Haustürgeschäfte

Es gab eine Zeit in meinem Leben da war ich äußerst begehrt. Wenn ich dann von der Schule nach Hause kam, saßen mindestens zwei – an manchen Tagen auch drei – ältere Männer in unserem Wohnzimmer und wollten sehr gerne mit mir sprechen. „Schon wieder einer?“ stöhnte ich dann und meine Mutter sagte, es ginge doch schnell. Die Wahrheit hinter allem war die Tatsache, dass diese Männer wussten, dass ich bald meinen 18. Geburtstag haben würde und da war ich für sie ein leichter Fang, zumindest glaubten sie das. Bis sie mich kennenlernten…. Jeder von ihnen reichte mir seine Visitenkarte und alle gaben sich sehr höflich. Sie kamen von Krankenkassen, Banken oder aus der Politik und alle hatte das gleiche Ziel. Dass ich ihre Partei, ihre Krankenkasse oder Bank wählte.

Krankenkasse & Co

18 Jahre alt zu werden fand ich irre aufregend, aber eigentlich war das Allerbeste, nach der bestandenen Führerscheinprüfung endlich Auto fahren zu dürfen. Die älteren Männer in ihren Trenchcoats und der Ledermappe unter’m Arm, die mich überzeugen wollten, ihnen beizutreten, traute ich nicht so recht über den Weg. Wie eine siebzehneinhalbjährige, millionenschwere Konzernchefin lud ich sie mir deswegen meist zu zweit ein. Der Königin ist fad, unterhalte man mich, klatsch, klatsch. Wenn der AOK-Mann die Dienste seiner Krankenkasse aufzählte und der DAK-Mann müde lächelte, weil seine Krankenkasse noch bessere Dienste aufwies, dann saß ich einen Apfel essend auf meinem Sessel und hörte mehr gelangweilt als neugierig zu. Sie waren so engagiert, wenn ich sie gebeten hätte, mir einen Zauberapfel zu schneiden, dann hätten sie nicht eine Minute gezögert. Allerdings hat meine Mutter mir gutes Benehmen beigebracht und so gab ich mich charmant und interessiert, auch wenn es in mir anders aussah. Jahre später wusste ich, zuvorkommend sind viele nur, um dich ins Netz zu bekommen, danach kämpfst du mit der Krankenkasse um dies und das und keiner kann sich mehr an das Versprechen, welches er dir vorher gab, erinnern. Ich weiß noch, wie Ralf nach dem schrecklichen Atomunfall in Fukushima unserem Stromanbieter kündigte, weil wir zukünftig Ökostrom bekommen wollten. Auf einmal bot uns unser nun ehemaliger Anbieter Geld und meinte am Telefon, man könne doch über alles reden. Wie ein Exfreund, den man zu recht aus dem Haus geworfen hat, gaben sie sich plötzlich reuig. Zu spät.

Lies uns was vor

Vor mehreren Jahren hatte ich eine Begegnung an der Haustür, die mich noch lange beschäftigte. Ralf war an der Arbeit, ich hatte Ferien, da klingelte es an der Tür. Vor mir standen zwei Frauen in langen Kleidern mit Kragen am Hals und hielten mir ein Buch vor die Nase. Ob ich ihnen daraus wohl vorlesen könne? Etwas irritiert legte ich einen Finger in das Buch, klappte es zu und schaute mir die Vorderseite an. „Heilige der letzten Tage“ stand darauf in großen goldenen Lettern. Als absoluter Bücherwurm, als eine, die im September in den 80er Jahren eingeschult und im Dezember bereits flüssig lesende Schülerin machte es mich betroffen, dass diese beiden jungen Frauen scheinbar nicht lesen konnten und so las ich ihnen aus dem mitgebrachten Buch vor. Sie lächelten selig und als ich mit dem Kapitel fertig war, da wollten sie, dass ich ihnen weiter vorlas. „Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe heute einen freien Tag und noch viel zu tun“, sagte ich, bevor ich die Tür wieder schloss. „Vielleicht können wir mal wieder kommen?“ hörte ich sie sagen. „Jaja“, entgegnete ich. (M)ein Fehler.

