Herr Schröder treibt’s bunt

Die Adventszeit wird bei uns immer besonders schön, denn dann ist unser Wichtel Herr Schröder bei uns zu Gast. Er ist so klein, dass er hinter einer Tür in unserer Esszimmerwand wohnen kann. Ich freue mich immer sehr, wenn er da ist, denn dann weiß der Ralf, dass nicht ich für all den Unfug zuständig bin, der in unserem Haus passiert. Ich beiße schließlich den Käse nicht in Herzform, streue keinen Glitzer über Teelichter, sodass dem Ralf beim Auspusten das Gesicht funkelt wie ein Christbaum, und niemals nie würde ich weiße Gummibärchen mit Preiselbeermarmelade rot einfärben, weil ich die weißen sonst nicht essen mag. Als Herr Schröder uns vor Jahren das erste mal besuchte, sagte er, er würde nur Unfug treiben, wenn er kein Toffifee bekäme. Inzwischen wissen wir, dass er es dennoch tut, und das jeden Tag!

Montag

Es ist schwierig, einen Weihnachtswichtel zu beherbergen, wenn man tagsüber bei der Arbeit ist. Unsere Arbeit ist derzeit die Flüchtlingshilfe, wo wir ehrenamtlich für mehr als 12 Stunden unsere Kraft schenken. Wenn man an der Arbeit ist, kann man einen Wichtel wie Herrn Schröder nicht immer im Auge behalten. „Keinen Unsinn machen, wenn ich außer Haus bin!“ Diesen Satz höre ICH normalerweise von Ralf. Das sagt er, weil ich mal mit Bauschaum etwas basteln wollte und vorher noch nie mit Bauschaum gearbeitet hatte. Weil es eine Überraschung werden sollte, schob ich das Brett mit dem Bauschaum zum Verstecken unters Sofa. Jetzt weiß ich, dass dieses Zeug ganz schwer nur aus dem Sofabezug wieder rausgeht. Außerdem habe ich mal eine Wand mit Plakafarbe angemalt, weil ich das schöner fand. Ralf musste die bunte Wand viermal überstreichen, damit man die Farbe nicht mehr erkennen konnte. Gleiches kann meine Mutter berichten, denn als ich fünf Jahre alt war, wollte sie das Wohnzimmer neu tapezieren, und weil ich mich schon immer künstlerisch frei entfalten durfte, sagte meine Mama, ich dürfe mit Wachsmalern ein bisschen die Betonwand anmalen, bis die neue Tapete drüber käme. Was soll ich sagen…? Ich drückte so fest auf, dass wir noch jahrelang durch die neue Tapete hindurch meinen gemalten Apfelbaum, ein riesengroßes Schiff und lilafarbene Herzen sehen konnten. Aber der Ralf sagt diesen Satz auch, weil er sich Sorgen um meine Gesundheit macht. Denn in unserer ersten eigenen Wohnung befand ich mal, dass es doch komisch sei, dass über dem Stromkasten kein hübsches Bild hänge und so holte ich einen Hammer, einen Nagel, das Bild und die Leiter. Von dem, was danach passierte, weiß ich nicht mehr viel, und Buchstaben in Farben sehen kann ich als Synästhetikerin, seit ich denken kann. „Keinen Unsinn machen, wenn wir weg sind!“ sagte ich am Montag zu Herrn Schröder schon, als ich ihn aufweckte. „Tu ich nie!“ log er mir frech ins Gesicht. Aber als er dann anbot, für uns Frühstück zu machen, da dachte ich, dass er doch eigentlich immer ein lieber Kerl ist. Das Frühstück, das wir dann eine Stunde später vorgesetzt bekamen, sah sehr interessant aus. Wir sahen auf unseren Tellern je eine Scheibe Brot, die dick mit Nuss-Nougatcreme beschmiert war. Die Scheibe Brot hatte zudem Augen aus Zuckerperlen, eine Toffifee-Nase und ein Geweih aus Salzbrezeln. „Das ist ein Elch-Frühstück“, jubelte Herr Schröder und sah gespannt zu, wie wir in die Brote bissen. „Na… Na… Na… wie schmeckt das?“ fragte er und knetete sich aufgeregt seine rote Zipfelmütze, die er als Kopfbekleidung trägt. Ich hatte keine Antwort parat und schaute daher zu Ralf herüber. „Mmmmh, Salzbrezeln mit Schokocreme, lecker“, log auch er an diesem Morgen. Und dann fuhren wir zur Arbeit.

