Die Entführung der Pfefferkornsalami

Einkaufen vor Weihnachten ist für uns nie ein Vergnügen. Es ist einfach nur schlimm. Zu voll. Zu laut. Zu durchgedreht. Aber was soll man machen?

Der Markt, den wir zum Einkaufen nutzen, wurde von einer großen Kette übernommen und wird derzeit umgebaut. Das sorgt für noch mehr Verwirrung, denn wo früher die Zeitschriften standen, ist nun die Obstabteilung. Wo früher die Obstabteilung war, sind nun Regale voller Süßigkeiten und als sich Ralf neulich auf die Suche nach Toilettenpapier begab, wollte ich ihn nach zehn Minuten an der Info ausrufen lassen, weil er so lange verschwunden war. Am Eingang des Marktes steht nun ein Schild, das zur Orientierung dienen soll. Wer sich danach auskennen soll, ist mir noch immer ein großes Rätsel. Jede Pyramide mit vergrabenen Pharaonen ließe sich leichter auskundschaften als dieser Lageplan. Viel einfacher wäre es zudem, man würde kleine Flyer bedrucken und in jeden Einkaufswagen kleben. Aber hey, bin ich die Marktleiterin? Bevor wir losfuhren, frühstückten wir ausgiebig. Wer weiß, wann wir wiederkämen?

Gähnende Leere im Loch

Der Parkplatz war schon überfüllt und verhieß nichts Gutes auf das Geschehen im Markt selbst. Wir würden es langsam angehen lassen und erst einmal unser Leergut wegbringen. Zwei Kisten Wasser, eine Kiste Cola und eine Kiste Bier schoben wir in den kleinen Kasten, der die Kisten auf einem Förderband wegtransportieren sollte. Tat er aber nicht. Miumiumiumiu machte das Gerät und wies uns an, einem Mitarbeiter Bescheid zu sagen. Ich rollte mit den Augen und betrat den Markt. Oh, schon wieder eine Neuerung. Im Eingangsbereich wurde eine neue Theke montiert. ‚Abholservice‘ las ich, als ich daran vorbei ging. Vor einem Regal mit Energydrinks sah ich zwei Mitarbeiter, die stumm auf das Regal starrten. „Ähm, Entschuldigung?“ sagte ich und wartete auf eine Reaktion. Statt „Wie kann ich Ihnen helfen?“ zu fragen, hob der Mitarbeiter seine Augenbrauen. Sehr arrogant kam mir das vor. „Der Automat nimmt keine Flaschen mehr an und da steht, wir sollen jemandem Bescheid sagen“, sagte ich freundlich. „Da kommt gleich wer!“ muffelte er und noch bevor ich mich umdrehte, standen beide wieder wie zwei Bäume im Wald und starrten das Regal weiter an. Na prima. Als ich zu Ralf zurückkam, bildete sich bereits eine Schlange hinter uns. Alle wollten ihr Leergut wegbringen, aber nun war auch der zweite Automat kaputt oder voll oder sonstwas. „Ich habe Bescheid gesagt, es kommt gleich wer“, beschwichtigte ich die Meute. „Geht gleich weiter!“ schob ich noch schnell hinterher. Wann kam denn endlich jemand, um den Fehler zu beheben? Neugierig schaute ich in das Loch hinein, in das man sonst die einzelnen Flaschen zur Rückgabe steckt. Gähnende Leere im Loch. Ein blinkendes Warnlicht drehte sich ungesehen im Kreise, aber sonst war da nichts. „Wann geht’s da vorne weiter?“ rief ein Mann in Bauarbeiterklamotten. ‚Wenn der mal Luft holt, hänge ich ihm vorne an der Nase‘, dachte ich mir und ging erneut in den Laden hinein. Die beiden Baummänner standen noch immer stumm starrend vor dem Regal. Mein Einkauf hatte noch nicht einmal begonnen und mein Puls war bereits auf hundertachzig. Nun sagte ich nicht mehr unterwürfig „Entschuldigung“. Ich sagte: „Ich war eben schon mal hier und langsam hab ich’s dicke! Wir stehen da wie die Doofen rum und warten, aber es kommt keiner. Sehen sie sich mal die Wartschlange an!“ Ich hätte gern noch mehr gesagt, beließ es aber vorerst dabei. Wer weiß, wie oft ich hier noch angeschlichen kommen müsste? Ich wollte nicht gleich mein ganzes Pulver verschiessen. Der Mann murmelte etwas in sein Walkie-Talkie und drei Minuten später ruckelte es wieder im Rücknahmeflaschenkanal. Na endlich.

