
Die Vorweihnachtszeit bedeutet bei uns vor allem eins: Schabernack. Denn wie schon seit mehreren Jahren kommt Herr Kalle Knispel Schröder uns vom 1. Dezember bis zum 4. Januar besuchen. Wir mögen Besuch sehr und sind gerne Gastgeber:in, allerdings ist Herr Schröder kein gewöhnlicher Übernachtungsbesuch. Er schläft gerne länger, ist oft frech und zu allerhand Streichen aufgelegt. Seine Lieblingsspeise ist Toffifee, dabei ist er so gierig, dass wir mit ihm jeden Tag Verhandlungen führen müssen, damit sein Konsum daran nicht überhand nimmt. Herr Schröder wohnt hinter der Nissedør in unserer Esszimmerwand. Seine Wohnung ist so klein, dass weder Ralf noch ich dort hineinpassen würden. Normalerweise erscheint Herr Schröder immer in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember. Die andere Zeit lebt er im Zauberwald auf der dänische Insel Fanø. Gebracht wird er stets vom großen und klugen Seeadler Klaus, der ihn auf seinen Schwingen hier vorbeibringt.
Verspätete Ankunft
Wir wunderten uns schon ein bisschen darüber, dass wir am 30.11. vergeblich auf Herrn Schröder warteten, doch schon am nächsten Tag im größten Trubel kam er hereingeschneit, und das ist wortwörtlich zu nehmen. Weil wir an diesem Tag neue Fenster bekamen, war die ganze Fensterfront im Esszimmer ausgebaut. Ein riesiges freies Quadrat im Mauerwerk brachte uns zum Frieren. Vereinzelt konnte man winzige Schneeflocken sehen, wenn man ganz genau hinsah. Wir hörten ein Geräusch von schwingenden Flügeln, welches sich anhörte wie die Rotorblätter einer Windkraftanlage. Es war der Seeadler Klaus. Er stoppte seinen Flug nicht, sondern warf Kalle Knispel Schröder aus der Luft auf unseren Balkon, wo der kleine Wicht mit der roten Zipfelmütze durch das große Quadrat kletterte und sich schüttelnd in unserem Esszimmer stand. Auf meine Frage hin, warum er nicht schon am 30.11., sondern erst am 01. Dezember angekommen sei, erzählte er uns „die Story vom wilden Gaul“. So nannte es meine Mutter stets, wenn ich versuchte, ihr eine erfundene Geschichte für eine wahre Begebenheit zu verkaufen. Herr Schröder erzählte, der Zug sei nicht gefahren, das Ententaxi sei zu teuer gewesen und Klima-Kleber hätten ihm den Weg versperrt. Deswegen sei er zu spät bei uns angekommen. Später erfuhren wir vom ehrlichen Seeadler Klaus, dass Herr Schröder im Zauberwald auf Fanø wieder viel zu viel Toffifee genascht hatte und deswegen von der Katze Streichelmich, dem Schneckenexpress und dem Ententaxi nicht mitgenommen wurde. „Wir hatten eine gefährliche Schieflage, als er einstieg“, erklärte der Schneckenexpress. „Ich wäre mit ihm untergegangen“, erklärte das Ententaxi Schwipp-Schwapp. „Mit ihm in meinem Maul hätte ich mir den Kiefer ausgerenkt“, erklärte die Katze Streichelmich. „Ich habe Rückenschmerzen von seinem Gewicht, ich bin doch keine Antonov An 225“, klagte der Seeadler Klaus. Und so wurde uns gewahr, dass wir Kalle Knispel in diesem Jahr mal wieder ein Trainingsprogramm auferlegen müssten, damit er ein wenig an Gewicht verlöre. Dazu passte ganz gut, dass ich mir etwas vorgenommen hatte: Herr Schröder sollte mehr im Haushalt mithelfen. Dafür hatte ich im November schon einiges aufgetrieben, hatte einen Staubsauger aus einem Überraschungsei und Strohhalm gebastelt, und ihm aus einem Zerstäuberdeckel, Draht, Schaschlikspießen und Stoffresten einen Eimer mit Griff und Feudel gestaltet. „Ich bringe ihn schon dazu, zu tun, was ich möchte!“ sagte ich zu Ralf, der als mein langjähriger Ehemann überhaupt keine Zweifel an meinem Vorsatz hegte. So, und nun wünsche ich euch ganz viel Spaß an meiner Erzählung über die ersten Tage des Dezembers mit Herrn Schröder…
Das Klo hat Augen
„Raus aus den Federn, der Tag ist noch jung und will gestaltet werden!“ rief ich, während ich an Herrn Schröders kleine Tür in unserer Wand klopfte. Ich hörte ihn grummeln und wusste – obwohl ich es nicht sah – dass er sich in seinem gemütlichen Bett aus Kirschholz nochmals herumdrehte. „Ralf, dreh die Musik auf!“ befahl ich deshalb. Das freute den Ralf, denn er hört „seine“ Musik sehr gerne laut. Zu den Klängen von Sick Of It All’s „Take the Night Off“ erschien dann ein total zerknitterter Kalle Knispel in seiner Tür und hielt sich die Ohren zu. „Na also, geht doch!