Dienstag

Da Herr Schröder zu gerne und zu viel nascht, ist er so gewichtig, dass es für seine Gesundheit nicht gut ist. Außerdem nimmt der Seeadler Klaus ihn nicht mit, wenn Herr Schröder am 4. Januar wieder auf die Insel Fanø im Süden Dänemarks reist und wie sonst soll er dorthin kommen? Weil ich selbst mit einer Skoliose geboren wurde, muss ich ab und zu meine Übungen machen, und so nahm ich Kalle Knispel mit auf meine Übungsmatte. „Seinen Körper zu trainieren ist wichtig, denn dann tut einem nichts weh“, sagte ich ihm. „Mir tut nix weh“, antwortete er und war im Begriff, fortzulaufen. Das klappte allerdings nicht gut, denn da er so dick ist, ist er auch schnell außer Atem. Ich schnappte ihn an seiner roten Zipfelmütze und zog ihn zurück zur Matte. Da fiel ihm ein, dass er keine Jogginghose an hatte und wollte sie zu Hause holen. Ich wartete und wartete. Als er nach einer halben Stunde immer noch nicht wieder da war, ging ich zu seiner Nissedør/Wichteltür und schaute durch einen Spalt in seine kleine Wohnung. Da saß er doch tatsächlich gemütlich in seinem Sessel, hielt seine kleinen kurzen Beine ausgestreckt auf einem Hocker, schaute im Fernsehen das Kinderprogramm und futterte Toffifee. „Das muss ich ihm dringend abgewöhnen“, murmelte ich und kapitulierte für diesen Tag.

Mittwoch

„Denk bitte daran, dass heute dein Badetag ist!“ rief ich Herrn Schröder zu, als wir das Haus verließen. „Und keinen Unsinn machen!“ erinnerte der Ralf ihn. Aus einer alten Eisschachtel hatte mein wunderbarer Mann unserem kleinen Wichtel im letzten Jahr eigens eine kleine Badewanne gebastelt. Auf der Fahrt zur Arbeit schwelgte ich in Erinnerungen an meine frühe Kindheit. Da liebte ich es, in der Badewanne zu sitzen und zu planschen. In den Fliesen über der Badewanne war eine Ablage für die feste Seife eingearbeitet. Sie hatte Löcher, damit das Seifenwasser immer gut ablaufen konnte. Oft spielte ich „Kneipenwirtin“. Dann nahm ich den Waschlappen, mit dem ich mich hätte waschen sollen, hielt ihn über die Seifenablage und schaute zu, wie das Wasser unten wieder heraus tröpfelte. Um ein Bier zu zapfen, nahm ich den Schraubverschlussdeckel von der Shampooflasche und hielt ihn unter die Seifenablage. Ich war seit meinem vierten Lebensjahr in der Kindertanzgarde unseres örtlichen Karnevalsvereins und hatte auf öffentlichen Veranstaltungen oft gesehen, wie Maria, die Kneipenwirtin, dort Bier oder Schnaps zapfte. Sie war mir stets Vorbild, wenn ich da in der Badewanne meinem Job nachging. Gäste hatte ich natürlich auch. Zwei Barbies und drei Mainzelmännchen saßen auf dem Beckenrand und orderten durstig Getränke bei mir. Als ich dann später ein Schulkind wurde, hörte ich nicht auf, in der Badewanne zu arbeiten. Dann nämlich spielte ich, dass ich die Lehrerin war und Barbie und Co meine Schüler:innen. Leidenschaftlich malte ich dann mit dem Seifenstück, mit dem ich mich hätte waschen sollen, Rechenaufgaben an die von meiner Mutter frisch geputzten Fliesen und wischte sie mit meinem seifigen Waschlappen wieder weg, wenn Lesen auf dem Unterrichtsplan stand. „Herr Schröder wird doch keinen Unsinn veranstalten?“ fragte ich herausgerissen aus meiner Erinnerung den Ralf. Doch der atmete nur tief ein und lenkte das Auto weiter durch den Stadtverkehr. Am Nachmittag kamen wir wieder nach Hause. Die Spülmaschine in der Küche stand offen und das verwunderte mich. Ich wollte sie gerade schließen, als ich Kalle Knispel kreischen hörte. Erst da sah ich, dass er mit Seife, Shampoo, Zahnpasta und Zahnbürste im Inneren der Spülmaschine saß. „Du spinnst wohl!“ rief ich. „Hier ist es schön warm drin“, entgegnete er mir. Naja, er war nun auf jeden Fall sehr sauber.

