Frau sein

Es war im Dezember. Ralf und ich brauchten einen Weihnachtsbaum. Zusätzlich müssten noch die Einkäufe für das Fest erledigt werden. Wie gut, dass neben dem Einkaufszentrum ein Verkaufsstand mit Tannenbäumen war. „Ich bring schon mal den Einkaufswagen weg“, sagte Ralf und schob das Wägelchen zu seiner Aufbewahrungsstation. „Und ich geh schon mal vor“, rief ich wobei ich Richtung Tannenbaumverkaufsstand zeigte. Es ist nämlich so: Mit dem dortigen Verkäufer hatte ich noch eine Rechnung offen….

Der Baumverkäufer

Das erste Mal, dass der hochgewachsene Baumverkäufer und ich aufeinander trafen, war vor zwei Jahren. Damals ging ich auch alleine zu ihm, doch er schien mich nicht zu bemerken. Zigarre paffend saß er auf einem Klappstuhl und starrte ins Nichts. Schlendernd ging ich die Reihen der ausgestellten Bäume ab, wobei ich hier und da mal einen der Bäume anfasste oder näher begutachtete. Vom Baumverkäufer keine Reaktion. „Naja, vielleicht macht er gerade Pause“, sagte ich mir, fragte mich allerdings, wie lange die wohl dauern würde. Von Weitem sah ich Ralf zu mir kommen und als er das Gatter mit den Bäumen betrat, da passierte etwas Merkwürdiges: Der Baumverkäufer sprang wie ein Klappmesser aus seinem Stuhl hoch und kam mit schnellen Schritten auf Ralf zu. „Sie möchten einen Baum kaufen? Ich habe hier ganz viele verschiedene. Wie hoch darf er denn sein?“ Äähm… Ich stand angewurzelt daneben und betrachtete mich von oben bis unten. War ich überhaupt da oder gar unsichtbar? „Ralf, ich bin doch da, oder?“ flüsterte ich ihm zu. „Aber ja, du bist hier“, sagte er und lachte. „Aber ich bin schon seit zehn Minuten hier und der Baumverkäufer sieht mich nicht.“ „Vielleicht liegt’s an deiner grünen Jacke“, scherzte Ralf. Als äußerst selbstreflektierter Mensch dachte ich zunächst einmal, dass ich einen Fehler gemacht habe. Aber welchen nur? „Welche Bäume darf ich ihnen denn zeigen?“ fragte der Baumverkäufer Ralf. „Nordmanntannen!“ sagte ich. Doch nichts geschah. „Nordmanntannen“ wiederholte Ralf und schon wies der Verkäufer an, dass man ihm folgen sollte. Fassungslos blieb ich stehen. Was sollte das? „Den nehmem wir!“ sagte ich in bestimmtem Ton und zeigte auf eine Tanne. Es ist überhaupt nicht meine Art, solche Sachen nicht mit Ralf gemeinsam zu besprechen, aber hier fühlte ich eine ganz besondere Atmosphäre und die kannte ich bereits zu genüge….

Schaum im Spülbecken

Ich arbeitete in und für einen feministischen Verein als Vorstand und pädagogische Mitarbeiterin. An einem Tag hatte ich einen Herren zu Besuch, der unsere Büroräume zum Thema Arbeitsschutz hin überprüfen musste. „Sie mögen keine Männer, was?“ fragte er mich nach der Begrüßung. „Och, mein Mann beschwert sich nicht“, sagte ich kurz angefasst, denn diese Frage hatte ich schon zu oft gehört. Wir gingen durch die Räume, wobei er auf seinem Klemmbrett verschieden Dinge notierte.

Da ich immer sehr an Arbeiten, die vor meiner Nase getätigt werden, interessiert bin, fragte ich den Mann, ob er mir sagen könne, worin bei Feuerlöschern der Unterschied zwischen einem Pulver- und einem Schaumlöscher sei? Beide Arten hingen in unseren Räumen. „Sie sind doch eine Frau!“ stellte er fest, bevor er mit seiner Erklärung rausrückte. Bei diesem Eingangssatz konnte es noch spannend werden. Ich zog einen Stuhl vom Tisch hervor und setzte mich, denn das könnte nun länger dauern. Grinsend nahm ich Platz und wandte mich ihm aufgeschlossen zu. „Wenn sie zu Hause das Geschirr abwaschen“, begann er und redete sich in Rage. Von Schaum, der sich wie eine Decke über brennendes Gras legt, ähnlich wie „bei mir in meinem Spülbecken“ und Pulver, das dies eben nicht tut. „Haben Sie das verstanden?“ fragte er mich nach seiner zehnminütigen Ausführung, als wäre ich seine Schülerin. „Nicht wirklich, denn bei uns daheim wäscht mein Mann immer ab“, antwortete ich und sagte ihm im Ton einer Mutter im Homeoffice zu ihrem Kind, dass ich nun dringend weiterarbeiten müsse. Man mag das ein bisschen frech finden, aber ich hatte es nun mal eben lansam satt.