Jetzt geht’s erst richtig los

Der wirkliche Einkauf konnte starten. In der Obstabteilung fragte mich eine Frau, wo sie die Zeitschriften fände. „Die sind jetzt da, wo früher die Tiernahrung stand“, sagte ich und malte ein Zickzack in die Luft. Schon stand ein weiterer Mensch neben mir und fragte mich, ob die Melonen frisch seien. „Ähm, ich arbeite nicht hier“, sagte ich und hob zuckend die Schultern hoch. Natürlich hätte ich ihm besser helfen können. Allerdings arbeite ich gerade mit meinem Therapeuten an meinem Helfersyndrom und der Abgrenzung und andererseits sah er nicht aus, als ob er sich nicht selbst zu helfen wüsste. Bei den Lebensmitteleinkäufen kurz vor Weihnachten werde ich zur Egoistin, bemerkte ich. Ich will einfach nur schnell meine Sachen kaufen und dann wieder raus, bevor ich platze. Sollte er doch selbst merken, dass er dort warten könne, bis er schwarz wäre, weil kein Mitarbeiter käme. Gab es eigentlich Beschwerdeformulare an der Info? Da haben die meinen heißgeliebten Sky-Markt in ein großes Monstrum mit vier weißen Buchstaben auf rotem Grund verwandelt, alles mal eben komplett umgestellt und …

Kleine Würfel für die Nerven

An der Käsetheke herrschte Aufruhr. Ein Mann mit Karomusterhut hatte bemerkt, dass er einen falschen Einkaufswagen fuhr und wollte stante pede seinen eigenen zurück. Eine Mitarbeiterin stand ihm beruhigend zur Seite und sagte, es würde sich alles aufklären lassen. Er war schon puterrot im Gesicht, so sehr regte er sich auf. Ich hätte ihm ein paar Käsewürfel zum kostenlosen Probieren gereicht, aber ich arbeitete ja nicht hier. „In dem Wagen war meine 18€-Pfefferkornsalami!“ rief er aufgeregt. „Und es war die letzte! Was mache ich denn jetzt?“ Puh, so viel Drama. Er glaubte doch nicht wirklich, dass jemand absichtlich seine Pfefferkornsalami entführt hätte, oder? Dann kam die Durchsage: „Sehr geehrte Kunden, es wurden Einkaufswagen verwechselt. Bitte schauen sie in ihren Wagen und schauen nach, ob es sich dabei um ihren eigenen handelt. Die Wagen können hier an der Käsetheke ausgetauscht werden.“ Oh mein Gott, das klang ja wie in einem Agentenkrimi auf der Glienicker Brücke. Das mit dem Wagen vertauschen könnte uns nie passieren. Was wir in unserem Wagen haben, kauft kein anderer. Nach ein paar Minuten kam eine Frau hektisch angerannt. Es war die Frau mit dem vertauschten Wagen. Hundertmal entschuldigte sie sich bei dem Karomusterhutmann und erklärte, sie sei den ganzen Tag schon so durch den Wind. Sie könnte auch einen Käsewürfel gebrauchen, dachte ich. Nach fünf Minuten war das Dilemma wieder rückgängig gemacht und jeder konnte wieder durch den Laden irren…

