
Am 26.12. war es mal wieder soweit. Ich saß an meinem PC im Arbeitszimmer und öffnete mein Postfach. „Herzlichen Glückwunsch zum Namenstag, liebe Stephanie!“ gratulierte mir mein Email-Provider. „Raaaahalf, ich hab‘ heute Namenstag!“ rief ich laut. Ich sah nicht, was Ralf machte, aber vermutlich raufte er sich kurz die Haare und sagte sich: „Mist, schon wieder vergessen.“ Dann ging er zum Küchenschrank, holte eine Schachtel Milka Pralinés hervor, schrieb mit rotem Edding meinen Namen drauf und überreichte sie mir freudestrahlend. Der Abend war gerettet. Aber eine Frage stellte sich mir: Warum heißt man, wie man heißt und fühlt man sich wohl damit…? Verliebte JungsZwischen 1970 und 1980 war Stephanie einer der beliebtesten Mädchennamen in Deutschland (heute Platz 582). Das ist allerdings nicht der Grund, warum ich so heiße. Meine Mutter wollte nicht, dass mein Bruder eifersüchtig auf mich sein würde und so gab sie ihm die ehrenvolle Aufgabe, einen Namen für mich auszusuchen. Mein Bruder war neun Jahre alt und total verschossen in Stefanie. Sie war so alt wie er, hatte lange blonde Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten und hatte keine Angst, die Rutsche im Schwimmbad runter zu sausen. So sollte ich auch heißen! Meine Mutter hätte es zwar lieber gehabt, ich hieße Jennifer, wie die Tochter ihres Idols und Seelenklos Udo Jürgens, aber mein Bruder hatte die ehrenvolle Aufgabe bekommen, die Namensentscheidung zu treffen. Wäre ich ein Junge geworden, hieße ich übrigens Christopher. Das PH in meinem Namen war meiner Mutter sehr wichtig. Etwas Besonderes sollte er werden und so kam es, dass ich im Mai 1978 in einer wunderschönen Klosterkirche mit Rosengarten auf den Namen Stephanie getauft wurde. Mein verstorbener Bruder heißt Michael, was „Wer ist wie Gott“ bedeutet. Darauf ist meine Mama stolz, denn ihr liegt auch daran, welche Bedeutung Namen haben. Bei Stephanie heißt es, sie sei die Bekränzte, die mit dem Kranz auf dem Kopf. Wenn mein Bruder mich ärgern wollte, nannte er mich stets die „Beschränkte“. Kleiner KnödelAls ich noch sehr jung war, war mir mein Name egal. Ich hieß halt, wie ich hieß. Es sollte noch Jahre dauern, bis ich mich mit meinem Namen wirklich identifizierte und ihn lieben lernte. Überhaupt waren mir Namen egal, jeder hatte halt einen. Da kam ein neues Mädchen in unsere Kindergartengruppe. Sie und ihre Schwester kamen von einem Wanderzirkus, was ihre Anwesenheit für mich noch viel aufregender machte. Als ich den Namen der einen Schwester hörte, war ich wie elektrisiert. Tamara, ein Name wie ein Donnerhall. Für mich klang dieser Name nach einer Seiltänzerin, die auf wilden Pferden ritt, wenn sie nicht gerade mit Messern auf eine Dartscheibe zielte. Tamara. So wollte ich auch gerne heißen. Eine Tamara würde auf Pferden reiten, wäre unabhängig und mutig ohne Ende. Mich nannte unsere Nachbarin meist Stephsteph, was sich anhörte wie ein Töfftöff. Ziemlich dämlich. Noch schlimmer fand ich es, wenn die aus Österreich kommende Oma einer meiner Freundinnen mich Fanny nannte. Ich war doch kein Kartoffelknödel! Meine Mama nannte mich meist Steph oder (und das tut sie heute noch) Stephili. Das fand und finde ich okay. Der Mann, mit dem sie zwei wunderbare Kinder hat, nannte mich Wuffi und mein Bruder Steph und Jahre später Schwester S. Nach Sabrina Setlur, deren Fan er war. Stephanie wurde ich nur genannt, wenn es ordentlich Ärger gab. Wenn jemand meinen Namen in drei Silben, nämlich STE-PHA-NIE aussprach, dann war es Zeit für mich, stiften zu gehen. Prinzessin Stephanie Im Frühjahr, ich wurde gerade sieben Jahre alt, da sah ich plötzlich meinen Namen in einer Zeitschrift bei unserem Friseur liegen. Früher hatte unsere Mutter uns ja selbst die Haare geschnitten, aber als sie das mal gründlich vergeigt hatte, gingen wir immer zum Friseur. Ich war süchtig nach aneinandergereihten Buchstaben und nahm jede Gelegenheit wahr, etwas zu lesen, wenn ich die Möglichkeit dazu hatte. Dort, zwischen warmer Föhnluft und zischenden Haarspraydosen las ich von einer Frau, die meinen Namen trug. Es war nicht irgendeine Frau, sie war Prinzessin! Stéphanie von Monaco. Atemlos las ich den Artikel und schaute mir die Fotos aus ihrem Palast an. Ich war so versunken darin, dass ich gar nicht hörte, wie die Friseurin mich immer wieder rief. „STE-PHA-NIE!