
Den halben Vormittag pendelte ich in schnellen Schritten zwischen der Sortierstrasse und der Kleiderkammer hin und her. Stefan, der Organisator bei der Flüchtlingshilfe für die Ukraine, hatte mich an diesem Tag gebeten, die Kleiderkammer zu koordinieren. Das war im Grunde ganz einfach. Alle Viertelstunde sollte ich die Kleiderkammer fragen, was sie benötigen würden und ihnen das dann in der Sortierstrasse zusammenstellen. Die Kleiderkammer ist für geflüchtete Menschen jeden Mittwoch und Donnerstag geöffnet, damit sie sich selbst aussuchen können, was sie haben wollen. Karin arbeitete mir zu. Schon von weitem rief ich ihr aus der Kleiderkammer kommend „Wir brauchen Hosen. Jeans, Leggins, Jogging“ zu und Karin hängte die verlangten Kleider dann an eine Kleiderstange, die ich wiederum zur Kleiderkammer brachte. Wir verstanden uns prima und hatten die gleichen Ansichten, welche Kleidung man den Menschen zumuten könne und welche nicht. „Schau mal, geht die Hose?“ fragte sie mich und hielt mir eine zerlöchterte TeenieJeans vor’s Gesicht. „Im ersten Moment würde ich Nein sagen, aber ich weiß, dass diese Hosen bei den Jugendlichen gerade der totale Renner sind“, antwortete ich. „Wirklich?“ fragte Karin nach. „Ja, wirklich!“ lachte ich. Ich musste daran denken, wie ich an der Bushaltestelle mal ein junges Mädchen mit einer solch durchlöcherten Hose sah und überlegte, ob sie zuvor ausgeraubt worden war. Später sah ich allerdings immer mehr junge Frauen mit solchen Hosen umherlaufen. Letzten Winter sah der Modetrend bei den Jugendlichen noch anders aus. Da trugen viele Sneakers, in denen man dachte, sie hätten vergessen, sich Socken anzuziehen. Dabei trugen sie Söckchen, die sehr klein waren. Um den Hals wickelten sie sich meterlange Schals, die einen Widerspruch zu ihren nackten Knöcheln herstellten. Aber wir waren früher doch nicht anders, oder?
Das tote Kaninchen
Wenn ich an meine modische Kindheit in den 80er Jahren zurück denke, dann fallen mir zuerst braune Strumpfhosen ein. Da der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hat, nach der Scheidung keinen Unterhalt zahlte, war meine Mutter auf aussortierte Kleiderspenden der Nachbarn angewiesen. Früher war der Mann mal großzügiger gewesen und hatte meiner Mutter einen echten Pelz geschenkt, den sie nie haben wollte. Sie fand das Teil so gräßlich, dass sie ihn zu einer befreundeten Schneiderin brachte, die mir daraus einen Muff nähte. „Was sind das für Haare?“ fragte ich meine Mutter, als ich darüber strich. „Kaninchen“, antwortete meine Mutter und ab da war mir klar, dass ich diesen Muff niemals nicht nutzen würde. Auf keinen Fall wollte ich meine Hände in ein totes Kaninchen stecken. Und dann kamen die braunen Strumpfhosen, die im Schritt nie so richtig passten. Ebenfalls in schlechter Erinnerung war meine Pilzhose, die ich so ungern trug, dass ich immer schlechte Laune hatte, wenn ich sie anziehen musste. Es war eine schwarze Latzhose aus Stoff. In Brusthöhe war ein kleiner Pilz aufgedruckt, der immerzu lachte. Es gibt ein Foto, auf dem der Pilz lacht, während ich schreiend heule, weil ich die Hose so fürchterlich fand. Unsere Mütter trugen Blusen mit Puffärmeln, lange Röcke mit breiten Gürteln und Schuhe mit Korksohlen. Die Väter trugen Minipli, beige Trenchcoats und führten am Handgelenk eine Herrenhandtasche mit sich, in der sie Pfeife und Tabak aufbewahrten. Zur Konfirmation meines Bruders durfte ich etwas ganz Neues tragen. Eine weiße Hose, einen roten Pullover mit weißem Hund und rote Ballerinas aus Samt hatte mir meine Mutter aus dem Otto-Katalog bestellt. Als Erwachsene finde ich das sehr stilsicher von meiner Mutter ausgesucht, als Kind aber heulte ich Rotz und Wasser, weil die Ballerinas beim Gehen nicht klackerten. Meine Kindergartenfreundin Sonja hatte schwarze Lackschuhe mit Riemchen, die klackerten, wenn sie durch die Straßen ging. Das wollte ich auch. „Woll’n wir Schuhe tauschen?