oder: Der lustige Knopf

Als Chiara Ohoven, Tocher der UNESCO-Sonderbotschafterin Ute Ohoven sich vor etlichen Jahren die Lippen aufspritzen ließ, erstaunte das nicht nur die VIP-Welt. Ihre Lippen sahen aus wie zwei Bockwürste. Ich dachte noch, wie kann sie sich nur so verschandeln? In Interviews wiederholte sie damals immer wieder, sie hätte nichts an sich machen lassen. Ihre Lippen sähen nur dicker aus, weil sie sich blonde Strähnen habe machen lassen. Später gab sie dann auf Druck doch zu, der Natur ein wenig (?) nachgeholfen zu haben.
Inzwischen scheint es ja normal zu sein, sich ohne Not den Körper operieren zu lassen. Als ich neulich mit Ralf aus Spaß eine Trash-TV- Sendung schaute, da kam ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Zwölf Menschen mit C-Promi-Statu,s die durch diverse Fernsehshows tingeln, um dem Publikum zu zeigen, wie sie wirklich sind, verbrachten ihre Zeit auf einer Insel. In diversen Inselspielen machten sie sich zum Affen und zeigten dabei nebenbei auf, wie es um ihren Charakter bestellt war und der war meist nicht wirklich gut. Ich konnte aus anderen Gründen gar nicht mehr wegschauen, und das waren die operierten Gesichter und alles drumherum.
Mische mixen
Mehrere Frauen dieses Senderformats hatten beide Arme, die Oberschenkel und die Hände so dermaßen tätwowiert, dass von ihrer Hautfarbe nichts mehr zu erahnen war. Für sie bedeutet das vielleicht ein Zeichen von Stärke, für mich sahen sie aus, als hätten sie sich in Asche gewälzt und vergessen, sich danach zu duschen. Ich erinnerte mich, wie wir mal eine – inzwischen weggezogene – neue Nachbarin bei uns zu Besuch hatten. Es war ein heißer Sommer und die junge Frau trug stolz ihre Tattoos zur Schau. Auch sie hatte die Oberschenkel tätowiert und eine Geschichte dazu. Auf ihrem Schenkel würde nämlich der Lieblingsspruch ihres Großvaters stehen. Was würde das wohl sein? Kurz überlegte ich, was die Lieblingssprüche meines Opas waren. „Ach, du kriegst die Tür nicht zu!“ oder „Immer wenn du meinst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her, daß du es noch einmal wieder zwingst und von Sonnenschein und Freude singst, leichter trägst des Alltags harte Last und wieder Kraft und Mut und Glauben hast.“ (Lukas 11, Vers 2) Nun warteten Ralf und ich gespannt darauf, welchen Lieblingsspruch ihres Großvaters sie sich hatte verewigen lassen. Sie schob ihren Rock ein wenig hoch und ließ uns den Text selber lesen. Ich kann sehr gut lesen. In der fünften Klasse wurde ich in einem Lesewettbewerb sogar Zweite, aber hier musste ich den Satz mehrere Male lesen und dem Ralf ging es genauso. Hatten wir das tatsächlich richtig gelesen? Schließlich las sie den „Text“ selber laut vor und so wußten wir wenigstens, dass wir richtig gelegen hatten. „Muschi mach mir mal ’ne Mische!“ stand da in schnörkeliger Schreibschrift auf ihrem Bein. Nicht mit Edding, sondern mit Tinte in die Haut geritzt. Von einem Fachmann. Ähm, wir hatten Klärungsbedarf. „Ich bin die Muschi“, begann sie… Ralf und ich klappten synchron unsere offen stehenden Münder zu. „Naja, warum nicht, Horst Seehofer nennt seine Frau, die Uschi, ja auch mit Spitznamen die Muschi, gell?“ rief ich verlegen und fächelte mir mit einer Zeitung Luft zu. Wie gesagt, es war ein heißer Sommer. „Und die Mische?“ fragte Ralf zaghaft. Es war, als wolle man da gar nicht mehr zu hören, aber musste es einfach, weil man sonst nachts im Bett liegen und sich den Kopf zermartern würde, was damit gemeint war. „Er hat gern Cola-Cognac getrunken und ich sollte ihm eine solche Mische mixen“, erklärte sie. „Ach so, oho!“ gaben wir gespielt ein Interesse vor. Abends im Bett schenkte ich meinem lieben Opa einen dankbaren Gedankengruß gen Himmel.
Bauch, Beine, Brust okay
Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen sich tätowieren lassen, ich habe selbst Tattoos. Jedoch mache ich nicht jeden Trend mit. Als ich 18 Jahre alt war, galt es als absolut cool, sich ein sogenanntes Arschgeweih stechen zu lassen. Im Schwimmbad meines Wohnortes sah ich nur noch Frauen mit solchen Tätowierungen, die von einigen Menschen als „Schlampenstempel“ betitelt wurden. Was war ich froh, an ein so gutes Tattoostudio geraten zu sein. Beratung wurde dort groß geschrieben. Man durfte sich anmelden, ein Motiv aussuchen und musste anschließend Monate darauf warten, dieses gestochen zu bekommen. Falls man es sich anders überlegt, und das fand ich gut. Hände, Hals und Kopf wurden zudem aus Prinzip nicht tätowiert, denn da gäbe es einen Ehrenkodex, sagte man mir. An wen waren diese Frauen also geraten? Die derzeitige Mode, sich beide Arme komplett und die Oberschenkel zuzukleistern, ist für mich so wie ein Besuch bei IKEA. Man kauft sich eine hübsche Lampe, ein tolles Bild und merkt später, dass diese zehn andere Wohnungen des Freundeskreises schmücken. Wenn wir alle nur das Geiche haben, was macht dann den Einzelnen aus?
