Dialekte

oder: Ich versteh‘ nur Bahnhof

Wisst ihr, was ein Herrgottsdiersche, ein Sonnekäfer und ein Modschegiebschn gemeinsam haben? Es handelt sich bei allen drei Begriffen um das gleiche, einen Marienkäfer. Ich mag Dialekte so gerne und versuche mir stets neue Wörter einzuprägen. Nicht immer gelingt mir das und da ich in meinem Leben nun schon in drei Bundesländern Deutschlands gelebt habe, bringe ich hier und da auch mal etwas durcheinander. Aber nicht nur das… Als der Ralf und ich mal im Fernsehen das „Hessenquiz“ sahen, dachte er, ich wisse als gebürtige Hessin bestimmt auf jede Mundartfrage die richtige Antwort. Weit gefehlt, denn auch in Hessen gibt es viele unterschiedliche Dialekte.

Vor zwei Wochen hatten Ralf und ich von Montag bis Freitag Besuch aus Hessen. Allerdings kam der Besuch aus Südhessen, während ich gebürtig aus Nordhessen komme. Natürlich haben wir gemeinsam hessich gebabbelt und ich schaute hin und wieder zu Ralf, um mich zu vergewissern, dass er als Nordlicht auch alles verstand, wenn wir von der Kerb (Kirmes), dem Feez (Spaß) und Kischedischdischdicher (Küchentisch-Tischtücher) sprachen. Dabei hat er in all den Jahren schon einiges von mir mitbekommen. Er weiß, dass ich „ a klaa Knoddel“ (kleine sympathische Person) betitelt werde und ärgert sich mit mir darüber, dass es hier in Norddeutschland nicht die Zutaten gibt, die man für eine „Grie Soos“ (Grüne Soße) benötigt.

Vor einiger Zeit habe ich beruflich Frauen aus anderen Ländern und Kulturkreisen über das Leben in Deutschland unterrichtet. Es war eine wunderbare Arbeit, der ich jeden Tag mit einer unglaublichen Freude nachging. Es waren Frauen aus Afrika, Asien, Skandinavien und dem Orient. Von 22 Jahren bis 71 Jahren waren nahezu alle Altersgruppen vertreten. Sie erfuhren von mir unter anderem, warum man in Deutschland mit seinem Kind zu U- Untersuchungen gehen muss, dass es zu vielen Bereichen Beratungsstellen gibt und wie das Bildungssystem in Deutschland aufgebaut ist. Ziel war es, die Frauen als Wissensbotschafterinnen in Familien aus ihren Ursprungsländern zu entsenden, damit sie diese im Schneeballsystem mit dem Erlernten versorgen konnten. Die Stadtmütter leisteten damit einen unglaublich tollen Beitrag zur Integration neuer Mitbürger:innen.

Eines Tages erzählte ich den Frauen, dass ich anfangs ein paar Schwierigkeiten hatte, als ich meinen Wohnort von Franken nach Norddeutschland verlegte und während ich so redete und redete, sah ich immer mehr erstaunte Gesichter. „Ich verstehe nicht, was du da sagst, Stephanie“, unterbrach mich plötzlich eine der Frauen. „Rede ich zu schnell?“ fragte ich, worauf sie mit dem Kopf schüttelte. „Warum hattest du Schwierigkeiten? Du bist doch eine deutsche Frau in Deutschland und kannst dich gut verständigen“, sagte sie. „Nein, eben nicht“, entgenete ich ihr und so berichtete ich den Frauen, dass wir uns in Deutschland mit seinen 16 Bundesländern auch nicht immer verstehen. Das Bildungssystem, der Förderalismus und Gesetze mal ausgenommen, hatte ich selbst mit Sprachschwierigkeiten und somit auch mit Verständigungsproblemen zu kämpfen. Und irgendwie hatte ich in dieser Landschaft auch meinen eigene Migrationsgeschichte:

Meine Mutter ist in Schleswig-Holstein geboren und aufgewachsen. Der Mann, den sie kennenlernte und der zwei wunderbare Kinder mit ihr zeugte, kam aus Hessen. Dorthin zogen sie. Mein Bruder kam zur Welt und neun Jahre später ich. Meine Mama vermisste ihre Heimat an der Ostsee, arrangierte sich aber damit, nun in Hessen zu leben. Allerdings mochte sie es nicht, wenn mein Bruder und ich hessisch babbelten. Weil sie gerecht war, sprach sie mit uns aber auch kein Norddeutsch. Hochdeutsch sollten wir reden. Mit Hochdeutsch kommt man immer klar, sagte sie.

