Herr Schröder taucht ab

Die Möwe schrie so laut, dass ich sie kaum verstehen konnte. Dann merkte ich, dass ich sie ja sowieso nicht verstehen kann, da ich kein möwisch spreche. Wie haben wir uns denn sonst immer verständigt, fragte ich mich. Aber da bemerkte ich schon den Zettel, der mit einem kleinen Ring an ihrem Fuß befestigt war. Ich legte der Möwe ein paar Brotkrumen auf den Tisch, um mich in Ruhe der Lektüre ihres mitgebrachten Briefes widmen zu können: >Aufregung im Zauberwald. Herr Schröder ist weg! Kleiderschrank leer, Baumhaus verwaist. Kauf mal lieber Toffifee, falls er auf dem Weg zu euch ist. Nette Grüße, Matthis Mörpel, Zwergenvorstand<

Ach du grüne Neune. Herr Schröder ist weg, wiederholte ich, was ich da eben schwarz auf weiß gelesen hatte. Aber auf dem Weg zu uns konnte er eigentlich nicht sein, denn die wunderbaren dänischen Weihnachtsnisser, die einem Streiche spielen, wenn man ihnen keinen Milchreis vor die Wichteltür stellt, ziehen doch stets erst im Dezember bei den Menschen ein, und es war Anfang Oktober! Unser Nisse isst keinen Milchreis, er liebt Toffifee über alles. Im letzten Winter hat er so viel davon gefuttert, dass ich ihm auf dem Esszimmertisch einen Trainingsparkour aufgebaut habe, um ihm die Pfunde wieder abzutrainieren. Der kleine Kerl wog so viel, dass der Seeadler Klaus ihn im Januar niemals nicht zurück nach Fanø mitgenommen hätte.

Ich überlegte hin und her, was nun zu tun sei. Zunächst tat mir erst einmal der Ralf leid, denn dieser glaubte ja lange Zeit nicht daran, dass wir um die Weihnachtszeit einen Nisse beherbergen und meinte, ICH wäre diejenige gewesen, die den Käse im Kühlschrank angebissen, den Wohnzimmertisch mit Kleber eingesaut und Glitzer in die Teelichter gegeben hätte. Doch dann, eines Tages vor vier Jahren, sah er ihn auch und wusste, dass es Herrn Kalle Knispel Schröder wirklich und wahrhaftig gibt. Und nun sollte sich Herr Schröder noch früher als sonst auf dem Weg zu uns gemacht haben und bereits im Oktober mit dem Schabernack anfangen? Puh, wir bräuchten wirklich vorsorglich viel Toffifee, damit es gar nicht erst zu den Ulkerein käme.

Aber noch wussten wir ja gar nicht, wo unser kleiner Nisse steckte. Deswegen schrieb ich eine Botschaft in die Fanø-Fangruppe.

Ob jemand derjenigen, die derzeit auf der Insel Fanø sind, Herrn Schröder gesehen haben, fragte ich. Er ist weg, schrieb ich und bat alle, mir Hinweise zu schicken. Diese trudelten auch schnell ein. Mabel schrieb, sie hätte gehört, dass Schröderlein auf Brautschau sei. Antje schrieb, er hätte sich ihre Nissendame ausgeguckt, aber nun, wo er weg war, wäre der Liebeskummer in ihr Haus eingezogen. „Das Ende vom Lied: Meine Flasche Salt-Caramel-Likör ist leer und die Liebelei des Herrn Schröder liegt auf der Liege und schnarcht“, berichtete sie weiter. Oh man, der konnte sich aber was anhören, wenn er zu uns käme. „Herr Schröder war bei uns am Ferienhaus auf Fanø und wollte mitfahren. Dann war ihm aber unser Hund zu groß und weil ich keine Toffifees da hatte, ist er grummelnd von dannen gezogen“, bekam ich einen weiteren Tipp. Anja meinte, dass er, der Schlauberger, sicherlich nach einer Mitfahrgelegenheit sucht, um bei einer eventuellen Grenzschließung noch schnell von Dänemark nach Deutschland zu kommen. Ich fand es so süß, wie sehr sich alle bemühten, bei der Suche mitzuhelfen. Doch dann kam eine Nachricht, die mich leicht erschrocken zurück ließ. Gabi schrieb nämlich, dass just an diesem Tag des Verschwindens von Herrn Schröder ein Lkw in Hamburg-Wandsbek einen kleinen Unfall gehabt habe. Der Lkw-Fahrer habe die Brückenhöhe überschätzt, sodass der Laster an besagter Brücke hängenblieb. Der Lkw hatte 14 Tonnen (in Worten vierzehn Tonnen!) Toffifee geladen. Herr Schröder habe es mit seinem Charme sicherlich geschafft, dort ein paar Pakete seiner Lieblingsleckerei abzusahnen, ergänzte Gabi. Ich saß, die Nachricht auf meinem Handy lesend, kopfschüttelnd am Küchentisch und hoffte, dass es nicht so war, wie Gabi vermutete.