„Schieß doch endlich!“
Die operierten Damen aus dem Fernsehformat jedenfalls sahen zum Fürchten aus. Die Gesichter glänzten, als hätten sie sich diese mit Speck eingerieben. Pudert man nicht mehr, um einen matten Teint zu haben? Nein, nun schmiert man sich Goldrouge an die Wangenknochen und sieht aus wie eine blank polierte Bowlingkugel. Die Mimik ist im übrigen die gleiche, denn durch zu viel Botoxspritzerei tut sich in den Gesichtern nichts mehr. Von mindestens einer Teilnehmerin dieses Showformats weiß ich, dass sie zwei kleine Kinder hat. Ein sehr bekannter Lübecker Professor für Neurologie erläuterte mir mal während eines Referats, wie wichtig es ist, dass die Spiegelneuronen eines Kindes positiv „feuern“. Spiegelneuronen sind ein Resonanzsystem des Gehirns und verantwortlich dafür, ob wir später Mitgefühl oder Freude empfinden können. Lächelt man ein Kind an, wird es zurücklächeln, sofern es das von seinen Bezugspersonen kennengelernt hat. In ihrem Buch „Kalte Kinder“ beschreibt Ingrid Eissele sehr gut, was passieren kann, wenn Kinder von ihren Eltern negative Emotionen oder gar nichts „zurückgespiegelt“ bekommen. Sie empfinden selbst keine Empathie und können sich nicht in die Situation eines anderen Menschen hineinversetzen. Diesen Makel können sie später nicht mehr ausbessern. Wenn ich mit dem Ralf auf der Autobahn fahre und nicht am Steuer sitze, gibt es Momente, in denen mein Fuß bremsen will. Dabei fahre ich das Auto nicht mal selbst. Das ist im Kleinen damit auch gemeint. Sich so sehr in eine Situation reindenken können, als wäre sie einem selbst passiert. Noch ein Beispiel: Wenn der Ralf Fußball schaut und manchmal mit dem Bein schießt, obwohl er nicht in einem Fußballstadion auf dem Rasen steht, sondern bei uns daheim auf dem Sofa sitzt, dann ist das damit gemeint. Ich trage Sorge, ob eine Frau, in deren Gesicht aufgrund von Botox kaum noch Regung zu sehen ist, ihrem Kind Gefühle, wie sie bei der Mimik entstehen, rüberbringen kann. Abgesehen davon sehen solche gebotoxten Gesichter für mich nicht schön, sondern wie gruselig eingefroren aus.
Knallrotes Gummiboot
Schlauchbootlippen muss wohl jede dieser C-Promis haben. Gehört zur Eintrittskarte im „Wahnhaft-Schönsein-Club“. Die Oberlippe lässt sich gar nicht mehr bewegen, was lustig aussieht, aber traurig ist. Und wenn dann noch der Mund offen steht, weil die Damen in der Show dazu aufgerufen wurden, Themen aus dem Spektrum des Allgemeinwissens zu beantworten und die Antwort nicht kennen, dann erinnert das an Karpfen ohne Wasser. Luftschnappend stehen sie mit ihren dicken Mündern da und sehen mit ihren aufgerissenen Augen aus wie Rehe, die nachts beim Überqueren der Straße am Wald in einen Autoscheinwerfer starren. Aber alles, was man nicht in der Birne hat, kann man ja mit ein paar Operationen wieder ausgleichen. Gleiches gilt selbstredend für die Männer. Jenke von Wilmsdorff, der Fernsehjournalist, hat sich neulich für ein Experiment einer Schönheitsoperation im Gesicht unterzogen. Keine Ahnung warum. Nun sieht er aus wie ein an Mumps erkranktes Meerschweinchen mit Augenentzündung und muss sich selbst fragen, ob es das wert war. Wer um alles in der Welt hat ihn gebeten dies zu tun? Ach, du kriegst die Tür nicht zu!
