
Gibt es bei Euch auch den Brauch, etwas zu essen für die Kolleg:innen mitzubringen, wenn man Geburtstag hat oder hatte? Bei uns gibt es den zwar nicht, aber ich mache es dennoch gerne. Und so stehe ich aktuell in meiner Küche und überlege, was ich zubereiten soll. Süße Muffins oder doch lieber etwas Herzhaftes? Da fällt mir prompt eine Geschichte aus dem Kindergarten ein, die will ich euch erzählen…
Süßes oder Saures
Den Geburtstag eines Kindes im Kindergarten zu feiern, fand ich als Erzieherin immer eine tolle Sache. Bestimmte Rituale mussten dabei immer eingehalten werden. Ein Geburtstagslied musste gesungen, die Teebeutelrakete entzündet und je nach Anzahl des Alters vom Stuhl gesprungen werden. Dann wurde das vom Kind mitgebrachte Essen gegessen und im Anschluss durfte das Geburtstagskind sich verschiedene Kreisspiele wünschen. Auf das Essen freuten sich die Kinder am meisten. Es war ein Freitag und ich wurde langsam ein wenig geburtstagsmüde, denn wir hatten in dieser Woche jeden Tag einen Geburtstag gefeiert. Ich fand es gut, wenn mich die Eltern fragten, was sie ihrem Kind als Geburtstagsmahl mitgeben sollten, denn zu viel Zucker ist nicht gesund und nicht an jedem Tag haben die Kinder Appetit auf süße Törtchen und Muffins mit Schokolinsen. Es gibt aber auch die Eltern, die mitbringen, was sie wollen und das ist natürlich auch okay. Doch an diesem einen Freitag war es gar nicht gut…
Der Meerjungfrauen-Alptraum
Als ich Kind war, gab es bei uns keine Geburtstagstorten wie bei anderen und vielleicht war das auch gut so. Als ich selbst als Erzieherin in einem Kindergarten arbeitete, habe ich Torten gesehen, die einander übertrumpften. Ritterburgen aus Schokoteig, Prinzessinnenschlösser aus Himbeercreme und Raumschiffe mit essbaren Astronauten. Doch den Vogel schoss die Mama von Joleen ab: Zum Geburtstag ihrer Tochter brachte sie eine XXL-Torte mit. Fünf Meerjungfrauen saßen auf der Torte, die über und über mit Wellen, Muscheln, Seesternen, Fischen, Fischernetzen und Perlen bestückt war. Der Fondant war drei Zentimeter dick. Diese Torte war ein Kunstwerk, bei dem man durchaus eine Reizüberflutung bekommen konnte, weil sich darauf so viel tummelte. Die Kinder waren genauso baff wie ich, mindestens zwei Minuten lang starrten wir alle auf die kleinen Details, die dieser Kuchen hergab. „Erzählt mal, was ihr da alles entdeckt“, forderte ich die Kinder auf, während ich fieberhaft darüber nachdachte, wie und wo ich dieses Ungetüm fehlerlos anschneiden sollte. Die Meinungen der Kinder waren gespalten. Flori (5) wollte der Meerjungfrau am liebsten den Schwanz abbeißen, Valentino (6) sagte, er esse keine Muscheln mehr, seit sein Vater im Frankreich-Urlaub eine Vergiftung erlitt und Melli (4) weinte, als ich das Tortenmesser ansetzte. Als jeder etwas auf dem Teller hatte, bemerkte ich, dass wir noch gar kein Getränk im Gruppenraum hatten. „Fangt schon an zu essen, ihr Lieben, ich hole geschwind den Tee aus der Küche“, sagte ich und flitzte auf Hausschuhen durch den langen Flur. Zurückgekommen erwartete ich das große Schmatzen meiner jungen Raubtiere, aber es blieb aus. Fast alle Teller waren noch halbvoll, einzig Flori kaute auf dem Schwanz einer Meerjungfrau herum. „Was ist los, ihr esst ja gar nicht?