
Am Morgen des Hitzetages war es ungewöhnlich ruhig. Keine zwitschernden Vögel, keine Nachbarn in den Hinterhofgärten, kein Windhauch, der über unsere schöne Stadt kam. Ich hatte in einem T-Shirt und einer kurzen Shorts geschlafen und setzte mich vor dem Frühstück kurz an den PC, um erst einmal die Nachrichtenlage zu studieren. Alle Fenster hatten wir in der Nacht offen stehen lassen, um Abkühlung zu bekommen. Dass das ein Fehler war, merkte ich, als ich mich auf den schwarzen Ledersessel in unserem Arbeitszimmer niederließ. Ich schrie so laut, dass Ralf keinen Wecker mehr brauchte, um aufzuwachen. „Aua!“ stöhnte ich erneut und rieb mir die hintere Seite meiner Oberschenkel. Dann holte ich wie die Deutscheste aller Deutschen erst einmal ein Handtuch aus dem Bad, breitete es auf dem belederten Drehstuhl aus und setzte mich vorsichtig hin. In den Medien war von Hitzewelle die Rede, die uns im Norden mindestens zwei Tage lang zum Schwitzen bringen würde. Zudem wurden Tipps gegen die Hitze gennant. Man solle Reis kochen und im Beutel einfrieren um ihn – ähnlich wie ein Kirschkernkissen – zu nutzen. Babypuder oder ein Deoroller könne körperlich fülligeren Frauen bei aneinander reibenden Oberschenkeln helfen und Getränke sollten nicht zu kalt getrunken werden. Ich packte lieber mal drei statt sonst zwei Wasserflaschen für die ehrenamtliche Hilfe bei der Flüchtlingshilfe ein. Die dortige 2000 qm große Halle, offiziell Schuppen F genannt, würde an diesem heißen Tag bestimmt der perfekt kühle Ort sein.
Federn in den Schuhen
Nach dem Duschen brauchte ich mich gar nicht abzutrocknen, denn ich war sofort trocken. Das war praktisch. Doch was sollte ich an so einem heißen Tag an der Arbeit anziehen? „Nimm doch das Walle-Walle-Kleid“, riet mir Ralf. Dieses schwarze, weite Kleid hatten wir vor Jahren mal in Dänemark gekauft. Etwas Luftiges wäre schon toll, ich entschied mich allerdings doch für T-Shirt und weißen Jeansrock. Ich klebte Pflaster an meine Blasenfüße und schlüpfte in meine Turnschuhe. Weil es meinem Rücken nicht gut tut, stundenlang über den harten Zementboden des Schuppens zu laufen, hatte Ralf mir mit Gel gefüllte Fersenkeile für Schuhe aus dem Drogeriemarkt mitgebracht. Nun federte ich beim Gehen, als hätte ich Sprungfedern in den Schuhen. „Willst du keine Socken anziehen?“ fragte Ralf. „Bei der Hitze doch nicht!“ antwortete ich empört. „Du siehst aus wie eine Tennisspielerin“, sagte er lächelnd und zeigte auf meinen weißen Jeansrock. Das war vermutlich nicht die beste Kleiderwahl für eine Arbeit in einem Hafenschuppen, aber mal ehrlich: Als ich im Kindergarten gearbeitet hatte, hatte mir eine schwarze Jeans auch nichts gebracht, außer, dass sie irgendwann bunte Farbkleckse in Hüfthöhe hatte, weil die Kinder sich nach dem Bemalen des Fensters die Hände nicht gründlich abgewaschen und mich so gerne umarmt hatten. Wenn ich die Hosen damals an den höchstbietenden verkauft hätte, hätte ich damit mein lächerliches Erzieherinnengehalt aufbessern können. Warum kamen mir so gute Ideen erst später?
Die Luft steht
Bevor wir frühstückten, schmierte ich mir ein Brot für die Arbeit. Käse mit Gurke, das würde erfrischen. Weil die Temperaturen bereits bei 27 Grad lagen, legte ich das Arbeitsbrot in eine Tupperdose und stellte sie in den Kühlschrank. Drei Flaschen Wasser in den Rucksack und dann konnte es auch schon los gehen. Unser Auto stand unter einer Linde und war von deren Blüten komplett verklebt. Ich rettete einen Grashüpfer, bevor Ralf die Fenstersaubermachanlage anstellte und sich endlich eine gute Sicht einstellte, dann stieg ich ins Auto und merkte, wie mir die Luft wegblieb. Der Fahrtwind bei offenem Fenster würde hoffentlich für eine leichte Abkühlung sorgen. Auf dem Weg zum Schuppen fiel mir dann siedendheiß ein, dass ich ja gestern Abend eine Tablette genommen hatte. Oh nein! Besagte Tablette ist eine Einschlafhilfe, da ich von Sonntag auf Montag oft nicht gut in den Schlaf finde. Sie hilft super, hat allerdings einen großen Nachteil: Sie trocknet meinen Mund aus. Schnell öffnete ich eine meiner drei Wasserflaschen und trank sie zur Hälfte leer. Dann steckte ich mir noch einen Campino-Bonbon in den Mund, um den Speichelfluß anzuregen. Die Bonbons sind meine Autofahrbonbons und befinden sich in der Ablage der Beifahrertür. Nun nur noch die Maske auf und schon konnte es wieder losgehen mit dem Ehrenamt. Wie würde sich die Hitze wohl auf unsere Arbeit auswirken?
