Frühlingsgeschichten aus dem Hinterhof

Nach einem Winter, der mit seinen Stürmen und Regentagen gefühlt nie enden wollte, hat nun der Frühling endlich Einzug gehalten. Die Sonne scheint seit Tagen, tolle Wolkenformationen ziehen am Himmel vorbei und im Hinterhof mit seinen vielen Gärten ist das Leben von innen nach draußen gezogen.

Ich stelle euch die Protagonisten dieser Geschichte vor.

Der Griller: hat eine Frau und zwei kleine Kinder. Wenn er uns sieht, schaut er weg. Grüßt nie. Schaut gerne auf sein Handy, während seine Kinder spielen. Einmal hat er mit uns gesprochen. Damals hatten wir in der Stadt einen größeren Strom- und Internetausfall und keiner wusste Bescheid, was los ist. Keiner? Naja, wir wussten es. Denn wir hatten das alte Transitaradio, welches bei uns auf der Fesnterbank steht, auf den Balkon geholt und eingeschaltet. Der Griller rief von seinem zu unserem Balkon rüber, ob wir wüssten, was passiert sei. Seine Leidenschaft gehört dem Grill, der auf seinem Balkon steht und den er mindestens dreimal in der Woche anheizt. Anschließend sitzt er dann alleine auf dem Balkon und isst sein Steak, während die Kinder von innen lautstark gegen die Balkontür klopfen. Neulich hat er sein heißes Schätzchen geputzt. Er schrubbte, wässerte und polierte den Grill und übersah, dass sein kleiner Sohn mit dem Kopf im Balkongeländer festhing. Nach solchen Begebenheiten finde ich es dann eigentlich gar nicht mehr schlimm, dass er nicht mit uns spricht.

Der Spießer und seine Frau: Alles geordnet und in Form ist ihre Devise. Primeln oder andere Balkonpflanzen dürfen nur zweifarbig blühen. Jedes Jahr läutet Herr Spießer den Frühling ein, indem er seine Terrassenplatten stundenlang abkärchert. Ich frage mich jedesmal, warum er sich nicht mal wetterbeständigere Fliesen kauft, statt Unmengen an Wasser zu verschwenden. Am meisten ärgert ihn die Birke des Nachbarn gegenüber, denn wenn ihre Blätter fallen, landen sie hundertfach auf seiner Terrasse. Er kommt dann mit dem Saubermachen kaum hinterher und wenn er es geschafft hat, ist der Sommer vorbei. Seine Frau hat Ralf mal durch das Fenster angeschrien, weil er den gelben Sack einen Tag vor Abholung an die Strasse gestellt hat. Sie brüllt auch gerne Kinder an, die vor ihrer Haustür mit Kreide den Bürgersteig verschönern und das nicht nur zweifarbig. Das Ehepaar ist sehr ordnungsliebend und rümpft regelmäßig die Nase über unsere Wildblumensaat in unseren Balkonkästen.

Der Spießersohn: ist letztes Jahr direkt in das Haus neben seinen Eltern eingezogen. Eigentlich wollte er mit seiner Frau eine Wohnung in unserem Haus beziehen, aber unser Vermieter erzählte, dass die Frau des Spießersohns nicht so gerne so nah neben ihren Schwiegereltern wohnen wollte. Das hat sie ihm erzählt. Nun wohnen sie allerdings doch in direkter Nachbarschaft. Um seine Frau zu besänftigen, hat der Spießersohn nach dem Einzug keine Umzugskisten ausgepackt, sondern ihr einen großen Pool in den Garten gebaut. Er hat die halbe Nachbarschaft damit kirre gemacht, weil er fast vier Wochen lang jeden Tag bohrte, hämmerte und den Akkuschrauber leer laufen ließ. Nicht mal am Muttertag hatten wir Ruhe. Wenn er Rasen mäht, was er auch zu gerne sonnntags erledigt, könnte man denken, er fährt einen Kinderwagen in Zeitlupe spazieren. Wenn Ralf „Der Spießersohn mäht wieder!“ ruft, laufe ich schnell zum Fenster und schaue mir das lustige Spektakel an. Neulich hat er es auf die Spitze getrieben, als er den Rasen mit einer Nagelschere stutzte. Ich habe erst gedacht, er rupft Löwenzahnblumen mit Wurzeln aus, aber auf seinem Rasen gibt es sowas ja überhaupt nicht. „Ist sein Mäher kaputt?“ fragte ich den Ralf. „Nein, das hat er letztes Jahr auch schon gemacht“, antwortete er mir. Der Spießersohn steht seinen Eltern also in nichts nach.

