
Bei uns am Strand sind in diesem Jahr wieder tolle Sandskulpturen aufgebaut. Ein Affe aus Sand sitzt zum Beispiel auf der Promenade und leckt an einem Eis. Viele Leute lachen verstohlen, weil es für sie nicht erkenntlich ist, dass es ein Eis ist, welches er da in der Hand hält. Letztes Jahr haben wir am gleichen Standort ein Sandmännchen gesehen. Da wurde ich plötzlich schrecklich müde und träumte von früher…
Der Gemeinschaftssandkasten
Bei uns in der Straße gab es in meiner Kindheit genau einen Sandkasten und der stand bei unseren Nachbarn. Es war ein Gemeinschaftssandkasten, denn jeder kümmerte sich rundum darum, dass er abends mit einer Plane abgedeckt wurde oder hatte uns Kinder im Blick, wenn wir darin spielten. Wenn ein Holzbrett wackelte, kam einer der Väter und reparierte das. Meine Mutter bestellte einmal im Jahr frischen Sand und bereitete mir ein tolles Geschenk, als sie mir einen Eimer, ein Sieb und eine Schaufel schenkte. Ich glaube, es war eher ein Ablenkungsmanöver, denn ich nahm verbotenerweise zu gern die Matchboxautos meines großen Bruders mit in den Sandkasten hinunter. Die waren anschließend nicht mehr fahrbereit, da sie wortwörtlich Sand im Getriebe hatten. Man, hatte ich deswegen einen Ärger mit ihm. Hoch und heilig musste ich ihm versprechen, die Finger von seinen Autos zu lassen, beziehungsweise auf keinen Fall damit im Sandkasten zu spielen. Der Sandeimer, den ich geschenkt bekam, war blau und sah trotz seiner zylindrischen Form aus wie ein Haus. Er stand auf einem grünen Sieb, welches den Rasen darstellen sollte. Die Schaufel war der Baum und das Sandförmchen eine Blume. Aber wie das nun mal so ist, vergass ich das Versprechen an meinen Bruder schnell, als einer meiner Freunde im Sandkasten eine Rallyeschanze für Autos aus Sand baute. So schnell meine kleinen Beine mich trugen, rannte ich ins Haus und vergriff mich an seiner Kiste mit den Matchboxautos. Das war im Nachhinein echt blöd, denn den halben Sommer über versuchte ich ihn davon abzuhalten, diese Kiste zu öffnen. In der war nach meinen Spritztouren mit seinen Autos vermutlich mehr Sand als in unserer Sandkiste im Nachbargarten.
Ritterburgen und Rennpisten
Wir liebten es, im Sand zu spielen und durchlebten in diesem Sandkasten alle Stufen der Entwicklung. Als wir im Kleinkindalter waren, haben wir Matschepampe hergestellt, später „Sandkuchen“ gebacken und noch ein wenig später Ritterburgen oder Rennpisten gebaut. Sehr gerne ging ich auch zu meiner Freundin Jasmin, die ein paar Straßen weiter wohnte und einen Treckerreifen als Sandkasten hatte. Doch irgendwann war es einfach vorbei mit der Liebe zur Sandkiste. Dazu habe ich ein Schlüsselerlebnis: Einmal im Jahr besuchte Theresia ihre Großmutter. Theresia war in meinem Alter und kam aus einem anderen Bundesland. Ihre Oma wohnte gegenüber von uns und war etepetete. In ihrer stets sehr aufgeräumten Wohnung dominierten die Farben weiß und zitronengelb. Ich fühlte, dass ich da nicht so richtig reinpasse mit meinen bunten Klamotten, der laufenden Rotznase und Grasflecken an den Knien. Ich mochte Theresia nicht so gerne, denn sie war wie ihre Oma ein bisschen pingelig und trug Kleider mit Puffärmeln und Kragen. Allerdings war es für uns Kinder immer etwas Besonderes, wenn wir mal neue Kontakte hatten und Theresia gehörte mit ihren „Einmal im Jahr-Besuchen“ definitiv dazu. An einem Tag, es war ein heißer Sommertag, spielten wir wieder in der Sandkiste, obwohl uns schon ein wenig die Lust daran abhanden gekommen war. Da kam Theresia aus dem Haus und setzte sich zu uns. In der Hand hatte sie eine Barbiepuppe und den dazugehörigen Ehemann namens Ken. Wir waren alle Barbieverrückt, aber keiner wäre auf die Idee gekommen, Barbie mit in die Sandkiste zu nehmen. „Zeig mal deinen Ken!