Und so kam es, dass ich im Alter von fünf Jahren zu Besuch bei meinen lieben Großeltern in Lübeck im Norden Deutschlands war und wenig von dem verstand, was sie von mir wollten. So saßen wir zum Beispiel gerade am Tisch und aßen zu Mittag, als mein Omi mich fragte, ob ich aufstehen und die Brause aus dem Keller holen könne. Ich steckte mir schnell noch eine Gabel voll Grünkohl in den Mund und ging kauend die Kellertreppe hinab. Im Keller selbst sah ich mich um und fand keine Brause. Dafür aber viele tolle Brettspiele, die mich völlig begeisterten. Weil meine Oma und meine Tante sich von mir abends gerne zu Brettspielen hinreißen ließen, suchte ich schon mal ein schönes Spiel aus der Sammlung aus, als von oben die Stimme meiner Oma erklang: „Wo bist du denn? Das Essen wird kalt!“ Ach ja, die Brause. Nein, die fand ich wirklich nicht. Und überhaupt, was wollte meine Oma denn ausgerechnet beim Mittagessen mit einem Duschkopf? Später erfuhr ich, dass mit der Brause das gemeint war, was bei uns Sprudel hieß. Bei uns im Dorf wurde zu Festen oft ein Sprudel- oder Fantakuchen gebacken. Es gab ja so viel zu lernen. Bei einer norddeutschen Oma ging man nicht ins sondern zu Bett, sie steckte mir gerne Bonschers zu, die ich nur als Bolchen (Bonbons) kannte und wie oft rief sie mir zu, ich solle meine Puschen anziehen. „Puschen, pieschen, Pennschieter, ich weiß ja gar nicht, was du als von mir willst“, rief ich überfordert. Puschen sind Hausschuhe (Patschen in Nordhessen), Pieschen heißt Pippi machen und ein Pennschieter ist ein Geizkragen. Das musste ich mir merken. Alles was meine Oma kochte, aß ich gerne aber als sie eines Tages Wurzeln kochen wollte, da holte ich die Bonschers, die mein Opa mir gekauft hatte, heimlich aus dem Schrank. Wer isst denn schon Wurzeln? Dann rief sie uns zu Tisch und ich wunderte mich, wo die Wurzeln zu finden waren, denn auf meinem Teller waren Kartoffeln, Erbsen und Möhren. Heute muss ich darüber lachen, denn ich wußte nicht, dass man Möhren auch als Wurzeln betitelt und dachte, ich müsste Blumenwurzeln essen.

Natürlich könnte man meinen, dass ich im Laufe der Zeit als Nordhessin auch norddeutsch erlernte, allerdings besuchte ich meine Großeltern nur einmal im Jahr für zwei Wochen und jeder, der mal eine andere Sprache gelernt hat, weiß, dass man diese nur dann richtig gut erlernen kann, wenn man in ständigem Kontakt zu den Menschen ist, die diese Sprache sprechen. Richtig spannend wurde es, als ich nach meinen ersten 20 Lebensjahren in Nordhessen der Liebe zu Ralf wegen nach Franken zog. Allmächd, was für ein sprachlicher Schock. „Ich hätt a mol a Frooch“, sagte mir der Postbote und ich fragte mich, warum er mir an meiner Haustür erzählte, dass er mal einen Frosch hatte. Die Aussage eines Arbeitskollegen, ich hätt´a große Schlebbern fand ich dermaßen schlimm, dass ich empört die Kantine verließ. Dabei steht dieses Wort nicht für das, für das ich es hielt, es bedeutet eine große Klappe zu besitzen. Der Kümmerling war hier kein Schnaps, sondern ein Gurkensalat, die leckeren Berliner, die ich in Hessen als Kreppel kannte, waren hier Krapfen. Gefüllt mit Hiffenmark (Hagebuttenmarmelade). So gerne ich die neue Sprache, den fränkischen Dialekt, Tag für Tag im Alltag lernte, so sehr war ich abends auch kaputt davon, weil es einfach anstrengend sein kann, ständig umzudenken. Und oftmals verwechselte ich da auch etwas.

