
„Über eine Antwort ihrerseits würde ich mich freuen“, schrieb Patrick in seiner Bewerbung, die ich mir als seine Bildungsbegleiterin anschaute. „Was soll denn das mit dem Wort würde?“, fragte ich ihn und schaute in zwei ahnungslose Augen. „Würde?“, wiederholte er verständnislos. Schon hatte ich ein neues Thema. „Die Würde bezeichnet den inneren Wert eines jeden Menschen. Du bist in unserem Bildungsinstitut einer der Besten in deinem Fach. Nun willst du dich als Kfz.-Mechatroniker bewerben und wirst so devot“, erklärte ich ihm. Immer noch Ratlosigkeit in seinen Augen, also versuchte ich es noch einmal anders. „Warum würdest du dich freuen, warum freust du dich nicht einfach? Wenn du schreibst: Über eine positive Antwort ihrerseits freue ich mich, dann klingt das doch schon ein wenig anders, oder nicht?“ Er nickte und drückte die Entfernen-Taste auf dem Arbeits-PC in meinem Büro. Dieses Erlebnis ist zwar schon länger her, aber ich erlebe immer wieder, wie sehr ich mich an solchen Wörtern störe. Eine Freundin erläuterte mir neulich, woher dies wohl kommen mag: von den Sprüchen aus unserer Kindheit. Als Kind hatte man nichts zu wollen, sondern viel eher zu möchten. Sie nannte mir einen Spruch, den ich sehr gut kenne, denn der Mann, mit dem meine Mutter zwei wunderbare Kinder hat, hat ihn auch bei jeglicher Situation hervorgeholt. „Kinder mit ’nem Willen kriegen was auf die Brillen!“ Es wurde uns anerzogen, nichts wollen zu dürfen und demnach sind wir als Erwachsene scheinbar immer noch folgsam. Ich hingegen finde, man kann auch vieles mal überdenken und sich fragen, ob das wirklich noch in unsere Zeit passt. Darüber hinaus sind mir viele Sprüche eingefallen, die ich als Kind hörte. Vielleicht kommen euch ja einige bekannt vor…
Der ist im Keller und bohrt nach Senf
Als meine Mutter den Mann heiratete, mit dem sie zwei wunderbare Kinder bekommen würde, da wusste sie womöglich nicht, mit wem sie sich da wirklich eingelassen hatte. Ihre Eltern hatten sie gewarnt und gesagt, sie solle sich lieber mit einem Mann einlassen, der mit einem weißen Hemd zur Arbeit geht. Doch sie war verliebt, der VW Käfer hatte eine kaputte Heizung und -schwupps- war sie schwanger. Heute kein Problem, war es im Jahr 1968 in konservativen Kreisen das Stichwort, so schnell wie möglich einen Ehering am Finger zu tragen. Ein uneheliches Kind? Was sollen bloß die Nachbarn sagen? Meine Mutter zog kurzerhand aus dem Norden in ihre neue Heimat nach Hessen und dort bemerkte sie peu à peu die Unterschiede zwischen sich und ihrem Mann. Tolerant, belesen, liebevoll traf auf Proletariat. „Na du Blödmann?“, begrüßte meine Oma ihren Sohn, als dieser mit einer schwangeren Frau an seiner Seite von seiner Ausbildung bei der Marine in Eckernförde heimkehrte. Wir Kinder hingegen wuchsen damit auf, dass es große Unterschiede zwischen unseren Großeltern in Hessen und Schleswig-Holstein gab und gewöhnten uns daran. Während unsere Mutter uns stets sagte, dass es keine blöden Fragen gäbe, bekamen wir von unserer Oma und ihrem Sohn immer nur Antworten, die die eigene Frage ins Lächerliche zogen. Fragte ich als Kind, wo ihr Sohn sei, sagte meine Oma: „Der ist im Keller und bohrt nach Senf!