
Der Grusel begann bereits einen Tag vor Halloween am Samstagabend. Die neuen Nachbarn ein Haus weiter hatten ihren Vorgarten mit Spinnweben geschmückt. Kreuz und quer hatten sie die weißen Fäden über das Grundstück gespannt und leider vergessen, die anderen Mieter im Haus vorher davon in Kenntnis zu setzen. Herr Maier schaute jedenfalls leicht genervt, als er sein Fahrrad, welches im Vorgarten angeschlossen stand, minuntenlang von den vielen Spinnweben befreien musste, bevor er endlich losradeln konnte. Im Hinterhof tobte sich die neue Nachbarin dann weiter aus. Ein Grabstein aus Pappe, ein beleuchtetes Papiergespenst und aufsteigende Rauchsäulen, die nicht aus dem Grill kamen, zierten ihr Kunstwerk. Ihre Gäste versammelten sich um eine Feuertonne und schlürften Glühwein aus Totenkopfbechern, die Gästekinder rannten wie angestochene Wildschweine umher und boxten dem Papiergespenst immer wieder in den Bauch. Ich saß bei gekipptem Fenster im Arbeitszimmer und versuchte, ein Telefongespräch mit einer Bekannten zu führen…
Hitchcocks Psycho
Generell bin ich ein schreckhafter Mensch. Wenn ich staubsauge und mich plötzlich selbst im Flurspiegel entdecke, schreie ich auf und lasse den Sauger fallen, bis ich mich wieder beruhigt habe. Neulich stand ich unter der Dusche und hatte eine Bananenhaarmaske auf mein Haupt aufgetragen. Meine schulterlangen Haare hatte ich ordentlich mit der Haarmaske versorgt und mir als Dutt ohne Haarklammer auf den Kopf festgematscht. Doch dann rutschten die Haare plötzlich ab und klatschten mir auf den Rücken. Aaaargggh! Ich habe laut aufgeschrien, weil ich dachte, dass da plötzlich jemand hinter mir in der Duschkabine steht. Puh. Der Ralf weiß um meine Schreckhaftigkeit. „Ich wohne auch hier!“ hat er früher oft gesagt, wenn ich mal wieder zusammenzuckte, weil er plötzlich geräuschlos hinter mir stand. Horrorfilme hingegen machen mir so gar nichts aus. Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“ habe ich das erste Mal geschaut, da war ich dreizehn Jahre alt. Meine Freundin Mia, die den Film mit mir geschaut hat und bei mir übernachtete, bestand darauf, die Nacht über das Licht anzulassen und wollte später nie wieder bei mir schlafen. Psychothriller ob in Filmen oder Büchern lese bzw schaue ich ab und zu noch immer gern, auch wenn ich selbst schon einiges erlebt habe…
XL-Grusel
Während meiner Ausbildungszeit zur Erzieherin wohnte ich alleine in einer Wohnung über einem XL-Supermarkt. Es war die damalige Hausmeisterwohnung, in die ich einziehen durfte. Vormittags war ich Studierende des evangelischen Fröbelseminars, nachmittags und abends war ich Kassiererin des Marktes, in dem ich schließlich wohnen durfte. Wenn ich am Samstagabend Schichtende hatte und in meine Wohnung ging, dann war es manchmal schon ein bisschen komisch, ganz alleine dort zu sein. Der sonst mit vielen Autos bestückte, riesige Parkplatz war komplett leergefegt, die Einkaufswagen standen ordentlich wie nie in den kleinen überdachten Sammelstellen und es herrschte eine Ruhe, die ganz seltsam war. Die gesamte Wohnung war mit Neonlicht ausgestattet, sodass es aussah, als würde ich in einem Bürogebäude ohne Akten wohnen. An einem Abend, ich hatte mir viele Teelichter auf die Fensterbank gestellt, um es gemütlicher zu haben, sprang die Alarmanlage des Marktes unter mir laut an. Ich saß gerade vor dem Fernseher und schaute einen Krimi. Es dauerte ein bisschen, bis ich bemerkte, dass die Geräusche der Alarmanlage nicht aus dem Fernseher, sondern im wahren Leben ertönten. Aus dem Wohnzimmerfenster heraus sah ich, wie mehrere Streifenwagen vor dem Supermarkt hielten. Die Gegend, in der ich dort lebte, war nicht unbedingt die sicherste und schon ein bisschen berüchtigt. Eine gute Gabe, die ich von meiner Mutter erlernt hatte, war es, in solchen Situation keine Panik zu bekommen, und so stand ich mit meinen geschnittenen Möhren vor dem Fenster und schaute kauend auf das, was da nun vor sich ging. Der Hausmeister des Marktes war noch nicht vor Ort, deswegen kannten die Polizeibeamt:innen den Grund für das Einsetzen der Alarmanlage noch nicht. Ich ging zum Fernseher, um ihn auszuschalten. Das, was ich hier erlebte, war mir Krimi genug. Die Teelichter in ihren Glasbehältern rückte ich ein wenig zur Seite, um das Wohnzimmerfenster öffnen zu können. „Da oben ist jemand!“ rief sogleich ein Polizist und alle anderen brachten sich in Stellung. „Ich wohne hier!“ rief ich, aber da ich den Mund noch voll mit Möhrenresten hatte, konnten mich die Beamten nicht verstehen. „Da oben brennt’s!“ brüllte einer der Beamten und ab da wurde es mir auch ganz heiß. Dennoch behielt ich einen kühlen Kopf. Die Kerzen! Sie mussten die Kerzen gemeint haben. Ich schmiss die Möhre hinter mich, wedelte mit beiden Armen wie eine Fluglotsin in der Luft herum und wiederholte ein paarmal: „Ich wohne hier. Hier brennt nichts. Das sind Teelichter. Ich wohne hier!“ Da sah ich zu unser aller großen Glück den Hausmeister herbei kommen. Er bestätigte den Beamten, dass ich dort wohnen würde und betrat anschließend mit den Polizeibeamt:innen im Schlepptau den Markt. Puh, was für eine Aufregung. Ich nahm die angebissene Möhre wieder auf und wartete gespannt auf eine Nachricht darüber, was da nachts im Supermarkt los gewesen war. Hausmeister Heinz war so nett, später noch bei mir zu klingeln. „Es war eine Amsel, die sich im Markt verirrt und den Alarm ausgelöst hat“, sagte er und wünschte mir eine gute Nacht.
