Im Komplimentegarten

Neulich habe ich mit Ralf einen Ausflug zum Komplimentegarten unternommen. Der Komplimentegarten ist eine schöne Idee unseres städtischen Tourismus-Managements. Auf einem sonst eher leeren Platz haben sie viele Holzkisten in verschiedenen Größen aufgestellt und mit einer unglaublichen Vielfalt an bunten Blumen bepflanzt. Auf unzähligen Schildern stehen mit farbiger Kreide geschriebene, schöne Sätze wie „Sonne ist die Universalarznei aus der Himmelsapotheke“ oder „Du bist mein Grün im Grau“. Wenn man dort hindurchgeht, ist es, als würde man eine eine große Gießkanne voller netter Sätze über sich ausgegossen bekommen. Erfrischend, prickelnd, wohltuend.

Der schlafende Fisch

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie ich circa fünf Jahre alt war. Wir lebten in einem Zwei-Familien-Mietshaus. Oben wohnten mein Bruder, meine Mama und ich und unten wohnte die siebenjährige Sabine mit ihrem Bruder und ihren Eltern. In deren Wohnzimmer stand ein großes Aquarium mit klitzekleinen Fischen. Dort schaute ich eines Tages hinein und sah einen der Fische mit dem Bauch nach oben schwimmen. „Schläft der?“ fragte ich und zeigte auf das kleine Fischlein. „Nein, der ist tot. Das ist aber gut, dass du das gesehen hast. Du hast ja richtige Adleraugen!“ antwortete mir Sabines Mama. Das fand ich super. Adleraugen zu haben musste etwas ganz Tolles sein. Ob meine Mutter wohl auch Adleraugen hätte? Musste sie ja, schließlich war sie meine Mutter. Diese gab mir auch oft Komplimente, aber es war halt was anderes, wenn man nette Dinge über sich von anderen außer der eigenen Familie gesagt bekommt. Die nächsten Male, wenn ich Sabine besuchte, stand ich immer wieder vor dem Aquarium, denn ich wollte unbedingt noch einen toten Fisch finden, damit sich das mit dem Kompliment wiederholte. Abends im Bett entschuldigte ich mich im Gebet an den lieben Gott dann regelmäßig dafür, dass ich den Fischen den Tod gewünscht hatte, nur um ein Kompliment zu bekommen. „Bestimmt findet er das gut von mir“, dachte ich dann und schlief beruhigt ein.

Die Geisterbahnfrau bremst mich aus

Später, als ich bereits mit beiden Beinen fest im Berufsleben stand, bemerkte ich ein Phänomen und das kam so: Ich arbeitete als Erzieherin in einem viergruppigen Kindergarten. Es war der letzte Kindergartentag vor der Sommerferienschließung. Die nächsten Tage hätten wir nun kinderfrei, denn die Spielsachen und Gruppenräume müssten alle gereinigt werden. Die Eltern der von mir betreuten Kinder verabschiedeten sich mit Geschenken und dankbaren Lobhudeleien für das vergangene Kindergartenjahr, bevor sie in die Ferien fuhren. 24 Eltern gaben mir die Hand, überreichten kleine Präsente und sagten was Nettes. Da kam kurz vor Feierabend die Mutter von Pit (5), und die hatte mächtig Ärger im Gepäck. „Sie haben vergessen, mir den Speiseplan der Woche zu geben, und nun hat mein Pitti Bauchschmerzen, weil es mal wieder was Paniertes gab. Er darf aber nichts Paniertes und das wissen Sie auch!“ polterte sie los. Ich stand da und sah sie an wie das Kalb Mose. Was war denn nun passiert? Gefühlsmäßig fuhr ich eben noch jubelnd in der bunt leuchtenden Marienkäferachterbahn mit, um mich jetzt, nach einer falschen Abbiegung, mitten in der gruseligen Geisterbahn wiederzufinden. Ich weiß nicht mehr, was ich ihr entgegnete, ich weiß nur, wie ich nicht mehr aufhören konnte, über ihre Kritik nachzudenken. Die ganze Heimfahrt in der S-Bahn war ich damit beschäftigt, an diese Frau und meine vermeintliche Schuld zu denken. In meiner Not telefonierte ich mit meiner ehemaligen Ausbilderin und darüber bin ich noch heute froh, denn sie sagte mir einen für mich sehr wertvollen Satz. Sie sagte: „24 Eltern haben dich heute für deine Arbeit gelobt. 24! Und dann kommt eine und hat die Macht, dir diese Freude abzusprechen? Das würde ich nicht zulassen.“ Mir half dieser Perspektivwechsel jedenfalls schnell wieder heraus aus meinem Feierabendtief. Vor allem aber konnte ich endlich die Schuld von meinen eigenen Schultern nehmen. Wenn es ihr so wichtig war den Speiseplan zu bekommen, hätte sie ihn einfach nochmals anfordern können. Die Bauchschmerzen hatte dieses Kind, das ich bis dahin als Fachkraft schon zwei Jahre betreute, nicht von einem panierten „Dino-Schnitzel“, sondern weil seine Mutter schon wieder feixend in der Gruppentür stand.

