Ist es richtig, einen Blog zu führen, in dem ich über meine Depression und gleichzeitig lustige Geschichten aus meinem Alltag schreibe? Das hat mich noch keiner gefragt und dennoch will ich mich erklären. Weil ich es als wichtig empfinde.
„Es reicht, ich ziehe dir jetzt den Stecker“, sagte mein Hausarzt im April 2016 und stellte mit seiner unverkennbar krakeligen Schrift nicht nur ein Rezept für mich aus, sondern auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Er kennt mich schon seit Jahren. Und nicht nur mich, sondern auch meine Familie. Seine Eltern besaßen ein Haus neben dem meiner Großeltern. Wenn es irgendwelche Probleme bei der Gesundheit gab, war er stets schnell zur Stelle. Die nachbarschaftliche Nähe sagt natürlich nichts über seine Qualitäten aus. Es war seine immerwährende Kompetenz, die ihm einen guten Ruf und volle Wartezimmer bescherte.
Als ich da nun bei ihm saß, erkannte er sofort, was mein Problem war. Meinen beruflichen Werdegang, all mein Engagement hatte er mitverfolgt, die Presseartikel, in denen ich vorkam, gelesen und so oft gesagt, dass ich mal Ruhe bräuchte, um nicht „kaputt“ zu gehen. Wir sahen uns eher selten, denn ich ging nicht oft zu ihm. Einmal stritten wir uns fast, weil er mich länger als drei Tage krank schreiben wollte. Nur einmal, als ein direkter Arbeitskollege und Freund sich das Leben nahm, war ich mit einer einwöchigen AU einverstanden.
Nun aber ging wirklich nichts mehr, ich erkannte mich ja selbst nicht wieder. Die Schlaflosigkeit, unter der ich seit Monaten litt, hatte mich mürbe gemacht. Später sollte ich anhand meiner Therapie erfahren, dass eine ständig gestörte Nachtruhe Futter für eine Depression sein kann. „Leckerli für Debbie“ sozusagen. Ich konnte wirklich keine Nacht mehr aufzählen, in der ich tatsächlich mal komplett durchgeschlafen hatte. Um die schlaflose Zeit wenigstens zu meinen Gunsten zu nutzen, schrieb ich dienstliche Emails, die ich als Entwurf speicherte, um sie mir morgens ins Büro zu senden. Es gab ja so viel zu tun.
Die Diagnose, die mein Hausarzt mir an diesem Tag im Jahr 2016 stellte, war ein Burnout und ich erinnere mich daran, dass meine engsten Freunde und die Familie das nicht wirklich überraschte. Es fielen Sätze wie „Das hat mich nicht gewundert“ und „Ich hoffe, du lernst etwas daraus und nimmst dir jetzt mal Zeit für dich“.
Zeit für mich. Das war so lieb gemeint, aber eben nicht das, was ich wollte.
Ich habe damals noch nicht den Zusammenhang verstanden zwischen dem, was ich, und dem, was mein Körper mit seiner Seele mir sagen wollte.
Wie ich schon in dem Artikel zuvor schrieb, war es ein großes Glück für mich, dass mein Mann – selbst Sozialarbeiter – mir den Tipp gab, mich an das ZIP (Zentrum für integrative Psychiatrie) beim UKSH Lübeck zu wenden, um schnell einen oder mehrere Gesprächstermine zu bekommen, da man auf einen Therapeut*innentermin lange warten muss.
Ende April die Diagnose Burnout, im Juni der erste Termin beim ZIP. Das ging wirklich schnell. Als dort das Erstgespräch mit einer Psychologin anstand, war ich frei von Aufregung oder Nervosität. Ich wollte eine Einschätzung und schreckte auch nicht vor der Einnahme von Medikamenten zurück. Rasche Hilfe wollte ich und endlich wieder so funktionieren, wie ich es gewohnt war. Mein altes Leben zurück haben. Schnell, unbürokratisch und ohne großen Aufwand.
Nach dem Erstgespräch gab es eine Diagnose. Mittelschwere Depression.
Ein Begriff, der mir nicht fremd vorkam. Schließlich hatte ich beruflich sehr oft mit Menschen zu tun, die darunter litten, und war familiär damit vertraut. Trotzdem hat es mich geschockt zurück gelassen, weswegen ich es meinen engsten Freunden vorerst nicht erzählte. Blöd, nicht wahr? Fast war ich froh, meine körperlichen Beschwerden, die es tatsächlich gab, vorzuschieben. Mein Darm spielte komplett verrückt, meine angeborene Wirbelsäulenerkrankung meldete sich schmerzhaft zurück, der Blutdruck war stets erhöht und Kopfschmerzen waren plötzlich keine Seltenheit mehr. Letzteres bereitete mir die größten Sorgen, denn nachdem Neurologen im Jahr 2000 bei einer Kernspintomografie feststellten, dass ich ein Angiom im Kleinhirn beherberge, hatte ich Angst vor den Folgen.