“ forderte ich sie auf. Ich hatte auch einen, aber der sah in seinem Jogginganzug aus Ballonseide eher aus, als würde er mit einem Strohhalm Sangriaeimer auf Mallorca leerschlürfen. Er hatte einfach nichts Schickes an sich. Weil Theresia immer die neuesten und teuersten Spielzeuge bekam, war ihr Ken bestimmt ein James Bond-Held im Smoking. Es kam anders. Ihr Luxusken hatte nämlich einen Schalter am Hinterkopf, mit dem man händisch seine Augen hin und her bewegen konnte. „Iiih, was macht der da mit seinen Augen?“ kreischte meine zwei Jahre ältere Freundin Sabine und auch ich erschrak. „Wir könnten spielen, dass Barbie und Ken Urlaub am Strand machen“, schlug Theresia vor. „In Abendkleid und Smoking?“ fragte ich entsetzt. „Barbie gehört nicht in den Sandkasten!“ sprach Sabine ein Machtwort. Dann stand sie auf, klopfte sich den Sand von der Hose und ging nach Hause. Weil keiner der Erwachsenen auf dem Schirm hatte, dass wir den Sandkasten tatsächlich noch bespielten, vergassen sie an diesem Abend, die Plane darüber zu stülpen, was zur Folge hatte, dass eine der Nachbarskatzen mehrmals in den Sand kackte. Für uns war das Kapitel Sandkiste jedenfalls erledigt, wir waren älter geworden…
Das Sandkastengate
Als ich viele Jahre später als Erzieherin in einem Kindergarten zu arbeiten anfing, verursachte ich das, was ich später als Sandkastengate betitelte. Als Neue im Team fragte ich nämlich die anderen Kolleginnen, wann die regelmäßige TÜV-Begehung stattfinden und wann der Sand zuletzt ausgewechselt wurde. Stille in der Gemeinschaft. Offene Münder starrten mich an. Ich wusste überhaupt nicht was los war. „So sind’s, die Preußen“, sagte eine Kollegin und alle anderen stimmten in ihr lautes Lachen mit ein. „Neuer Sand? Des ham wir fei all die Jahre net braucht und so bleibt’s a“, antwortete man mir. Und nun war ich diejenige, die alle anderen mit einem offenen Mund anstarrte. Durch irgendwelche Umwege (tralala) erfuhr der Elternbeirat von der Sandsauerei und war mächtig sauer. Eine außerordentliche Sitzung wurde einberufen und dem Trägerverein eine Frist gesetzt. Bis zum Sommerfest sollten alle Spielgeräte überprüft, der Sand ausgetauscht und der Garten bepflanzt werden, sonst würde man hier und jetzt auf der Stelle geschlossen zurücktreten. Ich ging allein nach Hause und überlegte mir während meiner Fahrt in der S-Bahn, ob es tatsächlich preußischer Natur war, wenn man erwartet, dass in einem Sandkasten, der im Jahr über von mehr als 75 Kindern bespielt wird, alle zwei Jahre mal der Sand ausgetauscht wird. Ganz abgesehen vom TÜV. Ich hatte es selbst erlebt, dass eines „meiner“ Kinder sich am völlig verrotteten Handlauf der Rutsche einen Holzsplitter einfing und, erschrocken darüber, anschließend noch die Treppe der Rutsche hinunterfiel, weil eine der Stufen durchgetreten war. Und wer musste anschließend die hochschwangere Mutter des Kindes anrufen, um sie zu bitten, ihr mit einer Platzwunde über’m Auge verletztes Kind abzuholen? Ich. Sowas macht mich wirklich ärgerlich. Aber zum Glück wurde der gesamte Garten schließlich von einer beauftragten Firma neu ausgerichtet. Es wurden Blumen gepflanzt, Sträucher entfernt, ein neuer Zaun installiert, der Sand ausgetauscht und der TÜV mit einer Begehung beauftragt. Die Preußin hat’s gefreut. 😉
Da unten im Sand, da wohnt wer