Wasser für alle
„Zu aller erst gehen heute Getränke nach draußen!“ ordnete der Chef, der ungern so genannt werden möchte, an. Mit ’nach draußen‘ meinte er die Menschen, die vor der Kleiderkammer auf einer Rampe auf die Eröffnung warteten. „Gebt bitte Becher und Wasserflaschen für alle raus“, sagte er, da kam schon die erste geflüchtete Frau zu uns und hielt und ihr Handy vor’s Gesicht. „Ich habe starke Kopfschmerzen. Kann ich mich kurz irgendwo hinlegen?“ stand da im Übersetzungsprogram geschrieben. In Nullkommanix holte der „Chef“ ein Feldbett aus einem der vielen Regale und klappte es aus. Dann holte er ein Kissen, eine Decke und sagte der Frau, sie könne sich nun ausruhen. Ich staune immer wieder, wie unfassbar flexibel er auf die Bedürfnisse anderer Menschen reagiert. Die Frau war erst einmal versorgt, nun konnten wir mit unserer Arbeit beginnen. Kleider sortieren, die Kleiderkammer neu bestücken, Bettwäsche zusammensuchen, Elektrogeräte testen, die Logistik der Halle neu ordnen usw. Dass ich immer eine kleine umschnallbare Handytasche mit mir herumtrage, erwies sich mal wieder als sehr nützlich: Darin habe ich stets einen Cutter zum Kartons aufschneiden, einen Edding zum Kartons beschriften und mein Handy mit angeschaltetem Schrittzähler. In den Gurt der Tasche, der sich um meine Hüften spannte, steckte ich eine meiner Wasserflaschen, so konnte ich zwischendurch immer mal was trinken. Die Halle war staubig, mein Mund ohnehin zu trocken und am heutigen Tag musste man einfach mehr als sonst trinken. Ich bin kein Hitzemensch. Vielleicht liegt es an meinen roten Haaren und meinem hellen Hauttyp. Wenn ich merke, dass das Blut mir im Kopf pocht, muss ich dringend aus der Sonne. Vor allem kann ich bei Hitze nicht so gut denken wie sonst. Das merkte ich daran, dass ich den anderen begeistert davon berichtete, dass Ralf mir in der Drogerie Fersensporn gekauft hätte. „Fersensporn?“ fragte mich eine Helferin ungläubig. „Ja, ist mit Gel gefüllt und tut so gut“, antwortete ich, da hatte ich meinen Fehler schon bemerkt. Fersenkeil natürlich. Da sich eine Helferin der Kleiderkammer krank gemeldet hatte, half ich dabei aus, leere Kleiderbügel von den Stangen zu nehmen und neue Kleidungsstücke zu suchen, doch als ich die Kleiderkammer betrat, war es wie vorhin im Auto. Dicke Luft. Kaum auszuhalten. Doch auch hierfür hatte der „Chef“ wieder eine passende Lösung: Er holte einen Ventilator, der eher einer Windmaschine ähnelte, aus einem der Regale und baute ihn in der Kammer auf. Als er das Teil dann anschmiss, war ich froh, mich morgens nicht für mein Walle-Walle-Kleid entschieden zu haben, denn das hätte mir in diesem Moment einen Marilyn Monroe-Moment beschert. „Das ist mein privater Ventilator, damit habe ich früher den Models auf den Fotos die Haare wehen lassen“, erklärte der Chef, der privat ein gefragter Fotograf mit eigenem Atelier ist. Als ich die Kammer verließ, um neue Kleidungsstücke zu holen, merkte ich, wie es mir plötzlich luftig um den Fuß wurde. Na super, das erste Blasenpflaster hatte sich bereits verabschiedet. Hätte ich doch mal Socken angezogen. Praktischerweise fand ich in der Halle Gaffaband, das klebte ich mir großflächig an die Füße und schon konnte es weitergehen.