Als ich ein paar Tage später von einem Spaziergang in der Natur wiederkam, hing eine Postkarte an unserer Wohnungstür. Darauf zu sehen war Jesus, wie er aus einer Glitzerwolke heraus die Menschheit grüßt. Ich mag Glitzer, aber ich glaube nicht, dass Jesus so verrückt wie ich danach ist. Auf der Karte stand: „Wo waren Sie?“ und „Wir kommen wieder!“. Letzteres klang wie eine Drohung. Sie hatten ihre beiden Namen darunter gesetzt und diese mit Herzchen verziert. „Was soll das alles?“ fragte ich den Glitzerjesus auf seiner funkigen Wolke, doch er blieb stumm.

Weitere Tage später, ich kam gerade vom Einkaufen, hatte ich schon wieder eine Botschaft der beiden Frauen an der Tür. Ich fragte mich, wie sie überhaupt ins Haus gekommen waren, denn wir lebten in Bayern, wo ich das erste Mal Schilder an den Häusern sah, auf denen „Hausieren und Betteln verboten“ und „Treppe frisch gewachst“ sah. Das alles nahm komische Züge an. Ich traute mich kaum noch, die Tür zu öffnen, wenn es klingelte und vertraute mich endlich meinem besten Freund und Ehemann an. „Ralf, die wollten, dass ich ihnen etwas vorlese“, sagte ich. „Und seitdem lassen die mich nicht mehr in Ruhe.“ „Denen hättest du wohl besser mal die Leviten gelesen statt ihnen vorzulesen“, scherzte er, erkannte aber, wie unangenehm mir das alles war. Wir recherchierten, woher diese Glaubensgemeinschaft kam, denn Ralf meinte, dass sie mehr von mir wollten, als dass ich ihnen Seiten aus ihrem Buch vorlese. Es handelte sich um Mormonen.

Als sie ein paar Tage später klingelten, ging Ralf zur Tür. Vor ihm standen die beiden Frauen und hatten einen Teller mit Waffeln in der Hand. In der Mitte steckte ein Herz, auf dem „Wir haben Sie lieb!“ geschrieben stand. Mit den Worten „Das ist sehr nett, aber wir haben kein Intresse an ihrem Angebot“, wies Ralf die Frauen an der Tür ab und beendete das Ganze ein für alle mal. Schon witzig, dass zwei mormonische Frauen ausgrechnet bei uns geklingelt haben. Sie leben nahezu in Askese, hören keine Musik, trinken keinen Wein und lehnen nahezu alles ab, was uns gefällt. Wie gut, dass ich sie nie hinein gebeten habe, denn Ralfs Liebe zur Musik lässt sich nicht verbergen. Es war auf jeden Fall vorbei mit dem missionieren an unserer Tür und ich bat in einem Gebet den lieben Gott, mir doch bitte nicht nochmal jemanden zu schicken, der mich von seinem Glauben überzeugen wollte.