“ Fragte ich ihren Sohn, was das tolle Styroporflugzeug gekostet habe, sagte er: „Geld. Denn Bohnenstangen waren zu lang und Ziegelsteine waren zu schwer!“ Fragte ich wie das Wetter werden würde, hieß es:“ Bin ich Jesus, wächst mir Gras aus den Taschen?“ Das mögen einige witzig finden, mir verging der Spaß nach und nach, denn ich fühlte mich überhaupt nicht ernst genommen. Ähnliche Sprüche, die ich von ihnen hören musste, waren: „Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, hast du zu, tun was ich sage“ und „Mach mal die Augen zu, was du dann siehst, gehört dir!“ Diesen Füße unterm Tisch Spruch fand ich besonders blöd, denn es zeigte mir auf, dass ich zu tun hatte, was er wollte, nur, weil ich bei ihm lebte. Zum Glück war er als Fernfahrer tätig und selten daheim, denn unsere Mutter war da ganz anders…
Gabel, Messer, Schere, Licht…
Ich war vier Jahre alt und wollte meiner Mutter so gerne beim Kochen helfen. Teig umrühren, Lebensmittel für die Suppe kleinschneiden, Klöße formen, Rouladen rollen. Sehr gerne wollte sie meinem Wunsch nachkommen und weil sie befand, dass das scharfe Küchenmesser eine zu große Verletzungsgefahr darstellen könnte, gab sie mir einfach mein Plastikmesser in die Hand, welches eigentlich dazu gedacht war, Knete zu schneiden. Unsere Nachbarin bekam bei einem Besuch bei uns fast einen Ohnmachtsanfall, als sie mich mit einem Messer in der Hand auf dem Stuhl sitzen und Gewürzgurken schneiden sah. „Messer, Schere, Gabel, Licht, sind für kleine Kinder nicht!“, belehrte sie meine Mutter. Diese lächelte, und antwortete : „Messer, Schere, Gabel, Licht – warum nicht?!“ Überhaupt haben mein Bruder und ich solche für uns merkwürdig anmutenden Erziehungssprüche außer bei unserer Oma und ihrem Sohn nur bei anderen Leuten gehört. „Von zu viel Fernsehen schauen bekommt man viereckige Augen“, erzählte die Nachbarin ihrem Sohn und auch, dass einem die Augen stehen bleiben, wenn man versucht, zu schielen. „Erziehung ist Beispiel und Liebe“, sagte einst Friedrich Fröbel, Pädagoge und der Erfinder des Kindergartens. Dass man ihnen Angst machen soll, um somit angeblich Gefahren von ihnen abzuwehren, hat er nie erwähnt und bestimmt auch nie gewollt.
Kirschbaum im Bauch
Ich weiß noch genau, wie ich (5 Jahre) mit Sabine (7) auf den Schaukeln hinter unserem Haus saß und wir Kirschen vom Baum aßen. Dann nahmen wir Anschwung, schaukelten so hoch wie möglich und spuckten die Kirschkerne im besten Fall ganz weit von uns. Kirschkernweitspucken nannte man das. Irgendwann kam Martin aus dem Haus neben uns dazu. Seine Mutter ist die Frau, die keinem Kind ein Messer, eine Schere oder Licht in die Hand gegeben hätte. Beim Kirschkernweitspucken zwischen Sabine und mir stand es 7:9. Ich müsste nur noch einmal am Weitesten spucken, dann hätte ich das Spiel gewonnen.
