Sommerende

(Neues aus dem Hinterhof)

Der Sommer zieht vorbei und macht dem Herbst Platz. Und auch in unserer Nachbarschaft hat sich einiges getan. Könnt ihr euch noch an Herrn und Frau Spießer erinnern? Bei den beiden ist im Garten immer alles picobello. Das macht natürlich viel Arbeit, mit der Herr Spießer im Frühling beginnt. Da werden Steinplatten abgekärchert, das Sichtschutzholz von grünem Schlack befreit, der Sonnenschirm geputzt, der Rasen mit der Nagelschere nachgeschnitten und die Terrassenmöbel auf Hochglanz poliert. Wenn sie damit fertig sind, ist der Sommer da und sie könnten sich nun endlich mal in ihren frisch geputzten Stühlen unter’m Sonnenschirm ausruhen. Aber nun wohnt ja ihr erwachsener Sohn mit seiner Frau nebenan und da haben sie es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass bei den beiden auch alles Hochglanzmagazinschick ist.

Der Elsterkönig

Die Spießer wohnen in einem Haus mit den Elstern. Die Elstern dürfen das Grundstück direkt vor’m Haus nutzen. Eine hoch gewachsene Thuja und ein Mandelblütenbaum trennt den gemeinsamen Garten hinter dem Haus. Die Elstern vorne, die Spießer hinten. Früher dachten wir, dass die Elstern ganz nette Leute sind. Doch Herr Elster ist ein Waschweib und verbreitet ungefragt Gerüchte in die Welt. Als wir uns neue Matratzen gekauft und die alten vor die Tür gestellt hatten, erzählte er überall herum, Ralf und ich hätten uns getrennt. Ralf wäre schon lange ausgezogen und ich hätte neue Matratzen gekauft. Dass Ralf deswegen wochenlang nicht vor die Tür ging und wir neue Matratzen hatten, war einzig dem geschuldet, dass Ralf einen schlimmen Bandscheibenvorfall hatte und nicht wusste, wie er liegen oder sitzen oder stehen oder gehen sollte. Wenn ich aus dem Haus gehe, sehe ich Herrn Elster oft hinter seinem Gardinenfenster stehen, wo er mir so lange nachsieht, bis ich aus seiner Sicht bin. Ich mache mir einen Spaß daraus, ihm ab und zu zuzuwinken. Dann wackelt die Gardine kurz und der Schatten bewegt sich vom Fenster weg. Es liegt nicht nur an seiner Lästerlaune, weswegen wir den Elstermann nicht mögen. Ralf hat mal gesehen, wie einem jungen Mädchen beim Warten auf den Bus ein 5 Euro-Schein aus der Tasche gefallen ist. Der Elstermann hat den Schein genommen und ihn ganz frech in seine eigene Tasche gesteckt, ohne dem Mädchen das Geld zurückzugeben. Aber nicht nur das: Die Windspiele die er auf unserem Balkon bewunderte, schmücken nun seinen Garten. Er scheint die Meinung zu vertreten: Was der Herbststurm zu mir weht, gehört nun mir.

Braunes Wasser im Planschbecken

Dann wäre da noch Herr Griller. Wie es sein Name schon andeutet, liebt er es, auf seinem Balkon zu grillen. Wenn bei dem nicht viermal die Woche die Grillkohle glüht, muss man sich Sorgen um ihn machen. Er ist verheiratet mit einer jungen Musiklehrerin. Wenn sie Übungsstunden gibt, muss er mit den beiden Kindern im Kleinkindalter in den Hinterhof gehen und sich langweilen. Er könnte natürlich mit seinen Kindern spielen, aber sein Handy bietet ihm wohl mehr Unterhaltungswert. Die Frau gibt wohl oft Musikstunden, denn man sieht den Griller fast jeden Tag auf der Sandkastenbank ausharren, bis er wieder rein darf. Einmal hat er dabei seine Kinder draußen vergessen. Das gab vielleicht Ärger! Wir haben es bis hier drüben gehört. Danach durfte er gleich wieder runter in den Garten. Seine Kinder hatten in der Zeit, in der er sie vergessen hatte, dazu genutzt, die Erde aus den Blumenbeeten in ihren Bobbycaranhänger zu hieven. Dann fuhr die ältere Tochter zum aufgestellten Kinderplanschbecken, wo sie ihren jüngeren Bruder anwies, aus dem Weg zu gehen, was er sogleich tat. Wie eine Fernfahrerin lenkte sie das Bobbycar mit Anhänger dann rückwärts ganz dicht ans Planschbecken, stieg von ihrem Vehikel und kippte den Inhalt ins Wasserbassin hinein. Vorher glitzerte das Wasser hübsch blau in der Sommersonne, doch nun war es eine braune Brühe. Der junge Sohn jubelte über die Tat seiner Schwester und klatschte erfreut in die Hände. Der Griller aber dachte, sein Pampers-loser Jüngster hätte in das Planschbecken gek… und fand das gar nicht komisch. Während seine musikliebende Frau dreimal vom Balkon aus zum Abendessen rief, musste der Griller erst einmal die Matschepampe aus dem Planschbecken kippen und seine Kinder mit dem Gartenschlauch abspritzen.

