oder: Wie ich mal versuchte, nicht einladend zu sein

Für Menschen wie mich, bei denen eine altruistische Abtretung diagnostiziert wurde, ist es schwierig, sich nicht hilfsbereit und zugewandt zu zeigen. Mein letztes Hemd würde ich geben für einen Menschen in Not. In der Therapie erzählte ich, dass ich dieses Verhalten wohl von meiner Großmutter vererbt bekam. Im Sommer ist sie stets nach draußen gerannt, um den Männern von der Müllabfuhr eine kalte Dose Cola hinauszubringen. Sie hat auf dem Wochenmarkt viel mehr Wurst und Fleisch gekauft, als es bräuchte, weil dem Metzger die Frau davon gelaufen ist und sie meinte, er wäre mehr denn je auf Einnahmen angewiesen. Selbstredend bekam der Zeitungsausträger immer „eine Kleinigkeit “ vor Feiertagen und die damalige Briefträgerin erinnert sich noch heute an die liebe Frau mit dem großen Herzen. Ich selbst habe von ihrer Großzügigkeit profitiert, da war sie bereits verstorben. Damals nämlich habe ich mit Ralf eine wunderschöne Altbauwohnung besichtigt. Wir waren von Anfang an verliebt in diese Wohnung mit den großen hellen Räumen, dem Stuck an der Decke und den schönen Dielen. Die vier Mitbewerber, auf die wir bei der Wohnungsbesichtigung trafen, bereiteten mir Sorgen, so sehr wollte ich diese Wohnung mieten und bewohnen. Durch Zufall kam in einem Gespräch heraus, dass der potenzielle Vermieter meine Großmutter, die wie schon geschrieben zur damaligen Zeit bereits verstorben war, gut gekannt hatte. Sie hatte damals mit meinem Opa die Leitung einer Jugendherberge inne und besagter Vermieter war angestellter Verkäufer eines Geschäftes, der die Jugendherberge jede Woche belieferte. Irgendwann machte er sich selbstständig und meine Oma hielt ihm weiterhin jahrelang die Treue. Neben unserem netten Auftreten war dies der Grund, warum wir die Wohnung, in der wir heute noch wohnen, zugesagt bekamen. Für mich ein Zeichen aus dem Himmel. Auch nach ihrem Tod ist das Connecting, das meine Oma stets betrieb, zu unseren Gunsten gut ausgefallen.
„Meine Mutter ist ebenso ein hilfsbereiter und alles gebender Mensch“, sagte ich zu meinem Therapeuten. Ich bin damit aufgewachsen, dass sie dem kranken Nachbarn heiße Suppe bringt, Bauarbeitern, die vor ihrem Haus eine neue Leitung verlegen, zum Kaffee in der warmen Wohnung einlädt, dem obdachlosen Menschen, den sie zur Weihnachtszeit vor einem Drogeriemarkt begegnet, einen Schokoweihnachtsmann kauft und für die Nachbarskinder zum Opa- und Oma-Tag in den Kindergarten mitkommt, weil deren Großeltern im Ausland leben. Wenn ich mit meiner Mutter nun auf dem Wochenmarkt war, dann war es wie früher mit Oma. „Sag mal, Brigitte, hattest du heute denn schon Pause? Soll ich mal kurz auf deinen Stand aufpassen, damit du auf Toilette gehen kannst, oder soll ich dir was vom Bäcker zu essen holen?“ fragte sie die Frau am Blumenstand. Wenn ich an meiner Mutter ein hübsches Oberteil sehe und ihr sage, wie schön das ist, habe ich es nächste Woche als Geschenk in einer ihrer Wundertüten, die sie uns 14-tägig schenkt. „Ich erwähne das alles nur, damit sie wissen, aus welchem Stall ich komme“, sagte ich abschließend zu meinem Therapeuten.