Die Neuen: Die neuen Nachbarn sind eigentlich keine neuen Nachbarn, wir konnten sie zuvor nur nie sehen, da zwei große Fichten in ihrem kleinen Garten stehen. Dann kamen die Winterstürme und haben einen der Bäume umgeknickt. „Der Baum steht schief!“ sagte ich nach dem Blick aus dem Küchenfenster eines morgens zu Ralf und neigte meinen Kopf. Weil der Baum drohte, auf das Gartenhaus unserer Vermieterin zu fallen, sagte ich dem Schwiegersohn unserer Vermieterin Bescheid. Ab da hatten wir plötzlich Rummel im Garten. Erst kam die Polizei und schaute sich das Ganze aus der Nähe an. Sie klebten einen Zettel an unsere Kellertür, auf der geschrieben stand, dass in unserem Garten ein Baum drohe umzufallen. Dann kam die Feuerwehr und sperrte mit rot/weißem Flatterband den Nachbargarten großzügig ab. Zwei Wochen lang schauten wir jeden Morgen erstmal nach, wie der Stand des Baumes war. In Woche drei kam dann ein Baumpfleger, krabbelte wie ein Äffchen den Baum hoch und sägte den angeknacksten Stamm in der Mitte durch. Als der Baum dann fiel, sahen wir plötzlich einen Mann in Unterhose und eine Frau in Kittelschürze auf ihrer Terrasse sitzen. Jahrelang hatten wir sie nicht sehen können und nun klaffte wegen der gefällten Fichte ein großes Loch direkt vor ihrer Terassentür. Erschrocken gingen sie rein, schlossen die Tür und ließen die Rolläden herunter.

Die Tauben: haben unseren begrünten Hinterhof belagert. Schon lange wunderten wir uns, wohin all die anderen Vögel plötzlich verschwunden waren. Normalerweise wurden wir durch Amseln. Spatzen, Finken, Elstern und Dohlen geweckt. Ich habe es so geliebt. Doch dann kamen die Tauben und setzten sich frech auf Balkonbrüstungen und Hausdächer. Eines morgens öffnete ich das Fenster, um die Bettdecken zu lüften, da flatterte eine große Schar Tauben an mir vorbei. Erst fühlte ich mich wie in einem Märchen. Die Prinzessin lugt durch die samtigen Vorhänge und wird durch Tauben aus dem Taubenschlag begrüßt. Als dann aber die erste Taube frech auf die zu lüftenden Bettdecken kackte, war ich eher Aschenputtel als Prinzessin und fand die Tauben doof. Unsere Vermieterin bat mich neulich, der Sache mal nachzugehen. Sie verbingt von Mai bis Herbst ihre Zeit in ihrem zweiten Haus und ist nicht da. „Ich kümmer‘ mich drum“, sagte ich und nun fängt die Geschichte an…

Der Handmäher quietscht (immer noch)