Ein paar Tage nach der Renovierung rief ich die Kinder zum Mittagessen hinein und während sie alle zum Hände waschen in den Waschraum gingen, bemerkte ich beim Durchzählen, dass mir ein Kind fehlte. „Wo ist Giovanni?“ fragte ich seinen besten Freund. „Im Sandkasten“ sagte der mir und zeigte mit der Hand Richtung Außengelände. „Wie bitte, immer noch?“ fragte ich ungläubig und sah durch’s Fenster des Waschraums nach draußen. Tatsächlich stand er dort und grub mittels einer Schaufel Sand zur Seite. „Was machst du da?“ fragte ich ihn, als ich schließlich draußen neben ihm stand. „Der Teufel wohnt da unten und den will ich finden“, sagte er, die Hand auf die Schaufel wie ein Bauer bei der Feldarbeit gestemmt, zu mir. „Ooookaaaay!“ sagte ich und setzte mich neben sein gegrabenes Loch. Meine Kollegin wäre nun alleine mit den Kindern beim Mittagessen, aber das hier duldete keinen Aufschub. Ich musste ergründen was ihn dazu bewogen hatte, den Teufel zu suchen. Seine Mutter, italienischer Herkunft und erzkatholisch, hatte ihm von personifizierten Teufel erzählt und mehrere Male gedroht, dieser würde kommen und ihn, den Giovanni, holen, wenn er weiterhin Blödsinn machte. Mir stockte der Atem, als ich davon erfuhr. Wenn ich nicht schon gesessen hätte, dann hätte ich es spätestens jetzt getan. Warum hatte sie ihr Kind so geängstigt? Obwohl… wenn ich ihn so sah, wie er den Teufel ausgraben und ihn mal besuchen wollte, dann war das mehr als mutig. Aber der Blödsinn… Was macht man mit dem Blödsinn? Ist Blödsinn nicht auch mal einfach herrlich und macht eine Kindheit aus? Erst neulich hatten Mia (5) und Alba (5) im Waschraum Einwegtücher aus dem Spender genommen, diese mit Wasser benässt, anschließend mit ihren Händen zu einem Knäuel geformt und an die Decke nach oben geschmissen, wo die Klumpen wie dicke Knödel hängenblieben. Natürlich habe ich geschimpft. Als Erzieherin habe ich einen Erziehungsauftrag. Aber insgeheim musste ich schmunzeln. Und bei Giovanni? Da war auf jeden Fall ein Elterngespräch fällig. Nicht um das Verhalten des Kindes wegen. Vielmehr sollte es um das Verhalten der Mutter gehen. Der personifizierte Teufel wohnte also in einem evangelischem Kindergarten in der Sandkiste. Interessant. Dem müssten wir in einem Elterngespräch jedenfalls mal auf den Grund gehen.

Mein Heimathafen
Inzwischen habe ich eine riesengroße Sandkiste in direkter Nähe. Es ist zu schön, an der Ostsee zu wohnen und ab und wann durch den Sand zu laufen. Am Strand werden auch die Erwachsenen wieder zu Kindern. Sie helfen beim bauen eines Staudamms aus Sand oder bauen sich eine Sandburg um den Strandkorb herum in dessen vollendetes werk sie dann ihre Herkunftsstadt in form von Muscheln in die Sandwand hineinbauen.
Ich muss immer lächeln, wenn ich Kindern beim Matschepampe machen zusehe oder wenn ich bemerke, wie sie mit einem löchrigen Eimer Wasser aus der Ostsee holen, um dem Burggraben um ihre Ritterburg herum zu fluten. Man kann Kinder beobachten, die sich Muscheln ans Ohr halten um das „Meeresrauschen“ zu hören. Es riecht nach Sonnencreme und Meer. Alles ist friedlich und schön. Die Menschen sind entspannt und wirken glücklich. Ich bin sehr dankbar an einem solch schönen Ort wohnen zu dürfen.
Herzlichst eure Steph ❤
Danke für die schöne Geschichte und ein tolles Wochenende. Liebe Grüße, Gisela
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Vielen Dank liebe Gisela. Wir wünschen dir auch ein schönes Wochenende. Liebe Grüße Steph
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Hach, das erinnert mich an mein Sandeimerchen damals… Das war aus Blech und mit tollen Bildern bedruckt! 😍
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aus Blech sogar. 😍
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Ja, und das war schöner, als ddie komischen Dinger aus Plastik, die es später gab… 😎
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Auf jeden Fall 👍
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So schön geschrieben liebe Steph. Danke. Wenn wir in Deutschland leben würden, wären wir bestimmt irgendwo in deiner Nähe. Wir mögen die deutsche Ost-und Nordseeküste sehr. Liebe Grüße, Monika
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Das wäre schön 😊
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