Doch dann riss das Seil meiner Schaukel und ich plumpste wie ein nasser Sack auf den Boden. Sabine begann schallend zu lachen. „Was ist los?“, fragte sie nach zwei Minuten, nachdem ich ungewohnt still blieb. „Ich hab den Kern verschluckt, jetzt brauche ich ´nen neuen“, antwortete ich traurig. Dann stand ich auf, putzte mir den Hosenboden ab und rannte zum Kirschbaum, hinter dem Nachbarjunge Martin stand. „Du hast einen Kirschkern verschluckt, jetzt wächst dir ein Kirschbaum im Bauch“, stellte er nüchtern fest. „Häää?“, fragte Sabine, die inzwischen neben uns stand. Nochmal wiederholte er den startenden Baumwuchs in meinem Bauch. Ich wusste, dass das auf keinen Fall stimmen konnte, denn meine Mutter liebte Obst und wenn sie einen Apfel aß, dann blieb von dem anschließend nur der Stiel übrig, denn sie aß ihn mit den Kernen, dem Gehäuse und der Schale komplett auf. Wenn es danach ginge, hätte meine Mutter also bereits eine ausgewachsene Obstplantage in ihrem Bauch. Trotzdem war ich erleichtert, als ich den Kirschkern am nächsten Tag ausgeschieden in der Toilettenschlüssel liegen sah…
Dir brennt doch wohl der Kittel
Einmal kam ich von der Grundschule nach Hause, da entdeckte ich, dass unsere Nachbarin die Gardine zur Seite geschoben hatte und mir zuwinkte. Ich winkte ebenfalls zurück und wollte gerade an unserer Tür klingeln, da hörte ich, wie sie das Fenster öffnete und mich zu sich rief. Schnell ließ ich den Ranzen in das Gras fallen und lief zu ihr. Sie hätte schlimme Kopfschmerzen, ob ich zum Edeka Markt gehen und für sie etwas einkaufen könne, fragte sie. Sie war schon ein wenig älter und in Rente. Früher soll sie mal die Direktorin unserer Grundschule gewesen sein, weswegen mein Bruder und ich ab und zu Briefe bei ihr abholten, die wir in der Schule abgeben sollten. Nun also Einkaufen. „Na klar mach ich das, aber jetzt muss ich erst mal zum Mittagessen“, antwortete ich ihr und verabschiedete mich vorerst. Den ganzen Weg bis zu unserer Wohnung freute ich mich über eine Bratwurst, Kartoffelbrei und braune Sauce. Doch als ich unsere Küche betrat, da roch es nicht nach Bratwurst. Irritiert setzte ich mich an den Tisch und wartete. Als sich meine Mutter dann mit dem Teller in der Hand umdrehte und mir Spinat, Kartoffeln und Spiegelei auf den Tisch stellte, da war ich beleidigt, was meiner Mutter nicht entging. Sie fragte, was los sei und ich sagte ihr, dass ich so große Lust auf Bratwurst mit Kartoffelbrei und brauner Sauce hätte. Uii, da war es mit der Geduld meiner lieben Mama vorbei. „Dir brennt doch wohl der Kittel, liebes Fräulein! Heute morgen habe ich dich dreimal gefragt, was du heute Mittag essen möchtest und du hast gesagt, am allerliebsten würdest du Spinat mit Spiegelei essen“, rief sie. Das stimmte tatsächlich. Allerdings hatte sich mein Essenswunsch im Laufe des Tages geändert und in meinem magischen Denken dachte ich wohl, dass meine Mutter meine Gedanken lesen konnte. Konnte sie anscheinend aber doch nicht. „Und jetzt gehst du erst einmal runter und hebst deinen Schulranzen auf, der da unten im Gras liegt“, mahnte sie. Weil ich ihr aber noch lange zeigen wollte, wie beleidigt ich war, bewegte ich mich nicht vom Tisch weg. Da sagte sie: „Auf, auf, sprach der Fuchs zum Hasen, hörst du nicht die Jäger blasen?“ Normalerweise hörte ich diesen Spruch morgens von ihr, wenn sie mich weckte und ich nicht aufstehen wollte. Ich holte also den Ranzen vom Rasen, trottete wieder hoch, setzte mich an den Tisch und merkte plötzlich, dass Spinat und Spiegelei ja doch keine schlechte Wahl gewesen waren. Zwei Portionen aß ich und als ich nach der Hälfte nicht mehr konnte, da stocherte meine Mutter mit ihrer Gabel in meinem Essen herum und aß es auf. „Wenn du keine Mutter hättest, würdest du dir ein Schweinchen halten!“, sagte sie, wie so oft, wenn sie meine Reste essen musste. Nach dem Essen und dem Hausaufgaben erledigen ging ich für unsere Nachbarin einkaufen. „Du bist ein tolles Kind, dich kann man mal wieder losschicken“, lobte sie mich, nachdem sie alle Einkäufe auf dem Küchentisch ausgebreitet hatte. „Dich kann man nochmal losschicken“ murmelte ich mir auf dem Heimweg vor. Ich fand, das war ein toller Satz von einer Erwachsenen!