Mir war es, als würde sich die Erkrankung, meine Depression festigen, wenn ich allen davon berichtete. Als wäre dann alles in Stein gemeißelt. Unwiederbringbar wäre sie da und würde es sich in meinem Leben bequem machen. Ohne Aussicht auf ein Entkommen. Das wollte ich nicht. Ein komischer Gedanke, ich weiß.
Und irgendwie sitzt hier auch das Problem zwischen all den Dingen. Ich hatte verstanden und akzeptiert, dass ich krank war und Hilfe brauchte. Aber ich wollte auch keinem mit meinen Problemen auf den Geist gehen oder daran hindern, mit mir Spaß zu haben. Das eine schließt das andere nämlich nicht aus.
Dazu muss ich betonen, dass ich hier über meine Depression schreibe. Die Erkrankung kann bei jedem anders aussehen, beziehungsweise sich anders anfühlen. Bei mir lag das Hauptproblem bei den ständigen Grübelgedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten wie Fruchtfliegen, die eine faule Banane im Obstkorb umkreisen. Sie waren einfach immer da und schienen sich – ohne mein Zutun- hundertfach zu vermehren. Zudem hatte ich plötzlich Misstrauen ohne Ende. Ganz zu schweigen von der fehlenden Energie/Antriebslosigkeit und Schwere der Gedanken.
Ein Beispiel dafür, wie es zu dieser Zeit in meinem Kopf aussah, habe ich damals in der Gruppensitzung beim ZIP den anderen Teilnehmer*innen und psychologischen Leitern geschildert:
Es ging um einen Arzttermin bei meinem Hausarzt. Dieser war auf irgendeinen Mittwoch um 8:30 Uhr terminiert. Weil ich da schon unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen litt, bat ich meinen Mann, mich zu diesem Termin zu begleiten. Um 8:30 Uhr hatte er allerdings Teamsitzung und könne nur früher, am besten um 7:30 Uhr, mitkommen. Ob ich in der Hausarztpraxis anrufen und den Termin vorverlegen könne?
Aber klar doch, stimmte ich zu.
Der nächste Morgen, 7:30 Uhr. In meinem Kopf kreiselte es. Ich kann doch da jetzt nicht um halb acht Uhr anrufen, die haben gerade die Praxis geöffnet und so viel mit dem Publikumsverkehr zu tun, da stört es die nur, ich rufe besser eine Stunde später an. Um 8:30 Uhr dachte ich, dass die Sprechstundenhelferinnen jetzt bestimmt froh waren, dass die erste Welle der Patienten behandelt wurde und sich endlich mal eine Pause gönnen können würden. Also beschloss ich, eine weitere Stunde später anzurufen. Um 9:30 Uhr jedoch dachte ich, wie blöd es war, nun anzurufen. „Die denken doch bestimmt, dass….“ Genau, ich dachte mal wieder darüber nach, was andere von mir denken könnten und der Grübelgnom in meinem Kopf fuhr mit seinem Skateboard tiefe Rillen in mein erkranktes Hirn, welches er als Halfpipe benutzte. „Die denken jetzt bestimmt, dass ich erst jetzt aus dem Bett ausgestiegen bin. Weil ich faul bin. Und nix zu tun habe. Bin ja schon einige Zeit krank geschrieben. Schaue ja sicherlich jeden Abend bis spät „in die Puppen“ Fernsehen und stehe auf, wann es mir passt, während andere Menschen arbeiten gehen müssen.“ Ach, es war eine Qual. Denn ich schämte mich so sehr, dass ich an diesem Tag gar nicht in der Praxis anrief. Als mein Mann von der Arbeit heimkam, fragte er, ob ich den Termin vorverlegt hatte und ich konnte ihm nur sagen, dass ich es nicht geschafft hatte.
„Wieder nix geschafft, du Versagerin!“ jubelte mir Debbie Depression zu und veranstaltete ein Freudentänzchen in meinem Hirn, während ich mich selbst so schäbig fühlte. Als eine außerordentlich liebe Gastgeberin, die ich war, hatte ich dieses Weib namens Debbie sowas von satt. Sie hatte mich ausgeknockt, handlungsunfähig gemacht. Dieses Biest. Ich würde auf Eigenbedarf klagen!
Fortsetzung folgt….
Hallo Steph.,bin gespannt auf die Fortsetzung,mir ist es ähnlich ergangen ,nur ohne diesem Mistding im Kopf,ich kann dich gut verstehen,aber du schaffst das,bin in Gedanken bei dir,liebe grüße von mir😘
LikeGefällt 1 Person
Ach Anja, was für ein schöner Kommentar. Ich habe schon eine große Hürde geschafft und hoffe, Debbie bald in einem Koffer auf den Dachboden stellen zu können 😉 😄. Hab vielen Dank für deine lieben Gedanken und alles, alles Gute für dich. Fortsetzung folgt in der kommenden Woche. Herzliche Grüße Steph 😘
LikeLike