“ fragte ich in die Runde und füllte den Tee in die Becher. „Das klebt so im Mund“, erzählte Justina. „Mir ist das zu süß“, meinte Hülya und Melli weinte, weil Flori nun auch in den Kopf der Meerjungfrau biss. Kinder, die Kuchen zu süß finden? Das war mir ja auch noch nicht untergekommen. Mit dem Zeigefinger fuhr ich durch die cremige Masse mit Fondant auf Hülyas Teller, steckte mir den Finger in den Mund und… bekam den Zuckerschock meines Lebens. Ein klein wenig fühlte ich mich daran erinnert, wie es war, wenn ich als Kind Hustentropfen nehmen musste und meine Mutter sie mir wegen des bitteren Geschmacks auf einen Zuckerwürfel getröpfelt hatte. Wenn ich dann auf dem Zucker ‚rum kaute, war es mir, als würde ich Sand vom Strand essen. Nun war ich erst einmal froh, dass meine Augäpfel noch in den Höhlen steckten und trank einen ganzen Becher halbwarmen Kräutertee auf Ex aus. Joleens Mutter tat mir leid. Sie wollte ihr Kind und den leeren Tortenteller abholen und sah ihn in der Küche halbvoll auf dem Tisch stehen. „Hat es nicht geschmeckt?“, fragte sie mich sorgenvoll. „Ach wissen sie“, begann ich einen Satz und überlegte mir, wie ich ihn diplomatisch formulieren könnte. Doch dann fiel mir etwas ein und das war nicht gelogen. „Wir hatten die letzten Tage jeden Tag einen Geburtstag und immer gab es Muffins, Kuchen oder Torten. Die Kinder haben mal wieder Lust auf Butterbrezeln oder generell etwas Deftigem“. Mit dieser Antwort konnte sie Gott sei Dank gut leben.
Grün vor Neid
Aber warum muss alles eigentlich immer so ausarten? Als Martins Mutter seinen Ritterburgkuchen mit in den Kindergarten brachte, erntete sie neidische Blicke der anderen Mütter. Sie folgten ihr in die Küche, wo sie das Riesenteil vorsichtig auf dem Küchentisch abstellte. „Wo hast du die Form her?“ „Ist das Tupperware?“ und „Gibt es das auch in einer anderen Farbe?“ waren Fragen, mit denen sich Martins Mutter an diesem Morgen auseinander setzen musste. Die Kinder meiner Gruppe standen um den Kuchen herum, riefen „Wow!“ und hopsten vergnügt wieder in die Gruppe zurück. So waren sie halt. Da sehen sie eine echte Ritterburg aus Kuchen und alles was ihnen dazu einfällt, ist die Frage, was es heute zum Mittagessen gibt. Ich füllte den frisch gekochten Tee für die Kinder in eine Kanne und fragte die mittlerweile stark schwitzende Mama von Martin, ob ich ihr bei etwas helfen könne. „Ach… ich… weiß nicht… ich muss… den Kuchen… irgendwie… hier… raus bekommen“, stöhnte sie und ruckelte an der Silikonform herum. Die neidischen Mütter kicherten leise. Sie waren Zaungäste ohne Eintrittskarten. „Hast du die Form vorher nicht eingepinselt? Also ICH pinsel die vorher immer ein!“ quakte Valentinos Mutter wenig hilfreich. „Es kann sein, dass ich’s vergessen habe. Es ist gerade viel los bei uns. Die Zwillinge bekommen Zähne, mein Mann ist auf Montage und unser Badezimmer wird renoviert“, berichtete Martins Mama. Ich fragte mich im Stillen, warum sie bei all dem Stress dann noch so einen Monsterkuchen mitbringen musste. Natürlich will man als Mama den Geburtstag seines Kindes wunderbar schön gestalten, aber hängt das alles von einem perfekt gebackenen Motivkuchen ab? Marvin musste ich neulich energisch davon abhalten, seine eigenen Popel zu essen! Martins Mutter ruckelte weiter an der Form herum. Der letzte Ruckler war ein wenig zu hektisch gewesen, denn dem Turm fehlte die Spitze. „Schei…!“, fluchte sie und stampfte mit dem rechten Fuß laut auf. Daraufhin bröckelte auch das Haupttor in sich zusammen, was sie erneut mit einem Fluchen quittierte. Die neidischen Mamas schauten sich schmunzelnd gegenseitig an. „Habt ihr giftigen Nattern nichts Besseres zu tun?