
Ich konnte mir auch etwas Besseres vorstellen, als an einem Freitagabend auf allen Vieren durch die Küche zu robben und die Bodenfliesen zu putzen. „Wie kann man nur so blöd sein?“ schimpfte ich mit mir selbst und riss ein neues Blatt von der Küchenrolle ab. Ich wollte doch nur einen kleinen Abendsnack vorbereiten und dann so etwas.
Aber ich glaub‘, ich fange mal lieber von vorne an…
Es gibt so Tage, da stehe ich – vorsichtig formuliert – ein wenig neben mir. So wie neulich, als ich duschen wollte. Das Radio im Badezimmer dudelte leise vor sich hin, die Heizung bollerte gemütliche Wärme in den Raum, der flauschige Bademantel hing am Haken, bereit, mich nach der Körperpflege kuschelig einzuhüllen. Ich betrat die Duschkabine und wollte gerade den Duschhahn aufdrehen, da dachte ich bei mir: „Also irgendwas ist heute anders.“ Als ich schließlich – noch rechtzeitig – bemerkte, was da so anders war, klatschte ich mir mit der flachen Hand an die Stirn und stieg wieder aus der Dusche aus. Hatte ich doch tatsächlich noch all meine Kleidung an! „Wolltest du nicht duschen?“ fragte Ralf mich, als ich stumm die Küche betrat und mich auf einen Stuhl plumpsen ließ. „Heute ist mal wieder Verpeiltheitstag“, antwortete ich ihm matt.
Verpeiltheitstage habe ich öfter. Der Ralf kann ein Lied davon singen. Dabei muss ich unterscheiden zwischen einfachen Denkfehlern und Unachtsamkeit. Einen Denkfehler hatte ich zum Beispiel vor ein paar Tagen. Meine Mama hatte uns eine große Tüte Walnüsse geschenkt und während ich abends vor dem Fernseher ein paar der Nüsse knackte, da dachte ich darüber nach, ob man nicht aus den Schalen der Walnüsse etwas Tolles basteln könne. Gedacht, getan. Ich malte drei Nusschalen weiß an, um daraus kleine Käfer zu basteln. Die Geschichte dazu war schon längst in meinem Kopf. Eine kleine Popband namens „The Nuts“ würde ich daraus herstellen. Mit ihren Songs „Gimme, gimme, gimme a walnut after midnight“ und „When a nutsman loves a nutswoman“ würden sie Musikgeschichte schreiben, da war ich mir sicher. Während Ralf die Tagesschau im Fernsehen verfolgte, machte ich mich an seinem Werkzeugkasten zu schaffen und knippste mit der Zange Draht von einer Spule. Drei goldene, drei silberne und drei blaue Drahtstücke legte ich schließlich auf den Wohnzimmertisch, um den tollen Nusskörpern Wally, Willy und Wolly der Popband „The Nuts“ Füße zu verleihen. Die Tagesschau war gerade zu Ende, da fragte Ralf mich, warum meine drei Nusschalenboys jeweils nur drei Beine haben würden dürfen. „Häääää?“ fragte ich ihn. Das ist hessisch und bedeutet so viel wie „Was meinst du?“ oder „Wie bitte?“ oder „Was ist hier los?“. Bei mir bedeutet dieser Ausspruch allerdings auch oft: „Herrjeh, bin ich doof!“. Ich war so dermaßen auf die magische Zahl drei meiner drei Nussfiguren fixiert, dass ich ihnen jeweils nur drei Beine zugestanden hätte. „Mit mir wird’s echt nie langweilig“, sagte ich und knippste, genervt von mir selbst, nochmals drei Drahtfüße ab, um die Musikerband zu vollenden.
Einen weiteren Denkfehler hatte ich im Winter vor ein paar Jahren.
Es war ein eisig kühler Wintertag, als ich morgens mein Fahrradschloß aufschließen wollte, um mit meinem Rad zu meinem Arbeitsort zu fahren.