Frau Sonnenschein

Ich finde es faszinierend, was Komplimente aus einem Menschen machen und verteile regelmäßig welche an andere. Das mögen einige zuviel finden, aber da bin ich ganz egoistisch. Wer Gutes tut, soll auch belohnt werden, und was ist nachdrücklicher als etwas Nettes über jemanden zu sagen? Durch das viel zu kurze Leben meiner Tochter weiß ich, wie vergänglich das Leben ist und das von heute auf morgen alles vorbei sein kann. Ich warte daher nicht ab, sondern sage den Leuten gleich, was mir an ihnen gefällt. Der Ralf ist da genauso und das finde ich ganz toll an ihm. So haben wir an der Arbeit in der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe zum Beispiel eine Kollegin, die von innen heraus sehr oft sehr viel Freude ausstrahlt. Der Ralf kann sich Namen nicht so gut merken wie ich und als ich ihn neulich fragte, wer da gerade mit dem Auto vorgefahren sei, da sagte er „die Frau Sonnenschein“. Sie hat natürlich einen ganz anderen Nachnamen, aber er fand, dass dieser Name perfekt zu ihrem Naturell passt. Ich sagte ihm sogleich, wie passend ich diesen ausgedachten Nachnamen für sie fand, da kam sie schon um die Ecke und fragte uns lachend, worüber wir redeten. Da haben wir es ihr erzählt und so wie ihre Augen plötzlich leuchteten, denke ich, dass sie sich darüber arg gefreut hat. Ein anderes Kompliment kam mir per Zufall über die Lippen, als mir ein männlicher Helferkollege erzählte, wie alt er sei und ich das nicht glauben konnte. Ganze zehn Jahre jünger hatte ich ihn geschätzt, was er mit der Antwort quittierte, es läge an seinen modernen Klamotten. Das Lächeln, das er daraufhin die weiteren Stunden trug, stand ihm allerdings auch sehr gut.

Warme Dusche

Sätze können einen fertig machen oder aufbauen. Das Rad der Gewalt zeigt neben der körperlichen auch die sexualisierende, die ökonomische, die soziale und die psychische Gewalt auf. Die Frauen, die ich in der Erwachsenbildung weiterbildete, hatten auf unterschiedlichen Wegen Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Einige kamen aus dem Frauenhaus, andere hatten in Kriegsgebieten gelebt. Sie alle einte eines: Verächtliche Sätze, die sie von ihren ehemaligen Partnern gehört hatten, hatten sich in ihren Köpfen festgesetzt. Wenn man mehrmals am Tag Beleidigungen über sich ergehen lassen muss, dann glaubt man sie irgendwann auch. Aus diesem Grund spielte ich mit den Frauen eines Tages ein Spiel, welches sich „Warme Dusche“ nennt. Eine Frau sitzt im Kreis, die anderen drumherum. In einer kleinen Vorlaufzeit kann sich jede Frau überlegen, was sie Schönes über die anderen Frauen sagen möchte. Und dann geht es los: Die Frau im Kreis bekommt von jeder Teilnehmerin etwas Nettes gesagt. Ist die erste Runde der warmen Dusche beendet, kommt eine andere Frau in die Mitte und so weiter. Ich habe Frauen kennengelernt, die Schwierigkeiten hatten, ein Kompliment anzunehmen und welche, die nicht glauben konnten, dass jemand etwas so Nettes über sie sagt. Es war jedes mal sehr emotional, aber darin auch wunderschön. „Weißt du was, Stephi?“ begann eine der Teilnehmerinnen mich auf ein Kompliment von ihr vorzubereiten. „In meinem Land glauben viele, dass rothaarige Frauen Hexen sind. Aber Du bist keine!“ Mensch, was war ich erleichtert.

Zum Abschluß eines jeden Kurses spielten wir dann den Komplimente-Teller. Wir klebten uns alle einen Pappteller auf den Rücken und nahmen bunte Filzstifte in die Hand. Zu schöner Musik bewegten wir uns alle durch den Raum und schrieben jedem anderen ein nettes Kompliment auf den Teller. Zum Schluß setzten wir uns alle an einen Tisch und wer wollte, konnte seine Komplimente laut vorlesen. Das Ziel dabei war es, den Frauen etwas mitzugeben, das sie sich zu Hause an die Wand hängen konnten. Ein ganzer Teller voller Komplimente, wer mag das nicht gerne?

Ich habe meine Teller heute noch und wenn mich mal ein schlechter Tag ereilt, dann hole ich die Teller hervor und lese mir durch, wie die Frauen mich empfunden haben. Es ist also mein persönlicher Schatz und ich wünschte, die Frauen würden es heute – Jahre später – auch so handhaben.