Eier in Aspik

So auch wir. Während Ralf Eier und Käse kaufte, ging ich zu dem Wagen mit den 50% reduzierten Lebensmitteln. Dort schaue ich immer nach, was es so gibt. Doch dieses Mal stand der Bauarbeitermann aus der Leergutwarteschlange davor und wühlte in den abgelaufenen Sachen. Ich stand zwei Meter von ihm entfernt und ließ ihn erste einmal in Ruhe wühlen. Angestrengt schaute ich dabei in das Regal vor mir. Wow, was man alles so aus Tofu machen kann, ist ja echt erstaunlich. Minuten vergingen und er wühlte immer noch in den zehn Produkten. In der Warteschlange erst den großen Larry machen und hier jetzt selbst einen Stau bilden, sowas hab‘ ich ja gerne. Als ich mich zu ihm rumdrehte, um zu schauen, ob er nun endlich fertig sei mit Wühlen, damit auch ich mal den Wageninhalt einsehen könnte, nahm er eine Harzer Roller, hielt sie wie ein Zepter hoch und brüllte: „Is‘ ja nur Rotz hier drin!“ Ich lächelte ihm freundlich zu, um die latente Aggressivität, die in ihm schlummerte, ein wenig abzuschwächen.

Mit Käsehäppchen brauchte man ihm wohl nicht kommen. Er warf mit Wucht den Harzer Roller in den Wagen zurück, stützte sich mit beiden Unterarmen auf seinen eigenen Wagen und ging weiter. Endlich. In dem Wagen waren tatsächlich seltsame Sachen. Fischfond zum Beispiel oder Eier in Aspik, Sülze mit Zunge und der Harzer Roller. Ich schüttelte mich innerlich und suchte nach meinem Mann…

Einhornkaka

„Ich bin jetzt echt kaputt, ich muss hier raus“, sagte ich zu Ralf, als ich ihn wiederfand. „Wir haben es ja gleich“, beruhigte er mich und küsste mich auf die Stirn. „Glasreiniger und Küchenkrepp noch“, sagte er und tippte auf den Einkaufszettel. Die Kasse war schon in Sicht. In Klarsicht sogar. Ralf verglich vor Ort noch die Preise der verschiedenen Glasreiniger, während ich nachsah, ob es bedrucktes Küchenpapier gab. Einhörner wären doch cool. Wobei es bestimmt nicht mehr so toll aussah, wenn man mit Einhörnern einen Kaffeefleck vom Küchentisch wischen möchte. Einhornkaka. Ich lachte kurz auf, weil ich an eine ehemalige Nachbarin aus unserem Haus denken musste. Eine Akademikerin mit zwei Doktortiteln. Ich brachte ihr mal Post, die aus ihrem überfüllten Briefkasten heraus gefallen war. Da sah ich einen aufgeplatzten Johurtbecher, der auf ihrem Küchenboden lag. Diesen habe ich wohl zu lange angeschaut, denn sie fragte mich: „Ist was?“ Ich zeigte auf den Becher, dessen Inhalt halb eingekrustet auf ihren Fliesen lag. „Ach so, der Joghurt. Den wollte ich gestern in den Kühlschrank stellen, da ist er hingefallen. Dabei hatte ich gerade frisch geputzt. ‚Du bleibst jetzt erst mal hier liegen, du interessiert mich gar nicht‘, habe ich da gesagt. Das muss er lernen!“ war ihr Fazit. Ich bin dann rückwärts aus der Wohnung und habe, während ich die Treppen zu unserer Wohnung hinaufging, durchs Treppenhaus gerufen, sie könne sich ja melden, wenn sie Hilfe bräuchte.