“, wäre es mir fast entwichen. Ich teilte das „Ritterburgen-Gebacke“ von Martins Mutter nicht, sah allerdings, dass diese Frau verzweifelt war. Da lacht man nicht, da hilft man. „Ich will doch noch aus Kitkat-Schokoriegeln die Zugbrücke bauen“, jammerte sie, bevor sie sich auf den Stuhl setzte und zu weinen begann. Ich stellte schnell die gefüllte Teekanne ab, legte meinen Arm um sie und reichte ihr ein Taschentuch. „Warum hat das nicht geklappt, andere schaffen das doch auch!“, schluchzte sie und haute mit der Faust fest auf den Tisch. Der Faustschlag auf den Tisch besiegelte das endgültige Ende der geplanten Ritterburg, nach und nach gab der gebackene Schokoteig nach und fiel krümelnd in sich zusammen. „Wissen sie“, sagte ich und reichte ihr ein neues Taschentuch, „Was die ANDEREN schaffen oder nicht schaffen, sollte völlig egal sein. Die Kinder sind da gute Vorbilder. Sie finden einen solchen Kuchen zwar toll, aber generell geht es ihnen darum, etwas Süßes essen zu dürfen. Wie das aussieht, ist ihnen egal. Kuchen wird immer gern gegessen. Ich persönlich präsentiere Essen immer nur als Motiv, wenn es um etwas geht, was manche Kinder nicht so gerne essen. Gemüsegesichter oder Obsttiere. So und nun präsentieren wir den Kindern etwas ganz Besonderes: Kuchen aus dem Becher!“ Schnell holte ich aus dem Küchenschrank sämtliche Becher hervor, füllte den zerbröselten Ritterburgkuchenteig hinein und stellte alles auf den Teewagen. Das leise „Danke“ von Martins Mutter freute mich, jedoch hoffte ich noch mehr, dass sie meine Botschaft verstanden hatte.
Die Puppe mit dem halben Kopf
Wir hatten nie viel Geld, als ich Kind war. Der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hat, wehrte sich mit Händen und Füßen, Unterhalt zu zahlen. Es gelang meiner Mutter dennoch, aus jedem unserer Geburtstage ein Riesenfest zu gestalten. Einfach, weil sie kreativ war. So bekam ich von meinem Uropa nach seinem Ableben mal eine uralte Puppe aus Porzellan vererbt. „Die hat ja nur einen halben Kopf“, jammerte ich, die so furchtbar gerne eine Babypuppe mit Weichteilkörper wie alle meine Kindergarten-Freundinnen gehabt hätte. Meine Mutter setzte kurzerhand ein Inserat in der lokalen Zeitung auf, ein Händler meldete sich und bezahlte ihr viel Geld für dieses Puppenkind mit eingestanzter Nummer im Nacken. Von diesem Geld kaufte sie mir eine echte Babypuppe von Zapf. Und weil das Porzellanpuppen-Geld nur für eine einzige Kleiderausstattung statt für mehrere reichte, hatte mein Puppenbaby stets das gleiche an. Daraufhin schrieb meine Mutter die Einladungskarten für meinen fünften Geburtstag kurzerhand einfach um und machte eine Babypuppenfeier daraus. Alle Mädchen, die eingeladen waren, sollten ihre Puppen mitbringen. Und so kam es, dass wir alle in meinem Kinderzimmer unsere Babys wickelten, Kleider tauschten und die „Kleinen“ mit Kuchen fütterten. Zum Schluss gab es noch eine Polonaise, die durch das Treppenhaus führte, und als Geschenk für jeden Gast einen Sonnenblumenkern im mit Erde gefüllten Joghurtbecher. An jedem meiner Geburtstage gab es einen Marmorkuchen. Und damit von dem nichts übrig blieb, erzählte meiner Mutter allen Kindern, dass in dem Kuchen eine Kaffeebohne versteckt sei. Wer sie bekäme, dürfte sich auf ein tolles Geschenk freuen. Und so kam es, dass bei uns die
Kuchenteller am Abend eines Kindergeburtstages immer leer war.