Der Schlüssel passte allerdings nicht ins Schloß, da dieses aufgrund der Kälte eingefroren war. Um nicht zu spät zu meiner Arbeitsstelle zu kommen, nahm ich kurzerhand den Bus. Auf dem Heimweg ging ich in den Supermarkt und kaufte nicht nur eine Flasche Türschloßenteiser, sondern gleich zwei. Eine für’s Auto und eine für’s Fahrradschloß. Wie klug ich doch war! Ich hüpfte vor Freude über meine Klugheit freudig nach Hause. Sollte der Winter ruhig noch kälter werden, mir doch egal. Ich war ja nun gut gerüstet. Vor unserer Haustür sah ich unser Auto parken. „Super, ich lege gleich mal eine Flasche des Enteisungsspray hinein, weil ich so schlau bin!“, dachte ich bei mir, öffnete den Kofferraum und schmiss das Spray hinein. Dann hüpfte ich munter weiter die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Einen Tag später wurde mir mein Denkfehler bewusst. Mit dem Auto war ich losgefahren, um Wochenendeinkäufe zu tätigen. Lässig stieg ich aus dem Auto aus und war im Begriff, schwungvoll den Kofferraumdeckel zu öffnen, da wurde meine Coolness jäh unterbrochen, denn der Kofferraum ließ sich nicht öffnen. „Eingefroren, ja?“ grinste ich dem Schloß eisig zu und griff in meine Tasche, um das Enteisungsspray hervorzuholen. „Ähm tja, wo ist es denn nur?“ fragte ich mich drei Minuten lang. Leichte Nervösigkeit machte sich breit. Es musste doch irgendwo sein! Dann wurde es mir bewusst: Das Enteisungsspray lag im unerreichbaren Kofferraum! Wie blöd war ich doch gewesen. Wütend über mich selbst ging ich mit stampfenden Schritten in den Supermarkt, um mir Enteisungsspray zu kaufen, welches ich noch vorrätig im Kofferraum hatte, um diesen zu öffnen. Au Backe, war ich doof. „Wenn das so weiter geht, kann ich in Zukunft auf dem Parkplatz unseres Supermarktes aus unserem Auto heraus einen kleinen Handel mit Enteisungsspray eröffnen“, teilte ich Ralf mein neues, aus der Not enstandenes, Geschäftsmodell mit. Man sollte alles immer positiv betrachten.
Und die Unachtsamkeit? Ein Beipiel dafür kann ich selbstverständlich auch aufzeigen. Die Fußmattengeschichte brachte mich damals dazu, ernsthaft an meinem Verstand zu zweifeln. Heute muss ich darüber schmunzeln. Ich arbeitete damals beruflich mit teils schwer erziehbaren Jugendlichen, deren Leben nicht immer leicht war. Ständig sollte ich Leistungsbewertungen oder Verhaltensbeurteilungen über sie schreiben und an das Jobcenter als Auftraggeber versenden. Zeit für „meine“ Jugendlichen blieb da kaum noch und dennoch nahm ich sie mir. Ich war hin und her gerissen zwischen meinen Ansprüchen als Pädagogin an mich selbst und den Vorgaben, die das Jobcenter an mich stellte. An einem Tag kam ich erschöpft nach Hause und stieg die Treppen hinauf zu unserer Wohnung. „Oh, der Ralf hat eine neue Fussmatte gekauft“, bemerkte ich noch und steckte den Schlüssel ins Schloß, um die Tür aufzuschließen. Doch das klappte nicht. Der Schlüssel ging geschmeidig ins Schloß, aber er bewegte sich nicht. Völlig perplex stand ich, die sich eben noch so sehr auf ihren Feierabend gefreut hatte, nun mit Winterkleidung im Hausflur und starrte das Türschloß an. „Das…muss….doch….gehen….!“ sagte ich und ruckelte erneut an dem Schlüssel herum. Doch nichts passierte. Ratlos schaute ich mich im Treppenhaus um, da fiel mein Blick auf die Pflanzen, die die Fensterbank eine Etage höher zierten. Ein großes „Hääää?“ breitete sich in meinem Kopf aus. Das waren doch unsere Pflanzen. Warum standen die denn da oben auf der Fensterbank und nicht auf unserer Etage? Als es dann endlich >pling!< in meinem Kopf machte und ich feststellte, dass ich seit fünf Minuten versucht hatte, die Wohnungstür des Nachbarn aufzuschließen, da war ich wirklich leicht erschüttert und um meinen Geisteszustand besorgt. „Stell dir mal vor, was mir heute passiert ist“, begann ich, als Ralf nach Hause kam und mich glücklicherweise in der richtigen Wohnung antraf. „Du bist überarbeitet“, sagte dieser und brachte mir einen heißen Tee zum Aufwärmen. „Ich bin, wenn man das so sagen darf, ja fast ein wenig froh, dass unser Nachbar schwerhörig ist“, sagte ich, den heißen Tee schlürfend. „ Wenn bei uns jemand so hartnäckig an der Tür geschlüsselt hätte, hätte ich mit einem Besenstiel in der Hand hinter der Tür gewartet“, ergänzte ich.