“ fragte ich deswegen immer, wenn ich bei Sonja zum Spielen eingeladen war. Dann klackerte ich die Straße rauf und runter und fühlte mich dabei wie eine schicke Dame, die viel zu erledigen hat. Aber nicht nur ich hatte so meine Probleme mit der Kleidung. Mein Bruder, der neun Jahre älter als ich war, hörte Billy Idol, The Cure, Dead Kennedys und andere Punkbands. Das sollte sich auch in seiner Kleidung widerspiegeln und so beschloss er eines Tages, seine blauen Jeans mit Domestos zu bleichen. Überall wollte er kleine weiße Flecken auf der Hose haben und so legte er die Hose in die Badewanne, griff zum Domestos-Reiniger und kippte hier und da etwas von der Bleiche auf die Hose. Am Hintern, wo die Hosentaschen saßen, schüttete er mehr drauf, weil dort der Jeansstoff dicker war. Als sein Werk fertig und die Hose in der Waschmaschine nochmal ordentlich durchgewaschen war, zog er sie an, worauf die zu sehr gebleichte Hose direkt am Hintern komplett aufriss. Ich hab‘ so sehr gelacht, bis mir der Bauch weh tat, was ein Zimmerbetreten-Verbot seinerseits zur Folge hatte.
Eisdisco
Als ich selbst ins Alter der Jugendlichen kam, waren Levi’s Jeans der totale Renner. Jeder, der was auf sich hielt, wollte eine 501 tragen. Diese waren allerdings übelst teuer, weswegen ich sie mir von einer Freundin aus der Türkei mitbringen ließ, wo sie für weniger Geld zu haben waren. Damit die Jeans nicht zu neu aussahen, rubbelten wir mit Steinen so lange über die Knie, bis der Stoff immer heller wurde und sich fast ein Loch darin befand. Total lässig fanden wir das. Dann kam die große Jean Pascale-Phase für mich und meine Freundinnen. Wir fuhren in die Stadt und kauften uns alle für zwanzig Mark einen Pullover, auf dessen Rückenansicht in bunten Buchstaben JEAN PASCALE PARIS geschrieben stand. Dann verabredeten wir, dass wir alle am Montag diesen tollen neuen Pulli in der Schule tragen würden. Leider hatte unsere Freundin Susi ihren Pullover am Montag dann falsch herum an. Das was nach hinten gehörte, trug sie stolz vorne auf der Brust. JEAN PASCALE PARIS. Die Jungs lachten sich kringelig, während wir sie in die Klokabine schubsten, damit sie sich den Pulli richtig herum anziehen konnte. Die Samstagabende verbrachten wir zu gerne in der Eissporthalle, wo regelmäßig donnerstags und samstags Eisdisco angesagt war. Zu lauter Musik fuhren wir auf Schlittschuhen unter einer bunt leuchtenden Disokugel über’s Eis und fühlten uns mächtig cool. Mein Vorbild zu dieser Zeit war die junge Sophie Marceau, die ich im Film „La Boum – die Fete 2“ erstmalig gesehen hatte. Ebenso wie sie fuhr ich nur mit meinem neuen Pulli, einem Schal, Jeans und Handschuhen Schlittschuh. Eine Jacke brauchte ich nicht. Doch wir waren nicht in Frankreich und statt Pierre Cosso fuhr der Landwirtssohn Harald neben mir her. In einer Kurve zog er mich dann am Ärmel meines Pullis und ich stand plötzlich ohne Ärmel auf der Eisfläche. Wie peinlich! Um die Qualität eines Jean Pascale-Pullis war es also nicht wirklich gut bestellt.