Getrocknete Datteln

„Ein guter Christ missioniert halt gern“, sagte eine Bekannte mir, als ich ihr von meinem Haustürerlebnis berichtete. „Zum einen waren es Mormonen und zum anderen laufe ich zum Beispiel nicht überall herum und erzähle, wie toll mein Glauben ist“, sagte ich ihr. In der Tat war ich beruflich mit Frauen aus aller Frauen Länder betraut. Sie kamen aus Aserbaidschan, Bulgarien, der Türkei, Griechenland, dem Irak, Tschetschenien, Russland, der Ukraine, dem Iran, aus dem Kongo, aus Eritrea, Syrien, dem Libanon, Polen und anderen vielen Ländern. In den Kursen, die ich hielt, erzählte ich ihnen, wie wichtig es auch für ihre Kinder sei, dass sie ihr kulturelles Erbe auch in Deutschland pflegen und gleichzeitig über das Land, in dem sie nun lebten, Bescheid wussten. Kunterbunt zusammen gewürfelt saßen da Menschen vieler Glaubensrichtungen: griechisch- oder russisch-orthodox, Protestanten, Katholiken, Juden, Muslime und so weiter. Sie wußten, dass ich selbst der evangelisch-lutherischen Kirche angehöre und dennoch war das fast nie ein Thema zwischen uns. Ich lasse gerne Taten sprechen und die Einhaltung der zehn Gebote gehört für mich in meinem Leben dazu. Ich aß zu ihrem Fastenbrechenfest mit den Frauen Datteln, obwohl ich diese nicht besonders gerne esse, ich hörte gespannt zu, wie Ewa aus Polen den anderen erzählte, was es mit der Bekreuzigung beim Betreten einer Kirche auf sich hat und zusammen besuchten wir alle eine Synagoge und eine Moschee. Was ich sagen möchte: Keine von uns beanspruchte für sich, den anderen zu bekehren, wir alle akzeptierten uns in dem, was wir waren/sind und zu dem wir stehen. Ach könnte doch die Welt sich etwas davon abgucken…

Add mich!

Mit Schrecken denke ich an den Politiker zurück, der mich in einem Telefongespräch um ein Treffen an meiner Arbeitsstelle bat. Die Kommunalwahlen standen vor der Tür, und während dieser Zeit klingelten häufig politische Parteien bei uns an, um „Klinken zu putzen“ wie es so schön im Deutschen heißt. Der Verein, bei dem ich arbeitete, war autonom, also unabhängig, weisungsfrei und selbstverantwortlich. Auf den Termin freute ich ich nicht wirklich, denn ich kam mir immer ein wenig verschaukelt vor, wenn Kommunalpolitiker:innen sich nur alle „Jubeljahre“ mal blicken ließen und sonst kein gesteigertes Interesse an den Inhalten meiner Arbeit zeigten. Wenn man es genau nahm, erledigte ich nämlich ihre Arbeit. Sie selbst hatten Verträge zur Integrationspolitik unterzeichnet und ich führte diese Tag für Tag aus. Nun ja, der Tag war gekommen und der Politiker betrat unsere Räume. Eine Vorstandskollegin und ich empfingen ihn. Wir zeigten ihm die Räumlichkeiten, erzählten ihm von der fast 40-jährigen Vereinsgeschichte und stellten unsere Projekte vor.

Schon da glaubte ich, ihn gähnen gesehen zu haben. „Ich brauch mal eine kurze Pause und gehe vor die Tür zum Rauchen“, sagte er plötzlich und fragte mich, ob ich mitkommen würde. Eher unwillig, aber im völligen Einsatz für den Verein folgte ich ihm und so standen wir vor der Tür, wo er seine Rauchwolken in die Luft blies. Dort war er dann gar nicht mehr müde und fing das Palavern an. Er erzählte, wie sehr er seine Partei mag, wie toll er als Krankenpfleger sei und dass er neulich sogar von einem Chefarzt um medizinischen Rat gefragt worden sei. Alle seine Patient:innen würden ihn lieben und wenn ich wolle, könne ich ihn ja auch af Facebook adden. „Was bedeutet adden?“ fragte ich. Sofort wechselte er ungefragt zum Du, als er antwortete, dass Adden bedeutet, jemandem eine Freundschaftsanfrage zustellen. „Dann schreibst du mich an und fragst, ob ich mit dir befreundet sein möchte“, erklärte er und schnippste seine aufgerauchte Zigarette auf den Bürgersteig. Ich war irgendwie fassungslos. Da kam er eigentlich zu uns, um uns zu überzeugen, seine Partei zu wählen und nun redete er unaufhörlich von seinem Privatleben und ich sollte bei ihm anklopfen und fragen, ob er mein Freund sein wolle? Da lief doch irgendetwas gewaltig schief, oder? „Ich denke, wir sollten wieder reingehen“, sagte ich und nickte, um dem Ganzen ein wenig Nachdruck zu verleihen. Im Grunde kann man sagen, dass wir ihm als Verein völlig egal waren, er wollte nur sich selbst darstellen. Seine Partei fand sein Auftreten wohl auch nicht so prall, denn wie ich aus der lokalen Presse erfuhr, ist er dort kein Parteimitglied mehr.

