Weiberkram

„Was ist das?“ fragte ich und hielt ein hellgrünes, faseriges Tuch in die Höhe. Wir befinden uns gerade mitten im Umzug, denn die Lübecker Flüchtlingshilfe muss ihren Standort im alten Hafenschuppen verlassen, da das Gebäude verkauft wurde. „Weiß jemand, was das ist?“ fragte ich noch einmal, weil ich nicht gehört wurde. „Das ist ein Microfasertuch, benutzt du das nicht zum Putzen?“ rief mir eine Helferkollegin zu. „Nööö, das macht mein Mann“, antwortete ich und erntete viele Lacher. Dies konnte ich mir nicht erklären, denn das war kein Witz von mir gewesen.

Natürlich putze ich zu Hause. Erst heute habe ich eine Stunde lang die Rippen der Heizkörper geschrubbt, habe Fenster geputzt und nach dem Kochen den Herd saubergemacht. Allerdings ist es nicht so, dass der Ralf nicht putzt. Wenn wir unseren Hausputz Samstag haben, dann schwingt er den Staubsauger, staubt Schränke ab und räumt meinen Kleiderschrank auf. Ich frag‘ mich halt, was diese Rollenklischees à la „der Mann geht auf die Jagd, die Frauen fegen die Höhle aus“ im Jahr 2023 in Deutschland noch zu suchen haben. Ich jedenfalls bin da in den 80er Jahren schon ganz anders aufgewachsen….

Mein Opa hat sechs Kinder. Zwei Söhne und vier Töchter. Er ist im Jahr 1924 geboren und 1996 gestorben. Mein Opa musste als 17-jähriger sein Notabitur absolvieren, um im Anschluss in den Krieg zu ziehen. Als er wiederkam, lernte er meine Oma kennen und gründete eine Familie mit ihr. Anders als in vielen anderen Familien ging es meinen Großeltern nicht darum, ihre weiblichen Kinder die Schule bis zum Hauptschul-/Volksschulabschluss zur Schule zu schicken, damit sie anschließend „Hausfrauen“ werden könnten. Jedes seiner Kinder hat auf seinen Wunsch hin einen Beruf erlernt, sie wurden Beamte (3x), Kindergärtnerin, Kauffrau im Einzelhandel und Drogistin. Darüber hinaus haben alle sechs Kinder die Möglichkeit gehabt, einen von ihm bezahlten Führerschein zu erlangen. Für die damalige Zeit finde ich seinen Gedanken von der Unabhängigkeit durch Mobilisiertsein schon sehr fortschrittlich. Auf der einen Seite war er ein Patriarch, der Dinge bestimmte und seiner Familie vom großen Esstisch aus zusah, wenn sie alle in der kleineren Essecke saßen und frühstückten. Er selbst hatte jeden morgen dafür die Brötchen geholt. Wie immer um fünf Uhr in der Früh, wenn er eine seiner Töchter, die keinen Führerschein machen wollte, zu ihrer Arbeit fuhr, damit sie nicht laufen oder den Bus nehmen musste. Ein Gentleman. Auf der anderen Seite habe ich als sein Enkelkind ihn darin erlebt, mir alles beizubringen, was er kann und dabei keinen Unterschied zu machen, dass ich ein Mädchen war. Als meine Oma zum Beten in der Kirche war, blies er mit mir Luftballons auf, hängte diese im großen Garten hinter’m Haus an den Zaun und holte mir einen Stuhl. Dann nahm er das Luftgewehr aus dem Schrank, legte es auf die Stuhllehne und gab mir genaueste Anweisungen. Ja, ihr habt richtig gelesen und manche mögen das nicht in Ordnung finden, aber mein Opa brachte mir als Fünfjährige das Schießen bei. Als ich jeden Ballon des Gartenzaunes getroffen hatte, jubelte er mit mir und weil er wusste, dass ich meinen Mund nicht würde halten können und aufgeregt alles der Oma berichten würde, ging er in die Küche, um vorsorglich schon mal einen Kuchen zur Versöhnung zu backen.

Das war ein Ritual zwischen den beiden: Wenn sie sich stritten, ging Oma mit dem Hund in den Schrebergarten, um die Beete zu pflegen und Opa ging in die Küche, um einen leckeren Kuchen zu backen, den sie im Anschluss zur Versöhnung essen würden. Und nein, er war kein Bäcker, denn anscheinend traut man Männern das Kochen oder Backen nur zu, wenn sie das auch beruflich machen. In meinem Empfinden gab es für meinen Opa keine Sache, die eine Frau nicht genauso gut wie ein Mann erledigen kann. Er hat mir alles über den Schiffsbau erzählt, forderte mich regelmäßig beim Brettspiel Solitär heraus, um meine Logik zu schulen und zeigte mir, wie ich meinen Roller reparieren kann.