“ sagte ich zufrieden und schickte ihn ins Badezimmer, wo er sich waschen und für den Tag frisch machen sollte. Das dauerte entsetzlich lange, und als ich schließlich ins Bad kam, um nachzuschauen, was darin vor sich ging, da wollte ich am liebsten rückwärts wieder herausgehen. Solch ein Chaos hatte ich selten gesehen. Auf dem Badezimmerspiegel hatte er mit rotem Lippenstift eine rote Zipfelmütze aufgemalt, Rasierschaum stellte einen weißen Bart da und als ich näher an den Spiegel herantrat, da erschien mein Gesicht zwischen roter Zipfelmütze und weißem Rauschebart. „Sehr witzig“, murmelte ich. Dann fiel mein Blick auf den Toilettendeckel, der heruntergeklappt war. Er hatte dem Klo ein Gesicht verpasst. Zwei Klorollen bildeten die Augen, eine zusammengedrückte leere Klorolle steckte als „Zigarette“ zwischen dem Deckel und Klobecken. Herr Schröder stand hinter mir und lachte sich halb kringelig. Im Klorollenhalter befand sich keine volle Klorolle mehr, er hatte sie gegen eine Rolle Luftschlangen ausgetauscht. Wenn er diese aus der Silvesterschmuckkiste auf unserem Dachboden geholt hatte, wollte ich am liebsten gar nicht nachschauen, wie es da oben auf dem Speicher nun aussah. Ein wenig versöhnlich stimmten mich die drei Herzen aus Zahnpasta, mit denen er das Waschbecken verziert hatte. „Ich spiele jetzt noch einmal das Lied „Take the Night Off“ ab und wenn der letzte Ton verklungen ist, dann IST DIESES BAD WIEDER SO, WIE DU ES VORHIN VORGEFUNDEN HAST!“ sagte ich in bestimmender Tonart. Der Tag war noch jung und wir hatten viel vor.
Tellergroß
Nachdem Herr Schröder sich gewaschen, seine Zähne geputzt und sich angezogen hatte, erwartete ich ihn vor seiner Wohnungstür, wo ich ihm den kleinen Staubsauger vor die Nase hielt. „Was ist das?“ fragte er mich, als ob er noch nie ein solches Gerät gesehen hätte. „Kann man darauf reiten, oder gar fliegen?“ fragte er weiter. „Probier‘ es doch mal aus“, antwortete ich leichtsinnigerweise und schon saß der kleine Mann auf dem Staubsauger und gab ihm die Sporen. Oh man, das würde ein langer harter Tag werden, bemitleidete ich mich in Gedanken selber und beschloss, dass es Zeit für eine zweite Tasse Tee sei. Natürlich folgte mir der kleine Mann mit Zipfelmütze und natürlich probierte er verbotenerweise an Ralfs nicht ausgetrunkener Kaffeetasse. Einen Strohhalm hatte er sich dafür aus dem Küchenschrank stibitzt. Plötzlich konnte man bei ihm eine Veränderung sehen. Seine Augen wurden tellergroß und drehten sich im Kreis. Er japste und nahm noch einen Schluck. Und dann drehte er völlig durch. Er rannte in der Küche herum, sprang vom Boden auf den Stuhl und von da aus auf den Küchentisch, wo er schließlich über die Arbeitsplatte rannte, die Wände hoch und wieder runter. „Na, wenn du jetzt schon so viel Energie hast, dann sollten wir diese nutzen und mit dem Putzen beginnen“. stellte ich fest. Und da machte er endlich das, was ich wollte. Er saugte mit seinem neuen Staubsauger, den ich zuvor der Schönheit wegen mit Gold angesprüht hatte, seine gesamte Wohnung. Und nicht nur das. Er saugte den Weg vor seinem Haus, er saugte die Fassade, seine Tür, er saugte alle seine Tannenbäume und seinen Briefkasten. Man hätte locker einen Staubsauger-Reklamefilm mit ihm drehen können. Als er dann mit seinem Supersauger an unseren Vorhängen zu Gange war, stoppte ich ihn und gab ihm eine neue Aufgabe. „Das ist ein Wischmopp, ein Feudel, wir wir hier im Norden sagen“, erläuterte ich ihm das Putzgerät, bevor er wieder Fragen stellen konnte. Da hatte er sich den Eimer bereits verkehrt herum auf den Kopf gesetzt und sah aus wie ein begossener Pudel, als das Putzwasser schaumig über seine Mütze plätscherte. Also frisches Wasser und einen Schuss Wischiwasch in den Eimer und dann losgelegt. Hin und her, hin und her wienerte er den Weg vor seinem Haus und alle Böden seiner Zimmer. Die Wirkung des Kaffees ließ noch nicht nach und so beschloss ich, dass er gerne auch unsere Böden feudeln durfte. „Wir haben hier alle unsere Aufgaben im Haushalt“, sagte ich und freute mich über unser sauberes Heim. Im Anschluss zeigte ich ihm noch, wie man Fenster putzt, Gardinen wäscht und Staub entfernt. Es war ein erfolgreicher Tag, der darin endete, dass es überall blitzte und blinkte. Erst wollte ich ihm sagen, dass wir das nun jeden Tag ausführen müssten, aber das fand ich dann doch ein wenig gemein und entließ ihn in seinen wohlverdienten Feierabend.