Der Staudamm
Wir wirbelten umher wie fleißige Bienen in einem Bienenstock. Nahmen Sachspenden entgegen, bauten neue Regale auf, pumpten Fahrradreifen auf, suchten Sommerkleider zusammen und stapelten Schwimmwindeln für die Babys. Ralf fand ein Tipi und stellte es als Schattenspender für die Kinder auf die Rampe vor der Kammer. Die Kollegin, die für das Hygieneregal zuständig ist, lief alle zehn Minuten nach draußen und bot den Wartenden etwas zu trinken an. Der Kopfschmerzfrau ging es wieder um einiges besser. Bevor die Kleiderkammer eröffnete, wollten wir uns zur Pause hinsetzen, da merkte ich mal wieder die Wirkung von Hitze auf meinem Kopf, denn meine Tupperdose mit dem Brot lag noch daheim im Kühlschrank. Zum Glück hatte ich noch einen Apfel dabei. Zufrieden bemerkte ich, dass ich schon zwei Flaschen Wasser getrunken hatte, da wollte es auch wieder heraus. „Ich brauche mal den Kloschlüssel“, sagte ich zu der Frau, die diesen verwaltet. Doch der Schlüssel war weg! Ausgerechnet jetzt, wo in mir ein Staudamm zu brechen drohte. Mit kleinen, trippelnden Schritten ging ich die Gänge ab und fragte jeden, ob er den Schlüssel hätte. Sogar nach draußen ging ich, doch als ich das schwappende Wasser an der Hafenkante sah, erinnerte mich das zu sehr an das schwappende Wasser in mir und ich ging wieder rein. Da klimperte gerade jemand mit dem Schlüssel zu meinem Glück. Juchu. Erleichtert kehrte ich zurück zur Arbeit, wo wir noch drei weitere Stunden arbeiteten.

Durchzug
Bevor wir mit dem Auto wieder nach Hause fuhren, öffnete Ralf alle Fenster unseres Vehikels, damit wir keinen Hitzschlag bekämen. Fahrtwind gab es keinen, es schien wirklich immer noch, als ob die Luft steht. Zum Strand zu fahren war keine Option, alle Strandampeln standen auf Rot. Außerdem waren wir erledigt von der Hitze und der Arbeit. Ich wollte ein Campino-Bonbon lutschen, bekam es aber nicht mehr aus der Verpackung. Durch die Wärme verklebten Bonbon und Papier miteinander. Das kühle Treppenhaus zu betreten war so angenehm, dass ich gar nicht zurück in unsere Wohnung wollte. Doch dort konnten wir wenigstens auf allen Seiten die Fenster öffnen und auf Durchzug warten. Ich trat auf den Balkon und sah, dass die Tränke, die ich den Bienen neulich aus einem Ast und Flaschenverschlüssen gebaut hatte, völlig ausgetrocknet war. Schlimmer noch: In dem kleinen Wasserbehälter, der zur Auffüllung der Tränke gedacht war, schwamm eine verzweifelte Biene. Ich schüttete das Wasser in den Balkonkästen und sah einer bedröppelten Biene zu, wie sie versuchte, sich selbst zu trocknen, was ihr gelang. Die Tränke war aufgefüllt, die Biene gerettet. Zufrieden ging ich wieder rein, da sah ich, dass mein geknetetes Einhorn nicht mehr auf dem Schrank stand, sondern lag. Es war halb geschmolzen. Also noch eine Tierrettung. In beiden Händen trug ich es in den Kühlschrank, wo es wieder zur Besinnung kommen sollte. Jetzt musste ich nur dran denken, dem Ralf von dem Vorfall zu erzählen, denn es könnte sein, dass er sich über ein Einhorn im Kühlschrank dann doch ein bisschen wundert. Und wer weiß, vielleicht bekäme es Hunger und wenn dann der Käse angeknabbert ist, soll ich es wieder gewesen sein. Als das alles erledigt war, zog ich mir die Schuhe aus, riss das Gaffaband von meinen Füßen, duschte kurz und überlegte mir, wie ich die geflüchteten Kinder bei meinem nächsten Einsatz für die Flüchtlingshilfe überraschen könnte. Es war nicht der einzige Hitzetag in Lübeck mit einer Temperatur von 38 Grad, schon in der nächsten Woche soll es wieder heiß werden. Da las ich in einer Upcyclinggruppe von einer Alternative zu Wasserbomben, die man ganz einfach herstellen kann, wenn man Spültücher der Länge nach durchschneidet, jeweils fünf Streifen zusammenlegt und mit einem Gummiband zusammenbindet. Ich machte mich sogleich ans Werk und bastelte zehn dieser Abkühlungssterne. Sie funktionieren wirklich gut, ich habe sie an Ralf getestet.
Das war er also, der heisseste Tag bei uns im Norden. Wie gesagt bin ich nicht der Typ, der so viel Hitze gerne mag und verträgt. Außerdem sorge ich mich zusehends um den Klimawandel. Dennoch: Wir haben es gut geschafft und alle anderen versorgt. Dennoch scheint es merkwürdig, dass wir jetzt über das Maß schwitzen und im Winter womöglich frieren werden. Es sind merkwürdige Zeiten. Machen wir das Beste draus.
Herzlichst eure Steph
Liebe Steph,
Ich kann dich gut verstehen. Auch mir macht die Hitze zu schaffen, je älter ich werde um so mehr. Hinzukommt, dass ich in dem Alter bin, dass der persönliche Sommer Einzug gehalten hat. So kommt gefühlt alle 10 Minuten noch eine Hitzewelle dazu.
Früher hat mir das nichts ausgemacht.
Wir konnten den ganzen Tag im Schwimmbad verbringen.
Trink weiter viel und passt auf euch auf 🙋🏻♀️🥰
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Hallo liebe Steph, ich fühle mit dir :-). Herzliche Grüße, Monika
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Danke liebe Monika ❤
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