Baumarktposse

Nur mal kurz in den Baumarkt wollte der Ralf. Nur mal schnell eine Alustange holen. Dass das Ganze sich dann aber hinzog, konnte keiner von uns ahnen…

Dänisches Tuch

Als Norddeutsche sind wir sturmerprobt. Leider galt das nicht für unseren Dannebrog, der seit etwa zehn Jahren an einer Aluminiumstange hängt und vom Balkon flattert. Der Dannebrog ist die dänische Flagge und bedeutet übersetzt so viel wie „Dänisches Tuch“. Es gibt diverse Regeln, wie und wann der Dannebrog zu hissen ist, zum Beispiel an Geburtstagen, Trauertagen und anderen Feierlichkeiten. Niemals darf die Flagge den Boden berühren. Wunderschön war es, als Ralf und ich uns nach 15 Jahren Ehe nochmals das Ja-Wort in den Dünen der Insel Fanø gaben. Einer unserer Trauzeugen hatte morgens in unserem Garten den Dannebrog gehisst, was wir als große Ehrung empfanden. Als wir später vom Strand zu unserem Ferienhaus zurückkamen, wo wir mit Freunden noch ein bisschen weiterfeiern wollten, da war der gesamte Weg vom Parkplatz bis hin zu unserer Eingangstür mit kleinen dänischen Fähnchen versehen. Es war ein Werk unseres Vermieters, der uns damit überraschen wollte, was ihm absolut gelungen ist. Wie gesagt hängt der Dannebrog seit Jahren auf unserem Balkon, was unseren Nachbarn immer wieder dazu verleitet zu fragen, wie unser Urlaub in Norwegen war. Beim letzten Sturm hat es den Dannebrog erwischt. Die Fasern lösten sich, mit jedem Windhauch wurde er mehr und mehr aufgeribbelt. Dann kam noch eine Sturmböe und knickte kraftvoll die sich drehende Aluminiumstange um. Zehn Jahre hatte sie gehalten und das ist immerhin so lange her, dass Ralf nicht mehr wusste, in welchem Baumarkt er sie gekauft hatte. „Ach, Baumarkt ist Baumarkt, die werden alle solche Stangen haben“, sagten wir und fuhren los. Nur mal eben schnell zum Baumarkt…

Auf Zinne

„Willst du im Auto warten, ich geh nur schnell rein und kaufe eine Stange“, hatte Ralf mir mitgeteilt. Da sind wir in diesem Jahr 24 Jahre verheiratet und er fragt mich so etwas. Ich liebe doch Baumärkte! Der Geruch von frischem Holz, die bunten Blumen am Eingang, die vielen Möglichkeiten, kreativ zu werden, die einem dort aufgezeigt werden. Auf keinen Fall würde ich im Auto sitzen bleiben. Vielleicht hatte er mir das auch nur angeboten, weil er sich daran erinnerte, wie ich mal mit einem Baumarktmitarbeiter in Streit geraten war, weil dieser der Meinung war, ich hätte als Frau keine Ahnung von Farben, Lacken oder Schraubschlüsseln. Damals hatte ich gerade meine Stelle als Gruppenleitung in einem Kindergarten gekündigt und wollte als letzte Amtshandlung noch bunte Farbe für den Bauzaun kaufen, damit die Kinder den Zaun bunt bemalen konnten. Ich war so richtig auf Zinne, als ich damals in dem Baumarkt ankam, weil ich mich mal wieder um alles alleine kümmern musste. Warum war der Träger nicht auf die Idee gekommen, den braunen Zaun, der sich durch den Bau einer Krippe quer durch den Garten zog, anmalen zu lassen, um ihn schöner aussehen zu lassen? Hier und heute hatte ich allerdings noch andere Gründe, mit Ralf in diesen Baumarkt zu gehen, denn ich hatte etwas Tolles vor: Ich wollte diese Farbtabellen, die man in jedem Baumarkt kostenlos mitnehmen kann, besorgen, um daraus Sternengirlanden zu gestalten. „Du kannst ja die Stange holen, ich bin drüben bei den Farben“, sagte ich, dann trennten sich unsere Wege in dem Baumarkt, in dem wir nur schnell etwas einkaufen wollten.