Müll im Flur und eine offene Tür
Ein paar Wochen später kam ich gerade zur Arbeit, als mich meine Kollegin Anna im Kassenraum zur Seite nahm. Fast atemlos berichtete sie mir von einem Dieb, der noch nicht gefasst sei. „Und deswegen bist du so aufgeregt?“ fragte ich sie. Wir arbeiteten in einem Supermarkt in einem sozialen Brennpunkt. Wir hatten Klaus & Kalle als Ladendetektive. Erst neulich war ein Kunde barfuß in den Markt und mit Schuhen wieder aus dem Markt gegangen. Leute hatten einen teuren Videorecorder in einen Waschmittelkarton gesteckt und diese an der Kasse abscannen lassen. Es gab nun wirklich nichts, was ich noch nicht gesehen hatte, und Klaus & Kalle hatten jeden Tag alle Hände voll zu tun. Annas Nachricht über einem Dieb konnte mich also nicht wirklich schocken. „Er geht zu den LKW’s an die Laderampe und wenn die Fahrer ihre Fracht abladen, steigt er ins Führerhaus und klaut da allerhand“, setzte Anna nochmal nach. Ich winkte ab, nahm meine Kasse unter den Arm und ging an meinen Arbeitsplatz. Zwei Tage später. Ich musste meine Straßenbahn erreichen, um pünktlich zur Fachakademie zu kommen und konnte somit den Müll nicht mehr rausbringen. Eilig rannte ich die Treppe meiner Hausmeisterwohung herunter und stellte den vollen Müllbeutel erst einmal in den Flur zur Haustür. Acht Stunden später kam ich mit hängender Zunge wieder nach Hause und stellte fest, dass ich mich schon wieder beeilen müsste, um meine Schicht im Supermarkt pünktlich anzutreten. Zuerst öffnete ich meine Haustür weit, sodass sie einrastete. Dann nahm ich den vollen Müllbeutel, brachte ihn schnell zum 50 Meter entfernten Container, lief zurück und rannte die Treppen hoch zu meiner Wohnung. Ich würde meine Schultasche in die Küche werfen, mich kurz frisch machen und dann meine Schicht im Markt beginnen, so war der Plan. Doch als ich die Treppen hochhetzte, sah ich plötzlich, dass meine Wohnungstür bereits offen stand. Ein fremder Mann stand in meiner Wohnung, wühlte in meiner Kommode herum und glotzte mich an, als ich ihn sah. „Bist du noch ganz gescheit? Was machst du in meiner Wohnung?“ rief ich und zog ihn an seinem Hemdsärmel Richtung Wohnungstür. „Raus hier, raus!“ schrie ich, während wir gemeinsam die Treppen herunterstolperten. Ich hatte ihn immer noch am Schlawittchen, als ich die Haustür aufstieß und laut nach Ali rief. Ali besaß einen türkischen Imbiss, der genau vor meiner Tür aufgebaut war. Er schenkte mir oft einen Döner, hatte immer ein liebes Wort für mich und war in diesem Fall meine Rettung. „Ali, hier ist der Kerl, der überall einbricht. Er war gerade in meiner Wohnung, kümmerst du dich bitte um ihn? Ich muss zur Arbeit und sage dort sofort Bescheid“, sagte ich. Der wunderbare Ali nickte mir zu und übernahm. Ich ging in schnellen Schritten zur Info, sagte dort Bescheid und sah noch während ich zum Kassenraum ging, um meine Kasse zu holen, wie Klaus & Kalle durch den Markt Richtung Ausgang rannten. Heidewitzka, war das ein Schreck. Ich war sehr froh darüber, die nächsten drei Stunden Käsewürfel, Spaghettipackungen und andere Lebensmittel über die Tüdelüdelüt Scannerkasse zu schieben, um mich ein wenig abzulenken. Es machte mir auch gar nichts aus, mit einer Kundin zu streiten, die der Meinung war, ich hätte ihren Joghurtbecher mit den linksdrehenden Kulturen rechtsherum gedreht und somit ruiniert. Alles war besser als an diesen Schreck zurückzudenken, der auch ganz anders hätte ausgehen können. Abends um neun war ich einfach nur froh, dass der Tag vorüber war. Das Lernen für die Fachakademie verschob ich ausnahmsweise auf den nächsten Tag. Jetzt war mir erstmal nach einer heißen Wanne und etwas Ruhe. Noch bevor ich in mein heißes Badewasser steigen konnte, klingelte es an der Tür. Klingeln ist besser als Einbrechen, sagte ich mir und fragte durch die Tür, wer denn da sei? Es waren Hausmeister Heinz, Kalle und Klaus und…. der Einbrecher. „Das ist er doch, oder? Das ist das Schwein, was bei dir eingebrochen ist!