Wie schön, dass du geboren bist
Als meine Mutter von ihrem Frauenarzt bestätigt bekam, dass sie mich erwarten würde, sagte er ihr, sie müsse „dieses Kind“ nicht bekommen. Ihr Erstgeborener war neun Jahre alt, ihre Ehe im Grunde schon kaputt. Es gab für sie dennoch nie einen Grund, Zweifel zu haben, mich nicht bekommen zu wollen. „Das kriegen wir schon hin“, waren ihre Worte. Dafür bin ich ihr unendlich dankbar. Das Allergrößte aber war, dass jeder Geburtstag, ob von meinem großen Bruder oder von mir, von unserer Mutter gebührend gefeiert wurde. Es brauchte keine Motivtorten, keine Ausflüge ins Spaßbad oder andere kostspielige Aktionen. Wenn wir Geburtstag hatten, dann stand für sie immer im Mittelpunkt, wie sehr sie sich über uns freute. Und das, soviel kann ich Euch sagen, ist das allerschönste Geschenk, das man von seiner Mama bekommen kann. Wenn ich als Schülerin der 10. Klasse nach Hause kam und Geburtstag hatte, hörte ich schon von Weitem, wie meine Mutter die Musik laut aufdrehte. Dann lief „Das ist dein Tag“ von Udo Jürgens laut auf dem CD-Player. Was ich sagen will, ist, dass es einfach nur schön ist, für sein Dasein gefeiert zu werden. Seit mein Bruder durch Suizid verstarb, habe ich manchmal Probleme gehabt, meinen eigenen Geburtstag zu feiern. Doch dann komme ich zu meiner Mutter, lasse mich von ihr herzend umarmen, entdecke aus den Augenwinkeln dass sie vor dem Portrait meines Bruders eine Kerze entzündet hat und weiß, dass er immer da ist. Noch mehr: Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, mein Leben für ihn nun mit zu leben. Deswegen, lieber Michael, sei gespannt darauf, was ich noch alles so vor habe und freu‘ dich darauf, dass ich morgen, an meinem Geburtstag, ganz viel Tolles erleben werde.
PS.: Für die Kolleg:innen gibt es am Montag Nudelsalat und Frikadellen. 😉
Herzlichst, Eure Steph ❤
Liebe Steph, zu allererst möchste ich Dir herzlich zum Geburtstag gratulieren. Danke für Deine Geschichte. Sie zeigt, dass wir zwischen zwei Extremen leben, zwischen zu reich und zu arm. Da scheint jedes Maß verloren zu sein. Wie sollen die Kinder ein ‚gesundes‘ Maß erkennen, wenn die Erwachsenen etwas ganz anderes leben`?
Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag und sende liebe Grüße, Gisela
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Danke liebe Gisela, so sehe ich das auch. Über deine Glückwünsche freue ich mich sehr 🙂
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Hallo Stephanie ich lese eben deinen Block. Es ist soviel Lebenserfahrung und Liebe darin. Wir lesen es sehr gern. Heute möchten wir dir zu deinem Geburtstag gratulieren. Hab einen schönen Tag. Viele Grüße von Erika und Harald. 🍀🙋♂️🌷🙋♀️🌷🍀
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Ich danke euch von Herzen liebe Erika und Harald ❤
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Liebe Steph, ich wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag und einen ganz besonderen Tag für Dich.
Meine Kinder mochten am Liebsten Schokokuchen mit Schokoglasur und ziemlich vielen Smarties drauf.
Bei meiner liebsten und besten Freundin gab es immer Gummibärchentorte. Ich hatte mir wer weiß was vorgestellt.Letztendlich war ein Tortenboden mit Erdbeeren belegt und in den Tortenguss steckten die Gummibärchen, die unten ganz glibberig und aufgequollen waren. Meine Freundin isst heute noch leidenschaftlich gerne ihre Gummibärchen.
Liebe Grüße Annette
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Gummibärchentorte, yammi 🙂 Hab herzlichen Danke für deine lieben Zeilen und die Glückwünsche liebe Annette 🙂
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Alles Gute zum Geburtstag und ein weiteres schönes, aufregendes und spannendes Jahr wünsche ich dir!
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Hab herzlichen Dank liebe Monika 🙂
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