Süße Hanteln
Auch wenn er wirklich viel gearbeitet hatte, wollte ich dennoch, dass er weiterhin an Gewicht verliert und baute ihm wie vor Jahren schon einen kleinen Trainingsparkour auf unserem Tipp Kick-Teppich auf. Das Seil, das ich ihm zum Seilspringen gab, riss in der Mitte durch und ich suchte vergebens nach einem neuen. Da nahm ich kurzerhand eine Lakritzschnecke und ribbelte sie der Länge nach auf, so wie wir das als Kinder stets taten. Herr Schröder sprang genau vier mal über die Schnur, da steckte sie schon in seinem Mund. Ratzeputz aufgegessen. Mein Fehler.
„Gewichte heben ist auch toll“, sagte ich und holte die Hanteln hervor. Dafür hatte ich zuvor einen Strohhalm und zwei Unterlegscheiben miteinander verbunden. Und ja es funktionierte. Er stemmte die Gewichte immer wieder in die Höhe und schwitzte so sehr, dass dicke Schweißperlen seinen weißen Bart und sein Trikot-Shirt ganz nass machten. „Er brauchte dringend ein Handtuch“, dachte ich mir und sang ganz laut „Muskeln müssen stark sein, dürfen nicht aus Quark sein“, während ich im Badezimmer nach einem kleinen Handtuch suchte. Als ich wiederkam, hatte er die beiden Unterlegscheiben gegen zwei dicke Marshmellows ausgetauscht. Nun knabberte er immer wieder links und rechts an den beiden süßen Gewichten, während er sie hoch stemmte. Das war also auch nichts. Als nächstes probierten wir das Klettern. Dazu sollte er unsere vier Meter hohe Glückskastanie hochklettern und die oberen braunen, welken Blätter entfernen. Das funktionierte auch nicht optimal, denn er hatte die Hängematte wieder entdeckt, die Ralf ihm mal aus einem Obstnetz gebastelt und in die Glückskastanie hinein gehängt hatte. „Muss… mich… ausruhen“, japste Kalle Knispel und wollte sofort in einen Mittagsschlaf verfallen. „Komm runter, wir spielen Fußball“, sagte ich und positionierte mich hinter einem der Tipp Kick-Spielfiguren. Doch das Spiel war vorbei, bevor es anfing, denn Herr Schröder wollte mit mir darüber diskutieren, warum der Ball eckig und nicht rund war. Genervt räumte ich die Figuren beiseite und holte das Trampolin hervor. Das hatte ich eigens für ihn aus gummierter Luftballonfolie, die ich über einen runden Butterbecher gespannt hatte, gebastelt. Während Herr Schröder auf dem Luftballongummi umher sprang, entdeckte er in der Höhe, dass da eine Schachtel Süßigkeiten oben auf dem Schrank versteckt war und sprang aus Neugier und Essenslust so hoch, dass er sich ganz fürchterlich den Kopf stieß. Da hatte ich ein Einsehen und legte ihn behutsam in die Hängematte. Ein Tuch kühlte seinen Kopf und ich las ihm auf seinen Wunsch hin die Geschichte vom dicken, fetten Pfannkuchen vor, die er allzu gerne hört. Dann schlief er ein wenig und wir hatten ein wenig Ruhe.