Endspurt

Nun war die Kasse wirklich schon in Sicht. Die Schlange, in die wir uns einreihten, war zwar ellenlang, aber so scheint es ja kurz vor Weihnachten immer zu sein. Doch halt, was sah ich da…. Von zehn Kassen waren nur vier beleuchtet, während vier Mitarbeiter:innen um einen Karton ‚rumstanden, um Ware auszupacken. „Das ist ja unsolidarisch, sie müssten doch sehen, dass ihre Kolleg:innen da vorne an den Kassen schuften ohne Ende“, murmelte ich Ralf zu. Das hörte die Frau hinter uns. Sogleich drehte sich sich um und rief den vier Kartonleuten laut zu, dass sie doch bitte mal eine weitere Kasse aufmachen sollten. „Geht nicht, wir müssen hier Ware auspacken!“ riefen diese zurück. Die halbe Warteschlange schüttelte darüber verständnislos den Kopf. Nach drei Minuten gab sich eine der Kartonmitarbeiter:innen einen Ruck und öffnete eine fünfte Kasse. Na endlich. Den Karomusterhutmann sahen wir auch wieder. Er hielt seine 18€-Pfefferkornsalami fest in der Hand. Vermutlich traute er sich nicht, sie wieder in den Wagen zu legen. Es ging nur schleppend voran an der Kasse, an der wir anstanden. Der Bauarbeitermann stand eine Reihe neben uns und hatte nur eine Fernsehzeitung in seinem Einkaufswagen. Ich würde mich dafür sicher nicht eine halbe Stunde lang in eine Warteschlange stellen. Aber wer weiß, vielleicht mag er das so. „Ich will hier raus“, jammerte ich. „Wir sind ja gleich dran“, beruhigte der Ralf mich. Nach gefühlten zehn Minuten waren wir wirklich endlich dran. Nur noch der eine Kunde vor uns. Als dieser die Kassenzone verließ und wir aufrücken konnten, atmete ich hörbar aus. Doch zu früh gefreut. Er kam zurück weil ihm drei Cent fehlten. Die Kassiererin starrte ihn an wie das Kaninchen die Schlange. Doch es war sein Ernst, er wollte seine drei Cent zurück. „Da muss ich dann erst mal eine Kassenprüfung machen“, erläuterte sie ihm scheu. „Ja, dann machen sie mal!“ antwortete er. Ich hab gedacht, ich werde verrückt. Das sind genau die Menschen, die ich mag (Ironie). Am Weihnachtsabend in der Kirche sitzen und einen auf einträchtig machen aber auf seine drei (!) Cent bestehen und einer sichtbar überarbeiteten Kassiererin noch mehr Arbeit auf’s Auge drücken. Dem soll der Weihnachtsmann Kackikekse in seine polierten Lackschühchen stecken. Da die Kasse nun erst einmal geschlossen wurde, mussten wir uns erneut anstellen. Wie gut, dass wir zuvor gefrühstückt hatten und wie gut, dass der Karomusterhutmann weiterhin seine 18€-Pfefferkornsalami fest in seiner Hand hielt, denn ein kleiner Appetit überkam mich jetzt schon. Wo sind die Käsehäppchen, wenn man sie mal braucht? Ich lenkte mich ab, indem ich an die köstlichen Spinat-Feta-Taschen dachte, die wir am Abend als Fernsehsnack essen würden. Selbstgemacht. Wir füllen dazu gewürzten Spinat mit Fetawürfeln auf kleine Rechtecke aus Pizzateig und schließen sie zu, sodass sie wie kleine Briefkuverts aussehen. Mmmmmh. Nach unglaublichen 70 Minuten in diesem Supermarkt kamen wir endlich zu unserem Auto zurück. Wir packten alle Eingkäufe in die Taschen und riefen dann zeitgleich: „Mist, wir haben den Pizzateig vergessen!“ „Den holen wir jetzt aber woanders, ich kann da nicht nochmal rein!“ jammerte ich erneut. Dann fuhren wir mit quietschenden Reifen davon und brauchten einen ganzen Tag, um uns von diesem Einkaufserlebnis zu erholen. Hoffentlich träume ich heute nacht nicht davon.

Ich wünsche euch allen einen besinnlichen vierten Advent und schon jetzt ein wunderschönes Weihnachtsfest.

Herzlichst eure Steph ❤

3 Kommentare zu „Die Entführung der Pfefferkornsalami

  1. Hallo Steph.mir wurde richtig kribbelig beim Lesen,mir würde es auch so gehen wie dir,hätte auch nur gesagt:Ich will hier raus🤣

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