Oder das Honigbrot. Wir hatten gerade von einer Freundin leckeren Honig aus Dänemark geschenkt bekommen. In voller Vorfreude auf den Genuss trug ich den Honig auf mein Brot auf. Jeder Maurer wäre ob meiner Schmiertechnik begeistert gewesen. Hier nochmal drüber streichen und da noch in die Ecke… meine Brotscheibe sollte überall mit Honig bestrichen sein. „So muss sich ein Maurer fühlen, wenn er Estrich verlegt“, sagte ich mir in Gedanken, während ich mein Honigbrot zufrieden anschaute. Dann schraubte ich das Glas zu und platzierte es auf meinem Frühstücksbrett. Das Honigbrot hingegen stellte ich in den Schrank, wo sonst der Honig stand. „Äääähm!“ sagte der Ralf, als er sah, wie ich das Holzbrett mit dem Honigglas vor ihm auf dem Frühstückstisch abstellte. „Oh nein!“ rief ich selbst und klatschte mir mal wieder mit der flachen Hand auf die Stirn.
Früher, als ich mich selbst noch nicht so wunderbar gut kannte, da habe ich mir darüber tatsächlich Sorgen gemacht. „Bin ich jetzt total verkalkt und habe womöglich eine ernste Krankheit?“ fragte ich mich, wenn ich die Zahnpasta aus der Einkaufstasche nahm und in den Kühlschrank legte oder minutenlang meine Brille suchte, die ich bereits trug. Es gibt Fälle, bei denen auch junge Meschen an Demenz leiden können. Alzheimer ist auch eine besorgniserregende Krankheit. Als ich dann an einer Depression erkrankte, konnte ich mir kaum noch etwas merken und sorgte mich noch mehr. Ich, die einen höheren Schulabschluss hat und keinen Kalender oder eine Facebookerinnerung braucht, um zu wissen, wann welcher meiner Kontakte Geburstag hat, wusste plötzlich nicht mehr, wen sie eben noch anrufen wollte. Vielleicht war ich deswegen ein wenig erleichtert, als ich hörte, dass Konzentrationsschwierigkeiten zum Krankheitsbild der Depression gehören können. Ich habe mich damals, als die Diagnose feststand, sofort in professionelle Hilfe begeben und bis heute dankbar dafür. Alles durfte ich fragen, alles wurde mir ernsthaft beantwortet. „Warum weiß ich plötzlich nicht mehr, wo mein Fahrradschlüssel liegt und warum habe ich die eingekauften Orangen in die Spüle zum abwaschen gelegt, statt in den Obstkorb?“ fragte ich einen der Mediziner der Klinik. Er und alle anderen Ärzte nahmen mir die Sorge. „Wenn man mit seinen Gedanken völlig woanders ist als bei der Sache, die man in dem Moment tatsächlich ausführt, dann kann das schon mal vorkommen. Das geht vielen so“, hörte ich und es beruhigte mich.
„Du bist ein Wirbelwind, so warst du schon immer“, sagt meine Mama oft. „Sie sind eine impulsive und gereifte Persönlichkeit“, sagt mein Therapeut.
„Ich liebe deine Verrücktheiten“, sagt der Ralf.
Ich bin froh über diese Aussagen, denn es bringt mich nicht mehr dazu, an mir selbst zu zweifeln, sondern über meine Faux Pas zu schmunzeln. Außerdem habe ich während meiner Therapie mehrere Achtsamkheitsübungen kennengelernt und das war auch gut so, denn ich war so oft ein „Hans Dampf in allen Gassen“. Während ich mir die Zähne putzte, lackierte ich mir die Fußnägel.Wenn ich Fahrrad fuhr, dachte ich über das Abendessen nach. Beim Telefonieren konnte ich Kreuzworträtsel lösen und trotzdem eine gute Gesprächspartnerin sein. Aber wenn man mit seinen Gedanken natürlich überall ander s ist als bei der eigentlichen Sache, dann passieren solche Sachen wie die mit dem Honigbrot im Schrank. Für mich sind solche Ereignisse heute ein gutes Warnsystem. Ein unsichtbares kleines Licht blinkt dann in meinem Kopf und ich weiß, dass ich achtsamer sein könnte. Dann fahre ich mit dem Rad durch die Natur und denke nicht über das Abendessen nach, sondern steige alle paar Meter von meinem „Pferdi“ ab, um schöne Fotos zu knipsen. Beim Zähneputzen bin ich nur bei meinen Zähnen und seit ich meine Fußnägel ganz in Ruhe lackiere, sehen sie auch nicht mehr aus, als hätte eine Zweijährige drüber gepinselt. Am allerliebsten mache ich meine Achtsamkeitsübungen bei einem Spaziergang am Strand. Ich fühle, wie meine Füße über den unebenen Boden gehen, ich rieche die Seeluft, höre die kreischenden Möwen und die heranrauschenden Wellen. Völlig im Hier und Jetzt bin ich dann und alles andere bleibt zu Hause.
