Wildes Wasser

Royal Scotsman

Alles fing an mit einem Freundschaftsbuch im letzten Jahr. Der Sohn meiner Freundin Clara hatte Geburtstag und Ralf und ich beschlossen, dem zukünftig Achtjährigen ein Freundschaftsbuch zu kaufen. Dort würden sich alle seine Schul- oder Vereinsfreund:innen eintragen und von ihren liebsten Dingen berichten können. Selbstredend trugen auch Ralf und ich uns in das Buch ein. Wir schrieben einzeln rein, was wir gerne essen, welche unsere Lieblingsfarben sind und wo wir gerne hinreisen würden. Unter der Rubrik „Was ich für dich tun würde“ kreuzte ich an, dass ich mir für das wunderbare Kind die Haare schneiden lassen würde und dann muss mich der Hafer gestochen haben, denn ich schrieb handschriftlich darunter: „Für dich würde ich mit der Wildwasserbahn im Hansapark fahren.“

Das Kind kennt mich seit seinem vierten Lebensjahr und war nun schon dreimal mit seinen Eltern, Ralf und mir im Hansapark. Es war die letzten drei Jahre immer ein schönes Ritual, diesen Freizeitpark gemeinsam zu besuchen, wenn sie als Familie hier bei uns im Norden urlaubten.

Ich mag die Wildwasserbahn nicht. Sie ist mir, gelinde gesagt, zu wild. Das weiß das Kind und nun freute es sich sehr darauf, mit mir ins wilde Wasser zu steigen…

Kettenkarussell

Ich bin eher die Kategorie Kettenkarussellkind. Sich schön im Kreis rumfahren lassen, die Hände an den Ketten festhaltend und die Beine baumelnd. Romantischer Spaß für eine Frau wie ich in den 40er Jahren ihres Lebens. Die Blumenblütenbahn würde ich auch zu gerne mal mitfahren, die fährt nämlich in ganz ruhigen Gewässern nur einmal in einem überschaubaren Kreis, aber erstens will ich nicht, dass meine Freunde dann gähnend auf mich warten müssen und zweitens machen mir die künstlichen Plüschbären in dem Fliegenpilzkarussell welches von dem Blütentraumboot umschifft wird ein wenig Angst.

Sushi Bolognese

10:15 Uhr: Der Spaß geht am Kettenkarussell los. Mein Herz hüpft vor Freude, ich renne zu einem mir ausgesuchtem Sitzplatz und mach mich fest. Vor Aufregung habe ich gar nichts gefrühstückt. Soll ich eher im Innen- oder Außenkreis sitzen? Lieber innen, denn meinen Mut muss ich mir erst aufbauen. Ein Mann kommt vorbei und schaut mir zwischen die Beine. Ich will mich gerade empören, da sehe ich, dass es der Kettenkarussellkontrolleur ist und er nur wissen will, ob ich mich auch fest gemacht habe. Geht’s jetzt endlich los? Wie im Theater kommen auch hier Leute verspätet angelaufen. Abgehetzt setzen sie sich hin und jetzt muss der Kontrolleur nochmal schauen kommen. Ich puste mir genervt eine Strähne aus dem Gesicht. Mein Magen knurrt. „Wir haben Sushi dabei!“ rufe ich unserer Freundin, die eine Reihe vor uns sitzt, zu. Sie denkt zuerst an was zu essen. Erinnert sich dann aber daran, dass Sushi ein gebastelter Fisch in einem Sauce Bolognese-Glas ist. Wir nehmen ihn fast überall mit hin und machen tolle Fotos mit ihm. Juchuh, es geht los. Der Kettenkarussellkontrolleur drückt einen Knopf und schon werden wir nach oben gefahren, wo wir auch sofort anfangen, uns rundherum zu drehen. Huuui, ich fliege. Das erste Fahrgeschäft wäre also geschafft. So langsam kann ich mich steigern. Es geht zum kleinen Zaren, einer Achterbahn für Kinder ab drei Jahren…

