
„Nein, alles gut!“ rief ich Ralf aus der Küche zu. In der Hand hielt ich einen Gefrierbeutel, der gefüllt war mit Sonnenblumenöl, Gewürzen und Kartoffelstiften. „Immer noch alles gut!“ rief ich, als ich leise fluchend feststellte, dass ich den Beutel, den ich über meinem Kopf wie eine Diskuswerferin umherschleuderte, nicht richtig geschlossen hatte. Ich muss das ab und zu zu Ralf sagen, denn normalerweise ist die Küche sein Revier und oft denkt er, ich würde Blödsinn machen. So ein Quatsch! Warum ich den Öl-Gewürz-Kartoffelbeutel schüttelte? Ich wollte aus den übrig gebliebenen Kartoffeln des Vortages Pommes machen, und da ich in einem Rezept las, man solle die Zutaten in einen Beutel legen und schütteln, damit sich alles besser verteilt, tat ich eben das.
Wir ernähren uns stets gesund, das sei vorangeschickt. Kohlrabigemüse, Maispüfferchen, Salate, deutsche, asiatische, arabische, türkische, polnische Küche – wir mögen alles gerne kochen und essen. Wenn Ralfs Mutter einmal in der Woche ihre selbstgekochten Kreationen mit frischen Zutaten aus ihrem Schrebergarten vorbeibringt, dann freuen wir uns wie Bolle. Jedoch haben wir auch eine kleine Leidenschaft und die nennt sich Pommes. Wo Ralfs Lust auf die kleinen Kartoffelstäbchen herrührt, weiß ich nicht, bei mir kann ich da genaue Auskunft geben.
Als ich 16 Jahre alt war, lebten wir in einem kleinen Dorf mit 1.300 Einwohnern. Jeden Tag holte uns ein Bus ab und brachte uns in die Kleinstadt zur Schule, nachmittags holte er uns wieder ab. Im Nachbarort gab es eine Zuckerrübenfabrik, in der Kleinstadt wurden Eiswaffeln hergestellt und im weiter entfernten Fritzlar qualmten die Schornsteine der Firma Hengstenberg. Im Grunde lag mehrere Monate im Jahr ein süßlich- saurer Duft über all den Dörfern, den wir längst satt hatten. Was salziges musste her und so liefen wir während der großen Schulpause gerne zum Imbiss in der Stadt. Eigentlich hätten wir das Schulgelände ohne Erlaubnis der Lehrkräfte gar nicht verlassen dürfen, aber die unbändige Lust auf eine Portion Pommes von der „Ketchup-Karin“ ließ uns unvernünftig werden.
Ketchup-Karin war eine Frau im geschätzten Alter von 60 Jahren. Sie hatte blondierte Locken, aus denen der Ansatz raus wuchs und stand mit Leidenschaft in ihrem Imbiss. Sie trug stets eine Kittelschürze, im Sommer auch gerne mal ohne Oberteil darunter. Es rankten Mythen um sie. Einige waren lustig und andere weniger. Wahrscheinlich stimmten sie alle nicht. „Ich hab mal gesehen, wie Ketchup-Karin die Pommes mit der bloßen Hand aus dem heißen Frittierkorb nahm“, erzählte einer. Ein anderer sagte, er hätte gesehen, wie sich Ketchup-Karin unter der Achsel gekratzt habe und ihm anschließend die gewünschte Tüte Pommes – mit der gleichen Hand – überreicht habe. Mir war das egal, auf Gerüchte habe ich noch nie etwas gegeben. Hauptsache Pommes war meine Devise. Denn Ketchup-Karin bot uns Schüler:innen ein ganz besonderes Angebot. Bei ihr gab es die in der ganzen Stadt bekannten Pennerbrötchen. Ich gebe zu dass ich den Namen schon damals nicht in Ordnung fand, allerdings weiß ich auch nicht, woher der Name eigentlich stammt. Beim sogenannten Pennerbrötchen handelte es sich um ein stinknormales Brötchen, in dem sich zwischen den beiden Brötchenhälften eine Portion Pommes befand. Ich weiß, dass ist jetzt für euch vielleicht schwer zu verdauen. Wir aber fanden es als junge Leute oberlecker und flüchteten nur deswegen in den Pausen zu ihr. Eine Mark zwanzig kostete uns der kulinarische Ausritt und wenn wir Glück hatten, dann bekamen wir noch einen Spritzer Mayo oder Ketchup „auffe Pommes“ draufgedrückt.