So viele Mitarbeiter

Ich durchschritt die große Halle und bemerkte dabei einen nassen Fleck auf dem weißen Fussboden. Ein kurzer Blick zur Decke zeigte mir, dass dort wohl Regenwasser durch das Dach tröpfelte. Kein „Achtung rutschig!“-Schild stand neben der Wasserpfütze, kein Eimer fing das Wasser auf. „Vorsicht!“ sagte ich zu einer älteren Dame, die im Begriff war, mit ihren kleinen elfenähnlichen Füßen durch die Lache zu trippeln. Sie war circa 80 Jahre alt. „Ach, das ist aber lieb von ihnen, Herzchen“, sagte sie und hakte sich unter meinem Arm unter. „Wissen sie, wo ich einen Sitzhocker für die Dusche bekomme?“, fragte sie mich. Ich schaute mich links und rechts um und las eilig die Hinweisschilder zu den einzelnen Abteilungen, bevor ich mit dem Arm in eine Richtung zeigte und „Da hinten, da ist die Sanitärabteilung, da müsste es so etwas geben“ antwortete. Ich fragte mich, ob ihr das Hilfe genug war. Aber wenn nicht, dann gab es ja noch genug Mitarbeiter:innen, die hier sichtbar durch die Halle wuselten. Die hohe Anzahl an Mitarbeiter:innen überraschte mich tatsächlich, denn es gab mal Zeiten, da hatte man das Gefühl, sie verstecken sich alle hinter, unter oder in Regalen, um nicht gesehen und angesprochen zu werden. Hier aber sah das anders aus. An der Infotheke trippte einer eifrig etwas in seinen Computer, ein anderer wässerte die trockenen Blumenzwiebeln, eine Frau mit Headset flitzte durch den Gang und drei andere rollten mit ihren Gabelstaplern die Wege entlang. Die ältere Frau bedankte sich für meine Hilfe und verabschiedete sich mit den Worten „Tschüsselchen, mein Herzchen, da hinten steht mein Mann, mit ihm zusammen finde ich den Hocker bestimmt“. Ich lächelte und sah zu, wie sie auf ihren Mann zu ging.Wenn man wie Ralf und ich als verwaiste Eltern überleben muss, dann fällt es schwer, an das eigene Alter zu denken. Aber wenn wir achtzig werden würden, dann sollte es genauso sein wie bei diesem rührenden Pärchen. Ein kurzer Blick auf die Uhr zeigte mir auf, dass ich nun schon zwanzig Minuten in diesem Baumarkt war. Ich machte mich weiter auf den Weg, um die Farbtabellen zu bekommen, während Ralf die Alustange holen würde. War er eventuell sogar schon fertig und suchte mich? Ich stellte mein Handy auf laut und ging weiter. Die Farbtabellen waren nicht mehr dort, wo sie schon immer auslagen. Auf der Suche danach hätte ich gerne einen der vielen sichtbaren Mitarbeiter:innen gefragt, aber scheinbar waren alle mit sich selbst beschäftigt: Die Headsetfrau sprach mit einem Unsichtbaren, die drei Gabelstablerjungs fuhren sich ihre Wochenendpläne teilend nebeneinander her und der Blumenzwiebelbewässerer musste sich neues Wasser holen. Irre, da sind so viele Mitarbeiter:innen da und dennoch hat keiner von ihnen Zeit für die Kund:innen. Ich ging den Gang zurück und sah erneut den Wasserfleck ohne „Achtung“-Schild. Erfreut war ich darüber, dass ältere Paar wieder zu entdecken. Sie hatten Glück, denn sie hatten einen Mitarbeiter gefunden, der ohne Headset und Gießkanne in der Hand sich scheinbar ihren Problemen annahm. Doch im Vorübergehen hörte ich, wie er ihnen nur einen Tipp gab: „Da müssen Sie mal einen Mitarbeiter aus der Sanitärabteilung fragen!“

