego auf dem Fußboden meines Kinderzimmers spielte, lief im Hintergrund eine Kassette von „Bibi Blocksberg“ oder „Die fünf Freunde“. Sehr gerne hörte ich auch die „Erzähl mir was“-Hörspiele. Es gab ein „Erzähl mir was“-Buch bei uns im Edekamarkt und wenn ich krank war, dann kaufte meine Mutter mir dieses. In dem Paket war ein Heft mit Geschichten und eine Kassette. Man konnte die Geschichten, die auf der Kassette liefen, quasi im Buch mitlesen und wenn man umblättern musste, erklang im gelesenen Hörspiel ein kleines Glöckchen. Der Rekorder stand dann auf meinem Nachtschränkchen. Das war praktisch, denn so musste ich nicht aufstehen, um die Kassette rumzudrehen. Jahre später würde ich bei meiner Freundin Clara entdecken, dass es Anlagen gibt, bei denen sich die Kassette automatisch rumdreht. Hui.
Leerkassetten zum Bespielen und Aufnehmen waren sehr teuer. Es gab sie mit 60 und mit 90 Minuten Laufzeit. Meine damals beste Freundin Lara und ich fanden es als Zehnjährige super lustig, uns gegenseitig Kasetten zu besprechen. Eigentlich war das schon ein bisschen doof, denn wir gingen zusammen in eine Schulklasse, verbrachten die Pausen gemeinsam und fuhren mit dem gleichen Schulbus wieder nach Hause. Wir waren also die meiste Zeit des Tages zusammen und fanden es doch so aufregend, abends im Bett auf Kassette zu hören, wie der Tag des jeweils anderen so war.
Irgendwann entdeckte ich dann im Zimmer meines großen Bruders eine Kassette der „drei Fragezeichen“ von Alfred Hitchcock. Die Folge hieß „Der seltsame Wecker“ und ich gruselte mich unendlich. Nach dieser für mich ersten Folge war ich süchtig nach einer neuen, aber mein Bruder besaß nur diese eine Kassette der drei Fragezeichen. Eine Idee ward geboren. „Wir machen das jetzt anders!“ sagte ich zu Lara. „Anstatt uns von unseren Tageserlebnissen auf Kassette zu berichten, lesen wir uns gegenseitig aus Gruselbüchern vor und nehmen das auf. Dann kann jede von uns abends eine Gruselgeschichte hören.“ „Prima, dass machen wir“, sagte Lara. Leider ging das ganze dann ein bisschen schief. Denn Lara hatte die seltsame Angewohnheit, ihre Bücher alle in Folie einzuschlagen. Und damit meine ich nicht diese selbstklebende Folie, die wie eine zweite Haut auf dem Buch klebt. Sie hatte jedes ihrer privaten Bücher, warum auch immer, in eine Knisterfolie eingeschlagen, was zur Folge hatte, dass ich abends voller Erwartung auf eine vorgelesene Kassettengeschichte meiner Freundin im Bett lag und diese vor lauter Rascheln gar nicht hören konnte. Keinen Satz habe ich verstanden, weil die Folie so sehr knisterte. Und noch etwas war wirklich schlimm: Sie las so lange, bis sich in ihren Wangentaschen sehr viel Speichel gesammelt hatte und bei jeden Umblättern sog sie ihre eigene Spucke ein. Es hörte sich an, als würde man mit einem Strohhalm den letzten Rest Limo aus einer Flasche saugen. Blubbernd und nervig. Als ich ihr das sagte, war sie beleidigt und las mir ab da nichts mehr vor.
Die Zeit stand da aber eh schon für einen neuen Umgang mit unseren Leerkassetten. Wir wollten Musik aus dem Radio aufnehmen. Gefühlte hunderttausendmal sprach einem der oder die Radiomoderator*in mitten ins Lied rein. Aus diesem Grund war ich so unendlich froh darüber, dass es einmal im Jahr die Wunschliste des Radios gab. In unserer regionalen Tageszeitung wurden dann die gewünschten Hits vieler Hörer*innen auf drei Seiten aufgelistet. Mit Uhrzeit sogar, damit man wußte, wann man auf seinem Rekorder die Play- und Recordtaste drücken musste, um sein Lieblingslied aufzunehmen. Geburstagsbesuche bei anderen Familienmitgliedern oder gar Ausflüge gerieten zur Farce, denn man wollte auf jeden Fall zu Hause sein, wenn bestimmte Lieder im Radio liefen. Wie oft habe ich mir eine Donauwelle in Rekordzeit in den Mund gestopft und meine Mutter hibbelig gefragt, wann wir wieder nach Hause können. Jeden Stau, jede Baustelle auf dem Nachhauseweg im Auto habe ich verflucht und mir gewünscht, meine Mutter wäre Rennfahrerin oder ich hätte Bibi Blocksbergs Hexenkraft, denn dann würde unser Auto einfach über den Stau hinwegfliegen. Es war ein intensives Musikwochenende mit den ganzen Wunschhits am Stück und wenn es vorbei war, dann musste man wieder ein ganzes Jahr darauf warten. Seufz. Aber wir waren ja kreativ. Als mal ein musikalischer Stargast bei der Sendung „Wetten dass?!“ im Fernsehen lief, da holte ich schnell meinen roten Rekorder aus dem Kinderzimmer, stellte ihn direkt vor den Fernseher und bat meine Mutter und meinen Bruder um absolute Ruhe, um das vorgetragene Lied, welches bisher noch nicht im Radio lief, aus dem Fernseher aufzunehmen. Weil mein Bruder mir dann direkt in meine Aufnahme hustete, habe ich eine Woche lang nicht mehr mit ihm gesprochen. Blöderweise machte ihm das weniger aus als ich hoffte.