“ Hoheitsvoll schritt ich schließlich zu ihr, ließ mir den Vorhang um die Schultern legen und meine Haare anfassen. Sie schnitt und ich träumte. Mein Name in goldenen Lettern. Da war die Bedeutung „Die Bekränzte“ doch wahrlich wahr geworden. Wieder zuhause wurde ich gar nicht königlich behandelt. Mein Bruder motzte, weil ich mal wieder seine teuren Lackstifte leer gemalt hatte, meine Mutter sagte, ich solle „den Schweinestall, den ich Kinderzimmer nenne“, schleunigst aufräumen und mit meiner Freundin Sabine war ich im Clinch, da sie mit Florian statt mit mir am Fluss spielen gewesen war. Kurzerhand setzte ich mich an meine Schreibtisch, holte die Stifte raus und malte mir ein neues Namensschild für meine Tür. Die Frau, die den gleichen Namen trug wie ich, war eine Prinzessin und ich wurde hier mit Banalitäten belästigt. Es wurde Zeit, dass sich was ändert und zwar schnell. Welchen Namenszusatz hatte diese Prinzessin nochmal, wo kam sie her? Ich überlegte und überlegte, aber es wollte mir einfach nicht einfallen. Oder doch? Es war etwas mit M gewesen. Als ich der Meinung war, mir wäre es wieder eingefallen, malte ich mein Schild zu Ende und hängte es mit vielen Tesafilmstreifen an den Rahmen meiner Zimmertür. Das war nötig, damit meine Familie mal wusste, mit wem sie es zu tun hatte! Nie wieder würden sie mich auffordern, mein Zimmer aufzuräumen. Sie würden mich bitten, es für mich zu tun! Und leere Lackstifte, die ich benutzt hatte, würden zukünftig eingerahmt werden. Mein neues Türschild hing keine zehn Minuten, da hörte ich meine Mutter und meinen Bruder im Flur kichern. Was sollte das? Während ich die Tür langsam und nicht ohne Neugier öffnete, prustete mein Bruder vor Lachen laut los. „Das ist sie also, die Prinzessin Stéphanie von Mokakka“, jaulte er und verbeugte sich vor mir. Ich verstand kein Wort. „Schatzilein, das Land heißt Monaco, nicht Mokakka“ klärte unsere Mutter mich auf. So ist das halt, wenn man alles selber machen muss! Miss XSpäter auf Klassenfahrten fanden wir es aufregend, unsere Identitäten vor anderen zu verschleiern und uns als andere auszugeben. Wir hießen plötzlich nicht mehr Mareike, Sabine oder Stephanie, sondern suchten uns eigene Namen aus. Ich wollte immer eine Kim sein, denn die Verwirrung, ob es sich dabei um einen Jungen- oder Mädchennamen handelte, gefiel mir außerordentlich gut. Außerdem passte es, denn ich wurde nicht „mädchenspezifisch“ erzogen. Ich besaß ein Kettcar, hatte meist nur Hosen an und hasste die Farben Rosa oder Pink. Trotzdem liebte ich meine Barbiepuppen, auch wenn ich Ken in seinem Jogginganzug aus Ballonseide für einen Blödmann hielt. Am liebsten spielte ich mit den Matchboxautos meines Bruders. Er hatte sogar einen Unimog und einen Transportlaster. Alle Autos nahm ich verbotenerweise mit in den Sandkasten, wo die Nachbarskinder sich alle mal ein Auto aussuchen durften. Die Lackstifte meines Bruders waren nur leer geworden, weil ich die langweilig silbrigen Autos damit hatte ein bisschen verschönern wollen. Warum mein Bruder nicht wollte, dass ich sie mit in den Sandkasten nehme, vernahm ich später, als ich meinen Namen „STE-PHA-NIE“ hörte. Durch den Sand im Getriebe ließen sich die Räder der Autos keinen Millimeter mehr bewegen. Erschwerend kam hinzu, dass die „Fahrer“ durch eine golden angemalte Heckscheibe nichts mehr sehen konnten. Ich bekam ein Dauerfahrverbot aufgebrummt. Nun also auf Klassenfahrt. Neuer Name, neue Identität. Statt