Und die Sache mit der Remoulade, von der ich Eingangs berichtete? Tja, das war mal wieder was. Ich hatte nämlich Tage zuvor in einem Ungeduldswutanfall den Flaschendeckel der Flasche nicht abbekommen und so aufgefetzt, dass der Deckel nicht mehr richtig auf die Flasche passte. Damit die dänische Remoulade nicht austrocknete, hatte ich ein kleines Stückchen durchsichtige Frischhaltefolie draufgepappt. Mit den Gedanken mal wieder ganz woanders, holte ich am Freitagabend die Flasche aus dem Kühlschrank und schüttelte sie so wild, wie es ein Barkeeper nicht besser hätte vormachen können. In Nullkommanix sah unsere Küche aus, als hätte sie die Masern in Weiß. Überall klebte die weiße Creme. Auf dem Messerblock, den Küchenfliesen auf Boden und Wand, dem Tisch, dem Lampenschirm und dem Herd. Nur da, wo sie sein sollte, nämlich auf meinem Teller, da war sie nicht. Zum Glück blinkte mein Warnlicht. „Ralf, wir müssen an den Strand. Und zu essen gibt es heute mal Tiefkühlpizza“, rief ich und das fand der Ralf ganz wunderbar.
Ich wünsche euch eine schöne Herbstwoche mit vielen schönen Erlebnissen. Rauschende Bäume, die ihr Blätterkleid abschütteln, Spinnennetze im Nebel, den erdigen Duft des Herbstes, vorbeiziehende Vogelscharen, knackende Äste unter den Füßen und Dankbarkeit im Herzen.
Herzlichst eure Steph ❤
Liebe Steph, ich hab Nachtdienst und lese gerade deine verpeilt Geschichte. Mach dir nichts daraus. Wenn ich etwas suche schaue ich erst einmal in den Kühlschrank und du glaubst gar nicht was ich da finde. Es ist wichtig das Portemonnaie mit Inhalt zu kühlen oder den Autoschlüssel damit er nicht warmläuft. Aber das ist meistens wenn mein Kopf meinem Körper schon weit voraus ist, eben Zuviel Dinge im Kopf und am Liebsten alles auf einmal machen. Und ganz ehrlich ein bisschen verpeilt ist ok. Da wir leider keinen Steand habe, müssen meine Hunde mit mir ums Feld wandern. Ich wünsche Dir und deinem Mann eine schöne Woche. LG Ursula
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…damit der Autoschlüssel n7cht warmläuft 😆 Hab vielen Dank für deine lieben Zeilen Ursula 😘
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Ach Du liebe Steph! Denk Dir nix dabei, wenn Du wüsstest, was mir so alles schon passiert ist (und noch passiert), ich glaube, ich bin Weltmeister im Unachtsam sein! 😀
Ich bin der einzige hier im Haus, der seinen Namen an der Tür stehen hat… 😮
Ich wünsche Dir, Ralf und Deiner putzigen Band einen wunderschönen Sonntag!
Liebe Grüße,
Werner 🙂
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Ja, ein Namensschild haben wir nun auch an der Tür 😄 Wir wünschen dir auch einen gemütlichen Sonntag lieber Werner. 😘
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Liebe Steph, ich wünsche Dir einen schönen Sonntag und für die kommende Woche keine Verpeiltheitstage. 🌞 LG
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Vielen Dank liebe Gisela 😀
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Liebe Steph, das hast du wieder mal sooooo süß und schön geschrieben. Ich kenne das auch sehr gut, was du da beschreibst und ich bin froh, dass ich mit Hilfe des Yoga Kopf und Körper meistens in Einklang halten kann. Es klappt aber nicht immer und dann muss ich darüber lachen. Humor hilft hier am besten. Bei uns gibts dann nicht Pizza, sondern Pommes :-)))
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Liebe Monika, als ich den Text gestern zu Ende schrieb, da musste ich plötzlich an dich denken. Mit Yogastunden von Monika wäre mir das nicht passiert, dachte ich. 😄 Ja, mit Humor klappt alles besser.
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Das macht dich doch so liebenswert und menschlich. Und du hast den tollen Ralf, der dich genauso will 🙂
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Großartigen Dank liebe Annette 😄😘
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