Der kleine Zar

Das Fahrgeschäft des kleinen Zaren liegt hinter einem Bretterzaun, sodass man nicht hinein gucken kann. Das hat man, so vermute ich, gemacht, damit man seine Kinder nicht selbst fotografiert, denn man kann und soll für fünf Euro ein Bild seines Kindes kaufen. Ich muss kurz lachen, denn im letzten Jahr ist mein Start in dieser Bahn ein bisschen anders verlaufen, als ich es wollte. Damals war ich mit dem Sohn unserer Freundin da drin und dieser hat den Bügel unserer Kabine heruntergelassen, als ich noch nicht ganz drin war. Ich sage euch, da stand mir so früh am Morgen schon der Angstschweiß auf der Stirn. So sehr ich es auch versuchte, ich konnte mich da nicht mehr reinquetschen. Einzig meine Beine waren unter dem Bügel, mein Po war auf dem Rand platziert. Ich betete, dass der Mann, der das Fahrgeschäft mit einem Knopf anstellt, mich noch sieht, bevor es losgeht. In Gedanken las ich schon eine Schlagzeile über mich: +++ Frau über vierzig hängt in Fahrgeschäft für Dreijährige fest. Muss sie den Feuerwehreinsatz selbst bezahlen? +++ Doch es ging nochmal alles gut. Der Mann sah mich, löste den Bügel und ich konnte endlich auf meinen Sitz rutschen. Puh. An diesem Tag fährt Ralf mit. Wir, die draußen warten, müssen lachen, denn wir hören, wie Ralf so laut schreit, als wäre er in einer Zehnerloopingachterbahn. Das macht er für den Sohn unserer Freundin, der das zum Brüllen komisch findet. Die zweite Runde fahre ich dann mit. „Noch ’ne Runde!“ rufe ich selbstbewusst, doch wir müssen uns noch steigern, deswegen gehen wir weiter. Schließlich steht am Ende noch die Wildwasserbahn an.

Royal Scotsman

Im Royal Scotsman, einer Lokomotivachterbahn für Kinder ab neun Jahren, fängt’s für mich schon an, brenzlig zu werden. Als wir losfahren, bemerke ich, wie etwas qualmt und das finde ich nicht gut. „Da vorne brennt’s, wir müssen hier raus!“ sage ich zu Ralf, der neben mir sitzt. „Das ist die Lok, das muss so sein“, antwortet dieser und drückt meine Hand ganz fest, damit ich weniger Angst habe. Es geht sehr steil einen Hügel hoch und dort sehe ich plötzlich einen Looping. Dieser gehört klar zur Nachbarachterbahn namens Nessie, aber weil ich immer ein wenig verrückt werde, wenn ich Angst habe, könnte ich mir nun vorstellen, dass jemand die Weichen anders eingestellt hat und wir jetzt mit der immer noch qualmenden Lok durch den Looping tuckern. Ich mache am besten einfach die Augen zu. Doch just in dem Moment geht es steil bergab. Wir werden nach links und nach rechts in die Kurven gedrückt, wo Ralf seine Maske verliert, weil ein Gummiband gerissen ist. Gerade, als ich merke, dass die Bahn doch nicht so schlimm ist wie ich dachte, ist die Fahrt auch schon wieder vorbei. Das einzig gruselige an dieser Lokomotive ist die Bremsung, die aus heiterem Himmel kommt und so stark ist, dass wir mit einem deutlichen Kopfnicker wieder am Startplatz ankommen.

Störtebekers Kaperfahrt

Fünfmal wollen Clara, ihr Sohn und Ralf mich überreden, nun mit ihnen die Loopingachterbahn zu fahren. Ich lache heiser, sage mehrmals „Im Leben nicht!“ und frage mich, wie sie auf diese irrsinnige Idee kommen. Ich hatte gerade im Royal Scotsman schon kurzzeitig Schnappatmung und nun soll ich in einen Looping? Das die Drei nicht locker lassen, freut mich, denn es zeigt, dass sie mich bei diesem Spaß gerne dabei hätten. Sogar Claras Mann, der selbst nicht gerne Achterbahnen fährt und meist unsere Taschen trägt, sagt mir, wie harmlos diese sei. Als Ingenieur kennt er sich mit Elektronik und Maschinen aus. „Ich bin nicht so gerne umgedreht in Fahrgeschäften“, sage ich und das akzeptieren sie natürlich. Während die drei sich rennend auf zum Looping machen, schauen Claras Mann und ich uns eine neu gebaute Häuserzeile im Stil der Hanse an. Dabei entdecke ich eine große Schnecke aus Stein, die den anderen verborgen blieb, einen wunderschönen Schmetterling und eine Feder, die vor meinen Füßen liegen bleibt. Wenn man eine Feder findet, ist der eigene Schutzengel nicht weit. „Feathers appear when angels are near.“ Ich freue mich, dass meine Lieben im Himmel heute anscheinend bei mir sind und schon reißt der Himmel auf und die Sonne scheint. Haaach. In „Störtebekers Kaperfahrt“ lassen wir uns zu viert in einem runden Schlauchboot kreiselnd eine kurvige Rutsche runterfahren, fahren im Barracuda Slide in Minibooten ein Wettrennen und lassen uns in sich drehenden Tassen umherwirbeln („Pow Wow“). In diesen Riesentassen zu sitzen macht mir immer Spaß. In der Mitte befindet sich ein runder Teller, und wenn man diesen zusätzlich dreht, dann wird man immer schneller. Ralf und Claras Sohn drehen ganz wild an dem Rad und ich lehne mich entspannt zurück, weil es gar nicht schlimm ist. Doch dann bemerken die beiden, dass sie die ganze Zeit falsch herum gedreht haben und nun, wo sie die richtige Richtung herausgefunden haben, kann ich von der Landschaft nichts mehr sehen. Alles dreht sich, alles bewegt sich. Taumelnd steigen wir aus und müssen uns kurz berappeln. In der Ferne entdecke ich eine Hüpfburg. Dort würde ich jetzt zu gerne hüpfen, aber meine Beine sind immer noch aus Gummi. Ein Vater neben mir sagt zu seinem Kind, dass das Babykram sei und gerade deswegen will ich da rauf. Man ist nie zu alt für irgendwas. Doch dann erinnere ich mich an die Wildwasserbahn und denke, ich sollte weiter wilde Sachen machen, damit ich sie später halb so wild finde.