Stephanie hieß ich Kim. Kim Possible. Wir klebten uns die neuen Namen auf Schilder an die Pullover, damit jeder andere von uns die neuen Namen lesen konnten. Ach, war das super. Doch wie immer, wenn man lügt, gab es auch hier irgendwann Probleme. Irgendwer sprach den anderen vor den Jungs mit dem richtigen Namen an und die Lügenblase platzte. Plopp. BuchstabensalatMein erstes Lebensjahrzehnt mit meinem Namen war mitunter nicht so leicht. Das fing schon damit an, dass er so lang ist. „Du hast einen langen Vornamen, weil dein Geburtsname so kurz ist“, sagte meine Mutter einmal. Tja, und nun nach meiner Hochzeit haben sowohl mein Vorname als auch mein Nachname jeweils neun Buchstaben, die hin und wieder buchstabiert werden müssen. „Schreibt man deinen Namen mit F oder mit PH?“ war die regelmäßige Frage einiger Kurslehrer:innen. Das fanden meine Mitschüler so lustig, dass sie den Satz ummodelten und immer wenn sie mich sahen „Stephanie mit BH“ riefen. „Wenigstens trage ich einen!“ sagte ich schließlich zum dicken Dirk und schaute ihm auf seine sich abzeichnenden Brüste. Ab da war Ruhe. Ein weiteres Problem, das ich mit meinem Namen hatte: Es gab ihn nicht. In den 80ern war es Mode, dass man eine Tasse mit seinem Namen drauf sein eigen nennen konnte. Doch es gab sie überall nur als Stefanie mit F. Als es dann auch noch Kugelschreiber mit Namen für alle außer mich gab, war ich traurig. Da nahm meine pragmatische Mutter meinen Lamy Füller und ließ meinen Namen darauf eingravieren. Die Mutter meines ersten Freundes mochte mich nicht und vielleicht hat sie sich deshalb nie die Mühe gemacht, meinen Namen richtig zu schreiben. Stephanie mit Doppel F und Y am Ende war nun wirklich die merkwürdigste Art, meinen Namen zu lesen. Und das von einer Lehrerin. Zufriedenheit hat einen NamenHeute, all die vielen Jahre später, ist alles anders. Ich lernte, dass andere mich mit meinem Namen mehr identifizierten, als ich das selbst tat. Mein Großvater kaufte mir mal Strandsandalen, auf deren Sohle der Name Stefania eingedruckt war. „Nun lauf los und hinterlasse überall am Strand deinen Namen“, sagte er damals zu mir. „Aber so heiße ich doch gar nicht“, antwortete ich ihm. „Für mich bist du meine Stefania“, erklärte er mir daraufhin. Und so ist es bis heute. Für die meisten bin ich die Steph, für andere die Stephi und für Fremde die Stephanie. Die Oma meiner lieben Freundin Claudi hat mich mal ’s Grinsestephchen getauft, weil ich immer so lieb grinsen würde. Dazu muss man wissen, dass man als Mädchen in Nordhessen mit dem Pronomen ES oder DAS angesprochen fühlt, wobei man das mit einem ’s abkürzt. Wenn Claudi und ich uns schreiben und ich darunter als Unterschrift ’s Grinsestephchen schreibe, dann weiß sie, dass es mir gut geht. Mein Name ist bei mir angekommen, ich mag ihn richtig gerne. Er hat genau die richtige Länge, klingt gut und ist klassisch. Inzwischen kann ich ihn durch meine Arbeit in der Flüchtlingshilfe auch auf ukrainisch schreiben, auch wenn es dort kein PH statt F zu geben scheint. Ich habe zwar immer noch keine Tasse mit meinem eigenen Namen drauf, aber eine wunderbare Überraschung gab es für mich im letzten Jahr beim Eurovision Song Contest. Dort gewann das Lied „Stefania“ der ukrainischen Band Kalush Orchestra den Wettbewerb. Der Sieger-Song „Stefania“ ist der Mutter von Frontman Oleh Psiuk gewidmet. Er bedankt sich bei ihr, dass sie ihm immer vertraut habe und sie ihn auch nicht geweckt habe, als draußen Stürme tobten. Und nun bedanke ich mich bei meiner wundervollen Mutter und meinem verstorbenen Bruder dafür, mir einen so schönen Namen gegeben zu haben. Wie ist das bei euch? Mögt ihr euren Namen? Könnt ihr euch damit identifizieren und wisst ihr, warum ihr heißt, wie ihr heißt?Ich wünsche euch allen einen schönen Sonntag und einen guten Start in die neue Woche. Bleibt gesund oder werdet es. Herzlichst, Euer Grinsestephchen