„Endlich Frühling“, murmelte ich, als die Sonne durch unsere Verdunkelungsvorhänge im Schlafzimmer schien. Als ich ganz akut an Depressionen litt, hat Ralf mir einen Wecker geschenkt, der das Sonnenlicht simuliert und jede Minute etwas heller wird. Nun aber war es die echte Sonne, die mich weckte und das fand ich einfach nur schön. Sofort nach dem Aufstehen warf ich die Bettdecken ins geöffnete Fenster, kochte mir einen Tee und schaute auf dem Balkon dem Tag am Beginnen zu. Den ersten aus der Nachbarschaft, den ich draußen sah, war Herr Griller. Er hatte seinen Handmäher wieder hervorgeholt, was in der Nachbarschaft regelmäßig für rollende Augen sorgt. Denn das olle Teil, das dringend mal geölt werden muss, führt er auf seinem Rasen hin und her, als würde er staubsaugen. Man hört das metallisch rollende und quietschende Teil noch zehn Gärten weiter. Die Schneiden seines Spindelmähers sind so stumpf, dass der Rasen im dritten Jahr aussieht wie ein dörflicher Fussballplatz nach einem Champions League Finale. Eigentlich müsste er die Grashalme gar nicht mehr schneiden, denn wenn sie seinen Staubsaugermäher entdecken, knicken sie von selbst verzweifelt ab. Vielleicht sollte er sich ein paar Ziegen in den Garten stellen. Überhaupt bietet sein Garten außer einem Sandkasten und vielen Sträuchern nicht sehr viel. Drei einsame Primeln wachsen dort. Ich habe mich schon so oft gefragt, warum er den Kindern nicht aus alten Europaletten eine tolle Outdoorküche baut mit Matschpampenstrasse und vielen Töpfen. Aber so lange sein Smartphone noch 100 % Akku hat, kommt er auf solche Ideen nicht. Der Griller hat eine Tochter namens Anna (4) und einen Sohn namens Jakob (2,5 Jahre alt). Neulich war die Nachbarstochter Fritzi (ebenfalls 4 Jahre) bei ihnen im Garten zu Besuch, ihr Vater begleitete sie. Fritzis Vater hat auch ein Handy und so konnten beide Väter wunderbar ignorieren, wie sich die Kinderschar gegenseitig so richtig schön hochschaukelte. Erst stellten sie das Dreirad in die Strandmuschel, dann nahmen sie den Gartenschlauch und spritzten das Gefährt ordentlich ab, denn es stand ja schließlich in einer Waschanlage. Dann ist Fritzi allerdings der Reißverschluß ihrer Jacke mittig aufgerissen. Vermutlich wusste Anna bereits, dass ihr Vater wieder mit seinem Handy beschäftigt ist und hat die Reperaturarbeiten an Fritzis Jacke selbst in die Hand genommen. Mit den Worten „Halt mal!“ gab sie den Gartenschlauch an ihren jüngeren Bruder ab. Dieser wusste gar nicht, wie ihm geschah. Erst hielt er den spritzenden Wasserschlauch bewundernd in seinen Händen, dann wollte er schauen, was seine große Schwester macht und drehte sich mit dem Schlauch in seinen kleinen Händen zu Anna um. Was folgte, war eine große Wasserschlacht. Das Wasser spritzte wie ein sich drehender Rasensprenger im ganzen Garten herum, die Kinder quietschten laut auf und die beiden Väter steckten schnell ihre Handys weg und schauten schuldbewusst hoch zu ihren Frauen, die wegen des Gequietsches der Kinder (nicht des Handmähers) nun auf ihren Balkonen standen und Fragen hatten.

Jetzt wird vertikutiert!

Das Spießerehepaar war überhaupt nicht angetan von den schreienden Kindern, sie ruhten sich gerade auf ihrer Terrasse aus. Weil eine hohe Hecke die Gärten trennt, konnten sie nicht sehen, wer da so rumquietschte und warum. Da lobe ich mir meinen Ausguck aus dem dritten Stock. Der Spießermann faltete seine Zeitung zusammen, schüttelte mehrmals mit dem Kopf und ging zu seinem Gartenhaus, wo er den Vertikutierer aus dem Winterschlaf holte, anschmiss und damit seinen Rasen vom Moos befreite. Wenn schon Lärm, dann richtig, schien er gedacht zu haben. In seinem Denkmuster sind schreiende Kinder nämlich Lärm gleichzusetzen. Das Blöde an seinem Vertikutiergerät ist, dass er ein sehr kleines Auffangkörbchen beinhaltet, weswegen sein Lärm nicht dauerhaft gleichbleibend war, sondern nach jeweils zwei Minuten abbrach, um weitere zwei Minuten später neu entfacht zu werden. Das stresst, kann ich euch sagen. Ich schloss das Fenster, um ein wenig Ruhe zu tanken. Als ich das Fenster nach zwei Stunden wieder öffnete, hörte ich endlich wieder die lachenden und spielenden Kinder. Ich setzte mich an den Schreibtisch, um eine Email an eine Freundin zu verfassen, da blökte der Vertikutierer erneut auf. „Ist der denn immer noch nicht fertig?“ rief ich Ralf zu. „Doch. Aber er hat den Vertikutierer nun an seinen Sohn weitergereicht“, antwortete Ralf lachend. Na super. Wer im Zeitlupentempo den Rasen mäht, wird mit dem Vertikutieren nicht schneller sein. Ich schloss das Fenster lieber gleich wieder.