Herr Brutzelmann bleibt cool

Gegenüber wohnt der Brutzelmann mit seiner Frau. Herr Brutzelmann ist circa 65 Jahre jung. Er liebt es, in seinem Garten auf der Liege zu liegen und lässt den lieben Gott einen guten Mann sein. Durch nichts lässt er sich aus der Ruhe bringen. Er stellt seine Liege auf, legt sich drauf und lässt sich brutzeln. Egal ob die Kinder freudig wie aufgeregte Schweinchen quieken, der Spießer seine Möbel kärchert oder der Griller seinen rostigen Handrasenmäher mit den stumpfen Klingen über den entsetzten Rasen rollert, Herr Brutzelmann bleibt cool und schläft in der Sonne, bis der Herbst kommt. Doch nun wurde das Mietshaus neben den Brutzelmanns an einen Investor verkauft und der will vor allem eins: Geld einnehmen. Ich weiß das so genau, weil das Grundstück des Investors an das unsere grenzt und wir damit eine Menge Ärger haben, denn bei denen im Garten wird nur einmal im Jahr der Rasen gemäht und sonst nichts getan. Weil der Ralf so lieb ist und den Rasen unserer älteren Vermieterin alle 14 Tage mäht, kriegt er regelmäßig die Krise, denn alles, was da drüben nicht geschnitten wird, wächst wild durch den Zaun zu uns herüber. Bei den Brutzelmanns ist es noch viel schlimmer. Frau Brutzelmann musste die Heckenschere aus dem Schuppen holen und ihren auf der Liege liegenden zugewachsenen Ehemann mit viel Geduld aus dem Brombeerbuschgewächs herausschneiden. Er klopfte sich die Äste aus den Klamotten, bedankte sich bei seiner Frau und legte sich wieder zum schlafen in die Sonne. Herr Brutzelmann bleibt immer cool.

Der Grill ist weg

„Die Griller ziehen aus“, sagte Ralf vor vier Wochen beim Frühstück. „Woher weißt du das?“ wollte ich wissen. „Der Grill ist weg!“ war seine knappe Antwort. Ich stand sofort auf und trat auf den Balkon. Tatsächlich, der Grill auf dem Nebenbalkon war weg. Allerdings waren Blumenkästen, Stühle und Tisch noch da. Wie kam Ralf also darauf, dass die Griller ausziehen? Doch dann entdeckte ich die Halteverbotsschilder vor der Tür, die einen Umzug andeuteten. Tage später war es dann soweit: Die Griller zogen mit Sack und Pack sang- und klanglos aus. Meine Nase würde sich daran gewöhnen müssen, nun nicht mehr viermal die Woche mit Grillgeruch umweht zu werden. In Erinnerung an vier Jahre Nachbarschaft, in der der Griller es nicht einmal schaffte, uns zu grüßen, dachte ich darüber nach, ab wann er mir so unsympathisch wurde. Da war das Telefongespräch, das er auf dem Balkon führte. Weil er sich scheinbar nie um andere schert, führte er das Gespräch sehr laut. Ich stand bei gekippten Fenster in der Küche und kochte, als ich ihn mit einem Bekannten telefonieren hörte. Erst dachte ich, dass der Bekannte in Thailand wohl sehr nett sei, denn er hatte als Tourist einigen Thailänderinnen etwas besorgt. Erst als ich den Griller hören sagte: „Echt, hast du es ihnen so richtig besorgt?“ wusste ich, dass es sich hier nicht um mitgebrachte Einkäufe handelte und schloss angeekelt das Küchenfenster.