Sein wir einfach nett zueinander

Ich erlebe (besonders in den sozialen Medien) eine Zeit, in der Menschen vorschnell urteilen, auf Teufel komm raus kritisieren, hämisch/gehässig sind und sich nichts Gutes tun, wenn sie andere angreifen. „Wo kommt diese Wut, dieses Herumnörgeln und Hämische her?“ frage ich mich dann. Aber da ich keine studierte Soziologin bin, weiß ich die Antwort nicht. Ich weiß nur, dass mein Bruder und ich mit einer Mutter aufgewachsen sind, die uns immer wieder als ihr ganzes Glück betitelte. Es gab keinen Tag, an dem wir nicht irgendein schönes Kompliment von ihr bekamen. Sie zeigte uns, dass wir genauso richtig waren, wie wir waren und das allein tat schon gut. Eine Rückmeldung zu sich selbst zu bekommen, ist so wichtig für die Seele und das Selbstbewusstsein und so ist das, was ich letzte Woche bei der Flüchtlingshilfe erlebte, kaum verwunderlich:

Es war kurz vor Feierabend als ein Autofahrerin an die Rampe gefahren kam. Da der Chef einen anderen wichtigen Termin wahrnehmen musste, nahm ich die Sachspenden, die sie aus dem Kofferraum entlud, an. „Ist Ihre Mutter meine Patientin?“ fragte die Frau, während sie mir Taschen mit Kleidung auf die Rampe schob. Ich war verwirrt. Die Hausärztin meiner Mutter ist auch die meine und wir kennen sie seit Jahren. Ich dachte an meine agile 73-jährige Mutter und sagte selbstbewusst: „Meine Mutter steht in Saft und Kraft, ich wüsste nicht, wo sie Patientin wäre.“ „Ach so, na, ich dachte. Ich bin Diabetologin“, erzählte sie. Da fiel bei mir der Groschen. „Sie sind diese wunderbare Ärztin, von der meine Mutter stets so schwärmt?“ fragte ich sie, was sie mit einem breiten Lächeln beantwortete. „Meine Mutter erzählt so viel Tolles von ihnen, ich freue mich, dass ich sie nun auch mal kennenlernen darf“, sagte ich. „Ihre Mutter ist so eine engagierte, äußerst freundliche und humorvolle Person, das ganze Team freut sich immer, wenn sie zu einem Termin kommt. Nun erzählte sie, dass ihre Tochter ehrenamtlich bei der Flüchtlingshilfe arbeitet und noch bestimmte Spenden benötigt werden. Diese bringe ich hiermit.“ Ach, war das schön. Sie fragte, was noch gebraucht wird und als ich es ihr erzählte, sagte sie, dass sie nochmals wiederkommen würde. Anschließend lief ich durch die große Halle, erinnerte alle Helfer:inen an den Feierabend und traf ganz hinten auf Frau Sonnenschein. „Stell dir mal vor, was da eben passiert ist“, sagte ich und berichtete ihr glucksend von dem Erlebnis an der Rampe. „Na, ich sag mal, wie es ist: wie die Mutter, so die Tochter!“ Ich kann gar nicht ausdrücken, wie schön ich diese Situation fand. Es könnte so schön sein, wenn wir uns alle mal die Zeit nähmen, jemand anderem ein anerkennendes Lob oder Kompliment auszusprechen. Glaubt mir, ich denke noch heute – inzwischen mit -2,5 Dioptrin – daran, wie Sabines Mama mir sagte, ich habe Adleraugen. 😉

Habt alle eine angenehme Zeit. Bleibt gesund oder werdet es. Ihr seid eine tolle Leserschaft und ich freue mich sehr, dass ihr mir hier auf WordPress folgt.

Herzlichst, eure Steph

www.komplimentewerkstatt.de

4 Kommentare zu „Im Komplimentegarten

  1. Liebe Steph, du hast ja so Recht. Ein nettes Kompliment kann einem den Tag verschönern und auch Komplimente geben ist sehr schön. Wenn man sieht, wie sich sein Gegenüber freut.

    Hier mein Kompliment an dich. Ich kenne dich nicht, aber du warst mir von Anfang an sympathisch. Du bist ein sehr warmherziger Mensch und eigentlich finde ich es auch sehr schade, dass wir so weit auseinander wohnen.

    Euch noch einen ganz schönen Sonntag

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    1. Liebe Annette, ich danke dir von Herzen und würde mich auch sehr freuen dich mal persönlich kennenzulernen. Vielleicht sogar auf Fanø? Ich freue mich immer über deine vegetarischen Rezepte die nicht nur dem Ralf sondern auch mir als Nicht- Vegetarierin so gut gefallen. Hab noch einen schönen Sonntag. Liebe Grüße Steph 😊

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