Die Tage gingen ins Land und von unserem Nisser immer noch keine Spur. Wollte er wirklich nach Lübeck kommen, wäre er doch schon längst da! Die Möwe kam täglich und zuckte mit ihren Schultern, wenn ich sie fragte, ob es was Neues von Kalle Knispel gäbe. >Alle sind sehr aufgeregt im Zauberwald. Normalerweise sagt er doch Bescheid wenn er geht< stand auf einem Zettel, der an ihrem Bein befestigt war. Ich seufzte und teilte mein Frühstücksbrot mit Möwi. Der Appetit war mir längst vergangen. Ich sorgte mich.

An Tag 10 kam dann endlich die erlösende Nachricht. Er ward gefunden! >Liebe Steph & lieber Ralf<, schrieben uns sehr liebe Leute, „gestern abend sind wir von Fanø weggefahren und als wir heute morgen das Auto auspackten, da sahen wir eine rote Zipfelmütze zwischen dem Gepäck. Herr Schröder hat sich bei uns ins Auto geschlichen, um mit uns mitzufahren. Er hatte wohl Angst, dass der Seeadler ihn wegen seines Gewichts nicht zu euch bringt. Wir werden nun ein Logistikunternehmen damit beauftragen, ihn zu euch zu schicken.< „Juchuuuh, Herr Schröder ist gefunden!“ schrieb ich alle an, die mitgesucht hatten. „Ralf, du glaubst ja nicht, was eben passiert ist“, rief ich, als er nach Hause kam. „Ein unsichtbarer, freundlicher Geist hat deinen Kleiderschrank aufgeräumt und in Ordnung gebracht?“ fragte er. „Aber nein, denn das bist ja du! Herr Schröder ist wieder da, aber noch nicht bei uns.“ „Hurra!“ rief der Ralf und zusammen tanzten wir ein kleines Freudentänzchen in unserer Küche.

Ein paar Tage später…

RINGELDINGELDONG tönte es. Was war das nur? RINGELDINGELDONG. Mein Wecker konnte das nicht sein, denn der weckt mich mit Licht. RINGELDINGELDONG. Unsere Türklingel klingt doch nicht so? RINGELDINGELDONG. Ich öffnete meine müden Augen und sah durch kleine Schlitze mein Handy auf dem Nachttisch leuchten. RINGELDINGELDONG. Na klar, es war der Wecker in meinem Handy! Ich hatte mir diesen Wecker zusätzlich gestellt, falls mein Lichtwecker – aus welchen Gründen auch immer – zufällig ausfallen sollte. Sicher ist sicher! Normalerweise liegen bei uns keine Handys auf dem Nachttisch, aber da am Vortag etwas geschehen war, musste ich ausnahmsweise mal so handeln. Seit Tagen wartete ich aufgeregt und hielt am Fenster Ausschau nach einem gelben Lkw der Post in dem sich Herr Schröder befinden würde. „Kommst du mit zum Einkaufen?“ fragte mich der Ralf. Er wollte mich ein wenig ablenken und vom aus-dem-Fenster-schauen abhalten. „Na gut“, sagte ich uns trottete ihm mit hängenden Schultern auf dem Weg zum Supermarkt hinter her. „Schau mal, es gibt gefüllte Lebkuchenherzen. Oder hier, geringelte Strumpfhosen“, sagte der Ralf und fragte, ob ich die gerne haben wollen würde. „Ich will keine gefüllten Strumpfhosen und geringelten Lebkuchenherzen, ich will Kalle Knispel Schröder wieder haben“, sagte ich bockig und sah anschließend stumm zu, wie Ralf die Strumpfhose und Herzen in den Einkaufswagen packte. Wieder zu Hause angekommen, öffnete ich unseren Briefkasten und holte neben unserer abonnierten Tageszeitung einen gelben Benachrichtigungszettel heraus. Weil wir nicht anzutreffen und alle unsere Nachbarn aus dem Haus auch nicht da waren, um die Postsendung anzunehmen, könnten wir diese am nächsten Tag abholen kommen. Ich war so wahnsinnig enttäuscht, dass ich fast geweint hätte. Vielleicht könnt ihr meine Enttäuschung verstehen?

„Dann holen wir ihn eben morgen ab“, sagte der Ralf. Als ich die Treppen hinaufging, guckte ich extra böse jede Tür der Nachbarn an. Die waren doch alle daheim! Frau Allesist habe ich beim Fenster putzen gesehen, bei Herrn Komisch riecht es hinter der Tür nach Gulasch mit Rotkraut und Frau Gehdochmalzurtür-Wennsklingelt hat mir vorhin noch zugewunken. Die Drogerie, in dem sich auch unser Postamt befindet, hat samstags nur am frühen Vormittag auf, deswegen habe ich mir den Handywecker zusätzlich zum Lichtwecker gestellt. Damit Ralf oder ich Herrn Schröder abholen gehen konnten.