Zuvor hatte ich ihm von dem Maler, der nicht mehr gehen wollte, berichtet. „Nächste Woche kommt der Mann vom Sanitärbereich, um unsere Heizung zu reparieren und ich stecke in einem kleinen Dilemma. Der Schornsteinfeger bleibt mittlerweile immer zwei Stunden, weil er uns so cool und nett findet, der Maler wollte auch nicht mehr gehen und nun soll der Heizungsinstallateur kommen. Ich will gerne freundlich sein, aber im Grunde bin ich schon jetzt genervt. Als der Schornsteinfeger da war, wollte ich so gerne mal an seine Knöpfe fassen. Und nein, das ist jetzt nichts Zweideutiges. Man sagt doch, dass es Glück bringt, wenn man einem Schornsteinfeger begegnet und seine Knöpfe an der Uniform berührt. Es war dann allerdings so, dass er von meinem offenen Ohr berührt war und so hat er mir von vielen seiner Probleme erzählt. Das Ende vom Lied war, dass ich nachts wach lag und mir den Kopf zergrübelte, wie man ihm helfen könne.“ „Sie laden andere Menschen dazu ein, ihnen von ihren Problemen zu berichten“, stellte mein Therapeut fest. „Ich bin Sozialarbeiterin, das gehört wohl zu meinem Beruf“, antwortete ich. „Genau deswegen sollten wir an diesem Thema weiter arbeiten, denn sie können nicht die Menschheit retten, sich selbst verlieren und sich Energie absaugen lassen. Fahren sie Bus?“ fragte er. „Manchmal“, murmelte ich. „Bringen sie dem Busfahrer dann auch selbstgeschmierte Brote mit, wenn sie mit ihm fahren?“ Ich schüttelte den Kopf. „Warum bekommt dann der Maler einen sogenannten Fernfahrerteller von ihnen gereicht?“ „Naja“, holte ich aus, „der eine macht meine Wohnung schön und der andere fährt mich von A nach B. Außerdem habe ich jahrelang Ostereier oder Schokoweihnachtsmänner an Buslenkende geschenkt. Das habe ich erst unterlassen, als ich merkte, dass sie dennoch grummelig blieben“, ergänzte ich. „Wir arbeiten, wenn sie einverstanden sind, in dieser Stunde mal an ihrer Rolle, wenn der Heizungsfachmann zu Ihnen kommt“, schlug er vor und ja, das fand ich gut.
Wir haben es sogar in einem Rollenspiel geübt, ist das zu glauben? Da sitze ich bei meinem Therapeuten und übe ein, wie ich mit dem Gas-Wasser-Heizungs-Installateur umgehe, wenn er unsere Heizung repariert.
Tag X, es war so weit. Der Heizungsmann kam die Treppe herauf. In seiner Hand einen schweren Koffer, in seiner Latzhose viele Kugelschreiber und auf dem Mund einen Mund- und Nasenschutz. Mantraähnlich sagte ich mir im Geist vor, wie ich zu handeln hatte. Nur einen Kaffee anbieten und dann verschwinden. Nur einen Kaffee anbieten und dann verschwinden. Nur einen Kaffee… „Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“ fragte ich freundlich und griff schon zu einer Tasse aus dem Schrank, als er seinen Koffer öffnete und sagte: „Nein danke, ich trinke keinen Kaffee.“ Ich änderte sofort mein Mantra und fragte ihn, ob er ein Wasser oder eine Cola möge? Mit einem Auge schielte ich Richtung Esszimmer, wo mein Basteltisch steht. Ich würde heute Pinguine basteln. Passt ja gut zu einer kaputten Heizung. Nein, er wollte kein Wasser, keine Cola und Tee wollte er auch nicht. „Na dann“, wollte ich sagen und ihm mitteilen, dass ich nun in ein anderes Zimmer gehen und ihn seine Arbeit machen lassen würde. Dazu kam ich leider nicht. „Wissen sie, warum ich keinen Kaffee trinke?“ fragte er mich, während er die kastenähnliche Umhüllung unserer Heizung aufschraubte. „Ähm… nein?“ (Ich wollte es auch gar nicht wissen.) „Ich hab Probleme mit dem Blutdruck. Schon lange. Trotzdem habe ich eine Kaffeemaschine. Verrückt, was? Meine Freunde finden das verrückt, dabei habe ich die Kaffeemaschine ja nur wegen ihnen. Wenn meine Freunde zu Besuch kommen, dann sollen sie auch gerne einen Kaffee trinken können“, berichtete er. Ich biss mir auf die Lippen und versuchte, nicht einladend gesprächsbereit zu sein. Keine Nachfrage nach seinen Blutdruckwerten und ob er medikamentös gut eingestellt sei. „Ja, das ist ja nett von ihnen“, sagte ich und trat von einem Fuß auf den anderen. Könnte ich nun endlich gehen und ihn alleine lassen?