“ stellte Heinz fest und riss an den Haaren des Einbrechers, damit ich ihm besser ins Gesicht sehen konnte. „Ja, das ist er, aber das ist kein Grund, respektlos zu werden“, sagte ich müde und matt. Dabei regte ich mich innerlich total darüber auf, dass drei erwachsene Männer mir den einbrechenden Dieb nochmals vorsetzten. Was sollte das denn? Schließlich lebte ich hier ganz alleine und ich war nicht sehr versessen darauf, dass ich nochmals ungebetenen Besuch bekam. Aber das würde ich morgen mit ihnen klären, zunächst einmal galt es, diesen Tag endlich ausklingen zu lassen.
Im Schlafanzug zu den Nachbarn
Später erfuhr ich, dass der Mann, der bei mir einbrach, jahrelang drogensüchtig war und Geld suchte. Da war er bei mir auf dem absoluten Holzweg. Weil der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hat, keinen Unterhalt zahlte, die angeforderten Unterlagen für das BAföG nicht einreichte und ich Schulgeld plus Miete zahlen musste, war ich Tag und Nacht beschäftigt, Geld auf legalem Weg zu verdienen, und dieses reichte wirklich nur für das Nötigste. Als angehende Erziehrin musste ich Geld mitbringen, um mich qualifiziert ausbilden zu lassen. Da hatte er sich nun wirklich die falsche Person ausgesucht. Ich hatte keine Zeit, um mir zu überlegen, was da passiert war, weil der Alltag sofort weiter ging. Schule, Arbeit, essen, lernen, schlafen. Schule, Arbeit, essen, lernen, schlafen. Nach einem halben Jahr war der Spuk zum Glück zu Ende. Ich lernte Ralf kennen, absolvierte meinen Abschluss zur Erzieherin und zog zu Ralf nach Nürnberg.
Und heute vor einer Woche? Die neuen Nachbarn feierten noch immer die Nacht vor Halloween. Allerdings hatten sich die Erwachsenen nach drinnen verzogen. Den Kindern hatten sie Mikrophone in die Hand gedrückt, mit denen diese den Hinterhof lautstark beschallten. Die anderen Nachbarn – sichtlich auch genervt – trauten sich nicht, etwas zu sagen. Man konnte sehen, wie sie hinter ihren geschlossenen Fenstern standen und den Neuen mit einer Geste den Vogel zeigten, was diese aber nicht sahen, weil sie im Warmen saßen. „Ich glaub‘, ich geh da gleichmal rüber“, sagte ich zu Ralf. „Am besten so, wie du jetzt gekleidet bist“, gab mir dieser lachend zur Antwort. Ich schaute an mir herunter. Schlafanzughose mit aufgedruckten Sternen, puschelige Einhornhausschuhe an den Füßen, ein abgewetztes Micky Maus T-Shirt… ja, so konnte ich gehen. Vielleicht nehme ich noch die Lutherbibel mit und erkläre ihnen, was am 31.10.1517 geschah“, rief ich. Aber vielleicht erzähle ich ihnen einfach etwas aus dem Leben. 😉
So ist das. Ich erschrecke mich wahnsinnig, wenn ich mich selbst beim Staubsaugen im Flurspiegel erblicke, aber wenn dann plötzlich ein fremder Mann in meiner Wohnung steht, packe ich ihn am Arm und schmeiße ihn heraus. Ich bin wirklich froh darüber, dass diese Situation so glimpflich ausgegangen ist. Auf Halloween habe ich allerdings noch immer keine Lust. Das wahre Leben kann gruselig genug sein. Und mutig. Denn dass Martin Luther sich im Jahre 1517 traute, die Praktiken der katholischen Kirche öffentlich anzuprangern und somit später die Spaltung der Kirche herbeisann, finde ich ausserordentlich mutig.
Ich hoffe, ihr habt eine Woche ohne Schrecken hinter euch. Habt alle ein entspanntes Wochenende mit allem, was euch gut tut.
Herzlichst Steph ❤
Das war sehr mutig, von dir und auch von Luther. Liebe Grüße, Monika
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Danke Monika und viele liebe Grüße zu dir und deinen Lieben 😊
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