Ich würde, ich möchte, ich könnte…
Es gab so viele Sprüche meiner Mutter, über die ich noch heute lachen muss, weil ich sie so witzig finde. Wenn ich gähnte, ohne mir die Hand vor den Mund zu halten, dann rief sie: „Johannes 1 Vers 6. Oh Herr, sie will mich fressen.“ Ob das wirklich in der Bibel steht, weiß ich nicht, aber ich fand diese Art der Erziehung lustig. Wenn sie genervt war, und das kam in der Erziehung von mir des Öfteren vor, dann sagte sie: „Kind Gottes in der Hutschachtel“, und wenn ich ihr so richtig mächtig auf den Keks ging und sie weich gekocht hatte, dann kam oft ihr entnervter Satz: „Von mir aus!“
Einer meiner Lehrer sagte immer dann, wenn er sich freute, es sei ihm ein innerer Reichsparteitag. Erst später, als ich gebildeter wurde, merkte ich, wie daneben dieser Satz ist. „Es ist mir ein inneres Blümchen pflücken“ hätte er sagen können. Aber zurück zu den Kindern, ihrem Willen und den Brillen. Ich bin eine junge, starke, emanzipierte Frau und kriege alsbald die Krise, wenn ich Menschen stets im Konjunktiv reden höre. Was ist so verkehrt daran, etwas zu wollen? Wenn ich lese: „Ich möchte mich bedanken“, dann denke ich stets: „Na, dann mach es doch.“ Anders, als ich es bei meiner Oma und ihrem Sohn erlebt habe, weiß ich, dass ich einen Willen haben darf und das tue ich auch kund. Nicht alles, was wir an Sprüchen in der Kindheit hören, müssen wir bis ins Erwachsenenalter müde mittragen, nur, weil es ja immer schon so war oder weil die Eltern so liebe Leute sind. Ich finde schon, dass man hinterfragen darf, und als ich den Ralf bereits zweimal geheiratet habe, da habe ich auf die Frage der Standesbeamtin nicht gesagt: „Ich möchte“, sondern: „Ich will!“
Wir sieht es bei euch aus mit Sprüchen aus der Kindheit? Begleiten sie euch noch und welche waren es?
Herzliche Grüße Steph ❤
Liebe Steph, von den Sprüchen sind mir einige aus meiner Kindheit bekannt. Da herrschten andere Sitten. Wir Kinder durften niemals an den Kühlschrank gehen. Als Getränk gab es nur Leitungswasser. Alles lange her aber unvergessen. Meine Oma erklärte uns: „Wenn jemand stiehlt, wächst, wenn er tot ist, die Hand aus dem Grab.“ Das fand ich sehr gruselig. Herzliche Grüße, Gisela
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Liebe Gisela, von dem Spruch mit der Hand aus dem Grab hat Ralf mir auch erzählt. In seiner Kindheit wurde ihm das auch erzählt. Das ist wirklich gruselig und zum Glück lange her. Herzliche Grüße Steph
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Ein Märchen bei/von den Gebrüdern Grimm . „Das eigensinnig Kind „
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