Ins Klo gegriffen

Ich glaube, dass man als Kind einer Alleinerziehenden einfach lernt, selbst seine Frau zu stehen. Es gab keinen Mann, der unsere Küche streicht, Lampen anbringt oder das Türschloss repariert. Und vielleicht liegt darin auch mein Unverständnis begründet, warum manche Menschen glauben, dass bestimmte Dinge nur Männer können. Ich hatte, als ich als Bildungsbegleiterin für jugendliche Rehabilitant:innen arbeitete, eine junge Frau, die unbedingt den Beruf der Malerin erlernen wollte. In diversen Praktika hatte sie sich Erfahrungen angeeignet und viel Wissen erworben. Das Problem: Obwohl sie gut war, wollte sie keiner anstellen, bzw ihr die Möglichkeit einer Ausbildung geben. Ich war so wütend darüber, dass ich einen ihrer Praktikumsanleiter schließlich auf die Nichteinstellung ansprach. Da sagte er mir folgendes: „Na klar ist sie gut. Sie ist sogar klasse. Das Problem ist, dass wir nur Männerklos haben und nur für sie müssten wir eine Toilette für Frauen aufstellen lassen. Und dann…“, er ließ eine kleine Pause, bevor er weitersprach, „…und dann ist da ja auch die Belegschaft von Männern, die ihr vermutlich gierig hinterher gucken und dann haben wir ganz schnell den Salat.“ Und dann haben wir den Salat. Ich war sprachlos. Eine Frau soll auf ihren Wunschberuf verzichten, weil die Männer sich eventuell nicht im Griff haben könnten? Mir fiel ein Spruch, den ich vor langer Zeit mal las und der ging so: Erzählt euren Töchtern nicht, wie sie sich vor Sexismus und Vergewaltigungen zu schützen haben, erzieht lieber eure Söhne dahin, es nicht zu tun! Warum nur habe ich immer wieder den Eindruck, wir Frauen sollen klein gehalten werden? Wir sind die Hälfte der Welt!

Hand oder Mund?

Ein weiteres, zweifelhaftes Erlebnis hatte ich vor ein paar Jahren. Wie in jedem Jahr lud ich Netzwerkpartner:innen und weibliche Gäste zur Messe „Arbeit, aber wie?“ in die Handwerkskammer ein. Da ich den Arbeitskreis „Chancen für Frauen“ leitete, war ich bei dieser Veranstaltung für die Koordination und Moderation verantwortlich. Einen Tag, bevor circa 20 Netzwerkpartner:innen und 400 Gäste kommen würden, fuhr ich mit meiner Kollegin aus dem Frauenhaus zur Handwerkskammer. Dort angekommen, schaute ich nach, ob alle Tische und Wände nach Plan aufgestellt wurden, als ich einen der Hausmeister entdeckte. „Sie sind das also Morgen mit dieser Frauenveranstaltung“, sagte er und kaute mit offenem Mund auf seinem Kaugummi herum. Ich nickte. „Deswegen spreche ich sie auch an, ich benötige für Morgen noch ein Mikrofon“, sagte ich. „Für die Hand oder den Mund?“ fragte er. Als er Mund sagte, tat er so, als würde er seine geschlossene Faust immer wieder auf und ab in seinen Mund führen, eine Geste, die dem Oralsex nachempfunden sein sollte. Ich bin sonst sehr schlagfertig, aber hier blieben mir echt die Worte weg, so absolut frech und sexistisch fand ich seine Frage. Karma ist auf dem Weg, sagte ich mir in Gedanken, um mich selbst zu beruhigen. Eine halbe Stunde später wollten meine Kollegin und ich mit dem Frauenhaus-Bus das Gelände wieder verlassen. Der kleine Parkplatz war komplett zugeparkt, was für uns allerdings weniger ein Problem darstellte, als für den Hausmeister. „Na, kommt ihr hier wohl nicht raus, soll ich mal helfen?“ fragte er Kaugummi kauend. Und da war sie wieder, meine totale Abwehr gegen Männer, die einen in den eigenen Fähigkeiten einschränken wollen. „Geh‘ mir bloß aus der Sonne!“ murmelte meine Kollegin kaum hörbar für ihn und lenkte unser großes Fahrzeug aus der Parklücke heraus. „Fahr ihn um, den Blödmann!“, wollte ich ihr zurufen, dann aber dachte ich an meine gute Erziehung und die Tatsache, dass wir für einen Verein arbeiteten, der sich gegen Gewalt einsetzt. Bevor wir den Parkplatz völlig ohne seine Hilfe endgültig verließen, lächelte sie süffisant und winkte ihm durch das Seitenfenster zum Abschied zu. Wir lachten den ganzen Heimweg über diesen Mann, der Frauen nichts zutraut.