Hinter ihrem Kiosk hatte Ketchup-Karin einen aufgespannten Sonnenschirm, ein paar Campingstühle und einen kleinen Tisch stehen. Mit den Leuten, die sie nicht ständig wegen einem Pennerbrötchen gängelten, spielte sie da hinten gerne Karten. Manchmal, wenn wir in einer Gruppe auf ihren Imbiss hin zu liefen, mit hängenden Zungen und Riesenappetit, dann schob sie ganz schnell ihr Kioskklappenfenster herunter und hängte ein Schild hinein. „HEUTE KEINE PENNERBRÖTCHEN!“ lasen wir dann. „Wahrscheinlich hat sie heute beim Kartenspiel verloren“, sagte der eine. „Ich glaube eher, sie hatte keine Lust, das Frittenfett zu wechseln“, mutmaßte der andere. Ja sie konnte echt fies sein, die Ketchup-Karin. Als sie plötzlich ein „HIER IST KEINE WECHSELSTUBE!“-Schild in ihr Fenster hing und so manchen jungen Menschen, der kein passendes Kleingeld für ein Brötchen mit Pommes bereit hatte, verprellte, da eröffnete gegenüber der Döner Deniz mit Bonuskarte. Pro Dönerkauf einen Stempel und wenn die Karte mit zehn Stempeln voll war, dann bekam man einen Döner deluxe für lau.
Ich weiß nicht, was Ketchup-Karin heute macht, aber meine Leidenschaft für Pommes hatte zweifelsohne SIE entfacht. Daumendicke Kartoffelstifte direkt aus der Fritteuse mit Gewürzsalz bestreut und so heiß, dass es einem – mitten im Sommer – im Rachen glühte.
Auch in meinem Herzensland Dänemark überprüfte ich die Pommes auf ihre Qualität und kann absolut nur Gutes sagen. „Eine kleine oder eine große Portion?“ fragte mich Ralf, als er zur Bestelltheke des Restaurants „Stoppestedet“ gehen wollte. Er erntete ein müdes Lächeln und wusste, was zu tun war. Als er dann mit der großen Portion quer durch den Laden zu unserem Tisch zurückkam, da raunte die Menge an anderen Gästen und auch ich schluckte. So groß hatte ich mir die Portion gar nicht vorgestellt. Es waren nicht nur Pommes, es war der sogenannte Pølsemix. Dabei handelt es sich um einen Pommes-Würstchenmix mit rohen Zwiebeln und einem Dip. Die Würstchenscheiben sind frittiert und die Kartoffeln – zumindest im Stoppestedet – mit groben Meersalz gewürzt. Lecker! Während ich aß, bermekte ich die unsichtbare Blicke der anderen. Es war, als hätten sie insgeheim Wetten abgeschlossen. Würde die rothaarige Frau an Tisch 5 tatsächlich diese große Portion schaffen? 20 Minuten später…. Auf meinem Teller befanden sich immer noch Reste, etwa in der Größe eines Kindertellers. Ich schnaufte und legte die Gabel zur Seite. Da hörte ich plötzlich ein Prasseln. War das Regen? An diesem schönen Sommersonnentag? Nein, es waren die anderen Gäste, die mir applaudierten. Ich kam mir vor wie ein Amerikaner auf einem Esswettbewerb und schämte mich. Mein Gesicht ging farblich in Konkurrenz mit dem Tomatenketchup. „Lass uns schnell gehen“, flüsterte ich Ralf zu und vergaß, dass wir auf einer Insel waren. Noch Tage später hörte ich Leute am Strand oder in der Innenstadt rufen: „Das ist die Frau mit dem übergroßen Pølsemix!“ Zum Glück musste ich keine Autogramme verteilen oder Fotos mit mir knipsen lassen. 😉
Zum Glück ist der Ralf ähnlich verrückt wie ich. Es ist Jahre her, da waren wir mit seinen Eltern und meiner Mutter mal am Strand der Ostsee spazieren. Wir besuchten den Priwall, eine kleine Halbinsel, die man nur mit einer Personenfähre erreicht, und nach der dreiminütigen Überfahrt bestaunten wir die vielfältige Natur. Wie das nunmal so ist, liefen die Älteren vor uns her, sie unterhielten sich angeregt und schauten nicht nach uns. Warum auch, wir sind ja schon „groß“. Nach mehreren Stunden bestiegen wir ALLE wieder die Fähre, doch leider hatten Ralfs Eltern und meine Mutter das wohl nicht bemerkt. Nach der Fährfahrt gingen wir durch den Fischereihafen Richtung Parkplatz, wo das Auto von Ralfs Eltern stand. Stumm wie ein Fisch klopfte ich Ralf auf den Arm und zeigte mit weitaufgerissenen Augen und ausgestrecktem Finger auf einen Pommesstand in einem Nebengang. „Frisch und knusprig“ stand auf der Tafel vor dem Stand geschrieben. Ich sage euch, ich habe einen Orientierungssinn wie ein Goldfisch im Glas, aber wenn es irgendwo Pommes gibt, dann kenne ich plötzlich die entlegensten Ecken! Ralf sah aus wie mein Spiegelbild. Ebenfalls aufgerissene Augen und eine Zunge, die sich über die Lippen leckte. Wie zwei Kindergartenkinder auf Abwegen stohlen wir uns davon und peilten den Imbissstand an. „Die anderen brauchen mindestens noch zehn Minuten bis zum Auto, bis dahin sind wir längst fertig mit den Pommes und haben sie wieder eingeholt!