Jetzt wird es richtig sportlich
Als ich nach einer Stunde nach ihm schauen wollte, war seine Hängematte leer. Wo war er nur? Ich blinzelte mit einem Auge in seine Tür hinein und fand ihn darin nicht. Schnell ging ich in die Küche, wo wir die Toffifee-Vorräte in einem Schrank stehen haben, aber auch dort war er nicht. Ob er wohl mal wieder mit meinem bunt gestrickten Kater namens Ravioli eine Teeparty abhielt? Doch als ich in unserem Schlafzimmer nachsah, saß der Kater Ravioli mit Barbie beisammen und stylte ihr die Haare. Wo war er denn nur? Da rief der Ralf mich ins Esszimmer. Das verstand ich nicht ganz. Da war ich doch vorhin schon gewesen? Ralf legte sich den Zeigefinger auf den Mund, was bedeutete, dass ich ganz leise sein sollte. Mit langsamen und vorsichtigen Schritten näherte ich mich ihm. Er zeigte stumm durch die neue Fensterfront auf den Balkon und ich bekam zunächst einen Schreck, als ich Kalle Knispel da draußen in unserem Balkonkasten stehen sah. Was hatte er nur vor? „Sooo unsportlich wie er vorgibt zu sein, ist er gar nicht“, flüsterte der Ralf. Und ja, nun sah ich es auch. Herr Schröder hüpfte von Balkonkasten zu Balkonkasten. Das war gar nicht so leicht, denn die Erde war bereits moosig und durch Feuchtigkeit rutschig glatt geworden. Gekonnt sprang er wie bei einem Hindernislauf über die einzelnen Stabilisierungsbügel, balancierte um unseren kleinen Leuchtturm herum und blieb dann stehen. „Was hat er nur vor?“ fragte ich leise. Ralf zuckte mit den Schultern und grinste amüsiert. Herr Schröder schaute plötzlich nach oben. Er stand nun vor einer Aluminiumstange die Ralf im Sommer angebracht hatte, als die liebe Regine uns einen Heißluftballon als Windspiel geschenkt hatte. Den Ballon haben wir im Herbst nach drinnen gebracht, denn hier bei uns an der Ostseeküste erwarten wir zu dieser Zeit oft einige Stürme. Statt des Windspiels hatte Ralf einen Futterspender für Vögel an die gebogene Aluminiumstange gehängt. Und genau darauf stierte nun unser kleiner Freund mit der roten Zipfelmütze. Dann rieb er sich die Hände, leckte sich mit der Zunge über seinen Mund und zog sich selbst die Stange herauf. Ich konnte es nicht fassen. Bei mir tat er so, als sei er ständig außer Atem und nun hatte er nach dem Springen durch die Kästen, das Hüpfen über die Stabilisierungsstangen und das sich Hochziehen an der Stange ein Fitnessprogramm absolviert, das seines gleichen suchte. Dieser Schlingel! Inzwischen war er oben angekommen, wo er versuchte, an den Futterspender für die Vögel zu kommen. Er hatte sein Ziel fast erreicht, da kam die große Möwe Mona vorbei. Sie frisst zu gerne selbst das Futter, das die Vögel aus dem Futterspender fallen lassen und nun leckte sie sich selbst den Schnabel. Wir hörten durch das geschlossene Fenster, wie Herr Schröder immer wieder „Huch“ und „Geh weg“ rief und mussten ein wenig lachen. Da hatte er sich eindeutig einen falschen Gegner ausgesucht. Aufgeregt sprang er von einem Bein auf’s andere, um Mona Möwes Attacken auszuweichen. Da nahm Ralf sich ein Herz, öffnete die Balkontür und holte den armen keinen Wicht zu uns herein ins Warme. Das war eindeutig ein ausdauerndes Sportprogramm, das er da da draußen hatte. Während ich das hier aufschreibe, gönnt er sich ein ausgiebiges heißes Bad in seiner kleinen Badewanne aus Zink und darf später noch im Bademantel ein wenig Fernsehen mit uns schauen. Wir sind gespannt, was wir bis zum 4. Januar noch mit ihm erleben werden und hoffen, ihr hattet Freude beim Lesen von Kalle Knispel Schröders Abenteuern.
Herzliche Grüße, Eure Steph
Ach da ist er ja wieder, wie schön. Ich hoffe, er macht euch nicht zu viel Ärger und lässt dir noch ein paar Toffifee übrig.
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Das hoffen wir auch liebe Monika 🙂
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Ich liebe ihn einfach
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Das wird ihn sehr freuen zu hören liebe Annette. 🙂
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