„Das mit dem Virus ist schon so’ne Sache“, sagte er und schraubte weiter an der Verkastung herum. Oh mein Gott, er wollte nun doch nicht ernsthaft mit mir über die Pandemie sprechen, oder? „Das Virus stammt eh aus einem Labor, da bin ich mir sicher“, brabbelte er munter weiter. „Hier geht alles zu Grunde und die Chinesen klopfen sich auf die Schenkel. Die verdienen nämlich gut daran. Bei denen ist die Wirtschaft nicht im Eimer. Die lachen sich eins.“ Ich wollte gerade mit langsamen Schritten rückwärts aus der Küche heraus und zu meinem Basteltisch gehen, da drehte er sich herum. „Wissen se, die Manager, die gehen mir auch auf den Sack. Die laufen durch den Stadtpark und tönen laut in ihr Handy, dass sie gerade im Homeoffice sitzen. Dabei machen die sich ’nen faulen Lenz und lachen sich eins. Wie die Chinesen eben. Die lachen sich ja auch eins,“ „Ja, das sagten sie bereits“, antwortete ich und lächelte schmallippig. Wie sollte das hier nun weitergehen? Alles, was ich mit meinem Therapeuten besprochen hatte, funktionierte hier nicht. Obwohl ich keinerlei Gesprächsbereitschaft signalisierte, redete er einfach weiter. Es war, als hätte er mich mit unsichtbaren Handschellen ans Heizungsrohr gefesselt, nur um mich vollzuquasseln. Der Tee, den ich mir bereits gekocht und auf meinen Basteltisch gestellt hatte, war vermutlich schon kälter als die Stimmung hier in meiner Küche mit dem Heizungsmann. Während er schraubend weiterbrabbelte, überlegte ich, ob ich meinen Therapeuten spontan anrufen könnte. Sozusagen als Telefonjoker einsetzend. Allerdings verwarf ich den Gedanken schnell, denn ich kam ja keinen Schritt aus meiner Küche heraus. „Die Lehrer sind die Schlimmsten!“ blaffte er indes weiter. „Nicht erreichbar, nicht ansprechbar, aber schön das Gehalt einsacken. Die sitzen doch mit den Managern im Stadtpark und machen sich ’nen schönen Tag. Für die ist das doch alles super. Geld kassieren und nichts tun. Und unsereins malocht hier rum und soll noch ’nen Laptop kaufen, damit das Kind zu Hause Schule haben kann. Nee nee nee, das soll noch einer verstehen. Verarsche ist das. Sie sind ja auch daheim, haben sie heute Urlaub genommen?“ Völlig überrascht, dass er in seinen Monologen mal eine Frage an mich richtet, schüttelte ich nur stumm mit dem Kopf. „Also keinen Urlaub genommen, was? Sind Sie wohl auch schon aussortiert worden von unserer Regierung? Was machen Sie denn sonst so beruflich, wenn ich das mal fragen darf ?“ >Sag, dass du Lehrerin bist!<, forderte mein Kopf-ICH mich auf. >Sag es einfach, damit hier mal Ruhe ist und du endlich zu deinen Pinguinen an den Basteltisch kannst. Du warst tapfer und hast genug gelernt für heute. Geh basteln und lass den Typen einfach weiter seine Monologe führen. Du bist deswegen kein schlechter Mensch. Sorg für dich selbst, dem Menschen mit seiner Ansicht auf die Welt kannst du eh nicht mehr helfen.<
