Herr Schröder seilt sich ab

Einleitung: Herr Schröder ist ein kleiner Wichtel, der im Dezember 2017 erstmalig bei uns auftauchte. Meine Mutter hatte ihn bei sich entdeckt und gedacht, dass er bestimmt gerne bei uns wohnen würde. Wir bauten ihm eine Wohnung in der Wand und verschlossen diese mit einer Wichteltür (im dänischen: Nissedør). Von anderen Wichteleltern hörten wir, dass man den kleinen Wichten jeden Abend eine Schüssel Milchreis mit Zimt vor die Tür stellen muss. Macht man das nicht, muss man mit Streichen des Nissen rechnen. Wir merkten schnell, dass unser Nisse anders als die anderen i(s)st. Er will am allerliebsten jeden Tag Toffifee essen und Streiche spielt er uns auch, wenn er Toffifee bekommt. Herr Schröder, der auf den Vornamen Kalle Knispel hört, wohnt jedes Jahr vom 01. Dezember bis zum 04. Januar bei uns. Den Rest des Jahres verbringt er auf der dänischen Insel Fanø, auf der sich auch der hier oft beschriebene Zauberwald befindet. Touristen besuchen ihn dort oft und bringen ihm Toffifee vorbei.

Zuckerwattenwolken

Erst sahen die Wolken aus wie Zuckerwatte. Sie zogen sich zäh auseinander, um kurz darauf wieder zusammenzufinden. „Schau dir das an“, rief Ralf mich ans Fenster. Seit er die Bienenblumenwiese im Hinterhof angelegt hat, schaut er dreimal am Tag aus dem Fenster, um nach seinen Schützlingen zu schauen. Nun guckten wir beide in die Luft und bestaunten das Wolkenspektakel, welches sich da vor uns abspielte. Wie die Wellen in der nahegelegenen Ostsee bewegten sich die Wolken am Himmel. In der Ferne sahen wir eine wahre Wolkenwand, die in schnellem Tempo auf uns zukam. „Und jetzt schauen wir vorne“, sagte Ralf, woraufhin wir eiligst durch das Esszimmer auf den Balkon flitzten. Die Wolkenwand war nun genau über uns. Plitsch, platschte mir ein dicker Wassertropfen auf den Scheitel. Zum Glück nur Wasser, stellte ich fest, denn auf dem Dachgiebel nistet eine Taube und die hat uns schon öfter weiße Kleckse auf dem Balkon hinterlassen. Binnen Minuten platschte und klongte es, als die Regentropfen auf den Fliesen und in einer leeren Konservendose landeten. Platsch, platsch, klong, platsch, platsch, klong. Schnell gingen wir wieder rein und schlossen die Balkontür. Da wurde es plötzlich noch finsterer und das hatte nichts mit dem Wetter zu tun. Es war die große Zeitungsmöwe, die mit ihren weit ausgebreiteten Flügeln das Zimmer verdunkelte. Sie überbringt uns oft Post von Herrn Schröder aus dem Zauberwald. Nun waren wir gespannt, was sie zu berichten hatte, schließlich lebt Herr Schröder nun bereits seit fünf Monaten wieder dort und wir hatten bisher noch nicht von ihm gehört oder gelesen. Was allerdings auch von Vorteil sein kann, denn er treibt ja überall seinen Unsinn. Durch das aufkommende Gewitter wurde der Himmel immer wieder von flackernden Blitzen beleuchtet. Wir beschlossen, die Zeitungsmöwe zu uns herein an den Tisch zu bitten, wo sie sogleich dankend Platz nahm. „Ein Wasser?“, fragte Ralf. „Bei dem, was ich euch erzähle, brauche ich etwas Starkes. Habt ihr Eiswürfel?“, fragte die Möwe. Dann nahm sie einen tiefen Schluck und begann zu erzählen…