Als ich dreizehn Jahre alt wurde, verbrachten mein Kassettenrekorder und ich viel Zeit draußen. Meine mitpubertierenden Freunde und ich trafen uns jeden Tag nach Schulschluss auf dem Dorfspielplatz und saßen dort ganz lässig auf einer aus Beton gegossenen Tischtennisplatte. „Mamma lauder“ babbelte einer auf hessisch und jemand drehte am Lautstärkeregler. Oft saßen wir da bis in die Dunkelheit hinein und erlebten so rein gar nichts. Aber wir fanden uns cool, so musikhörend mit dem Po auf einer kalten Tischtennisplatte, die bei einigen eine Blasenentündung nach sich zog. Ein halbes Jahr später schenkte mir meine Mutter einen Walkman von Panasonic. Ich konnte meine Freude gar nicht fassen. Die Kopfhörer waren wie ein Haareif, aber aus Metall und verstellbar wie meine Zahnspange. Pünktlich zu meiner Klassenfahrt nach Amsterdam bekam ich dieses Geschenk und fühlte mich so wunderbar autonom. Meine Musik nur für mich und meine Ohren. Vor- oder zurückspulen durfte man die Kassetten allerdings nicht, denn das ging auf die Leistung der Batterien und diese waren teuer. Meine Freude über den Walkman dauerte genau einen Tag und vierzig Minuten. Auf unserer Klassenreise nach Amsterdam fuhren wir mit dem Zug und stiegen einige Male um. Mit Koffer in der einen und Regenschirm plus Jacke in der anderen Hand war es doch echt praktisch, dass man wegen der fehlenden dritten Hand den Walkman anhand eines Clips an den Hosenbund, in die Schlaufe, die für den Gürtel vorgesehen war, festklemmen konnte, oder? Was vielleicht bei allen anderen sehr gut klappte, ging bei mir total in die – oder aus der Hose? Es war ein Zusammenspiel unglücklicher Zustände: Wir standen am Bahnsteig, der Zug rauschte heran, die Gürtelschlaufe meines Jeans riß und mit dem Sog des Zuges fiel mein Walkman nicht nur von meinem Kleidungsstück weg, sondern fiel genau ins Bahngleis wo er von der ankommenden Eisenbahn zermalmt wurde. Ich kann euch sagen, ab da war meine Lust auf die Klassenreise zunächst ins Bodenlose gerutscht. Zum Glück habe ich dann aber in Amsterdam sehr viele tolle Orte und Menschen kennengelernt und meine eigene Kopfhörermusik kaum vermisst.
Als ich vierzehn Jahre alt war, bekamen alle meine Freundinnen von unbekannten oder bekannten Verehrern ein sogenanntes Mixtape geschenkt. Darauf hatte der Verliebte dann eigens Musik für die Angebetete aufgenommen und jeden Songtitel in schönster Schrift in die Musikhülle geschrieben. Mein damaliger Freund machte sowas leider nicht. Er schraubte lieber an alten Oldtimern herum und fand den anspringenden Motor eines MG’s oder Triumph TR6 als besten Sound seines Lebens.
Wenn die Leerkassette zum xten mal überspielt wurde, ging sie irgendwann kaputt. Dann hörte man das zu überspielende Lied im Hintergrund immer mitlaufen. Aber auch das war kein Problem, denn wir hatten inzwischen entdeckt, dass man einen Tesafilmstreifen auf den Schlitz unter der Kassette kleben konnte und so überspielten wir unsere Kinderkassetten mit funkiger Musik. Adieu Benjamin Blümchen, Willkommen Nena. Wenn die Lieblingsmusikkassetten dann einen Bandsalat hatte, war das Geschrei groß, jedenfalls bei mir. Wie gut, wenn man dann einen großen Bruder hat, der einem schnell einen „Wie rette ich die Kassette?“-Crashkurs verpasst. Er steckte einen Bleistift in das Loch der Kassette und fädelte das Band wieder auf.
Wenn ich als Kind, ich glaube ich war so acht oder neun Jahre alt, 😉 bei Freundinnen übernachtete, dann durfte der Kassettenkoffer nicht fehlen. Wir hörten Regina Regenbogen, der kleine Vampir, TKKG, Bibi Blocksberg, Momo und vieles mehr. Ich hatte sogar eine Kassette mit Häschenwitzchen und war vermutlich die einzige, die sich beim Hören dabei kringelig lachte. Total witzig fand ich, als ich – mittlerweile im Erwachsenenalter – erfuhr, dass der Lebensgefährte einer meiner Tanten die Titelmusik für den kleinen Vampir komponiert hatte. Da kaufte ich mir gleich noch mal alle Folgen, damit er Tantiemen bekommen konnte.
Und jetzt? Jetzt würde ich zu gerne „Bibi Blockberg und die Kuh im Schlafzimmer“ hören, aber das Kassettendeck ist ja kaputt. Ob es die Folge wohl auch auf Youtube zu hören gibt?
Habt eine schöne Zeit, bleibt gesund und fühlt euch herzlich gegrüßt.
Steph ❤