„Ich muss mal auf die Toilette“, sagte ich indes und sprang wie ein junges Reh, das zum ersten Mal auf die Koppel darf, sofort aus der Küche heraus. Im Badezimmer dachte ich darüber nach, wie lange er wohl noch für seine Arbeiten brauchen würde und wie lange ich im Bad bleiben könnte, ohne dass es peinlich wäre. Auf dem zugedeckelten Klositz sitzend atmete ich erst einmal ganz lange ein und aus. Ein und aus. Ein und aus. Was war denn hier nur passiert? Dieser Mann sollte unsere Heizung reparieren und war mein Testobjekt für meine Verhaltenstherapie. Nun saß ich allerdings wie eingesperrt in meinem eigenen Badezimmer wie eine Katze, die den Hund fürchtet. Zum Glück habe ich in meinem Geist oft noch positive Optimismusperlen, die ich nun aktivierte. >Ist es nicht lustig, dass du neulich, als die Maler da waren, stundenlang nicht ins Bad konntest und nun sitzt du hier in Ruhe minutenlang?< Das war die erste Optmismusperle. >Du hast ihn während der ganzen Zeit nicht zu einem Gespräch eingeladen, das kenne ich nicht von dir und in dieser Situation war das gut!< Das war die zweite Optimismusperle. >Sei froh, dass du ihm nicht einen Frühstücks-Fernfahrerteller angeboten hast, diesen Typen wärst du ja nie losgeworden!< Das war die dritte Optimismusperle, >Du hast für dich gesorgt, sonst würdest du jetzt nicht hier auf dem Klo auf einem heruntergeklappten Klodeckel sitzen!< Das war die vierte Optimismusperle. >Du schaffst das!< Das war die fünfte und letzte Optimismusperle. Gestärkt ging ich aus dem Bad heraus in meine Küche, wo ich sah, dass der Heizungsmann seinen Koffer packte. Ein Stoßgebet gen Himmel schickend verabschiedete ich ihn freundlich distanziert.
Zugegeben war es nicht mein bestes Lehrstück, das ich da ablieferte. So Vieles hätte ich anders machen können. Wie kam er überhaupt darauf, dass Lehrer mit Managerin im Stadtpark sitzen? War er selbst dabei und was machte er denn dann werktags dort? Ich hätte ihm Kontra geben und meine Sicht der Dinge darstellen können. Allerdings wollte ich meine Optimismusperlen nun auch nicht platzen lassen. So schlecht war ich für meine Verhältnisse nämlich nicht. Es tat mir leid für alle Handwerker:innen, die irgendwann mal unsere Wohnung betreten würden, aber ein opulentes Frühstück würde es nun nicht mehr geben. Ein Kaffee ist das einzige was ich anbieten kann. „Weißt du, was ich beim nächsten Mal anders mache?“ fragte ich den Ralf, der mich sehr interessiert anschaute. „Ich trage einfach deine Kopfhörer, die an unserer Stereoanlage baumeln. Wenn ich dann die Tür öffne, sage ich, ich würde gerade Musik hören, deswegen nichts verstehen und zeige nur den Weg zur zu reparierenden Stelle!“ „Hört sich nach einem guten Plan an“, befand der Ralf. „Am besten wäre es jedoch, wenn du die Kopfhörer gar nicht bräuchtest, um dich abzugrenzen, oder?“ Ja, da hat er recht, aber ich lerne ja noch. Ich bin gespannt, was mein Therapeut zu der Sache sagt und innerlich freue ich mich über meine Optimismusperlen, die mich dann retten, wenn ich fassungslos auf dem runtergeklapptem Klodeckel sitze und die Fliesen anstarre.
Die Pinguine wurden am gleichen Tag fertig und haben viele Menschen erfreut. Ich wünsche euch allen eine schöne Zeit mit einer Menge Optimismusperlen in der Schublade.
Herzlichst eure Steph
Ach, Du liebe, gute Steph! 🙂 ❤
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Wunderbar :-). Ich würde auch so gerne einen Kaffee bei dir trinken und sogar mit dir basteln :-). Habt einen schönen Valentinstag, Monika
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Oh ja das wäre fantastisch liebe Monika. Und Yoga würden wir dann auch machen, ja? 👏 Wir wünschen dir auch einen schönen Valentinstag.
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