Burlington Socken
Ein halbes Jahr später passierte etwas Merkwürdiges in meinem Freundeskreis. Statt Leonardo Gläser schenkten sich alle Burlington Socken zu Geburtstagen. Ich fand das ganz schlimm, denn zum einen fand ich diese Socken mit dem typischen Argyle-Muster ganz schrecklich und zum anderen konnte ich sie aus Geldmangel keinem schenken. „Ich finde diesen Markenwahn schrecklich“, beschwerte ich mich bei meiner Freundin Clara und zuppelte an meinem Benetton Pulli herum. Den hatte ich von ihr geschenkt bekommen, da er ihr zu klein geworden war. Es war ein Strickpulli. Blauweiß gestreift stand in großen roten Lettern BENETTON in Brusthöhe geschrieben. Der Pulli war vom Tragen und Waschen schon ganz ausgeleiert, er hing mir fast bis auf die Knie, aber trennen wollte ich mich nicht von ihm. Die Modewelt wurde plötzlich ziemlich bunt. Wir trugen neonfarbene Schnürsenkel, gelben Nagellack und Gummibärchen-Ohrringe aus Plastik. Mein lieber Opa war ganz erschrocken, als er mich in den Sommerferien sah. „Was hast du da für ’nen Big Ben am Arm?“ fragte er mürrisch. Er, der mir meine erste Digitaluhr geschenkt hatte, konnte mit dem großen Teil an meinem Handgelenk sehr wenig anfangen. „Mensch Opa, das ist’ne Pop Swatch-Uhr, die trägt jetzt jeder!“ klärte ich ihn auf. Und das stimmte. In meiner Klasse hatte jedes Mädchen eine Pop Swatch. Wir liehen uns gegenseitig die austauschbaren Armbänder, die man mindestens einmal in der Woche mit Shampoo waschen musste, weil sie sonst so stanken. Wir fanden es irre lustig, uns die Uhr mit dem besonderen Klickmechanismus an den Pulli oder Rucksack zu heften. Vermutlich ging es uns auch nicht wirklich darum, die Uhrzeit zu wissen, wir wollten modisch alle mithalten.
Ruhe kehrt ein
Erst als Erwachsene habe ich aufgehört, mich mit Mode zu beschäftigen und nur noch getragen, was mir gefällt. Ich lernte ausserdem, dass man nicht alles tragen kann, was man gerne möchte, als ich mal eine Stilberaterin für die Frauen, die ich beruflich begleitete, bestellte. Gerade ich, die mit rotem Haar geboren wurde, sollte darauf verzichten, gelbe Shirts und grüne Hosen zu tragen, um nicht wie der Pumuckl auszusehen. Ich erinnerte mich an einen Sommer, in dem ich mit sonnenverbranntem Gesicht und einem senfgelben Shirt in die Kamera blinzle und dabei aussehe wie eine Currywurst. Schon merkwürdig: Was ich als Kind nie mochte, trage ich heute äußerst gerne: Röcke und Kleider. Ich weiß noch, wie ich mit Ralf zu unserer Steuerberaterin ging und er feststellte, dass ich eine Hose trage. „Ja Ralf, wenn man vor die Tür geht, ziemt es sich, dass man eine Hose anhat“, sagte ich damals lachend zu ihm. Doch ich wusste ja, was er meinte – er hatte mich zwei Jahre lang nur in Röcken oder Kleidern erlebt und fand es daher ungewohnt, mich in einer Jeans bekleidet zu sehen. Meine Mutter versucht indes die Modesünden meiner Kindheit wieder wett zu machen. Vorletztes Weihnachten schenkte sie mir eine Strumpfhose von Falke. Da zwickt absolut nix im Schritt, das sage ich euch.