Mehr Platz im Kofferraum
Erinnert sich noch jemand an Sophia Vegas? Die Ex-Frau eines Bordellkönigs ließ sich vor Jahren fernsehreif Rippen aus dem Körper entfernen, um eine schmalere Taille zu haben. Hat man da noch Worte? Das einzige nicht unbedingt Notwendige, das man von Geburt an in seinem Körper hat, sind Weisheitszähne und der Blinddarm. Alles andere gehört da hin und hat Sinn. Ich nehme ja auch nicht den Ersatzreifen und Verbandskasten aus meinem Auto, damit ich mehr Platz im Kofferraum habe. Ich kann durchaus verstehen, wenn Menschen sich zum Beispiel nach einer großen Gewichtsabnahme chirurgisch Hautschürzen entfernen lassen oder sich nach einer Amputation durch eine Krebserkrankung die Brust wieder herstellen lassen. Das ist ein ganz anderes Thema. Mir geht es eher um überhaupt nicht notwendendige Operationen, die diese Menschen danach nur noch gekünstelt und überhaupt nicht mehr schön erscheinen lassen. Die Wimpern aufgeklebt, die Haare mit Extensions verlängert, die Falten gestrafft, die Augenfarbe mit Kontaktlinsen verändert, die Lippen gespritzt, den Busen wie zwei Wasserballons kurz vorm Bersten gefüllt, den Hintern gepusht, den Oberkörper und die Oberschenkel mit Tattoos tapeziert und so weiter und sofort. Werden diese Frauen noch von ihren eigenen Müttern erkannt? Und warum sind sie so aufgewachsen, zu meinen, dass alles an ihnen vorher nicht schön war? Meine Mutter, die wegen ihrer naturroten Haare in der Schule stets gehänselt wurde, sagte mir jeden Tag, wie schön meine roten Haare seien. Das macht sie auch heute noch.
Schnittlauchtee
Dennoch gibt es Dinge an mir, die ich nicht berauschend finde. Da ist zum Beispiel diese Warze an meinem Oberarm. Sie tut nie weh und ist nur so klein wie der Fingernagel meines kleinen Fingers. Dennoch, wenn ich im Sommer T-Shirts trage, schauen Menschen, mit denen ich mich unterhalte, darauf. Das hat mich eine Zeit lang so genervt, dass ich mir Pflaster drüber klebte. Weil der Ralf aber immer so lustige Kinderpflaster für mich kauft, starrten die Menschen erst recht darauf. Eine Bekannte erzählte bei einem gemeinsamen Abendessen, dass man Warzen besprechen könne. In unserem Sozialpädagogenhaushalt stellte ich mir das lustig vor. „Liebe Warze, wir haben uns heute in diesem Stuhlkreis mit Schnittlauchtee und Käsecräckern eingefunden, um mit dir über dein Verschwinden zu sprechen. Nein, nein, an dir liegt es nicht, du bist eine ganz originelle und interessante Warze. Wir dachten nur, dass du dich an einem anderen Ort besser fühlen würdest. Noch Tee?“ Dann kam der Tag, der meine Sicht änderte. Ein Perspektivwechsel sozusagen. Ich arbeitete in einem Kindergarten und befand mich an einem heißen, sonnigen Tag mit den mir anvertrauten Kindern im Garten. Weil ich gerade ein hingefallenes Kind tröstete, saß ich auf der Gartenbank, als Lara (6) sich zu uns gesellte. Sie brauchte keinen Trost, wollte aber auch mal eine kleine Kuschelrunde in meinem Arm haben. Links ein Kind im Arm und rechts ein Kind im Arm schaute ich den spielenden Kindern auf Rutsche, Schaukel oder im Sandkasten zu. „Was ist da das?“ fragte Lara mich plötzlich und strich mit ihren Kinderhänden bewundernd über meine Warze. Da fiel mir – nach Jahren! – endlich eine gute Antwort ein. „Das? Das ist der Gute-Laune-Knopf und der muss immer bleiben“, sagte ich.
Fazit
Ich mag dieses ganze Gekünstelte nicht. Frauen, die Kindern keine Haare flechten können, weil ihre Krallen dafür zu lang sind. Sie können nicht fangen spielen, weil sie in ihren High Heels umknicken. Sie können die Sonne nicht strahlen sehen, weil ihr aufgepimpter Wimpernkranz wie ein Vorhang vor ihren Augen liegt. Sie können einem Kind nicht entgegenlächeln, weil das zu straffe Gesicht keine Regung mehr zulässt. Wenn sie sich mit ihren tätowierten Händen durch ihre Extensions fahren, dann sieht es aus, als krabbele eine Spinne durch ihr Haare. Ich habe keinerlei Angst vor Spinnen, aber DAS gruselt mich. Gerne hätte ich noch einen Teil dieser Trashshow geschaut, einfach, um mich selbst mit meinen Makeln lieb zu umarmen, doch die Show wurde abgesetzt. Das macht mir allerdings nichts aus. Ich schalte einfach meinen Gute-Laune-Knopf an und dann machen der Ralf und ich wieder was lustig Verrücktes.
Bleibt alle gesund oder werdet es.
Herzlichst Steph ❤
Ha ha ha ich lach mich weg : „Muschi mach mir mal ’ne Mische!“ :-)))
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😂
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Sehr anschaulich geschrieben. 🤣 Ich hatte früher künstliche Wimpern, wo noch niemand sowas hatte. Wenn man älter wird, sollte man das ablegen und seine Katze niemals „Muschi“ nennen. So hieß die Katze einer Kollegin. Alle Männer machten sich lustig. Danke für Deinen humorvollen Bericht, liebe Steph.
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag. Herzliche Grüße von Gisela.
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Vielen Dank Gisela 😊
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