Wir sind nicht traurig darüber, dass sie nun weg sind, aber die spielenden Kinder im Hinterhof werde ich eindeutig vermissen.

Blätter im Pool

Der Sohn von den Spießern hat sich im letzten Jahr einen großen Pool mit immenser Holzverkleidung in den Garten des Mietshauses gebaut. Monatelang hat er die gesamte Nachbarschaft mit seinem Hämmern, Bohren und den Akkuschrauberdrehungen genervt. Als er dann endlich mit seiner Frau in den fertigen Pool sprang, war ich sehr erleichtert. Doch dieses Jahr bemerkte er, das seine Konstruktion im Herbst und Winter einigen Schaden genommen hatte und das ganze Gehämmere, Geschraube und Gedrehe fing wieder von vorne an. Sein Vater von nebenan konnte ihm nicht helfen, denn dieser war selbst damit beschäftigt, einem herabfallenden Blatt (vom Baum des Nachbars von gegenüber) den Kampf anzusagen und vor lauter Wut über den Baum seine Steinplatten erneut sehr intensiv zu schrubben. Darüber konnte der Spießersohn froh sein, denn so konnte der Vater seinem erwachsenen Sohn nicht erneut zeigen, wie man den Rasen richtig mäht. Der Pool war fertig repariert, aber einsteigen wollte dann doch keiner. Es war auch ein zu komisches und zugleich trauriges Bild, das sich da einem bot: Während der anhaltenden Dürre verwandelten sich alle unsere Rasenflächen von sattem Grün in braunes verbranntes Gras. Der Wassermangel gebot es, die gelben Halme nicht zu wässern. Da kommt es nicht so gut, wenn der Spießersohn zwei Tage lang seinen Pool mit Trinkwasser befüllt. Aber nun ist die Saison ja eh vorbei. Auf der Plane seines Pools sammeln sich nun die vertrockneten Blätter der Birke, was von hier oben schon wieder so aussieht, als hätte jemand in den Pool „gemacht“.

Abschied vom Sommer

Der Sommer ist vorbei. Herr Brutzelmann ist von seiner Liege aufgestanden, hat kurz an sich herunter geschaut und festgestellt, dass seine Haut bereits wie eine Thüringer Bratwurst aussah. Brutzelgrad also erreicht. Daher nahm er seine Liege unter den Arm und ging wieder ins Haus. Alle gingen wieder in ihre Häuser. Wir werden uns im Frühling wieder sehen. In einem Lieblingsgedicht meiner Mutter heißt es: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und wird in den Alleen hin und her unruhig wandern, wenn die Blätter treiben. (Rainer Maria Rilke) Ich denke an Herrn Netti, der bei uns im Haus gewohnt hat und zu dem wir eine ganz besondere Beziehung hatten. Es wird der erste Herbst ohne ihn sein. Ich habe ihm eine der Sonnenblumen, die wild auf unserem Balkon wachsen, gewidmet.

Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne.

Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben. (Hermann Hesse)

Tschüs, lieber Sommer. Willkommen Herbst.

Herzlichst Steph ❤

Hier geht es zu den anderen Hinterhof-Geschichten:

https://stephistwach.wordpress.com/2019/04/04/gerausche-aus-dem-hinterhof-oder-so-riecht-der-fruhling/

4 Kommentare zu „Sommerende

  1. Danke, liebe Steph, für die Nachbarschaftsgeschichten. Man liest sie, als hätte man mittendrin gesessen. Ich habe auch Nachbarn im Haus. Zwei junge Männer, Mitte 30. Für sie bin ich unsichtbar. Liegt wohl am Alter.
    Tschüß und einen schönen Sonntag wünscht Gisela 🍂🍁

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  2. Liebe Steph,
    schön mal wieder von deiner Nachbarschaft zu hören. Vor allem da es ja überall die Familie Spießer , Griller und Co. gibt. Ja jetzt verschwinden alle in ihren Höhlen und erst im Frühjahr tauchen sie wieder auf. Ich mag die Geräusche des Sommers, spielende Kinder und Menschen, die Draußen ihre Zeit verbringen. Aber jetzt fängt die Zeit an, wo man sich gemütlich einkuscheln kann und Kerzen anzündet.
    Euch einen schönen Sonntag Annette

    Gefällt 1 Person

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