“ japste ich freudig und rieb mir die Hände. „Genau so machen wir’s!“ jubelte mein Verbündeter mir zu und so gingen wir rasch an den Imbiss und gaben unsere Bestellung auf. Die ganze Heimlichkeit hatte ihren Grund. Hätten wir unserer Pommeslust offen kund getan, dann hätte es gehießen: „Das tut doch nicht not. Wir trinken gleich zu Hause Kaffee und dazu gibt es leckeren Kuchen.“ Kuchen wollte ich ja auch, aber erst mal Pommes! Pommes sind schließlich frittierte Sonnenstrahlen! Ich sage euch, es war kein schönes Erlebnis, dieser Ausflug zum Imbissstand. Ohne Frage war alles sehr lecker, aber aus Angst aufzufliegen, aßen wir so schnell, dass wir uns die Gaumen verbrannten. Zudem bekam ich noch einen Schluckauf, der mich alle paar Sekunden hicksen ließ. Mit noch ein paar heißen Kartoffelresten in der Wangentasche rannten wir schließlich zum Parkplatz, wo uns eine Ralfmama und eine Stephmama erstaunt ansahen. „Wo wart ihr denn?“ fragten sie. „Beson….derheiten der Neben…..straßen ent…..decken“, hickste ich. „Sehr schön da“, ergänzte Ralf nickend. „Dein Vater ist noch mal mit der Fähre rüber, weil er dachte, ihr seid noch auf dem Priwall“, sagte Ralfs Mutter zu ihm. Oh jeh. Pommesscham. Jedoch fand er schnell wieder zu uns und als wir im Auto saßen und Ralfs und meine Kleidung schon sehr nach Pommesbude roch, da konnten wir es nicht mehr verheimlichen. Ja, wir waren auf Abwegen! Für ein Stück leckeren Kuchen war dennoch noch Platz, das hatte ich ja vorher schon prophezeit.
Ich glaube, dass auch andere Menschen gerne Pommes essen. Meine Freundin Jana, die uns im Januar an der Küste besuchte, ließ sich jedenfalls bei einem Strandausflug gerne mit uns beim Pommes Point, unserem persönlichen Lieblings Pommes Laden nieder und auch unser fränkischer Pfarrersfreund aß mit seiner Frau und uns dort gerne mal eine Portion, die beide sehr lecker fanden. Und als unsere Freundin Clara uns im Sommer in ihrem schicken Ferienhaus an der Ostsee fragte, ob wir Nudeln oder Pommes zu Mittag essen wollten, da musste sie mir nur einmal ins Gesicht sehen, um zu merken, dass diese Frage fast schon überflüssig war.
Die Pommeskekse auf dem Foto sind übrigens auch sehr lecker. Man benötigt dazu nur einen einfachen Mürbeteig. Nach dem Backen werden die noch heißen Kekstifte ein wenig in Zucker gewälzt, damit sie aussehen wie frittiert. Als Dip nehmen wir gerne Hagebuttenmarmelade, die kommt dem Ketchup farblich sehr nahe und zusammen mit der Marmelade sind die Pommeskekse wahrlich ein Hit. Wer Lust auf tolle Rezepte hat, dem sei die Seite von Anette empfohlen. Foodtalkapp heißt sie hier bei WordPress und ich habe schon oft eines ihrer Gerichte nachgekocht. Brokkoli-Eier-Ragout, Spargelaufstrich oder Urlaubs-Crumble mit Äpfeln. Von deftig bis süß findet man dort tolle Anregungen, wenn man wie ich mit einem Vegetarier zusammenlebt.
Habt alle eine tolle Woche. Bleibt gesund oder werdet es und fühlt euch lieb gegrüßt.
Herzlichst, eure Steph ❤
Pommes lecker und zum Glück so schön vegetarisch.Vielen Dank auch für den Hinweis auf meine Seite. Spornt mich immer an. Ganz liebe Grüße Annette von foodtalkapp 🙂
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Wunderbar! Ich erinnere mich sehr gerne an unsere unerlaubten Besuche zur legendären Curry-Christa (Ketchup-Karin) auf ein Hippie-Brötchen! Lecker!
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meine Güte Julia, jaaa, es war das Hippiebrötchen, du hast recht! Wie konnnte ich das nur vergessen? Ich glaube, ich habe diesen Namen bewußt vergessen, denn als unser damaliger Englischlehrer mich mal darauf ansprach, warum ich zu Unterrichtsbeginn noch auf der Mädchentoilette statt in seinem Unterricht war, sagte ich lapidar: „Auch ein Hippie muss mal Pippi!“. Das hatte zur Folge das meine Mutter zum Elterngespräch einberufen wurde. Naja, vielleicht lag es auch daran, dass ich ihn anschließend fragte, was eine männliche Lehrkraft auf dem Mädchenklo zu suchen hat. War nicht nett von mir. 😉
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