Donnerstag

Manchmal bereitet der Ralf mir eine leckere Speise, dann gibt es selbst gekochte Spaghetti mit kleingeschnitten Würstchen in Tomatensauce. Ich finde es immer wieder bewundernswert, wie mein Mann, der sich seit 32 Jahren vegetarisch ernährt, es schafft, mir Würstchen für mein Essen klein zu schneiden. Am Mittwochabend hatte er mal wieder gekocht. Den ganzen Donnerstag hatten wir bei der Flüchtlingshilfe gearbeitet und den kranken Chef vertreten. Von unserem lokalen Kino, dem Cinestar, hatten sich sechs Mitarbeiter angemeldet, um an diesem Donnerstag für mehrere Stunden bei uns zu arbeiten. Ralf und ich zeigten ihnen die 2000 qm große Halle, erzählten alles über den Verein und die Hilfstransporte in die Ukraine. Dann führten wir sie zur Kinderkleidungssortierstrasse, wo sie Kinderkleidung sortieren sollten. Sie waren so nett und brachten sogar Essen für uns alle mit. Es gab Plunderteilchen und Laugengebäck vom Freibackhaus, Äpfel, Mandarinen und verschiedene Säfte. Leider kamen Ralf und ich nicht zum Essen oder Pause machen, da entweder jemand an der Spendenannahme stand, das Telefon klingelte oder die Mitarbeiter vom Cinestar eine Frage hatten. Daher nahm ich ein Plunderteilchen für Ralf mit nach Hause, denn Süßes ist er gern. Zu Hause ging ich dann zum Kühlschrank, wo ich noch ein paar Wiener Würstchen, die Ralf nicht in die Spaghettisauce geschnippelt hatte, aufzufinden glaubte. Ich schraubte das Glas auf, biss in ein Würstchen hinein und fand, dass es besonders knackig schmeckte. Doch was war das für ein Geschmack? Ich kaute und kaute, dann nahm ich das Glas zur Hand und schaute drauf. Keine Frage, das war ein Würstchenglas. Doch die Wiener waren so… orange? „Das sind ja Möhren!“ rief ich und ging mit dem Glas zum Haus des Kalle Knispel. „Warum hast du mir die Karotten ins Wurstwasser gestellt?“ fragte ich und hielt im das Glas vor seine dicken Knollennase. „Ich fand die Karotten zu fad“, sagte er. „Und wo sind die Würstchen?“ „In meinem Bauch.“ So ein Schlingel!

Freitag

Eigentlich ist der Samstag der Tag, an dem Ralf und ich den Wohnungsputz erledigen, allerdings wollte ich am Freitag schon mal einen kleinen Teil erledigen. Leider war der WC-Reiniger nicht da, wo er immer steht. Ob das ein Zeichen war, heute doch noch nicht zu putzen? Ich beschloss, erst einmal zu frühstücken. Doch auch hier war etwas komisch, denn das Brot war alle. Ich wunderte mich und griff zum Toastbrot, von dem ich zwei Scheiben in den Toaster legte und die Taste zum Rösten runter drückte. Da hörte ich im Flur Herrn Schröder sprechen. „Fresst doch endlich, fresst!“ schimpfte er. Da guckt man lieber mal nach… Im Flur löste sich dann das Problem mit dem Brot und dem WC-Reiniger auf ganz einfache Art und Weise. Herr Schröder hatte beide Flaschen des Kloreinigers vor sich stehen, hielt ihnen Brotkrumen hin und wollte, dass sie das fressen. „Das sind doch keine Enten, dass ist Kloputzzeugs“, klärte ich ihn auf. „Aber da steht doch ‚Ente‘ drauf.“ „Ja, aber ‚WC-Ente‘. Wie kommst du überhaupt auf solch eine Idee?“ „Na, du fütterst doch auch die Amseln und Spatzen auf dem Balkon“, antwortete er. Naja, er hat es gut gemeint. Wenn er nur mal beim Putzen so gutmütig wäre.