Aufräumarbeiten

Der Frühling war erwacht im Zauberwald auf Fanø. Leichter Seenebel lag über den Häuserdächern der winzigen Bewohner:innen. Die Vögel erprobten ihre Flugkünste im Licht der noch zarten Sonnenstrahlen. Krokusse krochen aus der Erde nach oben, wo sie ihre schönsten Farben präsentierten. Nach den langen Wintermonaten freuten sich nun alle darauf, dass das Leben wieder vermehrt draußen stattfand. Fensterläden wurden aufgestoßen, Betten herausgehängt, Gardinen gewaschen und Kaputtes repariert. Dazu trafen sich alle auf dem kleinen Marktplatz neben dem Baumstammtelefon. Denn was der eine nicht kann, kann der andere. Goldi Gänseblümchen brauchte jemanden, der ihre Dachschindeln neu anbrachte, Bernie Brauer, der Wirt des „Øl-Inn“, suchte Hilfe beim Ölen seiner Eichentische und Lila die Libelle fragte, ob ihr ein paar Flügler beim Aufhängen ihrer neuen Hängematte helfen könne. Jeder half jedem. Jeder? Nein, denn einer fehlte. „Wo ist eigentlich Kalle Knispel Schröder?“ fragte Hanna Hagebutte, während sie Wildrosentee in kleinen Bechern an ihre Nachbarn ausschenkte. Doch sie zuckten allesamt ratlos mit den Schultern. Keiner wusste, wo sich der kleine Mann mit dem dicken Bauch und der langen roten Mütze befand. Da hörten sie alle plötzlich ein Donnern, das sich anhörte, als würde ein Motorrad mit kaputtem Auspuff durch den Wald brausen. Sie folgten dem Ton und hielten sich die Ohren zu, als es immer lauter wurde. Schließlich standen sie vor dem Haus des Herrn Schröder, der innen in seinem Bett lag und schnarchte. „Desch is typisch für ihn“, lachte Herr Waiblinger. „Er muss aufwachen und uns helfen“, bestimmte der Bürgermeister. Und so betraten sie Kalle Knispels Haus, rüttelten und schüttelten ihn, zupften an seinem Bart, zogen ihm die Decke weg und kitzelten ihn an seinen Füßen. Doch er wachte nicht auf. Da hatte Wichtel Sverre eine Idee. Er formte seine Hände zu einem Trichter, hielt ihn vor seinen Mund und rief: „ Die Toffifee sind alle!“ Wer schon einmal eine Rakete beim Start gesehen hat, kann sich vorstellen, wie schnell Herr Schröder nun aus dem Bett schnellte. Dabei hatten sie gelogen. Hatten sie doch bei den Aufräumarbeiten in den Pilzhockern seinen großen Vorrat an Toffifee entdeckt. „Wie bitte, was ist los?“, schrie Herr Schröder aufgeregt. Seine Schlafbrille verdeckte seine Augen, daher sah er erst einmal nichts. „Los auf, zieh dich an, der Frühling ist da“, sagte der Bürgermeister und ergänzte: „Wir sehen uns um 12 Uhr auf dem Marktplatz.“ Herr Schröder taumelte schlaftrunken zu seiner Sockenschublade, nahm sich dort ein Toffifee heraus, steckte es sich in den Mund und antwortete: „Ja ja, keine Hektik, ich werde da sein.“

Bald beginnt das Frühlingsfest

Eine ganze Woche dauerten die Aufräumarbeiten, aber dann, dann war alles wieder richtig schön und zauberhaft. Die Eicheln an den Bäumen glänzten, der Fuchstunnel war durchgefegt, die Moorschaukel repariert und die Glühwürmchenlaternen neu aufgeladen. Das war auch wichtig, denn sie saßen abends gerne zusammen und erzählten sich von ihrem Tag. Das wollten sie nicht im Dunklen tun. Weil sie alle so fleißig gewesen waren, hatte der Bürgermeister ihnen jeweils ein Toffifee aus dem versteckten Lager des Herrn Schröder geschenkt. Das wusste der nicht, weil er mal wieder nicht da war. Doch wo war er nur schon wieder? Er war noch in seinem Haus, denn er kam dort nicht heraus! Er hatte sich in den vergangenen Monaten so viel Winterspeck angefuttert, dass er nicht mehr durch die Haustür kam. Doch Herr Schröder war nicht dumm. Mit aller Kraft schob er sein gemütliches Sofa zur Seite und presste sich durch das geöffnete Fenster. Uff. Auf dem Marktplatz wollte er sich zunächst mit ein paar Toffifee aus seinem Pilzhockerversteck vergnügen, doch zu seinem großen Schrecken war das Versteck leer. „Das war bestimmt der Fuchs, na der kann was erleben!“, schimpfte er und wollte gerade Richtung Fuchstunnel stampfen, da packte ihn der Bürgermeister am Kragen und verdonnerte ihn zur Mithilfe beim Aufbau für das Frühlingsfest.