…und keiner hat Zeit

Ich ging wieder zurück, denn irgendwo bei den Farben/Lacken mussten die Farbtabellen doch zu finden sein. Wenn man doch nur mal jemanden fragen könnte! Hoffentlich hatte das ältere Pärchen nun Hilfe bekommen. Sie sollten irgendwo Torte und Kaffee genießen können, statt hier im Neonlicht eines Baumarktes durch nasse Pfützen zu waten und sich die Beine in den Bauch zu stehen, fand ich. Ich erinnerte mich daran, wie ich zu Beginn meiner beruflichen Karriere als Dozentin für Jugendliche ohne Schulabschluss arbeitete. Dort hatte wir mehrere Werkstätten, in denen sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erproben konnten. Mein Kollege aus der Sanitärabteilung „Gas/Wasser“ erzählte uns damals im Lehrerzimmer, dass die Jugendlichen manchmal Sanitär mit Sanitäter verwechselten und ihm das genau dadurch auffiel, dass sie ihn nacheinander in seiner Werkstatt aufsuchten, um nach Kopfschmerztabletten, Pflaster oder Verbandmaterial zu fragen. Auf meiner Suche nach den Farbtabellen kam ich indes an einer Schubkarre vorbei, die dekorativ platziert worden war. In ihr lagen Pömpel. Circa zwanzig Pömpel, die man benutzt, um das Rohr in der Toilette frei zu bekommen. Sie waren alle schwarz und hatten den bekannten Stiel aus Holz. Mit ein paar weißen Polkadots würden auch diese Pömpel schneller verkauft werden, glaubte ich, Wenn ich hier arbeiten würde, würde ich das als Gag machen. Leute kaufen Sachen, die gepunktet sind, einfach lieber. Nein, hier waren die Farbtabellen auch nicht, also wieder zurück. Dann endlich sah ich sie. Sie hingen an einem Infoterminal neben einem PC aus. Ich suchte mir ein paar Kärtchen heraus und ging entspannt wieder durch den großen langen Gang zurück, um Ralf zu finden. Da sah ich das Pärchen wieder. Der Mann hatte sich erschöpft auf die Schubkarre mit den Pömpeln gesetzt, in seiner Hand hielt er eine Brötchentüte, aus der er sich immer wieder ein Stück Brezel abzupfte. Vielleicht war er Diabetiker. Sie taten mir leid, weil sie scheinbar noch immer keine Hilfe erhalten hatten. „Kann ich ihnen vielleicht helfen?“, fragte ich. Das Gesicht der Frau erhellte sich, ihre Augen leuchteten, als sie vom Duschsitzhocker erzählte, den sie suchten. Erneut hakte sie sich bei mir ein und wir gingen in ihrem Schritttempo durch die Regale, bis wir den Duschsitzhocker fanden. Überschwänglich bedankte sich die Frau bei mir. Nun konnte sie den Tag mit ihrem Mann mit etwas Schönerem begehen, als in dieser vom Neonlicht durchfluteten Halle. Wir verabschiedeten uns und ich ging weiter. Als ich erneut an dem Wasserfleck vorbei kam, dachte ich, ich kriege die Krise. Inzwischen waren die Gabelstablerjungs schon mehrere Mal daran vorbeigekommen, aber keiner hatte sich verantwortlich gefühlt, den Wasserfleck zu kennzeichnen oder Ursachen beheben zu lassen. Da ich durch das Hin- und Hergelaufe nun ja fast jedes Regal auswendig kannte, ging ich zu den Warnschildern. Ich nahm das mit der Aufschrift „Vorsicht, nass gewischt“ aus dem Ständer und stellte es neben den Fleck. Kurz überlegte ich, ob ich noch ein paar Gummistiefel dazu stellen oder die nasse Pfütze mit Warnband absperren sollte, aber dann dachte ich an die Worte meines Psychologen, der mir nach meinem Burn-Out sagte, man müsse nicht unentwegt 100 Prozent geben, 80 täten es auch. Außerdem suchte ich sehnsüchtig nach meinem Mann, der hier irgendwo im Labyrinth verschwunden war.