Samstag

Fast den ganzen Tag verbrachte Herr Schröder in unserem Badezimmer. Wie gut, dass ich es am Vortag bereits gereinigt hatte. „Er will heute Abend in die Disco“, erzählte mir der Ralf. „In welche denn?“ fragte ich lachend. In unserer schönen Stadt gibt es schließlich keine Wichteldiscothek. Ralf zuckte mit den Schultern und las weiter in der Tageszeitung. Als ich noch nicht geboren und mein Bruder noch sehr jung war, hatte meine Mutter mal in einer Discothek gearbeitet. Ihr Chef war in sie und ihre roten Haare verliebt, sagte sie mal. Dabei war sie noch mit dem Mann, mit dem sie zwei wunderbare Kinder hat, verheiratet. Der war als Berufskraftfahrer allerdings selten daheim, weswegen sie ein Kindermädchen für meinen Bruder engagierte. Der verliebte Chef schenkte meiner Mutter einen weißen VW Käfer, auf dessen Kofferraumhaube ein großer Aufkleber prangte. Darauf war ein Penny und der Name der Disco „Last Penny“ abgebildet. Es muss eine tolle Zeit gewesen sein, denn meine Mama erzählt mir immer wieder Geschichten darüber. So wie die, dass in der anderen Disco mal die Eismaschine ausgefallen war. Die dortigen Mitarbeiter riefen bei meiner Mutter in der Disco an, und weil meine Mama immer für alles eine Lösung hat, bestellte sie ein Taxi, verfrachtete mehrere Kübel Eis auf dem Rücksitz und wies den Fahrer an, die gefrorenen Stücke zu der anderen Disco zu fahren. Viele Jahre später war ich in dem Alter, in dem ich meine Zeit gerne in Discotheken verbrachte. Das Problem war, dass alle meine Freunde schon älter als ich waren und sich dort aufhalten durften. Ich durfte das meiner Mama nach auch, aber die Türsteher ließen mich nicht rein, weil ich noch keine 16 Jahre alt war. Und jedes Mal habe ich sie davon zu überzeugen versucht, mich hinein zu lassen. „Meine Mama war die Chefin vom ‚Last Penny’“, erzählte ich dann. Aber leider hatte ich keinen Erfolg damit. Und nun stand Herr Schröder aufgetakelt vor mir. Seinen Bart hatte er zu zwei Zöpfen geflochten. Er trug stylische Turnschuhe, eine „I ❤ Rock“-Mütze und eine viel zu große Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern. „Schick siehst du aus“, sagten der Ralf und ich im Chor, als wir ihn verabschiedeten.

Später am Abend wollte ich die Snacks zu unserem Fernsehabend in den Backofen schieben. Es gab Spinat mit Fetakäse mit Pizzateig ummantelt, ein Rezept, das der Ralf und ich uns mal ausgedacht haben. Doch im Backofen brannte bereits Licht. Und nicht nur eins. Das war doch…

unsere bunte Lichterkette! Ich öffnete die Backofentür und sah Herrn Schröder auf dem Backblech tanzen. Schnell rief ich den Ralf herbei und gemeinsam lachten wir, bis uns die Bäuche weh taten. Das war ja besser als Fernsehen!

Sonntag

Am Sonntag wollten wir uns von den Erlebnissen der Woche ausruhen. Ein bisschen lesen, ein bisschen fernsehen. Auch Herr Schröder schlief ein wenig länger als sonst. Vorsorglich hatte ich ihm vor seiner kleinen Tür schon ein Toffifee und einen Kakao hingestellt. Ach, war das ein schöner, ruhiger Tag. Wir schauten Märchenfilme, lasen ein wenig in unseren Büchern und beobachteten die Vögel, die sich an der Futterstation auf dem Balkon ihr Fressen heraus pickten. Wir überlegten, was wir uns kochen wollen würden, und als wir es wussten, fanden wir den großen Kochtopf nicht. Wie auch, dieser war bereits in Beschlag genommen worden und stand auf dem Herd. Ihr hättet es sehen sollen. Herr Schröder hatte sich mit Barbie dort hinein gesetzt. Gemeinsam saßen sie in dem kochenden, blubbernden Wasser. „Das ist unser Whirlpool. War ’ne lange Nacht gestern“, antwortete Herr Schröder auf eine Frage, die wir nie gestellt hatten. Barbie kicherte. „Sind das etwa Marshmellows in eurem Topf?“ fragte ich. „Jaaa, und sie sind lecker“, sagten beide. Na denn, jedem das seine. „Kochen fällt heute aus, hol die Pizza aus dem Gefrierfach“, sagte ich lachend zu Ralf und das, fand er, war eine super Idee.

Ich wünsche euch allen einen schönen Sonntag und eine gute neue Woche. Wir werden sehen, was Herr Schröder bei uns noch so alles treibt und ihr könnt euch sicher sein, dass ich euch jede Einzelheit berichten werde.

Herzlichst, eure Steph

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