Fazit:

Was ich im Fazit sagen möchte ist, dass ich einfach keine Lust darauf habe, dass mich fremde Menschen überzeugen wollen, ihrer Meinung zu folgen. Ich bin eine Frau, die nun schon 43 Jahre auf diesem Planeten lebt. Seit ich denken kann, bin ich ein Mensch, der – Dank der Erziehung meiner alleinerziehenden Mutter – humanistisch geprägt, belesen und gebildet eine eigene Meinung hat und Toleranz lebt. Das freut mich schon deswegen sehr, weil ich täglich (be)merke, wie Menschen, die ihrem Hass fröhnen, ein sehr unglückliches Leben leben. Streit und Zank stehen dort an der Tagesordnung. Ich bin dankbar dafür, offen für andere Meinungen zu sein und wäre in Zukunft dennoch froh, wenn ich nicht ständig mit Menschen zu tun hätte, die meinen, mich umkrempeln zu müssen. Warum muss mir der Klempner, den ich neulich rief, erzählen wie blöd die deutsche Regierung sei? Warum müssen mich fremde Frauen mit Waffeln besuchen und mich fragen, ob ich ihnen etwas vorlese, nur damit ich ihem Glauben folge? Wie in Gottes Namen kommt man dazu, anderen Menschen stets das eigene Denken aufzudrücken? Meine Bekannte Monika zum Beispiel ist eine Frau, die seit Jahren einen eigenen Blog betreibt. Wir schreiben uns hin und wieder und tun uns gegenseitig gut, wenn ich das so sagen darf. Sie hat vor Jahren Yoga für sich entdeckt und berichtet auf WordPress regelmäßig darüber. Ich kann dieses Geschenk von ihr – sie schickt mir auf meine Anfragen hin Links zu Yogaübungen und Videos,- annehmen oder es lassen, es würde unsere Freundschaft nicht berühren. Leben und leben lassen, ohne andere ständig davon zu überzeugen, dass die eigene Meinung die einzig richtige ist, dass finde ich supertoll.

Habt alle eine schöne Zeit.

Herzlichst eure Steph ❤

6 Kommentare zu „Haustürgeschäfte

  1. Hallo liebe Steph, ich kann mich schwach an zwei Herren in dunklen Anzügen erinnern. Die wollten über die Bibel reden und hatten sogar Popkorn zum Selbermachen mitgebracht. Ich hatte damals das erste mal in meinen Leben gesehen, wie man Popkorn macht und es gegessen. Auf was für Gedanken du mich immer mit deinen Beiträgen bringst? Sehr lustig. Vielen Dank dafür.
    Als ich in die Türkei kam, habe ich das erste Mal Datteln gegessen. Es gibt da aber sehr große Unterschiede in der Qualität und Art. Das hatte mir so gut geschmeckt, dass ich mir gleich ein Kilo kaufte und es an einem Tag Tagen aufaß. Danach wollte mein Bauch fast explodieren. Noch heute liebe ich die großen, festen und dunklen Datteln. Ich kann nur nie aufhören, wenn ich erst einmal anfange, sie zu essen. Deshalb kaufe ich sie nicht so oft :-). Herzliche Grüße in den Norden, Monika

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    1. Liebe Monika,
      du magst Datteln und ich nicht. Niemals würde diese Tatsache zwischen uns stehen und genau das finde ich ganz wunderbar. Deine wundervollen Ratschläge und die Links zu Yogavideos möchte ich nicht missen. Danke für alles 😄😘

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