Die Tauben sind los

Ich hatte den Aufruf unserer Vermieterin noch im Kopf. Auf die Tauben sollte ich achten. Die wurden nämlich seit Tagen immer mehr. Als ich eines Morgens die Bettdecken aus dem geöffneten Schlafzimmerfenster ausschüttelte, sah ich eine Frau im Hinterhof, die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Schnell holte ich meine Brille, setzte sie auf und entdeckte die Frau, die hinter der gefällten Fichte lebt. In einer raschen Bewegung griff sie sich in ihre Kittelschürzentasche, warf Körner auf das Gartenhausdach, das neben unserem Gartenhaus steht und verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Sofort stürzten mehr als fünf Tauben von unserem Hausdach herunter auf das Futter und pickten, was das Zeug hielt. Sie war es also, die die Tauben in den Hinterhof gelockt hatte. Nun saßen sie wirklich überall. Auf den Balkonen der Leute, auf unserer Bettwäsche, auf der Mauer, auf dem Gartenhaus und in den Bäumen. Die Plane, mit der der Spießernachbar täglich seine Terrassenmöbel abdeckt, hat die Farbe gewechselt. Statt blau ist sie nun weiß – voller Taubenkaka. Unsere Vermieterin wird da wohl mal ein Gespräch mit der Taubenfütterin suchen müssen, wenn sie will, dass das aufhört.

Mütter am Handy

Eine Woche später wollte ich im Garten Löwenzahn pflücken, bevor Ralf den Rasen mähte, um daraus einen Löwen mit Mähne zu kreieren. Im Nachbargarten spielten wieder Anna, Fritzi und Annas kleiner Bruder Jakob. Anna kennt mich nur vom Balkon aus der Ferne und so hörte sie sofort zu spielen auf, als sie mich sah. „Wer bist du?“ fragte sie und ihre Freundin Fritzi rempelte sie an und fragte: „Kennste die?“ Ich sah auf und winkte beiden fröhlich zu. Da sah ich Annas und Fritzis Mütter neben der Sandkiste stehen. Beide hatten ihre Handys in den Händen und wischten gleichzeitig mit den Fingern über die Displays. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Erst die Männer an den Handys, dann die Frauen. Können die ihre Dinger nicht mal zu Hause lassen? „Was machst du da?“ fragte mich Anna. Es ist so witzig, das Kinder das Offensichtliche sehen, aber dennoch fragen. Im Kindergarten war das auch schon so. Wenn ich mit dem Gartenschlauch die Blumen im Garten abspritzte und mich ein Kind fragte, was ich da tue, habe ich oft geantwortet: „Ich füttere meinen Elefanten.“ „Ich pflücke Blumen“, antwortete ich Anna und wusste schon jetzt, welche Frage anschließend kommen würde. „Warum machst du das?“ fragte sie. Ich hätte ihr von meinem Löwen mit der Mähne berichten können. Allerdings war ich immer noch schwer genervt von den Müttern an den Handys und so sagte ich: „Ich will mir einen Blumenkranz für den Kopf basteln.“ „Das wollen wir auch!“ quietschte Fritzi aufgeregt. Beide rannten zu ihren Müttern und Anna fragte: „Dürfen wir Blumen pflücken?“ „Jaja“, sagte ihre Mutter und wischte weiter auf ihrem Handy rum. Nun ja… auf einem „Dorfplatzfussballrasen“ wachsen nun mal keine Blumen. Das Letzte, was ich sah, bevor ich mich wieder in unser Haus schlich, war, wie Anna und Fritzi sich die drei Primeln – einzige Blumen auf ihrem Gebiet – pflückten. Während ich schmunzelnd die Treppen zu unserer Wohnung hochging, hörte ich aus dem Garten ein wildes Gezeter. „Doch nicht diese Blumen! Herrgott, warum hast du die denn abgepflückt? Die habe ich doch erst letzte Woche eingepflanzt!“ Bei all dem taten mir nur mal wieder die Kinder leid. Schließlich kann man aus den Blüten dreier Primeln keinen Blumenkranz basteln. Aber vielleicht haben sie die nächsten Tage mal die Chance, ihre Mütter ohne Handys im Garten zu sehen. Ich werde nachberichten. Spätestens im Herbst, wenn alle Nachbarn wieder von draußen nach Innen ziehen.

Herzlichst eure Steph ❤

Hier geht’s zu den anderen Hinterhof-Geschichten:

Ein Kommentar zu „Frühlingsgeschichten aus dem Hinterhof

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