Eine halbe Stunde später habe ich Ralf zugeschaut, wie er die Treppen hinunter ging und am Fenster gewartet, bis ich ihn auf die Straße treten sehe. Ich sah ihn aber nicht. Die Ampel an der Kreuzung wurde elf mal Rot und Ralf kam nicht aus dem Haus. Bestimmt würde das Postamt gleich schließen oder die Schlange davor wäre so lang, dass er nicht mehr dazu kommen würde, das Päckchen mit dem wertvollen Inhalt abzuholen. In mir loderte es. Bei Herrn Komisch duftet es nach Rotkohl vom Vortag, bei mir roch es nach Ärger. Mein süßes kleines dickes Schröderlein. Ich jammerte ein bisschen herum, die Augen immer noch fest auf den Ausgang unserer Haustür geheftet, da sah ich ihn endlich, meinen Mann. Normalerweise winken wir uns immer zu, aber er war in Eile. Mit energischen Schritten ging er bei Grün über die Ampel und hatte schon bald das Postamt im Sichtfeld. Nervös ging ich in der Wohnung auf und ab und wartete auf die Ankunft Herrn Schröders. Als ich 20 Minuten rein zufällig nochmal ans Fenster trat, da sah ich Ralf und wie er etwas sehr Großes unter dem Arm trug. Das war aber kein Päckchen, dass war ein riesengroßes Paket!

„Ich will hier raus, lass mich endlich raus!“ klopfte Kalle Knispel Schröder von innen an die Kartonwand. „Wir sind ja gleich zu Hause“, besänftigte Ralf ihn. „Warum dauert das so lange?“ fragte der Wicht. „Also bei Klaus & Siggi im Auto ging das schneller!“ beschwerte er sich. „Warum bist du nicht mit dem Auto gekommen, um mich zu holen?“ fragte er. „Weil es nur 500 Meter sind“, antwortete Ralf. „Ach und die Möglichkeit eines Fahrrads hast du nicht in Betracht gezogen?“ „Wir sind ja gleich da.“ „Gleich da, gleich da,“ ätzte Herr Schröder. „Ich will, dass aus dem Gleich ein Jetzt wird!“ Da kamen sie schon die Treppe rauf und wurden von mir freudig empfangen. „Wo warst du denn so lange?“ fragte ich Ralf, während ich ihm das Paket abnahm. „Fang du nicht bitte auch noch an“, stöhnte Ralf und zog sich die Schuhe aus. Er hatte sich noch mit der Nachbarin im Haus unterhalten und wr deshalb so spät aus dem Haus gekommen. „Das Paket ist ja riesig!“ rief ich. „Daraus kann man sich ja ein Häuschen bauen“.

Und dann war er endlich gekommen, der Moment, in dem ich mit einem Cuttermesser das sorgfältig zugeklebte Paket öffnen durfte. Ganz zittrig war ich, da klopfte es schon wieder von innen an den Karton.

Der Karton war auf. Ich legte die oben aufliegenden schönen Herbstservietten zur Seite, kramte mich durch viel Luftpolsterfolie und dann, ja dann sah ich ihn. „Schröderlein!“ rief ich begeistert und klatschte in die Hände. „Jaja, ich weiß, gibt’s was zu futtern?“ fragte er sogleich. „Ein Toffifee jetzt, eines zum späten Mittag und eins am Abend“, versprach ich ihm. „Das kann ja wohl nicht euer Ernst sein?!“ empörte er sich. „Das ist ja …das ist so…also nee, das ist ja wohl wirklich nicht wahr!“ sagte er und sprang vom Küchentisch. „Als ich mit Klaus und Sigrid im Auto von Fanø nach Irgendwohin saß, da ist ein Lkw mit 14 Tonnen Toffifee an einer Brücke hängengeblieben und ich hab’s verpennt! Und nun sitze ich seit 24 Stunden auf einer XXL-Packung Toffifee und soll nur drei am Tag davon kriegen? Wisst ihr eigentlich, wie fies das ist? 3 mal 15 Stück sind in der Packung“, jaulte er. „Wer maulig oder albern wird, der muss erst einmal ein Mittagsschläfchen halten“, sagte ich und legte den kleinen Kerl in sein Bettchen. So hatten Ralf und ich in Ruhe Zeit, uns die schönen Dinge anzuschauen, die in dem Paket enthalten waren.

Herbstservietten, ein Igel, ein Hirsch, ganz viel Toffifee und ein wunderschöner großer Korb mit Moos, Pilzen, Eicheln und Herbstblättern darin. Ein unglaublich schöner Herbstkorb. Dazu noch ganz viel Bastelpapier, wie wunderbar. Herr Schröder schlief zwei Tage durch. Die Reise war wohl anstrengender als gedacht. Am dritten Tag wollte ich ihn wecken, da war er schon wieder weg. „Besuche meinen Freund Waiblinger im Schwabenland und mache vielleicht noch einen Abstecher in den Ruhrpott, wo auch ein Nissefreund lebt. Da will ich Currywurst essen. Bin pünktlich am 1. Dezember wieder da. Tschüssi. Euer Schröder“. Aufatmen bei Ralf. Erstmal keine Schabernack in unseren vier Wänden. Oder vielleicht doch? Schließlich bin ich ja auch noch da. 🙂 Ich werde nachberichten.

Habt alle eine gute Zeit.

Herzliche Grüße, eure Steph ❤

7 Kommentare zu „Herr Schröder taucht ab

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