Frag doch mal die Maus

Wenn man für einen Verein arbeitet, der unter anderem das Frauenhaus unterhält, der muss sich immer wieder folgende Fragen gefallen lassen: „Macht man so was wie ein Frauenhaus auch für Männer?“ „Warum hasst du Männer?“ und „Was macht ihr, wenn ihr mal ’nen Handwerker braucht?“ Gebetsmühlenartig erzählte ich immer wieder das gleiche. Ja, es gibt Männerhäuser für Männer, die Schutz suchen. Wem das zu wenig ist, der kann sich ja selbst engagieren. Frauen haben es 1977 schließlich vorgemacht, wie es geht, als sie Frauenhäuser als Schutzräume gründeten. 81 Prozent der Opfer partnerschaftlicher Gewalt in Deutschland sind Frauen. Das zeigen anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen veröffentlichte Daten des Bundeskriminalamtes (BKA). Nein, ich hasse keine Männer, ich bin seit sehr vielen Jahren glücklich mit einem verheiratet. Wenn wir einen Handwerker brauchen, fragen wir die Handwerkerin, die für uns arbeitet. Leider geht das nicht immer, so mussten wir einen Feuerwehrmann darum bitten, die Brandschutzbestimmungen in unseren Räumen zu prüfen. Als ich ihn fragte, warum wir zwei Feuerlöscher, einen Pulver- und einen Schaumlöscher in unseren Räumen hatten, schloss er kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, sagte er folgendes: „Ich erkläre es ihnen mal auf die ganz leichte Art. Wenn sie als Frau daheim den Abwasch machen, dann sehen sie doch so kleine Bläschen des Schaums auf der Oberfläche…“ Den weiteren Inhalt des Gespräches kann ich euch leider nicht wiedergeben, da mein Kopf beim Satz „Wenn sie als Frau daheim den Abwasch machen“ schon auf Standby geschaltet war. Zudem bin ich nicht so doof, als dass man mir Vorgänge, die ich noch nicht kenne, erklären muss, als wäre ich bei der Sendung mit der Maus. Chance vertan, lieber Mann.

Niemand nervt

Bei meiner derzeitigen, ehrenamtlichen Tätigkeit in der Flüchtlingshilfe nimmt die Arbeit wegen des Umzugs kein Ende. Es müssen Kartons gepackt, Kleider aussortiert und Regale abgebaut werden. Es gibt so viel zu tun, dass wir alle froh um jede Hilfe sind. Es geht mir gut dabei, wenn ich den Hubwagen durch die Halle lenke, um Paletten abzulegen. Ich steige gerne auf die Rollleiter, um in der Höhe Kartons vom Regal zu hieven und auf Paletten zu stapeln. Gerne stapele ich Tische aufeinander und befülle die Handroller mit Paketklebeband. Als mich neulich ein männlicher Mitarbeiter bat, dies zu tun, weil er es nicht kann, habe ich nicht gesagt: „Pass mal auf, Kleiner, du kochst mir jetzt mal einen Kaffee und in der gleichen Zeit befüll‘ ich dir hier mal das Teil.“ Tatsächlich habe ich gesagt: „Na klar mach ich das. Willst du zugucken, damit du lernst, wie es geht?“ Denn ich habe es in meiner Erziehung genau so erfahren: Lernen durch Zuschauen oder mit Anpacken. Als ich 18 und mein Bruder 27 Jahre alt waren, hat der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hat, uns angeboten, dass er unsere Autos repariert. Und so kam es, dass ich irgendwann mit ihm in der Garage stand, wo die komplett herunter gefahrenen Bremsbeläge meines Opel Corsa gewechselt werden mussten. Nur zugucken gab es nicht, ich musste bei jedem Schritt mit anfassen und dafür bin ich wirklich sehr dankbar. Deswegen macht es mich immer wieder so sauer, wenn jemand mir ein mittelalterliches Denken aufbrummen will. Ich wurde nie anders erzogen als ein Junge, und dann kommen Männer daher und wollen mir das abtrainieren? Um es mit Hape Kerkeling zu sagen: „Isch möschte das nischt!“ Bei der Flüchtlingshilfe jedenfalls kann ich arbeiten, wie ich will, ohne dass mir ständig gesagt wird: „Lass das lieber mal einen Mann machen.“

Und was den Ralf und seine Hausarbeiten angeht: Ich muss tatsächlich ganz leise sein, wenn ich die Spülmaschine öffne, um sie auszuräumen. Denn wenn ich zu laut bin, dann kommt er aus dem Hinterhalt, greift sich das Geschirrhandtuch und sagt Sätze wie: „Ruh du dich mal aus, ich mach das schon.“ Das passiert auch, wenn ich Wäsche aufhängen, die Wohnung saugen oder die Betten machen will. Er macht es einfach gerne, um mich zu entlasten und ich glaube, dass es viele Frauen gibt, die sich einen Ralf daheim wünschen. Ich kämpfe also weiter um meine Freiheiten und wünsche mir ganz dringend ein Umdenken bei den Rollenklischees!

Herzliche Grüße, eure Steph

4 Kommentare zu „Weiberkram

  1. Super!,
    Liebe Steph, Harald hat hier abonniert und gibt mir die Beiträge immer zu lesen.
    Heute bin ich besonders einverstanden.
    Liebe Grüße von Erika

    Gefällt 1 Person

  2. Hallo Liebe Steph, da kann ich dir ja nur ganz und gar zustimmen :-). Und wenn ich nicht selbst so einen tollen Mann hätte, der immer und überall mithilft, dann würde ich mir glatt auch einen Ralf wünschen :-).

    Gefällt 1 Person

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s