Regal 22 links

Nach den guten Taten machte ich mich also erneut auf die Suche nach ihm. Man, war das anstrengend in diesem Baumarkt. Da will man nur kurz etwas einkaufen und dann ist man nur auf der Suche. Allerdings war es auch mal schön, die Gänge auf der anderen Seite zu entdecken. Wusstet ihr dass man im Baumarkt nun auch Schuhe kaufen kann? Das ist kein Scherz, in einem der Regale sah ich UGG-(Ugly-)Boots in Massen stehen. Es handelt sich dabei um Schuhe, die aussehen wie große Mammutfüße. Kopfschüttelnd ging ich weiter. Den Ralf fand ich in Gang 22 bei Bauzubehör. Er war scheinbar auch nicht weitergekommen, hatte allerdings einen Mitarbeiter zu fassen bekommen. „Sie brauchen WAS?“, fragte dieser ungläubig, als Ralf von der Alustange berichtete. „Ist das so etwas wie ein Fallrohr?“ „Nein, es handelt sich um eine Stange mit einem Durchmesser von einem Zentimeter, wir hängen auf dem Balkon eine Flagge daran auf“, hörte ich Ralf sagen. Der Mitarbeiter legte seine Stirn in tiefe Falten. Von so einer Stange hatte er noch nie gehört. Na, hoffentlich wusste er, was Ugly Boots sind, denn die waren ja seit Neuestem auch im Angebot. Ich schaute genervt auf meine Uhr. Dreißig Minuten waren eine lange Zeit für „kurz mal was beim Baumarkt einkaufen“. Doch dann gab er uns einen Rat. „Gehen Sie doch mal zu der Eisenwarenabteilung. Dort gibt es keinen eigenen Infopunkt, beziehungsweise finden sie den bei der Elektroabteilung. Einfach einen Mitarbeiter ansprechen, wen der nicht gerade am PC beschäftigt ist.“ „Ah, danke“ sagten wir und machten uns auf den Weg. Nach ganzen 35 Minuten hielten wir endlich die Alustange in der Hand. „Nichts wie raus hier“, forderte ich und freute mich sehr, dass sich an der Kasse keine lange Schlange befand. „Die Kärtchen?“ fragte die Kassiererin. „Die Kärtchen sind kostenlos“, beantwortete ich ihre Frage. So langsam könnte ich hier auch anfangen zu arbeiten. Ich wusste nun wo alles steht, könnte Pömpel verkaufsverbessernd aufarbeiten und hatte immer die suchenden Kund:innen im Blick. Vielleicht bewerbe ich mich mal, die Ugly Boots wären das Erste, was ich aussortieren würde. 😉

Herzlichst, eure Steph ❤

Ein Kommentar zu „Baumarktposse

  1. Genauso ging es mir. Ich brauchte vier Schrauben mit Unterlegscheibe und Mutter.

    M4 35 mm lang. So einfach war das nicht. Da stand einen Waage. Man konnte nur

    20 gr abwiegen. Tüten fand man dafür auch nicht. Nach einer Viertelstunde hatte ich alles abgewogen . natürlich viel zu viele Teile siehe 20g. Das war eine völlig neue Erkenntnis. Wie gut war es doch früher. Da nahm ein freundlicher Mensch die Teile aus Kästen. Man konnte von dannen ziehen und hatte genau so viel wie man brauchte

    in diesem Sinn einen schönen Sonntag

    viele Grüße Von Erika und Harald.

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