Fliegende Kirschen

Eine Woche später war es endlich soweit, dass Frühlingsfest startete. Die Sonne strahlte am wolkenlosen Himmel, über dem Zauberwald lag ein leckerer Geruch von Zuckerwatte und Pommes Frites. Außerdem konnte man Gurkensandwiches mit frischem Queller und Himbeereis mit Guf kosten. Es gab Wein aus Bernsteingläsern und sprudelige Apfellimo. Wie es sich für ein ordentliches Frühlingsfest gehört, gab es auch einige Fahrgeschäfte. Die Spinne Agathe stand im Rhönrad und fungierte so als Riesenrad. Rita Raupe bildete mit ihrem Körper einen Kreis, sodass alle auf ihrem Rücken sitzen und „Raupe“ fahren konnte. Bei Grashüpfer Horst Hüpf konnte man sich fühlen wie in einem Free Fall Tower. Wer es ruhiger mochte, der konnte sich vom Gondoliere Gigi auf einem Seerosenblatt über den Teich schippern lassen. Sie hatten alle so viel Spaß. Außer Herr Schröder. Der wollte lieber noch ein bisschen garstig auf den Fuchs sein, weil er glaubte, dieser habe ihm die Toffifee gestohlen. Deswegen hielt er nun Ausschau nach ihm. Doch dann sah er plötzlich etwas, das er noch nie gesehen hatte. Fliegende Kirschen. Als er im Winter bei seinen Herbergseltern Steph & Ralf war, da hatte er mal eine Kirsche aus einem Karton gegessen. Mongscherie hieß die Kirsche, glaubte er sich zu erinnern. Nach dem Verzehr dieser Kirsche war ihm ganz heiß geworden und er konnte plötzlich doppelt sehen. Und nun flogen hier im Zauberwald einfach so Kirschen umher? Das musste er sich aus der Nähe ansehen, dachte er sich und so rannte er eilig mit seinen kurzen dicken Beinen auf die Kirschen zu, bis ihm der Atem ausging. Dort angekommen hielt er eine Kirsche fest, leckte sie an, biss hinein und bemerkte, das sie ganz hart war. „Was machst du denn da, du nimmersattes Schleckermäulchen? Das ist eine Seilbahn und keine Essbahn!“, rief der Kassierer Sverre. Eine Seilbahn also. „Das ist ja noch besser, dann muss ich nicht laufen“, dachte sich Kalle Knispel Schröder und sprang in eine Kabinenkirsche hinein. Die Kirschenseilbahn gab es wirklich noch nicht lange im Zauberwald. Die Bewohner:innen hatten sie aufgebaut, damit alle das Festgelände auch mal von oben sehen konnten. Nun fuhr Herr Schröder also mit. Aus Faulheit, nicht wegen des grandiosen Ausblicks. Und er hatte auch nicht viel davon, denn kurz nachdem er eingestiegen war, hatte es laut geknackt. Es folgte ein Zischen und noch mehr Geknacke, dann krachte die Kabinenkirsche samt grünem Stengel aus der Höhe in die Tiefe. „Ach du meine Güte“, rief Herr Schröder und zog sich seine Mütze über seine Augen, damit er nichts sehen musste. Ein bisschen Angst hatte er auch. Was, wenn ihm etwas passieren würde? Er hatte doch noch so viel vor. Die Toffifeeinseln wollte er bereisen, in Haselnussscreme baden und sich vielleicht verlieben. Doch wie würde er am Boden ankommen, wie? Wie dumm, dass Herr Schröder stets nur an das eine denkt, denn schließlich hatte er viele Freunde im Zauberwald. Und die sorgten sich um ihn. Und so kam der große Seeadler Klaus schnell herbeigeeilt, um Herrn Schröder aufzufangen. Doch er scholt ihn auch. „Ich habe dir schon oft gesagt, dass es meinem Rücken weh tut, dich zu befördern, du solltest etwas besser auf dein Gewicht achten“, sagte er ihm. Herr Schröder war dankbar, dass ihn der Seeadler aus seiner misslichen Situation befreit hatte und er wurde nachdenklich. Wegen seines Gewichtes hatte er sich schon in seinem Haus verklemmt. Ja, er wollte etwas tun…