Die Faxen dicke

Es war nämlich nicht das erste Mal, dass mir Fähigkeiten aberkannt wurden, weil ich eine Frau bin. An einem Tag telefonierte ich mit einer Firma, denen ich seit zwei Tagen vergeblich versuchte, ein Fax durchzustellen. Am dritten Tag wurde es mir zu bunt und ich griff zum Hörer. Höflich stellte ich mich und anschließend mein Anliegen vor, dann wurde es kurz still in der Leitung. „Ihr Geschäftsführer soll mich morgen nochmal kontaktieren, ich bin in Eile“, sagte man mir. „Ich bin im Vorstand des Vereins und daher auch als Geschäftsführerin anzusehen“, sagte ich und ergänzte „Es geht hier nur um ein Fax, dieses Problem werden wir doch schnell lösen können.“ „Sie sind im Vorstand?“ fragte der Mann zurück. Was war das denn nun für eine Frage? „Finden sie das ungewöhnlich?“ fragte ich neugierig zurück. Wollte ich die Antwort wirklich hören? Meine Güte, es ging nur um ein Fax und nun weitete sich das Gespräch, für das er eigentlich gar keine Zeit hatte, aus. Ein leichtes Gefühl von Genervtheit machte sich in mir breit. Aber da war auch die Lust, sich zum Thema Frau sein ein wenig verbal zu duellieren. „Sie hören sich so jung an“, zog der Mann seinen Kopf aus der Schlinge. „Ja ja, das sagen meine Enkel auch immer“, wollte ich antworten, aber ich verkniff es mir. „Also wegen dem Fax“, begann er, „da haben sie mit Sicherheit was falsch gemacht! Vielleicht haben Sie das Papier falsch herum eingelegt?“ Meine Neugier war verflogen und machte dem Ärger platz. Na klar würde es daran liegen, dass ich zu doof war, ein Faxgerät zu bedienen. Die dreihundert Mal, wo es geklappt hatte, hatte ich halt einfach mal Glück gehabt. Ich machte Gymnastik, in dem ich mit den Augen rollte. Mehrmals. „Warten Sie mal“, sagte er dann plötzlich, und als er die Hand wieder vom Hörer nahm, da sagte er Folgendes: „Meine Sekräterin hat wohl vergessen Papier in das Faxgerät zu legen, nun müsste es funktionieren.“ Aha…. Augenroll!

Ken ist ein armer Kerl

Als ich acht Jahr alt war, war der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hatte, gerade ausgezogen worden. Räumlich, nicht kleidungsmäßig. Am Bäckerauto, welches zweimal die Woche in unsere Straße kam, um uns frisches Backwerk zu verkaufen, standen die Frauen und strichen mir unerlaubt über den Kopf. „Armes Kind, hast ja nun keinen Vater mehr“, jammerten sie und tupften mit ihren Taschentüchern aus der Kittelschürze ihre Nasen. Ich verstand das alles nicht. War er etwa gestorben? Da er ja auch kaum zu Hause war, als er noch nicht ausziehen musste, war es für mich schwierig einzuordnen, was mir da jetzt fehlen sollte. „Wer repariert denn jetzt deine Sachen?“ wurde ich gefragt. „Na ich!“ antwortete ich selbstbewusst. Schnell nestelte ich das Geld aus meiner Hosentasche, legte dem Bäcker eine Mark neunzig auf den Tresen, nahm das Landbrot und mein Einback und rannte die Treppen hinauf zu unserer Wohnung. „Lass die Leute reden!“ empfahl mir meine Mutter, nachdem ich ihr von den Aussagen der Nachbarsfrauen berichtet hatte. „Wer so viel damit zu tun, hat über andere zu reden, hat vermutlich selbst genug Probleme.“ Und schon war das Thema bei uns vom Tisch. Beschäftigt hat es mich dennoch. Warum waren Männer wichtig, wenn es ums Reparieren von Dingen ging? Ich ging in mein Kinderzimmer und holte meine Barbiepuppe aus der Kiste hervor. Meine Mutter mochte Barbie nicht. Ein völlig unrealistisches Bild von Frauen verkörpere sie mit ihrem ebenfalls unrealistischen Körper. Dennoch durfte ich eine haben. Später kam ein Mann, der Ken dazu. Mein Ken hatte einen Jogginganzug aus Ballonseide an und kam bei mir daher an wie ein Verlierer. Einer, der Jogginghosen trägt, aber noch nie selbst Sport gemacht hat. Einer, der Barbie eine dusselige Kuh nennt, weil er sich in seinem Ego verletzt fühlt, da Barbie Bildung erfahren hat. An diesem Tags stritten Barbie & Ken mal wieder. „Ich fahr‘ zur Volkshochschule, koch‘ du mal die Kartoffeln!“ wies sie ihn an, als sie den Steit für sinnlos und beendet ansah. Dann brauste sie mit ihrem Barbiecabrio davon. Was für eine coole Frau.