Mit Ralf war ich eines Tages im Fussballstadion. Er hatte sich als gebürtiges Nordlicht längst mit seiner Wahlheimat Franken assimiliert und das nicht nur im Bezug darauf, dass er nun Fan des fränkischen Fussballvereins 1. FCN war. Wenn wir eine Begegegnung seiner Lieblingsmanschaft im heimischen TV sahen, dann rief er oft „Hob etz“, was so viel wie „Vorwärts!“ oder „Auf geht’s!“ bedeutet. An diesem einen Tag im Fussballstadion wollte ich nun auch gerne den „Glubb“ mit anfeuern. Während einer hitzigen Situation stand ich auf, riss meine Arme hoch und rief ganz laut „Obazda!“. Gefühlt waren es circa 150 Nämbercher Glubbfans, die sich zu mir umdrehten und mich anstarrten, als hätte ich gerade durchs Stadionmikro gerufen, das fränkische Bier schmecke schal. Für die Nichtfranken zur Erklärung: Bei Obazda handelt es ich um einen sehr leckeren Brotaufstrich aus Camembert, Butter und Rahm.

Nach zehn Jahren in Nürnberg zogen wir in den Norden. Mit ganz viel Dialekten im Gepäck. Ich weiß noch wie heute, wie es war, als ich in der Bäckerei ein Brötchen kaufen wollte und ein Weggla (fränkisch für Brötchen) verlangte. „Das haben wir nicht“, sagte die Verkäuferin. „Ähm, dann eine Semmel. Ach Quatsch, ich mein‘, ich will ein Stritzchen, ein ähm…“ Konnte das echt wahr sein? Hatte ich nach Kassel in Hessen und Nürnberg in Franken nun gar keine Ahnung mehr, wie man sich ein Brötchen bestellt? „Ein Kaiserbrötchen vielleicht?“ startete ich fragend einen erneuten Anlauf. „Wir haben die Sorten >Backfrische< und >Schnittbrötchen<“, war ihre Antwort. „Gut, dann nehme ich vier schnittfrische Backbrötchen“, sagte ich und fühlte mich erleichtert, diesen Kaufvorgang endlich abgeschlossen zu haben.

Inzwischen lebe ich schon lange hier in Norddeutschland und habe mir einiges an- und abgewöhnt. In Nürnberg tauschte ich meine hessische Begrüßung „Guuude“ gegen ein fränkisches „Grüß Gott“. Hier im Norden wiederum gewöhnt ich mir schnell ein fröhliches „Moin“ an. Man sollte meinen , dass ich die norddeutsche Sprache längst beherrschen könne, aber es ist da so ein besonderer Zungenschlag, etwas ganz Lässiges, was den hiesigen Dialekt ausmacht. Ein lieber Freund von mir, der mit mir die Liebe zu Dänemark teilt, schreibt mir gerne mal auf meine Facebookbeiträge auf plattdeutsch zurück, sodass ich den Dialekt lachend lernen kann. Ralf singt mir abends gerne das Liebeslied „Dat du mien Leevsten büst“ vor und hat mir auch die hochdeutsche Übersetzung als Buch geschenkt. Alle sind so bemüht. Und dann lernte ich neulich durch Zufall ein wunderbares neues norddeutsches Wort kennen. Ich merkte, dass ich meine Zunge nicht verknoten muss, um es auszusprechen. Keine Betonung auf Silben oder Vokalen. Es flutschte so locker leicht aus mir heraus, dass ich gar nicht aufhören konnte, dieses neu erlernte Sprachschatzwort in meinem Alltag ständig zu benutzen:

DUMM TÜCH!

Was für ein herrliches Wort und so oft einsetzbar. Wenn der Nachbar sagt, es wird wohl nichts mehr mit dem Sommer dieses Jahr, dann antworte ich „Dumm Tüch“. Der Joghurt aus dem Kühlschrank ist bereits abgelaufen und nicht mehr essbar? Dumm Tüch! Der Bastelschrank müsste mal aufgeräumt werden? Dumm Tüch!