Ich habe inzwischen diverse Strumpfhosen in Ringeloptik, und wer meinen Kleiderschrank öffnet, könnte denken, ich sei beruflich eine Matrosin bei der Marine, da dort viele Blauweiß gestreifte Oberteile drin liegen. Ich habe Röcke mit Ankern drauf, mit Sternen oder Punkten. Sehr gerne trage ich das von der Stilberaterin empfohlenen Moos- oder Tannengrün, das ich allerdings selten in einem Laden finde. Egal, die Hauptsache ist es, sich selbst zu finden und da bin ich mittlerweile schon ganz gut bei mir selber angekommen.
Würde behalten
„Was ist jetzt mit der Hose, meinst du, die geht so?“ fragte mich Karin am Mittwoch im Schuppen der Flüchtlingshilfe. „Ach weißt du, es gibt so viele Jugendliche, die geflüchtet sind, da gibt’s bestimmt einige, die stehen drauf“, antwortete ich ihr und nahm ihr die Hose ab. Allerdings konnte ich sie verstehen. Sie und ich sortieren sonst alles Kaputte aus. Strickpullis mit aufgeribbelten Armen, weiße T-Shirts mit Deoflecken oder ausgelatsche Schuhe kommen bei uns gleich in die Tonne. Meine Mutter, die als ehrenamtliche Mitarbeiterin in einem Second-Hand-Laden für das autonome Frauenhaus arbeitet und dafür unter anderem selbst Spenden anwirbt und sortiert, sagte mir mal Folgendes: „Da kommt eine junge Frau aus Afrika zu mir in den Laden und sucht günstige Kleidung. Wer wäre ich, würde ich ihr da ein Fussballshirt von der WM 1990 zeigen? Die Menschen sollen alle ihre Würde behalten und nur qualitativ gute Kleidung bekommen.“ Da hat sie Recht, wie ich finde. Und so machen es Karin und ich auch. Die Hose allerdings, die ist nicht erst löchrig geworden, die wurde extra so hergestellt und deswegen wartet sie nun darauf, dass eine Jugendliche sie entdeckt und mitnimmt.
Hattet ihr selbst Modesünden? Ich freue mich, wenn ihr darüber berichten mögt. Habt ein angenehmes Wochenende.
Herzlichst eure Steph
Braune und Dunkelgrüne Kordhosen mit riesen Schlag 😦 und ich hab sie echt geliebt!….
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Das glaube ich dir 😊
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Hallo Liebe Steph. Wieder bringst du mich in die Vergangenheit mit deinem schönen Beitrag. Ich kann mich noch sehr gut an kurze Röcke und Jeans mit einem riesengroßen weiten Schlag erinnern. Leider(oder Gott sei Dank) hatten meine Eltern auch kein Geld für gute Klamotten übrig. Immer hatte ich das Gefühl, die anderen hätten es besser. Besonders meine Freundin Sabine, deren Mutter nähen konnte. Sabine hatte immer die besten Hosen, Kleider und Blusen :-). Liebe Grüße aus Istanbul, Monika
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Liebe Steph,
ist das schön, dass wir erwachsen sind tragen können was wir wollen. Ich kenne das noch gut sein zu wollen wie die anderen. Meine Strumpfhosen waren auch noch kratzig und tatsächlich habe ich als Kind mehr Röcke und Kleider getragen. Im Frühjahr beim ersten Sonnenschein kam immer die Frage, ob man jetzt endlich Kniestrümpfe tragen kann, natürlich war es dafür dann noch zu kalt.
Ich bekam die abgelegten Sachen von einer Bekannten und tatsächlich waren da mal die schwarzen Lackschuhe mit Riemchen dabei, nur leider viel zu groß. Die Schuhgröße habe ich bis heute nicht.
Als Jugendliche waren graue Sweatshirts von Fruit of the loom der Renner. Und nichts ging über meine rosafarbene Karottenhose, eine Sommerhose, die auch konsequent den ganzen Winter getragen wurde, sie ist mit tatsächlich irgendwann vom Hintern gefallen.
sei ganz lieb gegrüßt. Annette
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Moin Annette, an die Fruit of the Loom Pullis erinnere ich mich auch noch sehr gut. Ebenfalls die Tücher die mit glitzernden bunten Bändern eingefasst waren. Hab vielen Dank für deine Zeilen. Liebe Grüße Steph 🙂
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