Die hübsche Haarmaske

Was ich sagen möchte: Ich mag keine Klischees und Vorurteile. Männer sind so und Frauen sind so. Blablabla. Ich kann durchaus mit einer Bohrmaschine umgehen, wurde von meinem Fahrlehrer für meine Rückwärtseinparkerei gelobt und kriege einen Anfall, wenn ich ein Schuhgeschäft betreten muss, denn ich mag es einfach nicht, Schuhe zu kaufen. Ein(en) Winkelmesser suche ich nicht in der Besteckschublade und Autoreifen habe ich auch schon alleine gewechselt. Ich mag die Farbe Rosa nicht und habe aus diesem Grund meiner Barbie schon als Kind coole Klamotten genäht. Von meinem geliebten Opa mütterlicherseits bekam ich stets Uhren und Bücher geschenkt, denn „Bildung ist das wichtigste Gut, das ein Mensch haben kann“. Vieleicht war ich deswgen ein wenig entsetzt, als ich am vergangenen Montag mit Ralf einkaufen war. Wir betraten ein Geschäft, welches neben sehr vielen Bastelsachen auch Kosmetikprodukte verkauft. Ich mag diesen Laden sehr, aber Kosmetikprodukte würde ich da nicht unbedingt erwerben wollen. Vor Jahren hatte ich dort mal eine Goldmaske gekauft. Zehn Minuten sollte diese einwirken, doch schon nach acht Minuten spannte meine Haut so sehr, als hätte ich mir einen Gummistrumpf über den Kopf gezogen. Und es kam noch schlimmer: Als Ralf mir half, die Goldreste aus meinem Gesicht zu entfernen, sah ich danach aus, als hätte ich am Bahnhof schlechte Drogen gekauft und ausprobiert. Wir betreten den Laden hauptsächlich, um Bastelmaterial zu kaufen. Tonpapier, Farben, Kleber – all so Dinge, aus denen man Schönes gestalten kann. Am Montag waren wir also wieder dort und bekamen das Gespräch einer circa Fünfjährigen und ihrer Mutter mit. Kind (sichtlich gelangweilt): „Mama, was guckst du da denn so lange?“ Mama: „Ich suche nach einer Haarmaske für dich, du sollst doch hübsch aussehen!“ „Puh, und das am internationalen Weltfrauentag“, flüsterte Ralf mir stöhnend zu.

„Das Kind wird vermutlich nie erfahren, was es mit diesem Tag auf sich hat“, antwortete ich ihm flüsternd und schob unseren Wagen in den nächsten Gang. Als eine Bekannte ihr Profilbild am 8. März mit einer Aufnahme von sich änderte, schrieb ein Kommentator darunter: „Jetzt weiß ich, warum heut‘ Weltfrauentag ist bei der Schönheit.“ Ja genau, liebe Männer, darum geht es uns beim Weltfrauentag. Schön auszusehen. Denn hübsch sein ist ja so wichtig. Augengymastik….

Der Baumverkäufer Teil 2

Wir leben im Jahr 2021, und wenn ich daran denke, dass es bis in die 70er Jahre noch die Hausfrauenehe gab, Frauen schuldig geschieden werden konnten und der nicht einvernehmliche Verkehr der Eheleute keine Vergewaltigung darstellte, dann sehe ich, dass wir noch einiges vor uns haben. Super, dass nun endlich die Luxussteuer von 19% (!) auf Monatshygiene aufgehoben wurde. Das war wahrlich Luxus, gell? In erster Linie gehört es für mich dazu, Männern, die das nicht so sehen, aufzuzeigen, dass ich als Frau kein Mensch zweiter Klasse bin. Sondern die gleichen Rechte habe wie sie. Wie heiße es noch in dem Film „Suffragette“? „Ihr könnt uns nicht aufhalten. Wir sind die Hälfte der Menschheit!“ Wenn das als Kampfansage verstanden wird, warum nicht?

Der Baumverkäufer vor zwei Jahren wollte mir keinen Baum verkaufen, da ich als Frau davon keine Ahnung habe. Das hat der Hausherr zu bestimmen. Seitdem sehe ich es als meine persönliche Aufgabe, diesen Mann jedes Jahr wieder an seinem Tannenbaumstand aufzusuchen und aufzuzeigen, wer hier den Rock an hat. Wie ein Geist suche ich ihn heim, bis er es verstanden hat. Wenn ich mir, verdammte Axt nochmal, einen Baum kaufen möchte, dann kaufe ich ihn mir. Wenn er dann mit den Augen rollt, dann war ich erfolgreich. 😉

Habt alle eine schöne Zeit und lasst euch nicht ärgern. Bleibt gesund oder werdet es. Lasst euch nicht die Butter vom Brot nehmen und niemals in euren Rechten einschränken. Habt Humor, denn damit geht vieles einfach einfacher. Herzlichst, eure Steph ❤

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