Merkwürdige Geschäfte

Was viele Touristen nicht wissen ist die Tatsache, dass die Bewohner:innen des Zauberwaldes jede Nacht an den Strand gehen, wo sie für die Touristen kleine Bernsteinkrümel im Sand verstecken. Denn ähnlich wie bei vielen Menschen freuen sich die kleinen Wichtel, wenn andere sich freuen. Herr Schröder war das mit der Freude für die Menschen nicht so wichtig, doch er wusste, dass es die Touristen sind, die ab und zu in den Zauberwald kamen und dort Toffifee für ihn hin brachten. Daher machte er beim Bernstein verstecken immer mit. Einmal, als er sich zwischen den Dünen eine Verschnaufpause gegönnt hatte, da hatte er durch eines der Ferienhausfenster geschaut und gesehen, wie die Menschen Fernsehen geschaut hatten. Ein Bericht über eine Spritze wurde gezeigt und diese Spritze würde Wunder bewirken. Man würde damit abnehmen können, ohne sich sportlich zu betätigen. Das war ja genau nach seinem Geschmack. Doch die Spritze war teuer und er hatte kein Geld. Im Zauberwald bezahlt man mit Nachbarschaftshilfe oder Tauschgeschäfte. Aber er war nicht dumm und hatte schon einen Plan. Die ganze Nacht machte er sich an die Arbeit. Er halbierte Eicheln, bemalte sie und verkaufte sie als „wirklich echte Toffifee“ am Straßenrand. Das heißt, er versuchte es. Denn die Wahrheit sah anders aus. Der erste Tourist, der am Straßenrand hielt, stieg aus, schaute sich die „wirklich echten Toffifee“ an und sagte dann. „Du bist doch Herr Schröder! Und DU verkaufst hier Toffifee? Wer soll dir das denn glauben?“ Lachend fuhr er wieder davon. Und auch die anderen Menschen, die anhielten, fielen nicht auf seine „wirklich echten Toffifee“ herein. Enttäuscht ging er wieder nach Hause. Er hatte gerade die Tür seines kleinen Häuschens geöffnet, da sprangen alle seine Freunde aus den Ecken hervor. Susi Sonnenschein, Sverre, der Waiblinger, Ragnhild, einfach alle waren gekommen. Und sie hatten alle das gleiche Ziel: Herrn Schröder beim Abnehmen helfen. Seilspringen, Hula Hoop, Fußball kicken und Äpfel pflücken. Alle hatte eine tolle Idee im Gepäck. Ragnhild fing an, denn wer einmal gesehen hat, wie wunderschön sie bauchtanzt, der kann nicht daneben stehen und nur zuschauen. Und so kam es, dass die kleine Hütte des Herrn Schröder voller Tanz und Freude war.

„Jaja, Freunde sind wichtig im Leben“, sinnierte die Zeitungsmöwe und beendete damit ihren Bericht über das Leben des Herrn Schröder in seinem Feriendomizil auf Fanø. „Na, wir sind gespannt, ob das Abnehmprogramm wirklich geklappt hat“, sagten wir im Chor. Aber am wichtigsten ist, dass es Freunde gibt, die auf ihn achten und die ihm beistehen. Wie im richtigen Leben eben.

Herzlichst, eure Steph ❤

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