Manchmal komme ich hin und wieder immer noch eine wenig durcheinander. Wenn ich gefragt werde, wie der Rest eines Apfels in meinem Dialekt heißt, dann muss ich lange überlegen, denn ich habe das fränkische, hessische und norddeutsche so durcheinander geworfen, dass ich manchmal nicht mehr weiß, wo welches Wort herkommt. Und wenn mir der Ralf dann wie neulich eine ganz normale Frage stellt, dann ist mein Kopf überfordert. „Wie wäre es, wenn ich uns ein Croque in den Backofen schiebe?“ fragte er mich. Ich weiß nicht, aus welchem Bundesland die Bezeichung Croque stammt, aber weil ich sie von Ralf zuerst hörte, ordnete ich sie immer dem norddeutschen Raum zu. „Was ist jetzt, willst du ein Croque aus dem Ofen?“ fragte er erneut und ich schaute ihn an wie das Kalb Mose. In meinem Gehirn war irgendetwas so verknotet, so fehlgeschaltet, dass ich ihm nicht folgen konnte. Dann platzte endlich der Knoten und ich lachte, bis mir der Bauch weh tat. „Weißt du, was ich dachte?“ fragte ich ihn und zeigte auf meine Crocs, die ich an den Füßen trug. „Ich dachte, du wolltest meine Crocs in den Ofen stellen und fand das sehr, sehr merkwürdig.“ Dann lachten wir gemeinsam und begaben uns in die Küche, um das Essen vorzubereiten.

Und wo ich schon mal beim Thema Essen bin. Auch wenn ich gebürtig aus Kassel komme, bin ich kein Kassler. 🙂

Bei Kasselwiki (http://www.kasselwiki.de/index.php?title=Kasseler_%E2%80%93_Kasselaner_%E2%80%93_Kassel%C3%A4ner) steht dazu folgendes:

Kasseler ist jemand, der in Kassel zugezogen ist, Kasselaner ist jemand, der in Kassel geboren ist, und Kasseläner ist jemand, dessen Eltern bereits in Kassel geboren sind.“

So, nun bin ich aber auch gepannt: Wie sagt man in eurem Dialekt, in eurer Sprache zum Endstück vom Brot?

Ich wünsche euch eine schöne Woche, hoffe das ihr alle gesund seid oder werdet und grüße Euch herzlichst.

Eure Steph ❤

10 Kommentare zu „Dialekte

  1. „Kanten“, sagen die Berliner :-). Und als Kind war die Freude groß, wenn es Krustenbrot gab und ich den Kanten mit gesalzener Butter essen durfte. So viele Erinnerungen werden wach, wenn ich deine Texte lese. Danke und liebe Grüße, Monika

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    1. Hahaha Jane, das ist ja lustig. Deine Migrationsgeschichte ähnelt meiner ja sehr. 😄 Mir wurde mal von einer Österreicherin empfohlen, dass ich eine Eitrige essen müsse, wenn ich in Österreich wäre. Wenn man – wie ich- zu Beginn nicht weiß um was es sich dabei handelt, kann es einem schon merkwürdig vorkommen. 😂

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      1. Hahahaha genau 😂 Das 16er Blech hat sie auch erwähnt. Daheim wollte ich es googlen, habe aber 16 Zoll eingegeben und da kam was ganz anderes raus und meine Fragezeichen im Kopf wurden immer mehr 😂
        Jetzt tut mir der Bauch vor Lachen weh. Danke liebe Jane 😂👍

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  2. In der Pfalz (Südwestpfalz), wohlgemerkt nicht Vorderpfalz – da heißt vieles wieder anders, heißt das so: Guuzje (Bonbon), Schlabbe (Hausschuh), Gelleriewe (Möhren), Sießschmeer (Marmelade), Weck (Brötchen), Grutze (Kerngehäuse vom Apfel), Knerzje (Kanten vom Brot).
    Im Hunsrück, gleiches Bundesland, wurde ich mal gefragt, ob ich ein Stück Wählekuche essen wollte. Hätte ich gewusst, dass es sich um Heidelbeerkuchen handelt, hätte ich sicher nicht abgelehnt 😀

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