Kärnapulten

Dann kommt das Katapult mit dem Namen Kärnapulten. Man sitzt mit 11 anderen Menschen in einem Katapult, wobei jeder auf einem einzelnen Sitz Platz nimmt. Links und rechts hat man Holzflügel, die man mit einem Schraubstockähnlichen Stick drehen kann, um sich zu überschlagen. Auf und ab kreisend fährt das Katapult in 22 Metern Höhe. Mein Mund wird trocken. Neidisch schaue ich auf einen Hund, der an einem Brunnen aus einem Napf trinkt. Ich war im letzten Jahr schon in diesem Fahrgeschäft und fand es nur mäßig gut, weil ich ganz vorne saß. Während wir durch die Luft flogen, sah ich, dass der Mann, der das Gechäft anschaltet, sich mit einem Stelzenläufer unterhielt und trug Sorge, dass er uns da oben vergisst und Feierabend macht. Da ging es mir dann nicht so gut. Dieses Mal will ich überprüfen, ob das alles wirklich so schlimm war, deswegen stelle ich mich ohne Murren mit Clara, ihrem Sohn und Ralf in die Warteschlange. Dort treffen wir auf einen Jungen, der etwa zehn Jahre alt ist und allen anderen ungefragt das Fahrgeschäft erklärt. Bei dem Punkt, wo er das mit dem sich Überschlagen erklärt, höre ich ganz konzentriert zu, denn das will ich auf keinen Fall selbst verursachen. Ralf und Clara haben einen Platz ausgesucht, der für mich weniger schlimm sein soll, die Guten. Er befindet sich ganz hinten. Doch beim Einsteigen sehe ich auf einer Computertafel, dass genau dieser, mein Sitz, gelb leuchtet. „Der ist kaputt!“ rufe ich. Doch dann wird mir erklärt, dass auf dem Computerbildschirm angezeigt wird, welcher der Sitze sich wie oft überschlagen hat. Nach meiner Fahrt wird dieser Stuhl jedenfalls nicht leuchten! Wir steigen ein und es geht los. Ich kann die Ostsee sehen und die Tiefe unter mir. Ich versuche mehr Halt zu bekommen und greife nach den Schraubstöcken links und rechts von mir. Da beginnen die Holzflügel sich zu bewegen und ich lasse sofort wieder los. Muss das denn so hoch sein? Wie lange geht denn so eine Fahrt? Nicht, dass der Fahrgeschäftmann sich wieder mit irgendwem unterhält. Ich will Ausschau nach ihm halten, aber bei dem Blick nach unten kriecht die Angst in mir hoch. Ich schließe meine Augen und plötzlich ist alles viel angenehmer. Falls Claras Mann jetzt von da unten Fotos macht, dann bin ich die, die völlig verkrampft und mit geschlossenen Augen in dem Polstersitz hängt und betet, dass die Fahrt vorüber ist. Als es geschafft ist, möchte ich am liebsten den Boden küssen, lasse es aber wegen der vielen Zuschauer:innen. Puh das war heftig. Und ich soll gleich noch in die Wildwasserbahn? Kurz überlege ich, ob ich Claras Sohn nicht doch anbieten soll, mir die Haare für ihn abzuschneiden.

Wildwasserfahrt

Die Bahn ist älter als ich. Ob sie auch Arthrose oder andere Beschwerden hat? Flugrost vielleicht? Ermüdetes Material? Clara sagt, ich dürfe mir das Ganze gerne noch einmal überlegen und das finde ich unglaublich lieb von ihr. Allerdings gibt es für mich kein Zurück, denn ich habe es ihrem Sohn versprochen und mich mental monatelang darauf vorbereitet. Zusätzlich hat mir Claras Mann vorher Instruktionen gegeben. Ich weiß genau, wo ich sitzen muss, damit es nicht so schlimm wird. Blöderweise gibt es keine Warteschlange und wir können sofort einsteigen. Die Sitzflächen sind nass, das Boot als solches geräumig. Ralf sagt, ich solle meine Füße auf die Rasten stellen, doch bevor ich begreife, was er damit meint, ruckelt unser Boot schon los und schippert durchs wilde Wasser. „Ist ja gar nicht so schlimm“, sage ich und drehe mich zu Ralf um, der hinter mir sitzt. Dadurch entgeht mir, dass wir eine kleine Rutsche runterfahren. Splash! Wasser platscht in unser Boot und wir werden schon das erste Mal so richtig nass. Als sei gar nichts gewesen, dümpelt unser Boot weiter durch den Kanal. Meine Strumpfhose ist komplett nass. Mein Rock auch. Ich fühle mich, als hätte ich in die Hose gemacht. Zum Glück scheint die Sonne heute so stark und schön. Dann wird unser Boot wie von Geisterhand auf ein gummiertes Förderband geschoben und wir werden ruckelnd einen Hügel hochgezogen. Für mich ist das der schlimmste Teil dieser Operation. Ich habe tierische Angst, mit dem Boot rückwärts wieder runterzurutschen. Vielleicht ist ja das Gummi brüchig? Jetzt ist es definitiv zu spät, um auszusteigen. Ich atme, als hätte ich starke Wehen. Wie lange geht denn dieses Hochfahren noch? Müssten wir nicht schon längst oben sein? Dann sehe ich plötzlich vor uns nichts mehr und das bedeutet, dass wir…… „Aaaaaaaaaaaargggggh!“ schreie ich, als wir mit dem Boot den Hügel hinunterrauschen. Völlig berauscht mit Adrenalin wundere ich mich nicht, dass keine Zuschauermenge klatscht, kein Feuerwerk entzündet wird und mir keine Tapferkeitsmedaille verliehen wird. „Ich will nochmal!“ rufe ich und das finden die anderen ganz stark. Meine Strumpfhose ist sofort wieder trocken und ich beschließe, der Herstellerfirma Falk einen Erfahrungs- und Dankesbrief zu schreiben. Das aber später. Für’s Erste freue ich mich unfassbar darüber, dieses Monster geritten zu haben, denn nun kann es mir nichts mehr anhaben.

Das war ein megatoller Tag im Hansapark. Müsste ich als Schülerin einen Aufsatz über mein schönstes Ferienerlebnis schreiben, dann sähe es in etwa so aus: Ich bin in einem runden Schlauchboot eine Wasserbahn heruntergekreiselt, habe als Fahrgästin in einer Achterbahn für Dreijährige großmutig „Noch ’ne Runde!“ gerufen und habe mich in einer sich kreisenden Riesentasse ausgiebig schwindelig drehen lassen. So sehr, dass meine Beine anschließend wie aus Gummi waren und ich deswegen nicht auf die Hüpfburg konnte.

Ich habe Fußspuren von Dinos entdeckt, sah ein Licht am Ende des Tunnels und habe Künstlerinnen beim Tanzen zusehen dürfen. Das Großartigste für mich war, dass ich mich als Angsthäsin in die Wildwasserbahn getraut habe. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern ganze dreimal (!) bin ich damit den Wasserhügel heruntergerauscht. Yeaaaahhh!

Zum Schluß noch eine Runde im Kettenkarussell und meine Welt war wieder im Gleichgewicht. Es war so schön.

Herzlichst Steph ❤

5 Kommentare zu „Wildes Wasser

  1. Sehr tapfer liebe Steph, weiß genau wie du dich gefühlt hast. Als Kind hat mir das alles nichts ausgemacht. Weiß gar nicht wann das anfing schwierig zu werden. Aber als meine Jungs im Freizeitpark- Alter waren, habe ich immer die Rucksäcke gehalten.
    Ganz liebe Grüße Annette

    Gefällt 1 Person

    1. Genau so war es bei mir auch liebe Annette. Als Kind bin ich ohne Angst in so viele Fahrgeschäfte eingestiegen und mitgefahren. Doch später kam die Angst. Hab vielen Dank für deine Zeilen. Ich wünsche dir einen schönen Wochenstart. 🌞 Steph 😘

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